Crashed: Was seit der Finanzkrise warum geschah

Adam Tooze, Crashed. Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert haben. Siedler Verlag, München 2018, 1. Auflage (10.9.2018), 800 Seiten, 38,00 Euro, ISBN 978-3-8275-0085-4 Cover: Siedler Verlag

800 Seiten. So lang ist die deutsche Fassung von "Crashed. How a Decade of Financial Crises Changed the World", das 2018 bei Allen Lane in London erschien. Eine Zusammenfassung der Kernbotschaften? Fehlanzeige. Das Buch besteht aus reinem Fließtext - von wenigen Tabellen und Abbildungen abgesehen. Leser müssen also viel Zeit mitbringen. Oder querlesen: Dazu eignen sich zum Beispiel die Kapitel über die USA und die Eurozone, in denen vieles bekannt sein dürfte. Sie machen auch den Großteil des Buches aus.

Hintergründe mit hohem Erkenntniswert über China

Wer dagegen mehr über Schwellenländer und vor allem Chinas Finanzmarktentwicklung seit 2008 wissen möchte, sollte mit dem Schlusskapitel "Ein Blick in die Zukunft" beginnen. Es bietet unzählige Hintergründe mit hohem Erkenntniswert - jedenfalls für Leser ohne besondere Asienkenntnisse. Ein lockerer Schreibstil hilft dabei, die Textmenge zu verdauen.

Der Brite Tooze will mit "Crashed" erstens zeigen, dass die europäische Krise der Jahre 2009 ff. kein internes Problem der Eurozone war beziehungsweise ist, sondern sich aus dem globalen Finanzbeben ergab. Schwerpunkte seines Werks betreffen deshalb die USA und Europa.

Einblicke in die langfristige Entwicklung

Zweitens möchte er vermitteln, "wie Staaten auf die Sturmflut reagierten beziehungsweise nicht reagierten" (Seite 16). Dies geschieht eher keynesianisch, zum Beispiel so (Seite 433): "Das Bekenntnis zur Sparpolitik im Jahr 2010 brachte kritische Ökonomen in Harnisch. Warum hatte die Welt einen Kurs eingeschlagen, der so offensichtlich kontraproduktiv war und den Erwerbschancen von Dutzenden von Millionen Arbeitslosen weltweit schadete?"

Der Professor der New Yorker Columbia Universität geht nicht nur zehn Jahre in die Vergangenheit. Er beschreibt zum Beispiel die US-Wirtschaft seit den 1980er Jahren. Die Wurzeln der G20 verfolgt er bis zur Asienkrise 1997 und zeichnet die Entstehungsgeschichte dieser wirtschaftsstarken Gruppierung akribisch nach. Zur letzten Dekade bietet Tooze tiefe Einblicke in viele Länder.

Unbedingt lesenswert sind zum Beispiel die Seiten 694 bis 699 über Chinas Finanzkrise im Jahr 2015 - soweit man sich von Begrifflichkeiten wie "Globalisierungsnarrativ" und "Erfolgsnarrativ" (Seiten 697 beziehungsweise 699) nicht abschrecken lässt. Hier wird erstens deutlich, dass Chinas Rolle in der Finanzwelt in nur sieben Jahren explodiert ist. Zweitens zeigt der Autor, dass globale Krisen zunehmend aus Unternehmens- statt Handelsbilanzen resultieren. Drittens dürfte die Tiefe des Abgrunds, vor dem die Welt 2015 stand, vielen Lesern ebenso neu sein wie Chinas Reaktion darauf.

Zahllose Einzelheiten zeugen auch andernorts von großem Fleiß, daneben von Mut. Fleiß, weil Tooze zum Beispiel allein für Deutschland die gesamte Hartz-IV-Historie aufarbeitet. Mut, weil er dabei nicht vor unbelegten Aussagen wie dieser zurückschreckt (Seite 116): "In den ersten zehn Jahren des Euro erfuhr die Hälfte der deutschen Haushalte, trotz rasant steigender Produktivität, nicht den geringsten Einkommenszuwachs."

Viele Neuigkeiten selbst für Länderexperten

Wer sollte "Crashed" lesen? Das Buch gleicht einer facettenreichen Erzählung: Wer sagte was wann zu wem und warum? All dies erfahren passionierte Leser - für die USA, den Euroraum und viele weitere Länder. Dieses Vorgehen bietet unfassbar viele Detailinformationen und Anekdoten, die selbst Länderexperten oft neu sein dürften. Wer allerdings eine Struktur erwartet, die schnellen oder ausgewählten Erkenntnisgewinn erleichtert, dürfte enttäuscht werden. Einen roten Faden bietet dieser Leserschaft bestenfalls das Inhaltsverzeichnis mit seinen vier Teilen und 25 Kapitelüberschriften.

Prof. Dr. Britta Kuhn, VWL und International Economics, Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain

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