Positionen

Europäische Bankenunion - Bewertungen aus Sicht der Politik, der Kreditwirtschaft und der Wissenschaft

Tarek Al-Wazir

"Die Position Frankfurts als wichtigstem Regulierungs- und Aufsichtszentrum der Eurozone ist gestärkt"

Tarek Al-Wazir, Hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung, Wiesbaden

Die Finanzkrise hat die Defizite in der Regulierung und Beaufsichtigung des Finanzsektors schonungslos offengelegt. Die bis dato bestehenden Insolvenz- und Beihilferegeln erwiesen sich als ungeeignet, um eine in Schieflage geratene systemrelevante Bank geordnet abzuwickeln. Ein Zusammenbruch des Finanzsystems konnte daher nur mit Hilfe erheblicher staatlicher Rettungsmaßnahmen verhindert werden.

Eine solche Zwangslage darf sich nicht wiederholen. Um dies zu verhindern, wurde in kurzer Zeit, unter hohem Druck und geprägt von kontroversen Diskussionen ein äußerst komplexes Regelwerk für eine europäische Bankenunion formuliert. Dass dies nicht ohne Kompromisse gehen konnte, ist offensichtlich. Damit stellt sich die Frage, ob die vom Europäischen Parlament Mitte April beschlossenen Regelungen ihrem eigenen Anspruch gerecht werden.

Aufsichtsschwerpunkte richtig setzen

Vordringliches Ziel der Bankenunion ist es, systemrelevante Banken im Fall ihres Scheiterns an den Märkten ohne Gefahr für die Finanzstabilität abwickeln zu können - und zwar möglichst ohne Inanspruchnahme des Steuerzahlers. Banken sollen künftig nicht mehr darauf vertrauen dürfen, dass sie "too big to fail" oder "too connected to fail" sind.

Natürlich soll das Finanzsystem erst gar nicht in eine solche Lage geraten. Daher war es eine Grundfrage, wer sie zukünftig beaufsichtigen soll. Für die EZB spricht, dass sie über umfangreiche Kenntnisse auf dem Gebiet der Makroökonomie und der Finanzstabilität verfügt. Zudem kann sie bei der Wahrnehmung bankaufsichtlicher Aufgaben auf die Expertise des bei ihr angesiedelten Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB) zurückgreifen. Und schließlich gibt es auch einen spezifischen Grund aus hessischer und deutscher Sicht, die EZB mit dieser Aufgabe zu betrauen, festigt dies doch die Position des Finanzplatzes Frankfurt als wichtigstem Regulierungs- und Aufsichtszentrum der Eurozone und Kontinentaleuropas. Klar ist aber auch: Die EZB wird die an sie gestellten hohen Erwartungen nur erfüllen können, wenn sie die nationalen Aufsichtsbehörden eng einbezieht. Zudem müssen die Regelungen zur Trennung von Geldpolitik und spezifischer Bankenaufsicht strikte Beachtung finden.

Auch muss sie ihre Aufsichtsschwerpunkte richtig setzen. Konkret gesprochen: Die Einstufung einer Bank als systemrelevant muss sich eng an Kriterien wie Größe, Risikogehalt ihres Geschäftsmodells und Vernetzung im Finanzsektor orientieren. Eine Unterstellung kleinerer und regional tätiger Kreditinstitute - wie zum Beispiel örtlicher Sparkassen und Genossenschaftsbanken sowie der Förderinstitute der Länder - brächte keinen Mehrwert für die Finanzstabilität. Diese Institute sind weder systemrelevant noch haben sie die Finanzkrise verursacht.

Haftungskaskade als wichtiges Element

Kommt es doch zum Zusammenbruch einer Bank, soll die sogenannte Haftungskaskade greifen, damit in erster Linie die Banken sowie deren Eigentümer und Gläubiger einen wesentlichen Beitrag zur Abwicklung leisten. Ausdrücklich zu begrüßen ist, dass ein "Bail-in" mindestens acht Prozent der gesamten Bankverbindlichkeiten umfassen muss. Weniger zufrieden stimmt es, dass auch die neuen Regeln in einer Übergangsphase auf ein staatliches Sicherheitsnetz aufbauen. Immerhin ist es gelungen, den Einsatz öffentlicher Mittel auf außergewöhnliche Umstände und das Ziel der Finanzstabilität zu beschränken. Dies muss strikt eingehalten werden.

Ein wichtiges Element der Haftungskaskade ist der europäische Bankenabwicklungsfonds, zu dessen Einrichtung viele Kompromisse nötig waren. Immerhin ist es gelungen, dass die Institutssicherungssysteme der Sparkassen und Genossenschaftsbanken berücksichtigt werden. Bei der Ausgestaltung der Bankenabgabe muss dringend auf eine progressive Ausgestaltung geachtet werden, um die Finanzierungsvorteile systemrelevanter Großbanken auszugleichen. Da systemrelevante Banken im Zweifel vom Steuerzahler gerettet werden müssten, erhalten diese Kredite zu deutlich günstigeren Konditionen. Hier gibt es also große Spielräume, um kleine Institute zu entlasten und gleichzeitig einen unfairen Wettbewerbsvorteil großer Institute einzudämmen. Im Ergebnis darf es nicht dazu kommen, dass die örtlichen Sparkassen und Genossenschaftsbanken die Abwicklung anderer Kreditinstitute, die unter Umständen eine risikoreichere Geschäftsstrategie verfolgt haben, EU-weit finanzieren müssen.

Vieles hängt also davon ab, wie die Beschlüsse des Europäischen Parlaments vom April in der Praxis umgesetzt werden und welche Schritte ihnen folgen. Denn die Bankenunion ist damit noch nicht fertig. Inzwischen liegt der Vorschlag der EU-Kommission für eine Trennung des Einlagengeschäfts vom bloßen Investmentbanking vor - ein grundsätzlich sinnvolles Vorhaben. Allerdings belässt der Entwurf den Aufsichtsbehörden große Spielräume bei der Festlegung des Umfangs der abzutrennenden Geschäfte. Hier muss insbesondere der Begriff des Eigenhandels so definiert werden, dass er die Risiken der Banken adäquat erfasst. Ein Gesetz, welches lediglich den regulatorischen Aufwand der Institute erhöht, ohne das Finanzsystem tatsächlich stabiler zu machen, ist weder im Sinne der Banken noch im Sinne der Steuerzahler.

Geschäfte zwischen den Instituten eines Haftungsverbundes und die sich daraus ergebenden Absicherungsgeschäfte müssen aber zulässig bleiben, und die Kreditbeziehungen innerhalb von Verbundstrukturen müssen von der vorgeschlagenen Obergrenze für Großkredite an Unternehmen der Finanzbranche ausgenommen werden. Denn solche Kredite zwischen einzelnen Sparkassen oder einzelnen Volksbanken sowie Geschäfte dieser Institute mit ihren jeweiligen Zentralinstituten sind lebenswichtig für unsere Verbundsysteme.

Hauptaugenmerk: ein insgesamt besser kapitalisiertes Finanzsystem

Das Hauptaugenmerk der Regulierungsanforderungen muss auf einem insgesamt besser kapitalisierten Finanzsystem liegen, das Insolvenzen einzelner Institute abfedern kann. Eine Regulierung, die aufgrund komplexer Vorschriften gerade die kleinen und stabilen Institute vom Markt verschwinden ließe, würde dies konterkarieren. Daher müssen wir dringend im Auge behalten, wie sich die einzelnen Regelungen in ihrer Summe auf den Geschäftsbetrieb der Banken auswirken. Denn am Ende müssen die Banken ihre volkswirtschaftliche Aufgabe - die Versorgung der Realwirtschaft und Verbraucher mit finanziellen Mitteln - erfüllen können.

Michael Kemmer

"Die Bankenunion kann nur Teil eines umfassenden Lösungskonzepts sein"

Dr. Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer, Bundesverband deutscher Banken e.V., Berlin

Voll auf "Bankenunion-Kurs" liegt die Europäische Union (EU), seit das Europäische Parlament den letzten Baustein dieses Bauwerks im April dieses Jahres gesetzt hat. Mit der Verordnung zur Errichtung eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus - in englischer Sprache kurz SRM für "Single Resolution Mechanism" - werden die Zuständigkeiten für das "Ob" und das "Wie" der Abwicklung eines bestandsgefährdeten Kreditinstituts auf eine neue europäische Abwicklungsinstitution (Single Resolution Board - SRB) verlagert. Der EU-Gesetzgeber folgt damit dem Ansatz, den er schon bei der Übertragung von Aufsichtsbefugnissen im Rahmen des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism - SSM) auf die Europäische Zentralbank (EZB) entwickelt hat. Im Rahmen des SRM wird ein von der Kreditwirtschaft getragener einheitlicher Bankenabwicklungsfonds (Single Resolution Funds - SRF) errichtet, der ab 2016 für die Kosten der Abwicklung aufkommt, sollte dies im Falle der Schieflage einer Bank nach der Inanspruchnahme von Aktionären/Eigentümern und Gläubigern des Instituts noch erforderlich sein.

Die Richtung stimmt

Der Abwicklungsmechanismus und der Bankenabwicklungsfonds sind im Gesamtkontext des Vorhabens "Bankenunion" konsequent aufgestellt. Nicht nur die laufende Aufsicht über Kreditinstitute, sondern auch die Abwicklung eines Kreditinstituts sollten weitestmöglich von den (fiskalischen) Interessen und nationalen Befindlichkeiten einzelner EU-Mitgliedstaaten entkoppelt werden. Der einheitliche Bankenabwicklungsfonds - von Kreditinstituten finanziert - wird den Steuerzahler vor den Folgen einer bestandsgefährdenden Schieflage eines Instituts wesentlich besser schützen.

Allerdings hat die Bankenunion einen entscheidenden Geburtsfehler: ihr territorialer Geltungsbereich. Sie wird nicht für die gesamte Europäische Union gelten, sondern beschränkt sich derzeit auf die Eurozone. Das ist nicht perfekt, denn die Finanzkrise hat gelehrt: Wenn ein Kreditinstitut ins Trudeln gerät, macht die Krise weder an Ländergrenzen noch am Ärmelkanal Halt. Zudem entspräche eine europaweite Lösung auch dem insbesondere mit dem Abwicklungsmechanismus verfolgten Ziel, bei der Abwicklung grenzübergreifend tätiger Gruppen unterschiedliche - und potenziell gegensätzliche - Entscheidungen nationaler Abwicklungsbehörden zu vermeiden.

Angesichts der (vorläufig) abgeschlossenen Diskussion über den territorialen Anwendungsbereich ist dieser Königsweg politisch allerdings nicht konsensfähig. Vor allem das Vereinigte Königreich hat einer solchen Einbeziehung seines Finanzplatzes London in ein EU-weites Regime nicht zugestimmt. Die derzeit vorgesehene Opt-in-Möglichkeit für Nicht-Euroländer zur Bankenunion ist daher wohl bis auf Weiteres der erfolgversprechendere Ansatz. Immerhin, ein Hoffnungsschimmer bleibt: Eine weitere Integration wird nicht ausgeschlossen. Und die Bankenunion allein ist keine "Wunderwaffe" gegen Schuldenkrisen in der EU.

Streitpunkt: Bankenabgabe

Der Bankenabwicklungsfonds wird ab 2016 für die am SRM teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten die nach der sogenannten Bank Recovery and Resolution Directive - kurz: BRRD - in allen EU-Mitgliedstaaten zu errichtenden nationalen Fonds ersetzen. Deutschland verfügt bereits seit 2011 mit dem Restrukturierungsfonds über einen solchen von der Kreditwirtschaft getragenen Finanzierungsmechanismus.

Dass niemand gerne Steuern und Abgaben entrichtet, ist eine Binsenweisheit. Doch manch geäußerter Protest insbesondere der deutschen kreditwirtschaftlichen Verbünde gegen den neuen Fonds relativiert sich, betrachtet man die mit dem deutschen Restrukturierungsfonds gesammelten Erfahrungen: So haben im Beitragsjahr 2013 zehn Institute 75 Prozent und 29 Institute gar 90 Prozent der Gesamtbeitragslast getragen. Nach Schätzungen der Europäischen Kommission werden die 17 größten europäischen Banken allein rund 40 Prozent der Beiträge zum einheitlichen Bankenabwicklungsfonds aufbringen.

Unabhängig hiervon zeichnet sich klar ab, dass das in einem Zeitraum von acht Jahren zu erreichende Zielvolumen des Fonds von geschätzt rund 55 Milliarden Euro zu einer höheren Abgabenlast bei den beitragspflichtigen Instituten führen wird. Umso wichtiger ist es daher, bei der nunmehr anstehenden Konkretisierung der Beitragsberechnungsgrundlage durch die Europäische Kommission und durch den Rat einen wohl austarierten Rahmen zu finden.

Bei der Ausgestaltung der Berechnungsgrundlage sollte insbesondere mit Blick auf kleinere und mittlere Privatbanken dem Proportionalitätsgrundsatz Rechnung getragen werden. Dies gilt insbesondere mit Blick auf mittelständische Privatbanken, die - anders als Institute in Verbünden - sich wirklich eigenständig auf dem Markt behaupten müssen. Größenunabhängig sollte beitragsmindernd anerkannt werden, wenn ein Institut seine Risiken gut im Griff hat. Außerdem sollte eine auch verfassungsrechtlich gebotene Zumutbarkeitsgrenze dafür Sorge tragen, dass die Beitragspflichtigen durch die Abgabe nicht überbelastet werden und ihre Ertragsfähigkeit nicht untergraben wird.

Last but not least: Auf das Risiko kumulierender Regulierungskosten haben Experten aus der Wissenschaft wiederholt und zu Recht hingewiesen. Um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, sollte zudem sichergestellt sein, dass Beiträge zum Fonds steuerlich EU-weit einheitlich behandelt werden. Steuersystematisch stellen Beiträge zum Fonds betrieblichen Aufwand dar.

Ende gut, alles gut?

Der einheitliche Abwicklungsmechanismus und der einheitliche Bankenabwicklungsfonds stellen im Rahmen der Bankenunion einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Integration der europäischen Finanzmärkte und zur Stärkung der Stabilität des Finanzsystems dar. Die Bankenunion ist jedoch kein Allheilmittel. Sie kann nur Teil eines umfassenden Lösungskonzepts sein.

Um die zu enge Beziehung zwischen Risiken von Staatsanleihen und nationalen Banken wirklich zu lösen, geht an einer Konsolidierung der Staatshaushalte - und damit weiteren Fragen zur Übertragung von Kompetenzen der Mitgliedstaaten auf die EU-Ebene - kein Weg vorbei. Europa sollte sich daher nicht auf dem Erreichten ausruhen.

Paul J.J. Welfens

"Längerfristig sollte eine separate Bankenaufsicht geschaffen werden"

Prof. Dr. Paul J. J. Welfens, Präsident des Europäischen Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen (EIIW) an der Bergischen Universität Wuppertal und Jean-Monnet-Professor für Europäische Wirtschaftsintegration sowie Lehrstuhl Makroökonomik an der Bergischen Universität Wuppertal, Research Fellow am IZA, Bonn

Die Bankenunion bringt die Bankenaufsicht der EZB über Großbanken der Eurozone - und gegebenenfalls andere Banken, die nationaler Aufsicht unterliegen, solange die EZB nicht ihr Aufgriffsrecht realisiert. Zudem gibt es einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus sowie einen Bankenrestrukturierungsfonds, der zunächst auf nationalen Kammern beruht und mittelfristig ein vergemeinschafteter Abwicklungsfonds mit 55 Milliarden Euro aus Bank-Beiträgen, anzusparen über acht Jahre und einsatzfähig ab 2016. Die neue Haftungskaskade Eigentümer-Anleihehalter-Großeinleger soll verhindern, dass Bankenkrisen auf Kosten der Steuerzahler gerettet werden müssen.

Zusammen mit der nationalen Einlagensicherung oberhalb 100 000 Euro ist damit der Rahmen klar. Unklar ist noch, ob - wie von deutscher Seite gewünscht - Banken mit einer Bilanzsumme bis zu 500 Millionen Euro von einer Pflicht zu Beitragszahlungen für den Europäischen Abwicklungsfonds befreit werden oder nicht. Sinnvoll aus ökonomischer Sicht wären im wesentlichen risikobezogene Beiträge, und zwar mit einer gewissen Bilanzsummen-Freigrenze. Zu mehr Bankenstabilität können aber auch nationale beziehungsweise EU-Vorgaben in der Form des Erfordernis eines vorzuhaltenden letzten Willens für den Tag der Bankschließung und die hinreichende Eigenkapitalstärkung auch in der Form latenten Eigenkapitals in der Form von Contigent Convertible Bonds beitragen, gegebenenfalls auch weitere sinnvolle Anreizmechanismen beziehungsweise institutionelle Neuerungen als Ergänzung. Die Qualität der Bankenunion hängt ab von der EZB-Aufsicht plus den nationalen Finanzregeln, wobei zu Letzteren bislang eine vernünftige Übersicht fehlt. Die Attraktivität der Eurozone als Bankenplatz ist bei allen Regelungen ebenso mitzubedenken wie die Anreizwirkungen in Sachen stärkere Orientierung der Banken an der Realwirtschaft und ein Mehr an langfristigem Entscheidungshorizont. Außerbilanzielle Aktivitäten, speziell solche von Tochterfirmen, sollten für die Beitragsbemessung beim Abwicklungsfonds weitgehend einbezogen werden.

Für die Eurozone ist die Einführung einer Bankenunion ein wichtiger Schritt, da nun zumindest in jedem Land der Eurozone eine Abwicklungsinstitution besteht und der Euro-Finanzbinnenmarkt durch gemeinsame Rahmenbedingungen auch stärker integriert wird. Effizienzgewinne und mehr Wettbewerb sowie Druck zur Herausbildung größerer Banken sind zu erwarten - ob das Problem Too-big-to-fail dann verschärft auftritt, bleibt abzuwarten. Auch wird durch die Bankenunion das Vertrauen in den Bankenmarkt gestärkt, soweit es zudem gelingt, das Vertrauen der Banken untereinander zu festigen, wäre dies ein Impuls für eine Revitalisierung des Interbankenmarktes und gegebenenfalls auch für begrenzte Schritte, transparente und neu standardisierte Verbriefungen von Krediten in einem gewissen Maß zuzulassen.

Ein neuer Interessenkonflikt

Allerdings gibt es einen neuen Interessenkonflikt, nämlich bei der Europäischen Zentralbank, bei der geldpolitische Entscheidungen und Bankenaufsicht konfliktär sein können: Wenn nämlich in einer Rezession, zu deren Überwindung expansive Geldpolitik vorgesehen ist, zugleich die Abwicklung maroder Großbanken umzusetzen ist; Bankenabwicklung bringt in der Regel eine Verminderung des Kreditwachstums auf kurze Sicht mit sich, was für die Überwindung einer Rezession nicht hilfreich ist.

Im Übrigen wird die EZB ihre bisherige Arbeit im Bereich der makroprudentiellen Aufsicht (ESRB), bei der es um die Einschätzung von gesamtwirtschaftlich relevanten Finanzmarktrisiken geht, fortsetzen. Hier wird durch die neuen mikroprudentiellen EZB-Aufsichtsaktivitäten ein Konsistenzproblem entstehen: Wenn Letztere bestimmte systematische Defizite bei den beaufsichtigten Großbanken feststellen, so müsste ja dann der makroprudentielle ESRB aktiv werden - also zum Beispiel Empfehlungen an den entsprechenden EU-Ministerrat herantragen. Soweit EU-Länder hierauf nach dem Prinzip "comply or explain" reagieren, ist dies zumindest in der Eurozone unbefriedigend, da ein Durchgriffsrecht der EZB-Aufsicht nicht umfassend verankert ist. Wichtig wird auch sein, wie die EZB die Weichen bei wichtigen Instrumenten stellt, nämlich der "loan to value ratio" beziehungsweise "cyclical capital buffers".

Politische Unabhängigkeit durch Doppelmandat geschwächt

Die politische Unabhängigkeit der EZB ist durch das Doppelmandat geschwächt, besser wäre eine separate Bankenaufsichtsinstitution; sie sollte längerfristig im Kontext einer Euro-Politikunion beziehungsweise einer neuen Verfassung geschaffen werden. Der vereinbarte einheitliche Abwicklungsmechanismus ist im Übrigen wenig technokratisch und vermutlich zu wenig handlungsfähig angelegt, vor allem auch im Vergleich mit den USA, wo die FDIC im Zuge der US-Bankenkrise 2007 bis 2012 über 400 Banken abgewickelt hat. In der Eurozone beziehungsweise der EU besteht immer noch die Vorstellung, dass quasi jeder Staat ein natürliches Recht auf ein eigenes nationales Bankensystem habe, was natürlich mit der Idee eines EU-Binnenmarktes nicht zu vereinbaren ist.

Hilfskredite der Euroländer für Griechenland hätten nicht dazu verwendet werden sollen, dass der Staat eine neue Nationalisierung maroder Banken im Land durchführen kann - die EU-Länder haben hier mit ihrer Hilfe strukturkonservierende Maßnahmen ergriffen, ordnungspolitisch sonderbare Weichenstellungen gegeben. Es hätte ein Verkauf an Auslandsbanken erfolgen sollen. Diese Problematik gilt es künftig zu vermeiden, aber wie man sieht, können die EU- beziehungsweise Euro-Wirtschafts- und Finanzminister problematische Weichenstellungen vornehmen, die einer vernünftigen Bankenaufsicht faktisch ins Handwerk zu pfuschen geeignet sind.

Komplizierte Einlagensicherung

Die Einlagensicherung ist ein komplizierter Bereich, der national durch den jeweiligen Staat in letzter Linie materiell abgedeckt ist. Die neuen Regeln zur Haftungskaskade, die gegebenenfalls auch die Besitzer von Einlagen oberhalb von 100 000 Euro am Ende mit zur Kasse bitten, setzt immerhin vernünftige Anreize dahingehend, dass Einleger sich die langfristige Profitabilität ihrer Bank besser als bisher ansehen werden.

Dennoch bleibt natürlich auch die Frage, wie solide der jeweilige Staat eines Bankenstandortes aufgestellt ist - je höher die Schuldenquote und speziell die Auslandsschuldenquote und je größer der Bankensektor relativ zum Inlandsprodukt ist, desto eher wird man daran zweifeln müssen, dass in einer Bankenkrise der betreffende Staat mit Steuergeldern umfänglich nationale Banken wird stabilisieren können. Im Übrigen bleiben Genossenschaftsbanken und Sparkassen, die in vielen Euro-Ländern wichtig für die lokale Kreditversorgung und die Unternehmensgründung sind, fast alle unter nationaler Bankenaufsicht beziehungsweise die Gruppen-Sicherungssysteme bestehen richtigerweise fort.

Pragmatisch gesehen kann man die Bankenunion als funktionsfähig betrachten. Ein Problem sind mögliche Altlasten, die sich auf Basis des neuen Stresstestes im Vorfeld des Starts der Bankenunion erkennen lassen dürften - hier sind Rekapitalisierungen am Kapitalmarkt beziehungsweise notfalls aus nationalen Steuermitteln notwendig.

Stärkere Integration der Finanzmärkte

Durch eine gemeinsame Bankenaufsicht - mit Hauptfokus der EZB auf Großbanken - kann eine stärkere Integration der Finanzmärkte gelingen, was wiederum wichtig ist, um die Vorteile eines integrierten Finanzmarktes zu nutzen. Dieser Markt soll durch sinnvolle effektive Regeln zu einer effizienten Allokation des Kapitals beitragen. Einen Zustand mit effektiven Regeln wird man erst nach einer Übergangszeit erreichen können, wobei die EZB sorgfältig auf Reputationsaufbau im neuen Bankenaufsichtsfeld achten sollte: Professionelle Arbeit plus klare und rechtzeitige Kommunikation mit den Banken einerseits ist wichtig, andererseits die energische Durchsetzung von Regeln beziehungsweise die Sanktionierung von Regelverstößen.

Im kritischen Bereich der Finanzinnovationen ist die Einrichtung einer Arbeitsgruppe bei der EZB zu empfehlen, die auch Empfehlungen zur Qualitätssicherung von Finanzinnovationen erarbeiten könnte: Nicht innovationspolitischer Wildwuchs und die bisherige häufige Intransparenz sind für die Volkswirtschaft bekömmlich, sinnvoll sind marktfähige, kundennützliche, profitable Finanzinnovationen, für die man durchaus auch zeitlich begrenzte Schutzrechte einführen könnte - eine Thematik, in das die EZB unter anderem die BIZ einbeziehen sollte.

Dass ein hoher Anteil von Papieren, die bei der EZB als Sicherheiten eingeliefert werden, keinen Marktpreis hat, ist eine problematische Situation - hier ist die EZB in der Geldpolitik betroffen und muss eigentlich in ihrer neuen EZB-Aufsichtsfunktion handeln. An dieser Stelle kann die EZB durch Vorgaben für bestimmte Standardisierungen von Finanzprodukten die Liquidität und zugleich die Transparenz erhöhen. Der Anteil der EZB-Sicherheiten, die einen Marktpreis haben, sollte mindestens zwei Drittel betragen: Durch eine solche Vorgabe kann auch ein Mehr an Vertrauen der Banken untereinander erwachsen, der Wiederaufbau von Vertrauen im Interbankenmarkt hat von daher auch aufsichtsrechtliche Perspektiven.

Aufsichtsrechtliche Standards

Die aus Moral-Hazard-Problemen und asymmetrischer Information erwachsenden Funktionsfragen der Finanzmärkte gilt es seitens der Bankenaufsicht aktiv anzugehen. Je größer die Bewertungsunsicherheiten und Finanz-Innovationsschwachpunkte sind, desto höher müssen faktisch die geforderten Eigenkapitalquoten für Banken sein, um ein wetterfestes System zu erreichen. Die EZB wird gut daran tun, die Vergütungssysteme von Banken in allen Ländern zu untersuchen und könnte sinnvollerweise die Finanzminister der Euro-Länder ersuchen, durch steuerliche Maßnahmen den Anreiz für mehr langfristiges Manager-Handeln zu stärken; etwa indem die zeitliche Volatilität der Eigenkapitalquote im Rahmen eines Malus-/Bonus-Steuerzuschlagsystems neu einbezogen würde. Die EZB wird wohl mit den Mitgliedsländern hier - und auch mit der EU - zu kommunizieren haben.

Eine wichtige Funktion der neuen Bankenaufsicht ist, dass hier aufsichtsrechtliche Standards nicht nur bei den Großbanken der EU entstehen werden, sondern die für die Großbanken geltenden Standards werden auch ausstrahlen auf die nationale Bankenaufsicht; dies wird umso mehr gelten, je häufiger die EZB von ihrem Recht Gebrauch machen sollte, Nicht-Großbanken im Rahmen des EZB-Ermessensspielraumes aufsichtsrechtlich an sich zu ziehen. Zudem werden natürlich Banken, die noch leicht unterhalb der Großbanken-Schwelle liegen, die EZB-Aufsichtsstandards antizipieren wollen.

Es gibt bei der Bankenunion mittelfristig mindestens drei ernste Probleme:

- Die Bankenunion ist institutionell seitens der EZB durch den Einsatz hinreichender Expertenteams umzusetzen; ein schwieriges organisatorisches Problem, das man nicht unterschätzen sollte.

- Die Kriterien für die Bankenaufsicht sollten zuverlässig rechtzeitig kommuniziert werden, da sich sonst vom Management der beaufsichtigten Großbanken keine sinnvolle Strategie entwickeln kann beziehungsweise unnötige Kosten entstehen. Hier fehlt es wohl bislang noch an rechtzeitiger Festlegung von eindeutigen Vorgaben.

Die "euroländischen" Bankenmärkte werden bald neu unter Druck durch Übernahmedrohung von US-Banken und möglicherweise auch britische Banken kommen, da wegen der Quantitative-Easing-Politik (QEP) der USA und Großbritanniens die Aktienkursniveaus von US-Aktien beziehungsweise US-Banken relativ zum Aktienkursniveau der Eurozone auf hohem Niveau sind.

Die Frage der Geldpolitik spielt hier dann doch ein wichtige Rolle. Es wäre eine sonderbare Bankenunion der Eurozone, wenn sie es relativ wenig effizienten US-Banken gestatten sollte, eigentlich leistungsfähige Banken der Eurozone leicht zu übernehmen. Der EZB fehlt bislang das Instrumentarium für QEP.

Probleme hoher Schuldenquoten von EU-Ländern

Dass die EZB bislang keine mengenmäßige geldpolitische Lockerung in nennenswertem Ausmaß betrieben hat - Anleiheankäufe bei den Krisenländern in 2010-2013 machten kaum zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Eurozone aus, gaben dabei allerdings nationale Fiskal-Rettungsimpulse, die der EZB eigentlich fremd sind beziehungsweise sein sollten. Je stärker die Bankenunion zu einem Mehr an Investitionen beziehungsweise Wachstum beiträgt, desto eher werden die Probleme hoher Schuldenquoten von EU-Ländern erfolgreich anzugehen sein.

Für die Eurozone sind Banken im Übrigen gewichtiger als für die USA. Es fehlen in der Eurozone supranationale Eurobonds, die es durchaus in Varianten geben könnte; etwa mit deutlicher Übergewichtung der mindestens A-gerateten Länder, keine Beteiligung von Ländern unterhalb Investorgrade-Rating. Wird ein solches Finanzinstrument bedingt über eine neue zwischenstaatliche Institution der Euro-Länder an die Märkte gebracht, und zwar mit exklusivem Laufzeitenbereich von zehn bis zwölf Jahren - Exklusivität sollte für mindestens eine Dekade gesichert sein -, dann könnte man Banken in einem begrenzten Maß erlauben, nationale Eurobonds gegen die supranationalen Eurobonds zu tauschen. Dadurch verbesserte sich schlagartig die Aktivaqualität der Banken, deren Finanzierungskosten sinken, die Kreditvergabe steigt. Die Wahrscheinlichkeit von Krisen in der Bankenunion kann und sollte mit komplementären Reformen der Wirtschaftspolitik weiter vermindert werden.

Tarek Al-Wazir , Hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung
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