Aufsätze

Regulierung von Ratingagenturen - Zeit für neue Schwerpunkte?

Die Finanzmarktkrise war ausschlaggebend dafür, auch in Europa eine Zulassungspflicht für und Aufsicht über Ratingagenturen einzuführen. Geschehen ist dies durch die im September 2009 in Kraft getretene EU-Verordnung über die Regulierung von Ratingagenturen 1060/2009. Ratingagenturen, so hieß es, seien für den Ausbruch der Finanzmarktkrise mit verantwortlich gewesen. Die Bonitätswächter hätten unangemessen gute Ratings für strukturierte Finanzmarktprodukte vergeben, so der Vorwurf. Ausschlaggebend dafür sei der Interessenkonflikt der Agenturen gewesen, der darauf fuße, dass sie von den Unternehmen bezahlt werden, die sie bewerten. Dadurch hätten die Agenturen Interesse an der Vergabe möglichst guter Bonitätsnoten gehabt.

Vermeidung von Interessenkonflikten

Die kurze Entstehungsgeschichte der Verordnung erklärt, warum Politiker und Aufsichtsbehörden bei der Regulierung von Ratingagenturen nur wenige Ziele verfolgten. Unter den Prioritäten war die Qualitätsverbesserung der Ratings durch die Vermeidung von Interessenkonflikten, oder zumindest deren Offenlegung, wenn sie unumgänglich sind. Ein Großteil der Regulierungsvorschriften der Verordnung bezieht sich entsprechend auf Anforderungen an das Geschäftsmodell und die Organisation der Ratingagenturen. Zudem sind die Vorschriften zur Registrierung der Agenturen sehr umfangreich geraten.

Ein weiteres Ziel bei der Verabschiedung der Verordnung war die Erhöhung der Transparenz auf Seiten der Ratingagenturen. Die Ratingunternehmen sollen unter anderem ihre Methoden, Modelle und Annahmen transparenter machen und zum Beispiel ausführliche historische Ausfallquoten veröffentlichen. Schließlich hatten die europäischen Regulatoren mit der Verordnung eine Verbesserung des Wettbewerbs verfolgt. Tatsächlich bilden die drei großen Agenturen Fitch, Moody's sowie Standard & Poor's (SSP) weiterhin ein Oligopol ohne echten Wettbewerb. Die Forcierung des Wettbewerbs stand ursprünglich auch im Fokus der ersten Überarbeitung der Verordnung zur Regulierung von Ratingagenturen.

Im Entwurf der EU-Kommission war vorgesehen, Emittenten beziehungsweise Originatoren von Verbriefungen zu verpflichten, sämtliche Informationen, die sie einer von ihnen beauftragten Ratingagentur zur Verfügung stellen, auf einer passwortgeschützten Internetseite einzustellen. Andere, nicht beauftragte Agenturen, sollten sofern sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen - Zugang zu dieser Internetseite bekommen. Ziel war es, damit das bei strukturierten Finanzprodukten früher nicht unübliche "Rating-Shopping" zu verhindern. Mit einer solchen Regel wäre ein level playing field mit den USA hergestellt worden, wo eine sehr ähnliche Vorschrift bereits Ende 2009 erlassen wurde. Allerdings wurde die finale Änderung der Verordnung zur Regulierung von Ratingagenturen ohne diese Neuerung verabschiedet. Damit beinhaltet die Änderung der Verordnung, die am 1. Juni 2011 in Kraft getreten ist, im Wesentlichen nur noch den Übergang der Aufsichtskompetenz von den nationalen europäischen Aufsichtsbehörden auf die neu geschaffene europäische Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA (European Securities Markets Authority).

Zu frühe Veröffentlichungen

Nicht zuletzt aufgrund ihrer umfassenden organisatorischen Anforderungen hat die Verordnung weitreichende administrative Auswirkungen für die Ratingagenturen. Hat sich auch für die Emittenten etwas geändert? Die Agenturen sind konservativer in ihren Annahmen und zugleich proaktiver in ihrer Kommunikation geworden. Nach Ausbruch der Finanzkrise haben sowohl Fitch als auch Moody's und SSP ihre Annahmen und Stressszenarien mehrfach verschärft. In Anbetracht der Erfahrungen aus der Krise ist eine Verschärfung bestimmter Annahmen eine geradezu zwingende Reaktion. Es ist verständlich, dass die Agenturen sich nicht noch einmal vorwerfen lassen wollen, zu spät reagiert zu haben.

In manchen Punkten treibt das Handeln der Agenturen indes seltsame Blüten. So scheinen sie Ankündigungen über bevorstehende Änderungen von Methoden beziehungsweise Modellen und mögliche Auswirkungen auf Pfandbriefe besonders früh veröffentlichen zu wollen: Die Agentur SSP veröffentlichte im Februar 2009 einen Entwurf einer neuen Covered-Bond-Ratingmethodologie und kündigte an, dass etwa 68 Prozent aller ausstehenden Covered Bonds negativ von den geplanten Änderungen betroffen sein könnten. Diese Nachricht sorgte für große Unruhe am Covered-Bond-Markt. Nachdem fast ein Jahr später die finale neue Methode veröffentlicht und noch einmal einige Monate später die Überprüfung der ausstehenden Covered-Bond-Ratings abgeschlossen worden war, waren deutlich weniger Covered Bonds von negativen Ratingmaßnahmen betroffen. Der Agentur kann dabei zugutegehalten werden, dass einige Emittenten Optimierungen ihrer Deckungsmassen vorgenommen haben, um das Wunschrating - in der Regel Triple-A - zu halten.

Die Ratingagentur Fitch hatte im Oktober 2009 erklärt, neun Hypothekenpfandbriefe, deren Deckungswerte überwiegend aus gewerblichen Immobiliendarlehen bestehen, auf die Überprüfungsliste zu setzen. Begründet wurde dieser Schritt mit der Ankündigung, die Annahmen zu Risiken in der gewerblichen Immobilienfinanzierung überprüfen zu wollen. Erst im Mai 2010 veröffentlichte Fitch ein Papier, das die neuen Annahmen und das nun verwendete Modell erläutern sollte. Handeln die Agenturen zu früh und verunsichern die Marktteilnehmer unnötig, oder stehen ihre Aktivitäten im Einklang mit den geltenden Regeln? Artikel 8 Abs. 6 der EU-Verordnung verlangt von den Agenturen eine öffentliche Bekanntmachung wenn sie ihre Methodologien oder Modelle ändern. Zudem müssen sie ankündigen, wie viele Ratings von den Änderungen vermutlich betroffen sein werden.

Konsultationen zwingend vorschreiben

Offenbar wird der Verordnungstext hinsichtlich des relevanten Zeitpunkts von Veröffentlichungen unterschiedlich interpretiert. Aus Sicht der Emittenten kann es nicht sein, dass eine Agentur bereits dann Ratingmaßnahmen durchführt oder mögliche Maßnahmen ankündigt, wenn sie gerade erst angefangen hat, über Änderungen der zugrundeliegenden Methodologie oder der verwendeten Modelle nachzudenken. Die erwähnten Beispiele legen nahe, dass die Agenturen das anders sehen. Daher sollte in der Verordnung klargestellt werden, dass eine Ratingagentur erst an die Öffentlichkeit gehen darf, wenn sie ihre internen Überlegungen soweit konkretisiert hat, dass sie sie den Marktteilnehmern darlegen kann.

Ebenso sollte in der Verordnung festgehalten werden, dass die Agenturen vor einer endgültigen Implementierung neuer Methoden oder Modelle interessierten Marktteilnehmern die Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. So könnten zum Beispiel auch Investoren ihren Beitrag leisten und Missverständnisse vermieden werden. Obendrein hätten die Marktakteure Zeit, sich auf die Neuerungen einzustellen.

Auch in Punkto Transparenz der Ratingagenturen wird Nachbesserungsbedarf gesehen. Zwar enthält die geltende Verordnung eine Reihe von Transparenzvorschriften für die Ratingagenturen. Doch eines hat sich dadurch nicht geändert: Die Methodologien und insbesondere die verwendeten Modelle sind für dritte, das heißt für Emittenten, Investoren und andere Marktteilnehmer, nicht schlüssig nachzuvollziehen; Plausibilitätsprüfungen sind mit den allgemeinen Modellbeschreibungen kaum möglich. Damit ist ein wesentliches Ziel der Verordnung bisher nicht vollständig erreicht worden.

Sicherlich sind Ratingagenturen bei der vollständigen Veröffentlichung ihrer Modelle auch deshalb zurückhaltend, da sie ihr Know-how nicht preisgeben wollen und überdies befürchten, Mandate zu verlieren. Dessen ungeachtet haben Investoren und Emittenten ein Recht darauf, zu verstehen, wie die Modelle funktionieren. Welche Annahmen werden im Detail getroffen, wie wirken sich diese in den Modellrechnungen aus, wie fließen bestimmte Daten in die Modelle ein? Mit Blick auf den Pfandbrief wäre es zum Beispiel sehr wichtig, die simulierten Ausfallwahrscheinlichkeiten der Deckungswerte zu kennen. Wie sehen die von der Agentur verwendeten Ausfallhistorien für Deckungswerte aus, aufweicher Basis beruhen die Annahmen?

Wünschenswert aus Sicht der Emittenten und Investoren wären detailliertere Veröffentlichungspflichten der Ratingagenturen. Nur wenn Investoren das Zustandekommen eines Ratings verstehen und nachvollziehen können, sind sie in der Lage, sich ein vollständiges Meinungsbild zu verschaffen. Zudem können sie auf Basis identifizierter Stärken und Schwächen einzelner Methodologien und Modelle Schlüsse für ihre eigenen Analysen ziehen und somit unabhängiger von den Urteilen der Bonitätswächter werden.

Kritisch wird die Weigerung der Agenturen gesehen, externe Ratings anderer Bonitätswächter anzuerkennen. Ein Beispiel hierfür sind Derivate. Derivate zur Absicherung von Zins- und Währungsrisiken bei Pfandbriefen und den entsprechenden Deckungsmassen werden von den Agenturen nur anerkannt, wenn der Derivatepartner ebenfalls über ein Rating der entsprechenden Agentur verfügt. In Zeiten, in denen viele Banken nicht zuletzt aus Kostengründen nicht mehr von allen drei Ratingagenturen geratet sind, erweist sich diese Anforderung schnell als Hindernis.

Darüber hinaus verlangen die Agenturen ein sogenanntes vertragliches "Replacement". Danach muss in den Derivateverträgen geregelt sein, dass der Derivatepartner einen neuen Derivatepartner suchen muss, wenn er selbst bestimmte Ratinganforderungen nicht mehr erfüllt. Auch dieser "Ersatzderivatepartner" muss über ein Rating der Agentur verfügen. Diese Vorgehensweise dürfte auch wettbewerbsrechtlich zumindest problematisch sein.

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass es an der Zeit ist, im Rahmen einer Novelle der bestehenden Verordnung zur Regulierung von Ratingagenturen neue Schwerpunkte zu setzen. Neben einer Erhöhung der Transparenz bei den verwendeten Modellen muss die Kommunikation der Agenturen mit anderen Marktteilnehmern deutlich stärker in den Fokus rücken. Auch die Weigerung der Agenturen, externe Ratings Dritter anzuerkennen, sollte adressiert werden.

Kein Zwang zu Zweitrating

Das Ziel, Interessenkonflikte zu vermeiden, ist indes so umfassend in der Verordnung geregelt, wie es im bestehenden Ratingsystem überhaupt möglich scheint. Keine Verbesserung lässt sich in dem zur Diskussion stehenden Zwang erkennen, Produkte von mindestens zwei Agenturen raten zu lassen. Dies weist in die falsche Richtung, da sich die Bedeutung externer Ratings für regulatorische Zwecke noch erhöhen würde, ohne dass dem ein adäquater Nutzen gegenüberstünde. Letztlich triebe es insbesondere Kosten und Aufwand der gerateten Institutionen in die Höhe.

Auch der Wettbewerb würde mit einer solchen Vorschrift nicht erhöht werden, da die Vergabe von Zweitratings mit hoher Wahrscheinlichkeit an eine der drei etablierten Agenturen gehen würde. Selbst eine Stiftung, wie bisweilen angeregt, die über die Ratingvergabe entscheiden sollte, käme nicht an den etablierten Agenturen vorbei. Denn Ratingagenturen leben von ihrem guten Ruf und ihrem Track Record. Beides müsste eine neue Agentur erst aufbauen. Es ist nicht vorstellbar, dass eine Stiftung Emittenten zwingen könnte, einer unbekannten Agentur einen Ratingauftrag zu erteilen. Kaum anders stellt sich die Situation dar, wenn eine Ratingstiftung eigene Ratings erstellen soll, wie es alternativ vorgeschlagen wird. Auch diese Stiftung müsste sich ihre Reputation erst erarbeiten, bevor die Erstellung von Ratings rentabel oder zumindest kostenneutral erbracht werden könnte. Gleichwohl soll der Versuch, eine neue Agentur aufzubauen, damit nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt werden.

Bedeutung externer Ratings für regulatorische Zwecke reduzieren

Angesichts der vielschichtigen Probleme im Zusammenhang mit Ratingagenturen ist es erforderlich, die Bedeutung externer Ratings für regulatorische Zwecke zu reduzieren. Dabei scheint ein Weg der kleinen Schritte das Maß der Dinge zu sein. So könnten zum Beispiel nationale Notenbanken im Euroraum ihre internen Bonitätsbeurteilungsverfahren für Wirtschaftskredite auf Pfandbriefe und Covered Bonds ausweiten. Diese Urteile müssten keinen allgemeingültigen Charakter haben. Vielmehr wäre es ausreichend, wenn sie für die Zulassung von Pfandbriefen als EZB-Sicherheiten genutzt werden könnten.

Sollte es - auch mittelfristig - nicht gelingen Alternativen zur heutigen Bedeutung der Ratingagenturen für regulatorische Zwecke aufzuzeigen, muss der bisherige Regulierungsansatz, nicht in die Ratingmethoden an sich eingreifen zu wollen, hinterfragt werden. Schließlich werden auch alle internen Ratings der Banken bankaufsichtlich geprüft und abgenommen. Trotz aller Bedenken und Schwierigkeiten, die mit regulatorischen Eingriffen in die Ratingmethoden verbunden wären, sollte eine Gleichbehandlung interner Bankenratings und externer Bonitätsurteile von Agenturen angestrebt werden. Ein hoheitlicher Eingriff in die Methodologien wäre gleichwohl nur die zweitbeste Lösung.

Sascha Kullig , Bereichsleiter Pfandbrief, Kapitalmarkt und Investor Relations, Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp) e.V., Berlin
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