Aufsätze

Von der Nützlichkeit der Zielwertmethode und der Unhaltbarkeit der Wiederanlageprämisse

Die Diskussion der letzten Jahre über die Ermittlung der Rendite von Kapitalanlagen, bei denen vorzeitige Ausschüttungen, beispielsweise der Nominalzinsen vereinbart sind, hat gezeigt, dass die von vielen Finanzexperten und Aktuaren vertretenen Ansichten, die sich mit dem Stichwort Wiederanlageprämisse umschreiben lassen, nicht haltbar sind.

"Irrtümer und Fehlschlüsse"

Ein Beispiel hierfür ist der Beitrag von Peter Albrecht, der sich in Heft 21/20091) mit der im Jahre 2002 vorgestellten "Zielwertmethode"2) auseinandersetzt und dabei seine Ansicht ausbreitet, die Erträge aus der Wiederanlage solcher vorzeitiger Auszahlungen seien Bestandteil der Rendite des Originalinvestments. Die damit einhergehenden Irrtümer und Fehlschlüsse sollen im Folgenden korrigiert beziehungsweise widerlegt werden. Es bietet sich an, bei dieser Gelegenheit die offensichtlich verkannte Zielwertmethode näher zu erläutern.

Irrtum Nr. 1: Die Wiederanlageprämisse besagt, dass die Erträge aus der Wiederanlage der vorzeitigen Auszahlungen bis zum Ende der eigentlichen Kapitalanlage in deren Rendite einzubeziehen sind. Dass Albrecht dieser These folgt, ist nicht zu bezweifeln, wenn man auf Seite 1086 a.a. O. liest, "dass es keine valide Methode geben kann, die ohne eine Annahme (Prämisse) über die Bedingungen der Wiederanlage der Rückflüsse (hier: Kupons) aus dem Investment auskommt. Die Bedingungen für diese Wiederanlagen beeinflussen nun einmal die Effektivverzinsung des eingesetzten Kapitals".

Die apodiktisch vorgetragene Aussage ist schlicht falsch. An und für sich ist die fehlende Grundlage der Wiederanlageprämisse rasch einzusehen; denn mit der Auszahlung ist insofern die Kapitalanlage beendet.

Keine Verpflichtung zur Wiederanlage

Darauf, was der Anleger mit dem vorzeitig erhaltenen Geld anstellt, darf es nicht ankommen. Früher als bei einem Zinsansammlungspapier über liquide Mittel verfügen zu können, ist ein Vorteil. Diesen in einen Nachteil umzumünzen, indem man den im Zweifel niedrigeren Ertrag für die dauernd sich verkürzenden Restlaufzeiten der Wiederanlagen ungerechtfertigterweise in die Renditeberechnung einbezieht, stellt den Sachverhalt gleichsam auf den Kopf.

Man kann es auch laienhaft ausdrücken: Woher nehmen die Irrtumsbefangenen das Recht, von außen über Geld zu verfügen, das den Anlegern zur beliebigen Verwendung gehört? Nirgendwo ist in den Bedingungen der Kapitalanlage ein Wort zu finden, das den Geldanleger zu einer solchen Wiederanlage verpflichtet. Ein aufgeklärter Anleger, der bewusst ein Kuponpapier erworben hat, wird es geradezu als Vergewaltigung empfinden, wenn ihm die Thesaurierung aller Erträge, jedenfalls gedanklich, aufgezwungen wird. Es entbehrt schließlich nicht einer gewissen Komik, wenn im Falle des Konsums der vorzeitigen Auszahlungen deren Ertrag ernsthaft mit null Prozent einkalkuliert wird.

Unnötige Verunsicherung

Natürlich kann der Anleger die vorzeitigen Ausschüttungen auch wieder anlegen, ob im Rahmen der Originalanlage oder anderweitig. Dann handelt es sich aber um eine Neuanlage, die nicht mit der Originalanlage, die man auch als Mutteranlage bezeichnen kann, verquickt werden darf. Die einzige Verbindung zwischen Mutter- und Tochteranlage besteht darin, dass die Tochteranlagebeträge aus den Ausschüttungen der Mutteranlage stammen. Insofern ist bereits die Bezeichnung Wiederanlage zu hinterfragen. Erst recht gilt das für die Wiederanlageprämisse als Basis der Renditeberechnung.

Irrtum Nr. 2: Die Wiederanlageprämisse erlaubt es nicht, die exakte Rendite einer Kapitalanlage der in Rede stehenden Art anzugeben, weil das Zinsniveau der Zukunft nicht zuverlässig zu prognostizieren ist. Nochmals sei Albrecht zitiert, der auf Seite 1087 a.a. O. formuliert, es könne "keine valide Methode zur Berechnung der Effektivverzinsung des anfänglich eingesetzten Kapitals ohne eine entsprechende Annahme (Wiederanlageprämisse) auskommen". Die daraus zu ziehenden Folgerungen liegen klar zutage: Da die Wiederanlageprämisse auf Schätzungen mit ihren unvermeidlichen Ungenauigkeiten beruht, erscheint die nach der international anerkannten IRR-Methode ermittelte Rendite als problematisch; das anlagesuchende Publikum wird - völlig unnötig - verunsichert.

Indessen, auch hier stößt man schnell auf eine simple Ungereimtheit. Warum soll es keinen festen Renditesatz geben, obwohl die Geldströme nach Zeit (Termine der Ein- und Auszahlungen) und Geld (deren Höhe) bedingungslos festgezurrt sind?

Prämisse als Phantom

Es geht nicht darum, dass der Vertragspartner des Kapitalanlegers insolvent wird; denn jegliche Renditeberechnung unterstellt, dass der Vertrag erfüllt werden wird. Die unbestreitbare Tatsache, dass man im Falle der Wiederanlage mit Schätzwerten für das künftige Zinsniveau des Marktes operieren muss und dass bei Zusammenfassung von Mutter- und Tochteranlage eine Rendite nur näherungsweise angegeben werden kann, hat keinerlei Einfluss auf die Rendite der Originalanlage. Infolgedessen fallen alle Überlegungen, welche die Wiederanlageprämisse als zutreffend unterstellen, wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

In der Tat erweist sich diese Prämisse als Phantom. Die Rendite einer Kapitalanlage mit festgelegten Konditionen hängt nicht von der Entwicklung des Zinsniveaus am Markt und auch nicht vom Schicksal vorzeitiger Auszahlungen ab. Eine Wiederanlageprämisse gibt es überhaupt nicht.

Relativ einfache Formeln falsch interpretiert

Diese Tabula rasa ist durchaus damit vereinbar, dass man sehr wohl eine Rendite unter der Voraussetzung, Mutter- und Tochteranlage als Einheit anzusehen, berechnen kann. Das ergibt dann aber nicht die Rendite der Originalanlage, sondern die einer Mischanlage, eben aus eigentlicher und Neuanlage. Den Sachverhalt Mischanlage einzusehen bedarf keiner finanzmathematischen Kenntnisse. Selbst die Formeln hierfür sind relativ einfach und lassen sich, wenn auch nicht direkt nach der unbekannten und gesuchten Rendite auflösbar, immerhin richtig interpretieren, leider aber auch fehlerhaft.

Irrtum Nr. 3: Die Endwertgleichung für die Bestimmung der Rendite bei den fraglichen Kapitalanlagen zeigt, dass die Rendite der Originalanlage dann und nur dann erzielbar ist, wenn dieselbe Rendite auch für die Wiederanlagen der vorzeitigen Auszahlungen gilt, so wird von den Anhängern der Wiederanlageprämisse argumentiert. Auch das ist falsch. Ursächlich für den Trugschluss ist vermutlich die Endwertgleichung in der Gestalt

Formel

oder, indem man 1+e = r setzt und die Formel für den Endwert EW einer nachschüssigen Rente der Höhe 1

Formel

verwendet,

Formel

Darin bezeichnen

E den einmaligen Einzahlungsbetrag der Kapitalanlage im Zeitpunkt t = 0; n die Dauer der Originalanlage in Jahren; A die periodischen Auszahlungen konstanter Höhe zurzeit t = 1, 2, ... , n; e die Rendite der eigentlichen Kapitalanlage als Zahlenwert, nicht in Prozent, also zum Beispiel e = 0,04 bei 4 Prozent Rendite;

R den Rückzahlungsbetrag zum Zeitpunkt n.

Es ist richtig, dass der Term

Formel

den Zinsertrag zur Rendite e für die Zeit von der Auszahlung bis zum Ablauf der Kapitalanlage darstellt, wenn A mit den Nominalzinsen übereinstimmt. Das besagt aber nicht, dass dieser Ertrag auch in R enthalten ist. Im Gegenteil, löst man die Gleichung (3) nach R auf, so erhält man mit

Formel

eine Formel, aus der hervorgeht, dass jene Zinseszinsen aus den ausgeschütteten Zinsen vom Rückzahlungsbetrag abgezogen werden.

Anschließend wird zudem nochmals gezeigt werden, dass die genannte Verzinsung nicht in die Berechnung von e eingeht. Den einfachsten Beweis liefert die Barwertmethode, deren Gleichung aus der Endwertgleichung auf einfache Weise herzuleiten ist, indem man die Formel (3) durch en dividiert oder mit e-n multipliziert. Das ergibt die Barwertgleichung

Formel

in der sich die Abzinsung eindeutig nur auf die Zeit bis zur Auszahlung der A bezieht. Es ist auszuschließen, dass aus der Endwertgleichung die Einbeziehung der genannten Verzinsung nach Auszahlung der A hervorgehen soll, aus der Barwertgleichung das Gegenteil. Die Entscheidung ist anhand der Zielwertmethode möglich, die Albrecht zu negativ beurteilt.

Verifizierung des internen Zinssatzes

Irrtum Nr. 4: "Die Zielwertmethode stellt keine neue Methode zur Renditeberechnung dar", so Albrecht auf Seite 1086 und weiter: "die zugrunde gelegte Renditegröße ist nach wie vor der interne Zinsfuß". Der zweite Satz trifft zu; denn die Zielwertmethode erhebt nicht den Anspruch, zu einer anders- oder neuartigen Rendite zu führen; sie will vielmehr den internen Zinssatz verifizieren. Sie tut dies auf eine in der Fachliteratur bisher nicht erörterte Art und Weise, die offenbar noch einer zusätzlichen Erläuterung bedarf, insbesondere weil sie auch ermöglicht, die Rendite zu berechnen. Insoweit ist dem oben zitierten ersten Satz zu widersprechen.

In der Tat ist im Jahr 2002 die erstmalige Vorstellung der Zielwertmethode sehr knapp ausgefallen. Zum besseren Verständnis ist es deshalb angebracht, etwas weiter auszuholen. Sinn und Zweck der Zielwertmethode ist es, dem bankkundlichen Laien den Renditebegriff näherzubringen, ihn für normale Anlagevorgänge in den Stand zu setzen, ohne mathematische Kenntnisse über Barwerte und dergleichen die Renditeberechnung nachzuvollziehen, ihre Richtigkeit zu überprüfen und die Rendite sogar selbst zu berechnen.

Das geschieht anhand eines fiktiven Kontos, auf das zu den vorgegebenen Terminen die ebenfalls festliegenden Ein- und Auszahlungen zu übertragen und mit der - bekannten oder gesuchten - Rendite zu verzinsen sind. In dem auch von Albrecht verwendetem Beispiel der dreijährigen Anlagedauer n, einer Einzahlung von E = 94,55, der Rückzahlung R = 100 und Zinskupons von A = 3 sieht das bei genau fünfprozentiger Rendite, also e = 0,05, so aus, wie es aus der Tabelle 1 zu ersehen ist.

Hier ist der Rechengang besonders einfach und einsichtig, weil die Rendite bereits bekannt ist. Gleichwohl zeigt die Berechnung deren Richtigkeit, und zwar allein durch elementare Buchungs- und Verzinsungsschritte, die sich Zeile für Zeile leicht in Excel programmieren lassen. Betont sei, wie klar es ersichtlich ist, dass die Nominalzinsen das Konto verlassen, von da ab nicht mehr verzinst werden und in dem Anlagekonto nicht wieder auftauchen.

Erläuterung am Beispiel

Die Erweiterung der Darstellung hin zu den Fällen unbekannter Renditen gibt Gelegenheit zu einem weiteren Hinweis.

Irrtum Nr. 5: Sinngemäß heißt es auf Seite 1085, die Darstellung von Laux/Richter habe "die methodische Problematik ausgeblendet" und sei "wenig anschaulich". Eine solche Beurteilung aus der Feder eines vielfach ausgewiesenen Aktuars ist unverständlich, da die Klarheit der an sich mathematisch simplen Sachverhalte nichts zu wünschen übrig lässt. Eine Erklärung könnte jedoch darin zu suchen sein, dass der Verfechter der Wiederanlageprämisse an dieser unter allen Umständen festhalten möchte und jedem Widerspruch unwillig begegnet. Nun, vielleicht hilft das folgende Beispiel, die Zielwertmethode zu verstehen.

Wie ist vorzugehen, wenn die Rendite unbekannt ist, aber ihre Größenordnung abgeschätzt werden kann? Dann ist ein Konto genau so aufzumachen, wie vorhin geschehen, nunmehr mit dem e in der vermuteten Höhe. Um nicht am Rechenprogramm zu scheitern, sind zwei Bedingungen zu erfüllen:

- Das Konto ist, am besten in einer Vorspalte oder Vorzeile, um eine Zelle zu erweitern, die das jeweils angesetzte e enthält und auf die bei jedem einschlägigen Rechenschritt zurückgegriffen wird (in der Tabelle 2 eingerahmt).

- Der Kontoablauf muss in der Weise lückenlos durchprogrammiert werden, dass sich das Rechenergebnis einer Zelle aus den Vorzellen herleitet und beispielsweise die Änderung des e in seiner Zelle sich unmittelbar auf den gesamten Kontoablauf überträgt.

Die Vorgehensweise sei an dem obigen Beispiel demonstriert, bei dem nur der Auszahlungskurs auf 101 erhöht und eine Rendite von mehr als fünf Prozent zu vermuten ist. Wenn der Sparer das Konto angelegt, die beiden Grundvoraussetzungen erfüllt und als Startwert e = 0,05 gewählt hat, erhält er die gleiche Kontoentwicklung wie oben bis auf die letzten Zeilen, die aufzeigen, dass eine fünfprozentige Rendite nicht ausreicht, die Rückzahlung von 101 sicherzustellen. Also ist e zu erhöhen, beispielsweise auf 5,5 Prozent. Das liefert den aus Tabelle 2 zu ersehenden Ablauf, der in Excel-Spalten und-Zeilen dokumentiert ist.

Ohne sonstige Software

Mit e = 0,055 schießt man, weil am Ende auf dem Konto 0,52 verbleiben, etwas über das Ziel hinaus und könnte es jetzt mit e=0,053 versuchen. Daraus resultiert ein Schlusssaldo von -0.09. Das legt eine Erhöhung auf e=0,0532 nahe, für das der Endsaldo -0,03 bereits sehr nahe bei Null liegt. Endlich erhält man 0,00 für e = 0,0533.

Im Grunde erlangt man die Rendite durch Probieren, indem man sich immer näher an die Nullstelle des Kontoendstandes heranpirscht. Nach einigen Versuchen erlangt man darin Routine, zumal da der neue Saldo zeitgleich mit dem veränderten e auf dem Bildschirm erscheint.

Erwähnenswert ist, dass das Verfahren ohne sonstige Software auskommt. Auch End- und Barwerte tauchen nicht auf, jedenfalls nicht in Formeln.

Fortgeschrittenere nutzen entweder die Zielwertsuche oder die Funktion IKV. Die erste ist unter Extras aufzurufen und im Beispiel mit dem Zielwert 0 in der Zelle F12 auszufüllen, ferner mit dem veränderbaren Wert des Zinssatzes in Zelle D4. Das Programm wirft auf O. K. hin sofort den gefundenen e-Wert aus, der mit O. K. zu bestätigen ist.

Noch schneller geht es mit der Funktion IKV, zu der man über fx gelangt. Hier genügt es, die Umsätze in chronologischer Folge in aufeinanderfolgenden Spalten oder Zeilen einzugeben, wie sie sich aus der Sicht des Anlagekontos oder der Geldbörse des Anlegers darstellen. Dabei ist unbedingt der Vorzeichenwechsel des Geldstroms und die Äquidistanz der Zinstermine (zum Beispiel immer nur die Jahresenden) zu beachten. Das letzte Beispiel schreibt man mit seinem Geldstrom in eine Matrix dergestalt

-94,55 3 3 104

beispielsweise in die Zellen

A1 B1 C1 D1

Es genügt dann die Funktion wie folgt auszufüllen: IKV(A1: D1), damit das Programm den Wert 5,33 Prozent mit der gewünschten Zahl von Nachkommastellen auswirft. Über diese Berechnungsweisen für den internen Zinsfuß dürfte kein Dissens bestehen. Anders sieht das bei den erziel baren Endwerten aus.

Irrtum Nr. 6: Albrecht schreibt auf Seite 1085: "der Endwert ist nichts anderes als der konkrete Euro-Betrag, den ein Anleger nach Ablauf von drei Jahren auf dem Konto hat, wenn er am Ende des ersten Jahres drei Euro einzahlt, am Ende des zweiten Jahres nochmals drei Euro und am Ende des dritten Jahres schließlich 103 und man eine jährliche Verzinsung der eingezahlten Beträge zu fünf Prozent unterstellt". Ersichtlich trifft dies den Fall der Auszahlung der Zinsen von drei Euro nicht. Bei seinen Darlegungen greift Albrecht immer wieder die Wiederanlage der Zinsen auf, ohne darauf aufmerksam zu machen, dass es sich um inkommensurable Anlagearten handelt, wenn die Zinsen thesauriert werden oder nicht.

Formelmäßiger Nachweis

Den Unterschied kann man auch formelmäßig nachweisen. Da über die Kontoentwicklung bei der Zielwertmethode kein Streit möglich erscheint, wird hier sogleich die Umsetzung der Kontoentwicklung in eine Gleichung gezeigt. Sie lautet für den Fall der Zinsauszahlung:

Formel

Zu derselben Formel kommt man aber, wenn man die Endwertgleichung (3) nach R auflöst und n = 3 sowie A = Z setzt. Damit ist bewiesen, dass die Verzinsung vorzeitiger Auszahlungen nicht in die Rendite der Originalanlage eingeht. Schon gar nicht ist Voraussetzung für die Gültigkeit der nach der IRR-Methode ermittelten Rendite, dass diese auch für die vorzeitigen Ausschüttungen gilt.

Irrtum Nr. 7: Hier handelt es sich mehr um eine Blickfeldverengung, welche die Wiederanlageprämisse ausschließlich auf ausgezahlte Zinsen beschränkt. Das dürfte zwar die am häufigsten auftretende Konstellation sein, aber keineswegs die einzige. Ausgeklammert bleibt bei der verengten Sicht der Wiederanlage-Protagonisten die Vielzahl denkbarer und in der Praxis auch vorkommenden Entnahmen aus dem Anlagekapital. Wenn die Wiederanlageprämisse allgemeine Geltung haben soll, dann muss sie auch in den Fällen eines solchen Kapitalverzehrs gültig sein.

Abseits der wirtschaftlichen Realität

Spätestens hier aber wird die These vollends zur Farce. Dazu braucht man nur den vollständigen Verbrauch des Anlagebetrages zu betrachten, ob nun durch konstante Raten (Annuitäten), durch gleich hohe Tilgungsraten (Linearabbau des Kapitals) oder durch beliebige Beträge. Mit der wirtschaftlichen Realität hätte die Wiederanlage der ausgezahlten Beträge, die mit dem Kapitalverzehr einhergehen, nichts zu tun. Das Geld wird - für welche Zwecke auch immer - benötigt und kann nicht gleichzeitig angelegt werden.

Man wende nicht dagegen ein, bei geringfügigen Entnahmen aus dem Kapital ließe sich so nicht argumentieren. Dann wäre zu fragen: Wo liegt die Grenze für die Gültigkeit der Wiederanlageprämisse? Mit anderen Worten: Wo ist der Punkt anzusiedeln, an dem die Prämisse nicht mehr gilt? Bei einem Euro, zehn Euro, 100 Euro oder bei einem Prozent, zwei Prozent oder fünf Prozent des Anlagebetrages? Natürlich wäre jede Annahme darüber willkürlich.

Sicher ist nur, dass die Wiederanlageprämisse den ökonomischen Sachverhalt bei Kapitalverzehr in sein Gegenteil verkehrt, und dass man froh sein sollte, wenn sich das aufgezeigte Problem gar nicht stellt, wenn man also die Wiederanlageprämisse aufgibt.

Irrtum Nr. 8: Zum Schluss soll noch auf die Höhe des durch den Anlagevorgang gebundenen Kapitals eingegangen werden. Albrecht zitiert auf Seite 1086 aus seinem Lehrbuch3): "Der interne Zinsfuß gibt daher in korrekter ökonomischer Interpretation die Effektivverzinsung des jeweils noch gebundenen Kapitals an - im Unterschied zur Effektivverzinsung des anfänglich eingesetzten Kapitals." Der erste Satzteil trifft zu, der zweite ist zumindest unklar. Gemeint ist offenbar, dass die unter Anwendung der Wiederanlageprämisse errechnete Rendite die Effektivverzinsung des anfänglichen Kapitals wiedergäbe.

Auch hier ist Widerspruch anzumelden. In Wahrheit ist immer das gebundene Kapital ausschlaggebend, sei es dass es, wie beim Zerobond, durch Zins und Zinseszins zunimmt und schon nach einer Zinsperiode das anfängliche Kapital übersteigt, sei es dass es sich durch (zugelassene) Zu- und Auszahlungen verändert. Nur das jeweils ausstehende Kapital trägt Rendite und steht dem Vertragspartner als Darlehen zur Verfügung.

Es ist irreführend, beim Aufzinsungspapier, zu dem auch ein Kuponpapier bei Wiederanlage der Zinsen umgemodelt wird, von einer Rentabilität des anfänglichen Anlagebetrages zu reden. Dieser Geldeinsatz erhöht sich, wie gesagt, von Zinstermin zu Zinstermin. Nur beim einmaligen und konstant bleibenden Einlagebetrag, dessen Zinsen periodisch ausgeschüttet und gerade nicht wiederangelegt werden, kann streng genommen von der Verzinsung des Anfangskapitals gesprochen werden, das jedoch auch mit dem gebundenen Kapital übereinstimmt.

Eine unhaltbare These

Die Wiederanlageprämisse ist eine unhaltbare These. Die Problematisierung der nach der internationalen IRR-Methode berechneten Rendite von Kapitalanlagen mit vorzeitigen Ausschüttungen ist nicht gerechtfertigt. Die Zielwertmethode ist hingegen eine in der Praxis gut verwendbare und plausible Methode, die zutreffende Rendite mit einfachen Rechenschritten nachzuvollziehen oder selbst zu berechnen.

Fußnoten

1 Albrecht, Peter, Modifizierte Interne Zinsfuß-Methode versus Zielwertmethode zur Renditeberechnung festverzinslicher Wertpapiere, Kreditwesen, 2009, Seite 1085.

2 Laux, Hans/Richter, Hans-Jörg, Die Zielwertmethode zur Berechnung der Rendite festverzinslicher Wertpapiere, Immobilien & Finanzierung 2002, Seite 262.

3 Albrecht, Peter/Mayer, Christoph, Finanzmathematik für Wirtschaftswissenschaftler, Stuttgart 2007.

Hans-Jörg Richter , Head of Department Production Services , Worldline, Frankfurt am Main
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