Leitartikel Mittelstandsgeschäft: Vorreiter und Bremser auf beiden Seiten

Dr. Berthold Morschhäuser

Seit vielen Jahren gibt der Genossenschaftsverband im Herbst in einer Großveranstaltung aktuelle Einblicke in die Stimmungslage und die Themen der für die deutsche Volkswirtschaft wie für die Banken und Sparkassen wichtigen Zielgruppe des Mittelstandes. Was die genossenschaftlichen Ortsbanken besonders bewegt, wurde zur Einstimmung auf den diesjährigen Wirtschaftstag schon vorab gemeldet. In einer Onlineumfrage des Verbandes unter den Vorständen seiner Mitgliedsinstitute in mittlerweile vierzehn Bundesländern wurden die Entwicklungen rund um die Digitalisierung des Mittelstandes als das mit Abstand wichtigste Thema der Marktbearbeitung und strategischen Ausrichtung genannt.

Mit 89 Prozent der Nennungen lag es eindeutig vor der mit 80 Prozent eingestuften Nachwuchssicherung. Das von vielen Instituten so stark betonte Feld der Weiterentwicklung des Auslandsgeschäftes wird hingegen auf der Ortsbankenebene der genossenschaftlichen Bankengruppe mit 4 Prozent als weit weniger dringlich gewertet. Diese Prioritätenliste lässt klar erkennen, wie sehr die Genossenschaftsbanker den Digitalisierungsbedarf im Mittelstand registrieren und wie groß mittlerweile auch in diesem klassischen Geschäftsfeld ihre Unsicherheit ist, sich im täglichen Geschäft künftig nicht nur der hiesigen Bankengruppen und der internationalen Finanzdienstleister erwehren zu müssen, sondern auch dem Ideen- und Produktwettbewerb der großen, international agierenden Internetunternehmen ausgesetzt zu sein.

Wie der hiesige Mittelstand im globalen Digitalisierungsprozess aufgestellt ist und was er von den Banken erwartet, wird in den Beiträgen dieses Heftes deutlich. Demnach ist sich einer aktuellen Umfrage zufolge auch das Management der kleinen und mittleren Unternehmen großer geschäftspolitischer und/oder organisatorischer Veränderungen ihrer Branchen bewusst - im schlimmsten aller Fälle bis hin zur akuten Bedrohung von Geschäftsmodellen. Immerhin ein knappes Drittel der Unternehmen stuft sich gleichwohl als digitale Pioniere ein.

Aber neben diesen Vorreitern lässt die Studie auch auf einen mindestens ebenso großen Anteil an analogen Bewahrern schließen. Für die Banken macht das ähnlich wie bei ihren Vertriebskonzepten einen möglicherweise teuren Spagat erforderlich. Sie müssen sich im Zweifel nicht nur um die einer Digitalisierung aufgeschlossenen Mittelständler kümmern, sondern auch das Angebot für die KMU mit begrenzter Veränderungsbereitschaft vorhalten.

Mit einem allgemeingültigen Ansatz wird sich dieses Dilemma kaum lösen lassen. Jede Ortsbank der Verbünde sowie die auf eine Region fixierten privaten Banken werden in ihren Geschäftsgebieten für ihre eigene Klientel entscheiden müssen, wie schnell sie neuen Entwicklungen folgen, wie schnell sie die von der europäischen Politik forcierte kapitalmarktorientierte Mittelstandsfinanzierung vorantreiben wollen und wie viel ihnen das Geschäft mit den Unternehmen mit geringer digitaler Affinität noch wert ist. Wie für überregional tätige Institute geht es darum, das Optimum aus lukrativen und weniger lukrativen Firmenkundenbeziehungen herauszufinden. Und bei allem Aufwand der exakten Zielgruppenanalyse bis hin zur Einzelfallprüfung bleibt dennoch immer die Gefahr, gewisse Produkte und Dienstleistungen an Spezialisten mit günstigerer Kostenstruktur zu verlieren. Insbesondere im Zahlungsverkehr versuchen traditionelle Finanzdienstleister wie auch neue Anbieter im Mittelstand Fuß zu fassen.

Als aussichtslos einschätzen müssen die hiesigen Kreditinstitute ihre Chancen im Firmenkundengeschäft aber keineswegs. Von den Grundvoraussetzungen her kann die Kundennähe und/oder die genaue Marktkenntnis gerade den in der Fläche tätigen Häusern mit dem nötigen Fachpersonal sogar zu neuem Geschäft verhelfen. Je besser sie nämlich die Wertschöpfungsketten und die Produktionsprozesse ihrer Firmenkunden kennen und verstehen lernen, umso gezielter können sie die Risiken der Geschäftsmodelle ihrer Kunden verstehen und einschätzen und Finanzierungslösungen für deren tendenziell wachsenden Innovationsbedarf suchen.

Wieso sollen Sparkassen, Genossenschaftsbanken oder Spezialbanken in einer Region oder für eine Branche die in diesem Heft vom VDMA Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau für seine meist mittelständische Mitgliederschaft formulierten Anforderungen an die Kreditwirtschaft weniger gut erfüllen können als international tätige Großbanken? Konkret geht es dabei um eine kluge Kombination flexibler Laufzeiten, eine angepasste Vertragsgestaltung, unterschiedliche Finanzierungsvolumina und Finanzierungsinstrumente sowie Zahlungszeitpunkte, die sich an den Fortschritten von Projekten orientieren. Allein mit guter Technik und automatisierten Prozessen wird sich das alles kaum regeln lassen. Gerade in beratungsrelevanten Produkt- und Dienstleistungsbereichen wird es vielmehr auch künftig auf die persönliche Kompetenz von Mitarbeitern sowie maßgeblich auf das Vertrauen in den Finanzierungspartner ankommen.

Den unverändert hohen Stellenwert des persönlichen Kundengespräches im Mittelstandsgeschäft stellen freilich auch erklärte Vorreiter der Digitalisierung wie die ING Diba oder die Commerzbank nicht infrage. Durch die Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Digitalisierung die Qualität der elektronischen wie auch der persönlichen Kundenkontakte zu erhöhen, heißt bei Letzterer der Ansatz. Die Bank will über eine wesentlich effizientere Arbeit den Weg zu den umworbenen Mittelstandskunden finden. Und dann sind da noch die großen internationalen Banken wie die HSBC oder die in diesem Heft vertretene BNP Paribas, die im Mittelstandsgeschäft auf Spezialthemen wie die Nachhaltigkeit und besonders auf die eindeutig wachsende Bedeutung des Auslandsgeschäftes setzen. Dessen kreditwirtschaftliche Anforderungen aus einer Hand über das hauseigene globale Netzwerk abwickeln zu können, bedeutet in der Tat einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Regionalinstituten, den diese nur über eine enge Zusammenarbeit mit Verbundinstituten oder externen Partnern kompensieren können.

Einen gewissen Aufschub für die Dringlichkeit der Digitalisierung aufseiten von Banken und Mittelständlern ermöglicht derzeit die Marktlage. Das Geschäft der Mittelständler läuft so gut (siehe Konjunkturbarometer von KfW und Ifo-Institut), dass sich die KMU nicht unter akutem wirtschaftlichem Druck nach neuen Bankverbindungen umsehen müssen. Die guten Aussichten geben vielen Banken wie auch Mittelständlern somit zeitlich eine gewisse Karenz für die Anpassung. Auf eine Scheu der Belegschaft mittelständischer Unternehmen vor der Nutzung digitaler Angebote im Mittelstandsgeschäft sollten die hiesigen Banken indes besser nicht vertrauen. Denn angesichts der vielen digitalen Anwendungen im privaten Bereich dürfte sich die Anwendung digitaler Geschäftsabläufe im Mittelstandsgeschäft bei Vorliegen entsprechender Angebote rasant beschleunigen, sobald die Eigner und/oder das Management der Unternehmen die Freigabe erteilen.

Dr. Berthold Morschhäuser , ehem. Chefredakteur , Fritz Knapp Verlag

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