Aufsätze

Die neue Europäische Ratingverordnung CRA III - eine kritische Bestandsaufnahme

Unabhängig vom Eindruck, den Regulierungsbefürworter in Bürokratie und Politik erwecken wollen, ist die auf Ratingagenturen (Credit Rating Agencies - CRAs) zielende Regulierung keine Invention von Akteuren der Gegenwart. Vielmehr ist die Diskussion dieser ratinggerichteten Regulierung ein ständiger Begleiter der CRAs, wobei die Intensität von Diskurs und Umsetzungsaktivitäten erkennbar krisengetrieben ist.1) Da die Prozesse und Strukturen des US-amerikanischen Kapitalmarktes für die Gründung der CRAs heutiger Prägung ebenso maßgeblich gewesen sind wie für ihren kontinuierlichen Bedeutungszuwachs, vollzogen sich auch rating-gerichtete Regulierungsbemühungen zunächst primär in den USA. Während indirekt ratinggerichtete Einflussnahmen sogar seit den 1930er Jahren zu beobachten sind, wird seit Mitte der 1970er Jahre auch eine explizit ratinggerichtete Regulierung praktiziert. Erst im Zuge der Finanzmarktskandale undkrisen des 21. Jahrhunderts einerseits sowie der fortschreitenden Vereinnahmung der Finanzmarktgesetzgebung durch die EU andererseits entwickelte sich das europäische Interesse an dezidiert rating-gerichteter Regulierung.

Der europäische Weg

Obwohl das Europäische Parlament - unter dem Eindruck spektakulärer Insolvenzen, wie der der texanischen Enron Corp. - bereits im Jahr 2004 die gesetzliche Regulierung der Ratingagenturen forderte, lehnte die EU-Kommission die Erarbeitung einer entsprechenden EU-Richtlinie zunächst ab. Letztmals wurde diese Haltung seitens der EU 2006 formuliert.2) Auch da in diesem Jahr mit dem Credit Rating Agency Reform Act ein tiefgreifender Wandel stattfand, schien ratinggerichtete Regulierung eine US-Domäne zu bleiben.3) Erst die Krisenprozesse, die mit dem Subprime-Debakel begonnen haben, führten zur scheinbaren Verlagerung des regionalen Schwerpunkts der Diskussion um ratinggerichtete Regulierung nach Europa. Insbesondere aufgrund ihrer (aus einer ex-post-Sicht) zu positiven und der tatsächlichen Informationslage nachlaufenden Bewertung von strukturierten Finanzprodukten wurde den CRAs alsbald ein maßgeblicher Anteil an Entstehung und Verlauf der Krisenprozesse zugesprochen.4)

Das krisengetriebene Handeln der EU-Akteure mündete im September 2009 in die Verabschiedung der "Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 zur Regulierung von Ratingagenturen" (CRA I). Mit dieser ersten Ratingverordnung verfolgte die EU erstens die Reduktion von Interessenkonflikten aus dem vorherrschenden Vergütungsmodell, zweitens die Verbesserung von Ratingmethoden, drittens eine erhöhte Transparenz der Ratingprozesse sowie viertens die Errichtung eines Registrierungs- und Aufsichtssystems.5) Im Zuge der EU-Staatsschuldenkrise Ende 2009 gerieten CRAs erneut ins Zentrum der Aufmerksamkeit, wobei sich der zentrale Vorwurf umkehrte: Anstatt zu positiver Bonitätsbewertung (strukturierter Finanzprodukte) wurde den CRAs jetzt vorgeworfen, die Kreditwürdigkeit bestimmter Staaten zu negativ zu bewerten und neue, laufende Informationen vorschnell in Herabstufungen zum Ausdruck zu bringen.6)

Kritik an Marktstrukturen

Zudem wurden von den CRA-Kritikern unverändert Marktstrukturen (wie zum Beispiel das Angebotsoligopol der CRAs) und Marktprozesse (wie das fortgesetzte Issuer-pays-Prinzip) als korrekturbedürftig angesehen.7) Selbst Politiker von Staaten traditionell erstklassiger Bonität befanden sich zunehmend in Rechtfertigungsnöten für krisenverschärfende Downgrades und suchten die Verantwortung hierfür weniger bei den Schuldnern (also bei sich), als bei den bewertenden Big Three (S&P, Moody's, Fitch). Folgerichtig setzte sich die institutionelle Entwicklung auf eben dem Pfad fort, der mit der ersten Ratingverordnung CRA I eingeschlagen worden war.

Im Mai 2011 wurde die CRA I durch die Änderungsverordnung (EU) Nr. 513/2011 (CRA II) erweitert. Sie forcierte einen fundamentalen institutionellen Wandel, indem der neuen europäischen Börsen- und Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) im Juli 2011 die Registrierung und Beaufsichtigung aller in der EU agierenden CRAs übertragen wurde - und damit erstmals die entsprechende Verantwortung der nationalen Regulierungsinstitutionen.8) CRA I und CRA II bilden seither das Fundament der CRA-Regulierung in Europa. Mit der am 16. Januar 2013 vom EU-Parlament angenommenen zweiten (Änderungs-)Verordnung (CRA III) steht den CRAs die mit Abstand einschneidendste EU-Regulierung unmittelbar bevor. Noch muss der EU-Finanzministerrat (ECOFIN) die Verordnung billigen, doch wird damit gerechnet, dass dies auf einer seiner nächsten monatlichen Zusammenkünfte ohne wesentliche inhaltliche Modifikation geschehen wird. Insoweit steht so gut wie fest, auf welcher Rechtsgrundlage die ratinggerichtete Regulierung abermals verschärft werden wird. Daher lohnt schon jetzt eine Auseinandersetzung mit dieser neuen Normensammlung. Nachfolgend wird gezeigt, welche Problemfelder identifiziert und welche Lösungs- beziehungsweise Regulierungsstrategien daraufhin formuliert wurden.

Übermäßiger Rückgriff auf externe Ratings

Um den übermäßigen Rückgriff auf externe Ratings von CRAs zu verhindern, wird Kreditinstituten und professionellen Investoren untersagt, sich bei ihren Kreditrisikobewertungen ausschließlich oder automatisch auf ("externe") CRA-Ratings zu stützen. Gemäß Art. 5b CRA III9) müssen folgerichtig die europäischen Aufsichtsbehörden EBA, EIOPA und ESMA bis Ende 2013 alle Bezüge zu Ratings aus ihren Leitlinien, Empfehlungen und Entwürfen technischer Standards entfernen. Die Herausnahme externer Ratings aus allen europäischen Rechtsvorschriften (Verbot ratingbasierter Regulierung) soll bis 2020 erfolgen - sofern es der EU-Kommission bis 2015 gelingt, alternative Bewertungsansätze für Bonitätsrisiken zu finden.

Dem immanent ist eine Rücknahme der Verwendung externer Ratings für bankaufsichtsrechtliche Zwecke: Externe Ratings dürfen nach Art. 5a CRA III künftig nur noch ergänzend und keinesfalls automatisch Eingang in den Bewertungsprozess finden. Die bonitätsorientierte Gewichtung von Positionen zur Ermittlung der Risk Weighted Assets nach Basel II beziehungsweise Basel III/CRD IV muss dann vorwiegend über hauseigene Verfahren (IRB-Ansätze) erfolgen. Angesichts ihrer bisherigen Präferenz für den auf CRA-Ratings beruhenden Standardansatz wären hiermit erhebliche Veränderung(saufwendung)en gerade für die deutschen Banken verbunden.10)

Konzentration auf dem Ratingmarkt

Obwohl per März 2013 20 CRAs bei der ESMA registriert oder zertifiziert sind, konzentrieren sich über 95 Prozent der veröffentlichten Ratings auf S&P, Moody's und Fitch.11) Das hierin zum Ausdruck kommende Angebotsoligopol gehört zu den traditionellen Versuchen, rating-gerichte te Regulierung zu rechtfertigen, obgleich diese Marktstruktur allein keine marktwirtschaftlich akzeptable Regulierungsbegründung darstellt.12) CRA III soll den Wettbewerb fördern, indem Emittenten verpflichtet werden, mehrere Ratingurteile für ein Wertpapier zu veröffentlichen. Gleichzeitig werden Erleichterungen zugunsten kleiner CRAs (mit unter 50 Mitarbeitern) geschaffen, darunter:

- Freistellung von der Pflicht zur Errichtung eines Aufsichtsgremiums, einer Compliance-Stelle sowie einer wissenschaftlichtechnischen Stelle zur Analyse der verwendeten Annahmen, Modelle und Methoden (Art. 6 III i.V.m. Anhang I A IX CRA III).

- Ausnahme von der Rotationspflicht bei der Bewertung von Asset Backed Securities (Art. 6b IV CRA III).

- Indirekte Förderung durch Anreize für den Emittenten, mindestens vier CRAs mit Ratings von mehr als zehn Prozent aller von ihm emittierter Titel zu beauftragen (Art. 6b II CRA III).

- Beauftragt ein Emittent mehr als eine CRA für einen Titel, muss er prüfen, ob mindestens ein Ratingurteil durch eine CRA mit einem Umsatzanteil von unter zehn Prozent am Gesamtmarkt (für Rating- und Nebendienstleistungen in der EU) erstellt werden kann (Art. 8c CRA III).

Auf diese Weise soll letztlich die Marktmacht, wie sie den Big Three beigemessen wird, reduziert werden. Allerdings ist schon das Festmachen einer Regulierung an nichts weiter als einem Marktstrukturmerkmal - hier: einer (teil-?)oligopolistischen Marktform - fragwürdig. Darüber hinaus bleibt abzuwarten, inwieweit solche Maßnahmen tatsächlich die Wettbewerbsposition kleinerer CRAs verbessern: Es ist keinesfalls gesichert, dass eine regulierungsgetriebene Veränderung der Marktstruktur zur angestrebten Verbesserung der Marktergebnisse führt.13)

Unabhängig davon, ob Ratings im Rahmen ratingbasierter Regulierung zu aufsichtsrechtlichen Zwecken verwendet werden oder nicht, haben sie erheblichen Einfluss auf die Investitionsentscheidungen von Mittelgebern und auf die Reputation von Mittelnehmern. Mit diesem Argument rechtfertigt die EU-Kommission besondere haftungsrechtliche Vorschriften für CRAs. Diese beruhen auf einer grundsätzlichen Neubewertung der Natur von Ratings: Laut CRA III gelten Ratings nicht mehr als bloße Meinungen, die eine Prognose über die Rückzahlungsfähigkeit und -willigkeit eines Schuldners formulieren, sondern als Expertenurteile, die "aufgrund von Informationsasymmetrien und aus Effizienzgründen nach wie vor Anlageentscheidungen" maßgeblich prägen. Wird diese "Dienstleistung von erheblichem öffentlichem Interesse"14) fahrlässig oder vorsätzlich falsch erstellt, sind Entschädigungsansprüche hiervon negativ Betroffener nunmehr denkbar.

Haftungsansprüche

Für fachlich schlechte (das heißt nicht den Tatsachen entsprechende) Ratings müssen CRAs auch in Zukunft nicht haften. Jedoch kann die ESMA bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung der Pflichten aus der CRA III Geldbußen zwischen 25 000 Euro (zum Beispiel bei Verstößen gegen Offenlegungspflichten gegenüber der ESMA) und 750 000 Euro (bei Verstößen im Zusammenhang mit Interessenkonflikten) auferlegen. Wirkt sich die Pflichtverletzung auf ein Rating aus und verursacht den Emittenten oder Investoren einen Schaden, können CRAs künftig dafür in potenziell unbegrenzter Höhe in Haftung genommen werden. Die Beweislast liegt allerdings beim Geschädigten.

Es ist fraglich, inwieweit Investoren/Emittenten "genaue und detaillierte Angaben machen (können), aus denen hervorgeht, dass die Ratingagentur erstens gegen die Ratingverordnung verstoßen hat"15) und zweitens genau dies zu einem abweichenden Ratingurteil sowie einem Schaden geführt hat. Geschädigte Investoren müssen darüber hinaus beweisen, dass sie sich bei ihrer Entscheidung, in ein Wertpapier zu investieren beziehungsweise dieses zu halten oder zu veräußern mit gebührender Sorgfalt - also nicht zu sehr - auf das schadenverursachende Rating verlassen haben. Geschädigte Emittenten sind ihrerseits (nach Art. 35a I CRA III) verpflichtet zu beweisen, dass sie die CRA nicht irreführend oder falsch informiert haben. Da allerdings elementare Begriffe wie "Vorsatz", "gebührende Sorgfalt" oder "Schaden" in CRA III nicht definiert werden, ist auf geltendes einzelstaatliches Recht zurückzugreifen (Art. 35a Va CRA III).

Aus Sicht deutscher Emittenten und Investoren, darunter insbesondere Kreditinstitute, die für ihre Zwecke auf CRA-Ratings zurückgreifen, bleibt also zunächst offen, welche konkreten Sachverhalte als haftungsrechtlich relevante Tatbestände einzustufen sind. Mindestens ebenso schwierig dürfte werden, von einem dem Grunde nach festgestellten Schaden-/Haftungstatbestand zu einem auch in der Höhe abgegrenzten Schadenvolumen zu gelangen. Schließlich ist in Erwägung zu ziehen, dass mit wachsendem potenziellen Haftungsumfang die Anreiz- beziehungsweise Disziplinierungswirkungen zwar auf diejenigen zunehmen, die der Haftung unterliegen, Letztere jedoch nicht zwingend mit Anstrengungen zur Qualitätsverbesserung reagieren müssen. Vielmehr sind kontraproduktive Anpassungsreaktionen verschiedener Art denkbar, die von formaler Umdeklaration des Leistungsangebots bis hin zur Angebotseinstellung reichen können.

Interessenkonflikte

Mit der Einführung einer Rotationspflicht für Ratingagenturen versucht die EU, potenzielle und bestehende Interessenkonflikte, die sich aus dem Modell des bezahlenden Emittenten (Issuer-pays-Prinzip) ergeben, zu reduzieren. CRAs wird daher künftig untersagt, für einen Emittenten strukturierter Finanzprodukte länger als vier Jahre tätig zu sein. Nach Beendigung des Auftragsverhältnisses unterliegen CRAs zudem einer Sperrfrist, deren Laufzeit der des ausgelaufenen Vertrages entspricht, in der sie keine Dienstleistungen für den Emittenten/Auftraggeber erbringen dürfen (Art. 6b I, IV CRA III).

Des Weiteren wird zur Vermeidung von Interessenkonflikten mit strikten Beteiligungsvorschriften auf das Eigentum an CRAs eingewirkt (Art. 6, 6a i.V.m. Anhang I B CRA III):

- Investoren, die >= 5 Prozent an Kapital oder Stimmrechten einer CRA halten, dürfen nicht mit >= 5 Prozent an einer anderen CRA beteiligt sein.

- Hält ein Investor gleichzeitig >= 10 Prozent an einer CRA und einem durch sie zu bewertenden Unternehmen, soll die CRA von einem Rating absehen.

- Umgekehrt ist CRAs die Bewertung von Unternehmen untersagt, die mit >= 10 Prozent an ihnen beteiligt sind. Bei bestehenden Ratings oder Ratingausblicken, die ungeachtet dessen bereits abgegeben wurden, ist die CRA zur Verlautbarung dieser Beteiligungskonstellation verpflichtet.

- Weder die CRA noch ein Investor, der mit >= 5 Prozent an einer CRA beteiligt ist, darf Beratungsleistungen für ein zu bewertendes Unternehmen erbringen.

Um die Unabhängigkeit der CRAs zu gewährleisten, müssen Emittenten strukturierter Finanzprodukte künftig mindestens zwei unabhängige CRAs mit einem Emissionsrating beauftragen (Art. 8b CRA III). Zudem wird in die Preispolitik der CRAs eingegriffen: Von ihnen gestellte Preise müssen unabhängig vom Ratingresultat sein und sich daher an den anfallenden Kosten orientieren (Art. 6 II i.V.m. Anhang I B CRA III). Es ist ein traditioneller Versuch, durch staatliche Regulierung kostenorientierte (unddeckende) Preise zu gewährleisten. Hieraus sollte jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass diese Art der Intervention auf tragfähiger Begründung oder störungsfreier Wirkung beruht. Insofern wird die Praxis zeigen, ob und inwieweit sich wünschenswerte Effekte einstellen. Ebenso gut sind unerwünschte Neben- oder Hauptwirkungen wie zum Beispiel systematische Kostenübertreibungen denkbar, wenn an derart zentraler Stelle, dem Preismechanismus, in das Funktionieren einer Marktwirtschaft eingegriffen wird.

Aus der Entwicklung der Krisenprozesse heraus lässt sich erklären, dass ein ganzer Abschnitt von CRA III dem Rating von Staaten, Gebietskörperschaften und deren Zweckgesellschaften sowie internationalen Finanzinstitutionen (zum Beispiel ESM) gewidmet ist. Ziel ist, die mit diesen Ratings "verbundenen Gefahren (zu) verringern".16) Benannt werden die Gefahren der Länderratings zwar nicht, doch ist angesichts der Vorgeschichte von CRA III davon auszugehen, dass diese im potenziell krisenverschärfenden Effekt von Downgrades gesehen werden, die eine Staatsschuldenkrise verschärfen - im Worst Case sogar verursachen - können.17) In großer Detailliertheit werden CRAs deswegen verpflichtet, bereits im Dezember des Vorjahres über die Veröffentlichungszeitpunkte von Länderratings und Rating-Outlooks des Folgejahres zu informieren (Art. 8a III CRA III).

Länderratings

Geplante Veröffentlichungstermine müssen an einem Freitag und mindestens eine Stunde vor der frühesten Eröffnung einer EU-Börse liegen (Anhang I D III CRA III). Eine Abweichung vom Zeitplan ist nur erlaubt, wenn die CRA ihre Ratingmodelle oder -Annahmen ändert beziehungsweise ein Länderrating neu aufnimmt oder abbricht (Art. 8a IV CRA III). Für unbeauftragte (unsolicited) Ratings/Ausblicke gilt zusätzlich, dass sie mindestens zwei-, maximal dreimal pro Kalenderjahr zu veröffentlichen sind. Darüber hinaus werden CRAs verpflichtet, zeitgleich zur Bekanntmachung eines Länderratings einen Prüfungsbericht zu veröffentlichen, der "alle Annahmen, Parameter, Grenzen und Unsicherheiten sowie sonstige Faktoren", die für das Rating ausschlaggebend waren, erläutert, während politische Empfehlungen, Auflagen oder Leitlinien nicht Teil des Ratings oder Ratingausblicks sein dürfen (Anhang I D III CRA III). Geben CRAs eine Mitteilung über eine ganze Ländergruppe heraus (so wie zum Beispiel am 5. Dezember 2011 S&P 15 EU-Länder mit "negative Credit Watch" versah), müssen gleichzeitig länderspezifische Einzelberichte veröffentlicht werden, die sich auf "Informationen aus der Sphäre des bewerteten Rechtssubjekts" stützen und von ihm freigegeben oder veröffentlicht worden sein müssen (Art. 8a If. CRA III).

Noch mehr als die zuvor genannten Regulierungsansätze ist dieser (länder-)spezifische Teil von CRA III skeptisch zu beurteilen: Tatsächlich erscheint er als "Ausdruck eines großen Missverständnisses darüber was Ratings sind und was sie leisten können".18) Die Einschätzung einer Bonität ist in erster Linie bonitäts- und nicht kalenderabhängig. In einer Welt fundamentaler Unsicherheit wird sich ein ex ante fixierter Zeitpunkt in der Rückschau zwangläufig als "zu früh" oder "zu spät" herausstellen. Zudem zwingen die geforderten Detailinformationen die CRAs zu einer weitgehenden Offenlegung ihrer Ratingmethodik, was die Grundlage ihrer institutionellen Fortexistenz gefährdet. Auch fehlt eine Rechtfertigung dafür, dass für staatliche Emittenten andere Obliegenheiten und Standardprozesse formuliert werden als für Unternehmen. Es wäre prüfenswert, inwieweit hierfür die Kongruenz von Regelsetzern und von nach diesen Regeln Bewerteten ursächlich ist.

Verbesserung der Markttransparenz

Schließlich werden durch CRA III die bestehenden (Transparenz-)Anforderungen an Ratings auf Ratingausblicke übertragen. So müssen CRAs unter anderem wesentliche Informationen und Quellen offenlegen, die einem Ratingausblick zugrunde liegen (Art. 10 If. CRA III).19) Verschärften Transparenzvorschriften unterliegen CRAs auch bei einer wesentlichen Änderung von "Ratingmethoden, Modellen oder grundlegenden Annahmen" (Art. 8 Va CRA III), indem sie eine derartige Änderung nicht nur der ESMA mitzuteilen, sondern sie auch auf ihrer Website zu begründen, potenzielle Auswirkungen auf Ratingurteile aufzuzeigen und eine öffentliche Konsultation mit den betroffenen Akteuren durchzuführen haben.

Des Weiteren errichtet die ESMA eine "europäische Ratingplattform", auf der zugunsten einer besseren Übersicht und Vergleichbarkeit sämtliche Ratings und Rating ausblicke hinterlegt werden müssen (Art. 11a CRA III). Die bereits heute von der ESMA verwaltete, frei zugängliche Ratingdatenbank CEREP (Central Repository20)) soll hiernach in die neue europäische Ratingplattform integriert werden. Eine indirekt auf CRAs wirkende, neue Publizitätspflicht betrifft Emittenten, Originatoren und Sponsoren von strukturierten Finanzinstrumenten: Angaben zur Struktur der Transaktion, so etwa zu den Plan-Cash-Flows und den Sicherheiten, werden der ESMA nicht nur gemeldet, sondern von ihr zudem über die europäische Ratingplattform veröffentlicht, um Interessenten eigenständige Risikoanalysen zu ermöglichen - und damit die Relevanz externer Ratings zu verringern (Art. 8a I, IV CRA III).

Mit der dritten Auflage der europäischen Ratingverordnung werden die für CRAs geltenden Marktregeln abermals verschärft. Die ESMA bereitet sich angabegemäß bereits auf ihre mit CRA III wachsenden Exekutivbefugnisse als gesamteuropäische CRA-Aufsicht vor. Der erste Konsultationsprozess zu einer Ausführungsrichtlinie für CRA III ist zwar gerade erst abgeschlossen, doch ist schon jetzt absehbar, dass die neuen Vorschriften nicht nur die Geschäftsmodelle und -politik der CRAs massiv berühren, sondern auch die Regulierung von CRAs weltweit. Es bleibt daher einerseits abzuwarten, ob die mit CRA III anvisierte Vorreiterrolle der EU zu ähnlichen Vorschriften für CRAs in anderen Jurisdiktionen und im Zuge dessen zu Anpassungsreaktionen der CRAs und anderer Marktteilnehmer führt. Andererseits zeichnet sich schon jetzt erheblicher Forschungsbedarf dahingehend ab, ob die neuen Regeln begründet und inwieweit die postulierten Regulierungsziele erreicht werden. Skepsis scheint durchaus angebracht, da den unvermeidlichen Nebenwirkungen, die auch mit dieser Regulierung verbunden sein werden, bislang kaum Beachtung geschenkt wurde.

Quellen

Behn, M. et al. (2013): Welche Aussagekraft haben Länderratings? Eine empirische Modellierung der Ratingvergabe während der europäischen Staatsschuldenkrise, in: zfbf - Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 65. Jahrgang, Seiten 2 bis 31.

Deipenbrock, G. (2010): Das europäische Modell einer Regulierung von Ratingagenturen - aktuelle praxisrelevante Rechtsfragen und Entwicklungen, in: Recht der Internationalen Wirtschaft, 56. Jahrgang, Seiten 612 bis 618.

Deipenbrock, G. (2011): Die notwendige Schärfung des Profils - das reformierte europäische Regulierungs- und Aufsichtsregime für Ratingagenturen, in: Wertpapier-Mitteilungen, 65. Jahrgang, Seiten 1829 bis 1835.

Deutsche Bundesbank (2012): Erteilte Zulassungen zur Nutzung eines auf internen Ratings basierenden Ansatzes (IRBA) gemäß § 58 Solvabilitätsverordnung, Stand 1.7. 2012, online unter: http://www. bundesbank.de/Redaktion/DE/Standardartikel/Kerngeschaeftsfelder/Bankenaufsicht/basel2_zulassung_ institute_in_deutschland.html, Abruf: 24.2.2013. Deutsche Bundesbank (2013): Bankenstatistik Januar 2013, Statistisches Beiheft 1 zum Monatsbericht, Frankfurt am Main.

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ESMA - European Securities and Markets Authority (2011): About the CEREP - General principles, Dok. ESMA/2011/408, 1.12.2011, Paris.

García Alcubilla, R./Ruiz del Pozo, J. (2012): Credit rating agencies on the watch list - Analysis of European regulation, Oxford.

Horsch, A. (2008): Rating und Regulierung, Baden-Baden.

Martin, D.B.H./Franker, M.C. (2011): Rating Agency Regulation after the Dodd-Frank Act: A Mid-Course Review, in: Insights, Vol. 25, No. 12, Seiten 19 bis 28. Partnoy, F. (2002): The Paradox of Credit Ratings, in: Levich, R.M./Majnoni, G./Reinhart, C. (eds.): Ratings, Rating Agencies and the Global Financial System, Boston et al., Seiten 65 bis 84.

SEC - U.S. Securities and Exchange Commission (2012): Annual Report on Nationally Recognized Statistical Rating Organizations, December 2012, Washington, D.C.

Utzig, S. (2011): Die Zukunft der Ratingagenturen, in: Die Bank, o. Jg., Nr. 6, Seiten 8 bis 13.

Fußnoten

1) Vgl. einführend Partnoy (2002).

2) Vgl. Europäisches Parlament (2004), S. 5-11; i.V.m. Europäische Union (2006), S. 6.

3) Vgl. ausführlich zum Entstehungsprozess des Gesetzes Horsch (2008), S. 329ff.

4) Vgl. etwa García Alcubilla/Ruiz del Pozo (2012), Seite 27. Daraufhin ist die ratinggerichtete US- Regulierung in Gestalt des Dodd-Frank Acts von 2010 weiter vorangetrieben worden, vgl. einführend Martin/Franker (2011).

5) Vgl. ausführlich Deipenbrock (2010), besonders S. 612f.

6) Vgl. m.w.N. Behn et al. (2013), hier S. 22.

7) Vgl. Deipenbrock (2011), S. 1829f.

8) Vgl. ausführlich zur Rolle der ESMA Deipenbrock (2011), S. 1832f.

9) Alle folgenden CRA III-Verweise basieren auf dem durch die EU-Kommission am 16.1. 2013 angenommenen Text P7_TA(2013) zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen, vgl. Europäisches Parlament (2013).

10) Zuletzt verwendeten 97,8 Prozent der deutschen Banken den Standardansatz; eigene Berechnung nach Deutsche Bundesbank (2013), S. 6 i.V.m. Deutsche Bundesbank (2012).

11) Eigene Berechnungen auf Basis von SEC (2012), besonders S. 6.

12) Vgl. Horsch (2008), S. 381f., 402f.

13) Aus eben diesen Gründen ist auch die künstliche Installierung einer europäischen CRA kritisch zu bewerten, vgl. prägnant etwa Utzig (2011), besonders S. 12f.

14) Europäisches Parlament (2013), Absatz 5 (beide Zitate).

15) Art. 35a IV CRA III.

16) Europäisches Parlament (2013), Abs. 36.

17) Vgl. etwa Utzig (2011), S. 9f.

18) Utzig (2011), S. 9.

19) Zu den geltenden Transparenzvorschriften vgl. insbes. Europäische Union (2011), Art. 6 II, 8 I, 10-12, 21d II.

20) Für weitere Infos zur CEREP-Datenbank vgl. ESMA (2011).

Dr. Jacob Kleinow , Manager , zeb
Prof. Dr. Andreas Horsch , Lehrstuhlinhaber ABWL, Schwerpunkt Investition und Finanzierung , TU Bergakademie Freiberg
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