Schwerpunkt: 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland

Genossenschaften natürliche Verbündete der sozialen Marktwirtschaft

Wenn die Bundesrepublik Deutschland im Mai 2009 ihren 60. Geburtstags feiert, ist dies nicht nur das Fest eines Staates, der als stabile Demokratie allen Grund zum Feiern hat, sondern es ist nicht zuletzt auch das Fest aller Bürgerinnen und Bürger, die mit ihrem Engagement das Gebilde Staat erst mit Leben erfüllen. Auch den Unternehmen als Bürger dieser Demokratie kam von Anfang an eine wichtige Rolle in der sozialen Marktwirtschaft zu. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken hatten bereits zum Zeitpunkt der Gründung der Bundesrepublik einen außerordentlich großen und befruchtenden Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland.

Effiziente Kreditintermediation

Unmittelbar nach dem Ende des Krieges begann der Wiederaufbau der zerstörten Strukturen unter schwierigen Bedingungen. Nachdem die Turbulenzen der ersten Nachkriegsjahre und der Währungsreform überwunden waren, verzeichneten die Kreditgenossenschaften von den fünfziger bis in die achtziger Jahre ein rapides Wachstum deutlich oberhalb des Marktdurchschnitts. Ihre Bedeutung als tragende Säule der deutschen Kreditwirtschaft haben die Volksbanken und Raiffeisenbanken auch in den Jahrzehnten nach der deutschen Wiedervereinigung und der Einführung des Euro behauptet.

Die große Stärke der Volksbanken und Raiffeisenbanken war und ist ihre hohe Präsenz in der Fläche, mit der die Versorgung der Bundesbürger und der mittelständischen Unternehmen mit Bankdienstleistungen auch in ländlichen Gebieten sichergestellt werden konnte - lange bevor manche andere Bank den Gewerbe- und den Privatkunden entdeckte. Gerade in den vergangenen Jahren hob die Wirtschaftsforschung die hohe Bedeutung des Finanzsektors für das Wirtschaftswachstum immer wieder hervor.

Eine effiziente Kreditintermediation ist von herausragender Bedeutung, um die Ersparnisse der privaten Haushalte bestmöglich als Finanzierungsmittel für Investitionen verfügbar zu machen. Ohne die flächendeckende Versorgung mit Finanzdienstleistungen hätte die deutsche Wirtschaft in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg nicht so dynamisch wachsen können. Auf der einen Seite hatten die Bundesbürger aufgrund der Vermögensverluste im Krieg einen hohen Nachholbedarf bei der Vermögensbildung. Dieser Nachholbedarf konnte im Zuge des Wirtschaftswunders durch eine immer höhere Sparfähigkeit mehr und mehr gedeckt werden.

Selbstverantwortung des Individuums

Auf der anderen Seite war auch der Bedarf an Kreditmitteln außerordentlich. Die Knappheit an Wohnraum wegen der Zerstörungen im Krieg und der hohen Zahl von Vertriebenen war enorm. Im Mittelstand herrschte ein hoher Investitionsbedarf. Der wachsenden Geldvermögensbildung der Bundesbürger stand ein stark expandierendes Investitionsvolumen gegenüber. Letztlich führte dies zu einem fruchtbaren Kreislauf aus einem zunehmenden Bedarf an Arbeitskräften und einer robust wachsenden Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen.

Doch geht die Bedeutung der Volksbanken und Raiffeisenbanken - wie auch der Genossenschaften insgesamt - für die Bundesrepublik Deutschland weit über ihre Bedeutung in den Wirtschaftsstatistiken hinaus. Genossenschaften und die soziale Marktwirtschaft sind natürliche Verbündete. Das genossenschaftliche Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe basiert auf der Autonomie und Selbstverantwortung des Individuums. Gleichzeitig beinhaltet es auch Solidarität mit anderen. Diese Solidarität ist aber eine fordernde. Im Unterschied zur bloßen Fürsorge stellt sie die Initiative und die Autonomie des Individuums in den Mittelpunkt. Ihr Ziel ist die Stärkung des Empfängers, nicht seine Degradierung zum passiven Fürsorgeempfänger.

Genossenschaften und die soziale Marktwirtschaft teilen die gleichen Grundwerte. Genossenschaftliche Werte wie Eigenverantwortung, Selbsthilfe, Selbstverwaltung und die freiwillige Zusammenarbeit gehören zu den Stützpfeilern der sozialen Marktwirtschaft. Indem Genossenschaften diese Werte hochhalten, stärken sie die Grundlagen unseres Wirtschaftssystems.

Sozialer Ausgleich als ergänzendes Element

Die soziale Marktwirtschaft ist eine liberale Wirtschaftsverfassung, die der Selbstorganisation der Märkte und der Freiheit der Wirtschaftssubjekte einen hohen Stellenwert einräumt. Sie ist aber auch eine aufgeklärt liberale Wirtschaftsordnung, die dem ungezügelten Wettbewerb Grenzen setzt. Durch eine Regulierung der Märkte, durch Eingriffe eines notwendigerweise starken Staates können die Marktkräfte erst ihre positive Wirkung voll entfalten. Der Begriff der sozialen Marktwirtschaft aber verdeutlicht klar: Der soziale Ausgleich ist ein ergänzendes Element der Marktwirtschaft und nicht der Kern der Wirtschaftsordnung. Nebenbei bemerkt: Immer noch streiten Experten darüber, ob der soziale Ausgleich überhaupt wesentlich für die Gründerväter der sozialen Marktwirtschaft war.

Richten wir den Blick auf die Zukunft: Gerade heute ist eine Stärkung der sozialen Marktwirtschaft wichtiger denn je. Die gravierendste Rezession seit der Gründung der Bundesrepublik wird das Denken über die Wirtschaft und die Wirtschaftsordnung nachhaltig beeinflussen. Gegner der sozialen Marktwirtschaft nutzen die Gelegenheit, die Wirtschaftsordnung für die Verwerfungen an den Finanzmärkten und den Abschwung der Konjunktur verantwortlich zu machen. Das Gegenteil ist wahr: Die soziale Marktwirtschaft ist auch aktuell die Lösung, nicht das Problem.

Die Finanzkrise hat gerade dort ihre Wurzeln, wo Märkte nicht transparent genug waren und wo nicht - oder falsch - reguliert wurde. Dies gilt sowohl für die US-Hypothekenfinanzierung in diesem Jahrzehnt als auch für das explosionsartige Wachstum verschiedener Finanzinnovationen. Daher darf die Antwort auf die Krise auch nicht Staatsgläubigkeit oder Regulierungswut sein. Es muss darum gehen, in der Zukunft besser zu regulieren. Solide wirtschaftende Banken - wie die Genossenschaftsbanken - dürfen nicht durch eine weitere Ausweitung statistischer Meldepflichten und anderer Bürokratie zusätzlich belastet werden.

Genossenschaftlicher Finanzverbund als aufsichtsrechtliche Einheit

Ein möglicher Ansatz wäre es, den genossenschaftlichen Finanzverbund aufsichtsrechtlich als Einheit zu behandeln. Die unbestritten notwendigen Aufsichtsregeln müssten dann im Verbund nur einmal an zentraler Stelle erfüllt werden. Die einzelne Volksbank oder Raiffeisenbank würde hingegen spürbar entlastet und könnte sich noch stärker als bisher ihrer eigentlichen Aufgabe, der Bereitstellung moderner Finanzdienstleistungen im Dienste der Mitglieder und Kunden, widmen.

Uwe Fröhlich , Co-Vorsitzender des Vorstands , DZ BANK AG Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank, Frankfurt am Main
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