Aufsätze

"Solidarität geht in der genossenschaftlichen Finanzgruppe mit starken Präventions- und Kontrollelementen einher"

In der Tat bewegen sich die Banken, wie es in der Einladung zu dieser Tagung sehr richtig heißt, in einem Spannungsfeld zwischen Sicherheit fordernder Politik, Solidität anmahnender Aufsicht, anspruchsvollen Kunden, die Service rund um die Uhr erwarten, Anteilseignern, die gute Zahlen sehen wollen, und dem volkswirtschaftlichen Anspruch, den Konsum zu stützen. Sehr frei klingt das zunächst einmal nicht.

Freiheit als Motor der Wirtschaft

Aber was, ist denn wirtschaftliche Freiheit? Was bedeutet Freiheit in der Wirtschaft für die Banken? Freiheit, das bedeutet zunächst einmal Wettbewerb. Und da wir natürlich nicht die Ersten sind, die über Freiheit in der Wirtschaft nachdenken, habe ich bei Ludwig Erhard nachgeschlagen, auch weil dies wirklich ein schöner Anlass war, wieder einen Blick in Erhards Manifest "Soziale Marktwirtschaft" - von 1972 übrigens - zu werfen. Freiheit, sagt Erhard da, ist "Freiheit zu Wettbewerb unter den Konkurrenten, die Freiheit der Unternehmer zur Initiative, zum Vorstoß in technisches, organisatorisches und ökonomisches Neuland, und die Freiheit, den Vorstoßenden nachzufolgen."

Freiheit schafft also Wettbewerb, schafft unternehmerische Initiative, ist Motor der Wirtschaft, des Wachstums und des Fortschritts. Das ist sie letztlich zum Wohle der Bürger. Freiheit verschafft Vorteile - und zwar nicht nur für die Unternehmer, sondern auch für deren Kunden: Denn die Freiheit, aus mehreren Alternativen auswählen zu können - also dieses oder doch das andere Angebot anzunehmen, bei dieser oder lieber der anderen Firma einzukaufen, hier oder doch lieber dort zu arbeiten - resultiert erst, so schlussfolgert Erhard, aus der Freiheit der Unternehmen.

Fundamente der Demokratie

Auch die Kunden von Banken schätzen diese Freiheit und sie entscheiden sich immer häufiger dafür, Geschäfte mit den Genossenschaftsbanken zu machen. So profitierten diese im ersten Halbjahr des Jahres 2013 erneut in ihrem Kerngeschäftsfeld, dem Kundenkreditgeschäft. Die Kreditvergabe an Privat- und Firmenkunden erhöhte sich per Juni 2013 im Vorjahresvergleich um 4,4 Prozent oder knapp 19 Milliarden Euro. Insgesamt gaben die Kreditgenossenschaften per Juni 2013 Kredite in Höhe von 452 Milliarden Euro heraus. Bei den Krediten an Gewerbekunden kommt annähernd jeder dritte Euro von den Volksbanken und Raiffeisenbanken. Der Marktanteil lag in diesem Juni bei 30,6, im Dezember zuvor bei 30,3 Prozent.

Aber zurück zur Freiheit: Recht und Ordnung - und eben Freiheit sind nicht ohne Grund die Fundamente unserer Demokratie. Was wäre auch die Alternative? Kommunismus? Sozialismus? Wieder Erhard: "Wer in der Pseudoordnung einer Kollektivwirtschaft das Heil erblickt, wer lieber Untertan als freier Bürger sein möchte, wer aus Bequemlichkeit jeder Verantwortung entfliehen will (...), der kann kaum als geeigneter Sprecher für die Wahrung einer demokratischen Ordnung berufen sein."

Natürlich aber birgt die Freiheit auch Gefahren. In den vergangenen Jahren traten diese offen zutage: Im großen Stil kamen aus den USA auf der Basis von Subprime-Immobilienkrediten faule Hypothekenkredite als hochkomplexe - subprime - Produkte auf den Markt, deren Gefahren die Käufer nicht mehr verstanden. In aller Schärfe zeigte sich dies auf dem Höhepunkt der Finanzkrise. So manch große Bank verließ den Markt mit einem Knall, andere Häuser mussten durch den Steuerzahler gerettet werden. Geld- und Kapitalmärkte trockneten aus, extrem hohe Geldinfusionen durch die Zentralbanken waren nötig, die Aktienmärkte stürzten ab und zeigten sich über lange Zeit ausgeprägt volatil. Anleger wägen die Wirksamkeit der gewaltigen staatlichen Rettungspakte für den Finanzsektor ab, Rezessionsängste belasten die Aktienkurse.

Auch die große Freiheit benötigt also ein Regulativ, damit sich solche extremen Verwerfungen mit Gefahren für die Stabilität des gesamten Finanzsystems nicht wiederholen. Schließlich sahen auch Ludwig Erhard und die anderen Väter der sozialen Marktwirtschaft einen starken Staat als notwendigen Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Vor dem staatlichen Regulativ, das die Auswirkungen falsch verstandener Freiheit korrigiert, steht aber immer erst die Verantwortung des Einzelnen, sofern er stark genug ist, diese Verantwortung auch zu tragen.

Gemeinsam füreinander Verantwortung tragen

Gemeinsam füreinander Verantwortung zu tragen, und damit den Auswüchsen des freien Marktes die Stirn zu bieten, gehört zum genetischen Code der Genossenschaftsbanken. "Gerade in der Solidarität, dem Einstehen eines für alle und aller für einen, bieten (die Genossenschaften) erst die sichere Unterlage für seine persönliche Geltung (...)", so hieß das bei Hermann Schulze-Delitzsch vor 160 Jahren. Heute gilt das immer noch. Mit Werten wie Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung steuern die deutschen Genossenschaftsbanken durch alle Krisen und stehen füreinander ein. Mit einer beispielhaften demokratischen Netzwerkstruktur ist es gelungen, sicherzustellen, dass seit der großen Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre keine einzige Genossenschaftsbank insolvent ging und kein Kunde Geld verlor. Hierfür ist das nun seit fast 80 Jahren bestehende Institutssicherungssystem ein entscheidender Garant. Solidarität geht übrigens in der genossenschaftlichen Finanzgruppe einher mit starken Präventions- und Kontrollelementen, nur so können Solidarität und Stabilität Hand in Hand gehen.

Freiheit braucht auch Regulierung - vor allem dann, wenn es den Anschein hat, dass Freiheit nicht verantwortungsvoll wahrgenommen wird. Allerdings zählt die Bankenbranche bereits zu den am stärksten regulierten Branchen überhaupt. Mit Basel III werden auch kleinste Genossenschaftsbanken mit einem Regelwerk von weit über tausend Seiten konfrontiert. Zahlreiche technische Standards der europäischen Aufsichtsbehörden ergänzen dieses epische Regelwerk. Wo genau liegt die Grenze zwischen regulierter Freiheit und Unfreiheit? Nun ist es also an der Zeit, kurz einige Regulierungsvorhaben anzusprechen, die durchaus erhebliche Auswirkungen auf die deutschen Genossenschaftsbanken haben.

Dabei ist "kurz" bereits eine Herausforderung. Und das nicht nur angesichts der Basel-III-Regelwerke. Selbst Spezialisten fällt es inzwischen schwer, das Zusammenwirken der verschiedenen Säulen der Bankenunion zu bewerten. Dazu kommen weitere Regulierungsvorhaben - zum Beispiel das Stichwort Trennbanken. Es ist an der Zeit für eine genaue Analyse darüber, wie sich die Kombination dieser zahlreichen Vorhaben auf die Realwirtschaft auswirkt.

Doppelbelastungen als Regel

Doppelbelastungen zum Beispiel sind längst keine Ausnahme mehr. Blicken wir hier beispielhaft auf die Aufsicht: Die Europäische Zentralbank beabsichtigt offenbar, auch von Kreditinstituten, die gerade nicht ihrer unmittelbaren Aufsicht un terliegen, sondern weiterhin von der deutschen BaFin beaufsichtigt werden, Aufsichtsgebühren zu erheben. Nachvollziehbar ist so eine Doppelgebühr nicht. Konsequenterweise müssten dann die Beiträge zur Finanzierung der nationalen Aufsicht entsprechend reduziert werden.

Einige Worte noch zum einheitlichen Abwicklungsmechanismus, der ja dieser Tage auch in den Koalitionsverhandlungen in Deutschland eine große Rolle spielt: Dieser sollte sich - sofern er überhaupt in der vorgeschlagenen Form mit einem Letztentscheidungsrecht der Europäischen Kommission sinnvoll ist - allenfalls an durch die EZB unmittelbar beaufsichtigte Banken richten. Es ist außerdem im Zusammenhang mit Fragen der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten wichtig, die Mitgliedschaft in einem anerkannten Institutssicherungssystem wie der BVR-Sicherungseinrichtung explizit zu berücksichtigen.

Keine Transferunion

Außerdem müssen die Maßnahmen stets verhältnismäßig sein: Hier ist insbesondere das sogenannte Bail-in anzuführen, also die Abschreibung bestimmter Verbindlichkeiten oder deren Umwandlung in Anteile oder andere Eigentumstitel eines in Abwicklung befindlichen Instituts. Das Instrument orientiert sich an börsennotierten Aktiengesellschaften, die sich über Kapitalmärkte refinanzieren, und nicht an kleinen und mittleren Banken in der Rechtsform der Genossenschaft mit limitiertem Zugang zu den Kapitalmärkten. Eine gleichförmige Anwendung auf alle Institute würde gerade diese Institute überproportional belasten, obwohl das Bail-in, dessen Anwendung zudem noch ein öffentliches Interesse voraussetzt, hier in der Regel nicht einmal zur Anwendung kommen würde.

Eine grenzüberschreitende Haftung für Institute in anderen Mitgliedstaaten, auf deren Risiken und Geschäftstätigkeiten kein Einfluss besteht, lehnen wir im Rahmen des einheitlichen Abwicklungsmechanismus wie der Krisenmanagementrichtlinie ab. Auch im Kontext eines möglichen gemeinsamen europäischen Einlagensicherungssystems für die Länder der Bankenunion wären grenzüberschreitende Transferleistungen zwischen Banken unvermeidbar.

Um es klar zu sagen: Wir sind für die Harmonisierung von gemeinsamen Regeln zum Betreiben von einlagen- und institutssichernden Systemen in Europa. Hier gibt es in der Tat Handlungsbedarf. Diesen zu adressieren und die Regeln für derartige Systeme zu verbessern - dafür stehen auch wir. Aber genauso klar kämpfen wir weiterhin für die Handlungsfreiheit, unser bewährtes System des Institutsschutzes auch im Anwendungskreis der neuen EU-Einlagensicherungsrichtlinie weiter betreiben zu dürfen. Ein System, welches in unternehmerischer Freiheit im tiefsten genossenschaftlichen Sinne entstanden ist und sich auch mit Blick auf die Stabilität des Bankensystems sehr bewährt hat.

Noch einmal: Wir wehren uns gegen eine von der Regulierung erzwungene Transferunion zulasten solide wirtschaftender Institute mit konservativem Geschäftsmodell. Das ist auch den Sparern und den über 17 Millionen Eigentümern unserer Banken nicht zu vermitteln. Die dieser Tage in die Endphase gehenden Trilogverhandlungen zur Einlagensicherungsrichtlinie bringen zwar Bewegung in die Diskussionen, mit dem Ziel, das Richtlinienvorhaben zeitnah abzuschließen. Die von der Kommission angestrebten Regelungen fallen aber zum Teil weit hinter bereits erreichte Kompromisse zurück und führen dazu, dass dem Grunde nach ein Bestand an Mitteln in Milliardenhöhe aufgebaut werden soll, der für institutssichernde Zwecke grundsätzlich nicht zur Verfügung steht. Daraus würden sich für die deutschen Genossenschaftsbanken und Sparkassen nicht akzeptable finanzielle Belastungen ergeben.

Keine Verknüpfung von Abwicklung und Einlagensicherung

Für die Sparer wäre das keine gute Nachricht. Denn gerade die mit dem Institutsschutz einhergehenden präventiven Elemente, die die genossenschaftliche Bankengruppe in den vergangenen Jahren immer wieder betont hat, führen zur nachhaltigen Stabilisierung der Banken, ohne die Handlungsfreiheiten zu stark einzugrenzen. In diesem Kontext stehen wir auch einer Verknüpfung von Abwicklung und Einlagensicherung ablehnend gegenüber - wir dürfen die Mittel einer Einlagen- und Institutssicherung nicht zu einer reinen Finanzierungsquelle der Bankenabwicklung machen und dies dann gar noch pan-europäisch.

Ebenso muss natürlich den neuesten Enteignungsideen des Internationalen Währungsfonds eine Absage erteilt werden - einen größeren Eingriff in die freiheitliche Vermögensdisposition der Menschen als eine Zwangsabgabe auf Spareinlagen ist für mich kaum denkbar. Dies würde das Vertrauen der Menschen in das Finanzsystem als Ganzes dauerhaft erschüttern und unabsehbare Folgen haben.

Es leuchtet ein, dass die Freiheit der Banken zum Wohle der Kunden nicht unbegrenzt sein kann. Daher gibt es Gesetze. Viele gibt es davon, herausnehmen möchte ich das Gesetz über das Kreditwesen, das Gläubiger vor Vermögensverlusten schützen soll. Daher gibt es die Bankenaufsicht - und künftig ja nicht nur eine deutsche. Daher gibt es den so wichtigen Verbraucherschutz. Wenn jedoch die Einlagen der Kunden durch grenzüberschreitende Vermögensumverteilungen im Rahmen einer europäischen Einlagensicherung in Gefahr geraten oder wenn eine Bank so sehr reguliert wird, dass sie ihren Kunden nicht mehr in gewohnter Form zur Seite stehen kann, etwa weil eines Tages Wertpapierberatung zu teuer wird oder nur noch eine untergeordnete Rolle in Beratungsgesprächen spielt, weil die Berater sich sorgen, im Nachhinein belangt zu werden - dann ist der Augenblick gekommen, an dem zu wenig Freiheit übrig ist, um mit ihr als Motor im Sinne Ludwig Erhards Wirtschaft, Wachstum und Fortschritt zu befördern.

Chance des Gesetzgebers

Im Sinne der Kunden ist das sicherlich nicht. Deren Freiheit der Auswahl wäre dann in letzter Konsequenz ebenfalls beschnitten. Daher möchte ich meine Ausführungen mit dem Plädoyer an die Gesetzgeber - ob deutsch oder europäisch - schließen, den Begriff der Freiheit nie völlig aus dem Blick zu verlieren - auch zum Wohle der Kunden. Die schwarz-roten Koalitionäre in Berlin haben in ihren Verhandlungen zur Bankenregulierung die Gelegenheit zu beweisen, dass sie sich nicht nur als Regulierer verstehen, sondern auch als Förderer von verantwortungsvoll arbeitenden Banken, die durch ihre Kreditvergabe Investitionen finanzieren und Beschäftigung sichern.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich der 59. Kreditpolitischen Tagung "Die Banken und die Freiheit" der ZfgK am 8. November 2013.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Uwe Fröhlich , Co-Vorsitzender des Vorstands , DZ BANK AG Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank, Frankfurt am Main
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