Kreditwesen aktuell

Europäische Börsen: Chancen für innereuropäische Lösungen nicht verspielen

Unternehmensgröße allein ist selten ein Selbstzweck. Für
Wertpapierbörsen gilt allerdings das Gegenteil. Denn das Ziel einer
Börse ist es, die Orders möglichst vieler Marktteilnehmer an einer
Stelle zu bündeln. Mehr Marktteilnehmer erhöhen die Liquidität, mehr
Liquidität bietet zusätzliche Transaktionsmöglichkeiten, mehr
Transaktionsmöglichkeiten bringen engere Spannen von Geld- und
Briefkursen, und engere Spannen ziehen wiederum das Interesse weiterer
Marktteilnehmer an.
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Das Ergebnis dieser Wechselwirkung führte bekanntlich zur
Konzentration des innerdeutschen Handels am Börsenplatz Frankfurt. Und
auch auf europäischer Ebene ist im Sinne der Anleger eine stärkere
Bündelung der Umsätze in einer Börse sinnvoll. Dies gilt umso mehr,
als Skalenerträge nicht nur durch die Bündelung der Liquidität,
sondern zugleich durch die effiziente Nutzung der IT-Infrastruktur -
beispielsweise der Terminbörse Eurex, möglich werden.
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Gesamtwirtschaftlicher Nutzen
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Ein effizienter Börsenhandel ist nicht nur für die am Markt agierenden
Finanzinstitute und deren Kunden attraktiv. Eine umschlagskräftige
Börse ist auch gesamtwirtschaftlich von Nutzen. Eine hohe Mobilität
des Faktors Kapital beflügelt die wirtschaftliche Entwicklung. Die
Empirie belegt einen signifikanten Zusammenhang zwischen der
Umschlagshäufigkeit des Faktors Kapital und der langfristigen
wirtschaftlichen Dynamik des von der Börse abgedeckten
Wirtschaftsraums. Vor diesem Hintergrund startete die Deutsche Börse
bereits im Mai 2000 unter dem Label IX (International Exchange) den
Versuch eines Zusammenschlusses mit der London Stock Exchange.
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Nach dem zweiten Anlauf der Deutschen Börse mit dem Übernahmeversuch
der LSE im Jahr 2004 unternahm die Deutsche Börse zuletzt einen
weiteren Versuch, in die Konsolidierung der europäischen
Börsenlandschaft mit einem wegweisenden Zusammenschluss einzugreifen.
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Vorteile eines europäischen Ansatzes
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In der Konsolidierung der weltweiten Börsenlandschaft ist aus Sicht
der in Deutschland verwurzelten genossenschaftlichen Bankengruppe eine
europäische Lösung klar zu bevorzugen. Die Präferenz eines
innereuropäischen Ansatzes beruht auf einem ganzen Bündel guter
Gründe.
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- Die Börsenkapitalisierung: Ein offensichtliches Argument für eine
europäische Lösung ist die hohe Börsenkapitalisierung der Deutschen
Börse, der Euronext und der London Stock Exchange, deren Wert zusammen
aktuell fast 25 Milliarden Euro beträgt. Dagegen werden Nyse und die
Nasdaq zusammen mit weniger als der Hälfte bewertet. Zudem sind die
amerikanischen Aktienbörsen wesentlich teurer. Das
Kursgewinnverhältnis der US-Börsen beträgt das rund Zwei- bis
Dreifache verglichen mit der europäischen Konkurrenz. Die Finanzierung
der Übernahme der europäischen Börsen durch ihre amerikanischen
Wettbewerber würde also mit sehr hoch bewerteten Aktien erfolgen.
Angesichts der Börsenwerte wäre vielmehr eine umgekehrte
Vorgehensweise vorstellbar.
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- Das regulatorische Umfeld: Die europäische Börsenlandschaft ist
nicht nur wegen
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der hohen Zahl der traditionell national ausgerichteten
Börsenbetreiber, sondern insbesondere durch verschiedene legislative
Rahmenbedingungen zersplittert und weist noch erhebliche
Effizienzreserven auf. Ein europäisch zentrierter Börsenbetreiber
könnte eine europaweite Angleichung des Rechtsrahmens als Katalysator
vorantreiben und nicht nur im Sinne der eigenen Aktionäre, sondern
auch im Interesse der Teilnehmer am Börsenhandel und der europäischen
Volkswirtschaft wirkungsvoll nutzen.
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- Den heimischen Rechtsrahmen weiterentwickeln: Der CEO der Euronext
betonte, dass auf der geplanten europäischen Handelsplattform auch
Produkte der Nyse vertrieben werden sollen. Da global aufgestellte
Unternehmen dazu tendieren, sich einen einheitlichen Marktauftritt zu
geben, hätte ein solcher Marktauftritt auch erhebliche regulatorische
Auswirkungen.
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Die Nyse kann dann gemeinsam mit den US-Aufsichtsbehörden ihren
Rechtsrahmen de facto auf die europäischen Börsen ausdehnen. Der
erweiterte Geltungsbereich des US-amerikanischen Regelwerks würde die
global agierenden US-Finanzdienstleister bei der Entwicklung
innovativer Finanzprodukte zulasten ihrer europäischen Wettbewerber
begünstigen. Eine Börse ist eben mehr als nur eine Firma wie viele
andere, sondern setzt zentrale Standards für die gesamte
Finanzindustrie.
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Modell der Deutschen Börse für andere attraktiv
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Die Deutsche Börse hat aufgrund ihrer Profitabilität im Konzert der
weltweiten Börsen einen Zusammenschluss am wenigsten nötig. Mehr noch,
aufgrund ihres Erfolges sollte das Geschäftsmodell des deutschen
Handelsplatzbetreibers für andere Börsen attraktiv sein. Gemeinsam mit
der SWX Swiss Exchange besitzt die Deutsche Börse die Eurex, die
wichtigste Börse im weltweit boomenden Terminmarktgeschäft. Das
Geschäft entwickelt sich sehr dynamisch und markierte kürzlich mit
einem Monatsvolumen von 170 Millionen Kontrakten einen neuen Rekord.
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Darüber hinaus ist das Wachstumspotenzial des deutschen Aktienmarktes
höher als das Potenzial der weiter entwickelten USamerikanischen
Aktienmärkte. Allerdings wird sich auch die Deutsche Börse wegen der
sich weiter verschärfenden Wettbewerbssituation einer weiteren
Konsolidierung der Börsenlandschaft nicht entziehen können. Das
Unternehmen sollte deshalb die Tür für einen Zusammenschluss mit
Euronext offen halten; aber zugleich weitere Kooperationen
insbesondere mit osteuropäischen oder asiatischen Börsenbetreibern
suchen und konsequent vorantreiben.
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Nicht nur die deutsche Seite muss sich bewegen
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Es wäre bedauerlich, würde die französisch dominierte Euronext sich
aufgrund persönlicher Präferenzen des Führungspersonals den Angeboten
der Deutschen Börse verschließen. Denn die von Jean-Francois Théodore
taxierten Synergien aus einem Zusammenschluss von Euronext und Nyse
erscheinen mit 300 Millionen Euro als überaus optimistisch kalkuliert.
Dagegen wurden die Synergien aus einem Zusammenschluss mit der
Deutschen Börse auf 150 Millionen Euro eher übervorsichtig angesetzt.
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Eine Stärkung der europäischen Unternehmen und auch der europäischen
Integration setzt voraus, dass nicht immer das gleiche Land die
Zentrale beherbergen und Vertreter eines Landes die
Schlüsselpositionen einnehmen können. Wenn beim Zusammenschluss der
europäischen Pharmaindustrie die deutsche Seite den Franzosen den
Vortritt ließ, sollte dies im Falle der Börsenkonsolidierung auch
einmal umgekehrt möglich sein.
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Bedauerlich ist zudem, dass in der innereuropäischen Diskussion
oftmals eine schiefe Schlachtordnung diagnostiziert werden muss.
Während Regierungsvertreter in Paris oftmals für die französischen
Unternehmen Partei ergreifen, pflegte die deutsche Politik lange Zeit
eine vornehme Zurückhaltung. Im Falle der Deutschen Börse mögen auch
Vorbehalte eine Rolle spielen, dass Frankfurt nach dem Sitz der EZB
keine weitere europäische Schlüsselinstitution erhalten solle. Ein
solches Kalkül entspringt europäischen Kirchturmdenken und nicht der
gebotenen nüchternen betriebswirtschaftlichen Kalkulation.
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Wirtschaft und Politik sind gefordert
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Angesichts einer deutschen Staatsquote von beinahe 50 Prozent ist zwar
grundsätzlich eine zu hohe Politikaffinität im Wirtschaftsleben zu
beklagen. Allerdings sollte sich die heimische Politik nicht gerade
dann ausklinken, wenn die Politiker anderer Staaten zulasten der
deutschen und auch der gesamteuropäischen Interessen agieren. Insofern
stimmen die Äußerungen des französischen Staatspräsidenten wieder
hoffnungsvoller, der für eine europäische Lösung plädierte. Nicht nur
Vertreter der deutschen Politik, auch die heimische Wirtschaft sollte
sich stärker für eine einheitliche europäische Börse engagieren. Denn
der Rechtsrahmen der Börse präjudiziert zahlreiche Weichenstellungen
für die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Finanzindustrie. Die eigenen
Interessen sollten ebenso offensiv artikuliert und konstruktiv
vertreten werden.

Stephan Moll , Leiter, Referat für Markt und PR, Bankenfachverband e.V., Berlin
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