"Agile Organisation" - die Genossenschaftsidee als ideale Grundlage

Dr. Ralf Kölbach, Mitglied des Vorstands, Westerwald Bank, Hachenburg

Quelle: Westerwald Bank

Dr. Ralf Kölbach, Mitglied des Vorstands, Westerwald Bank, Hachenburg - Technologie ist nur ein Mittel und schnell kopierbar. Insofern ist eine erfolgreiche Digitalisierung aus Sicht des Autors nur die notwendige Bedingung für ein Alleinstellungsmerkmal in digitalisierten Märkten. Für ihn macht erklärtermaßen die passende Organisationsform und damit auch Führungs- und Kommunikationskultur den Unterschied und schafft die hinreichende Bedingung für einen USP. An dieser Stelle sieht er der Genossenschaftsidee als ideale Grundlage für die Kombination mit den zentralen Werten der Agilen Organisation und bescheinigt ihr auch unter organisationstheoretischen Überlegungen eine große Zukunftsfähigkeit. (Red.)

Sind Genossenschaftsbanken in der digitalen Transformation auf dem richtigen Weg? Warum startet ein Artikel zum Thema "Agile Organisation" mit einer Diskussion einiger zentraler Aspekte der digitalen Transformation? Beide Themen sind zwei Seiten derselben Medaille: die digitale Transformation verändert das Kundenverhalten und die Verhandlungsposition der Kunden fundamental. Aus ehemaligen Verkäufermärkten werden Käufermärkte - so haben viele Unternehmen unter anderem ihren Informationsvorsprung gegenüber ihren Kunden eingebüßt.

Eine deutlich verbesserte Position für die Kunden

Die Position der Kunden hat sich in der Konsequenz deutlich verbessert. Sie sind gut informiert und können ihr Konsumverhalten in früher unvorstellbarer Geschwindigkeit und Dimension verändern. Diese massive Erhöhung der Geschwindigkeit in den Märkten verlangt eine radikale Beschleunigung in den Unternehmen, damit sie am Markt schnell genug adaptieren können; verlangt werden also buchstäblich agile Unternehmen.

Digitalisierung als "Pflicht" auch für Genossenschaftsbanken: Die Bankenmärkte gehören zu jenen, die einen dramatischen Paradigmenwechsel in hoher Geschwindigkeit erleben: die Digitalisierung bedeutet, dass die nächste Bank nur einen Klick entfernt ist. Sie bedeutet auch eine Informations- und Preistransparenz, die früher nicht vorhanden war. In diesem Marktumfeld den Weg der Digitalisierung nicht konsequent mitzugehen, wäre eine strategische Kapitulation und das Warten auf den eigenen Marktaustritt. Somit ist die digitale Transformation auch für Primärgenossenschaften, unabhängig von ihrer Größe, Pflicht.

Ungeordnete Digitalisierung als Risiko und Kostenfalle: Die Tiefe der Veränderung wird gravierende Einschnitte in Wertschöpfungsketten und jahrzehntelang erfolgreiche Geschäftsmodelle zur Folge haben. Zu dieser fundamentalen Veränderung gesellt sich eine enorme und zunehmende Geschwindigkeit hinzu. Die Kombination dieser Faktoren klemmt den zu bewältigenden Strategieprozess zwischen Hammer und Amboss ein. Ohne klare Digitalisierungsstrategie drohen taktische und strategische Risiken ebenso wie Kostenprobleme.

Zu den taktischen Risiken zählen unter anderem das Betreiben von Social Media ohne deren 24/7 - Beobachtung und Pflege sowie das Nichterkennen beziehungsweise nicht rechtzeitiges Erkennen veränderter Präferenzen der Social-Media-Nutzer. Die typischen Nutzergruppen nicht eng zu beobachten, kann hier fatale Folgen zeitigen. Strategische Risiken liegen darin, die verschiedenartigen digitalen Kanäle nicht klar im Rahmen einer Marktbearbeitungsstrategie zu positionieren. Ein immer wieder beobachtbarer Fehler ist der Versuch, in Social Media Communities, in denen klar erkennbar kein aktiver Vertrieb gewünscht ist, genau das zu versuchen.

Kostenprobleme als Folge ungeordneter Digitalisierung

Enorme Kostenprobleme können ebenfalls Folge ungeordneter Digitalisierung sein. Folgende Varianten lassen sich abgrenzen:

- Die Gießkanne: Es werden alle aktuellen digitalen Kanäle und Varianten mit hohen Start-Budgets bespielt. Da diese digitalen Touchpoints aber einem schnellen Wandel unterliegen, kann das den Aufbau zahlreicher "Kostengräber", gefüllt mit sunk costs, bedeuten.

- Die Wahl eines falschen Pferdes und Konzentration auf dieses: Das ist das zweite mögliche Ergebnis unzureichender Strategiearbeit. Eine hohe Anfangsinvestition in das falsche Thema. Auch hier fehlt in der Konsequenz dann das Budget für die richtigen Themen.

Elemente einer Digitalisierungsstrategie: Ruhe und Fokus

Um die angeführten Irrwege als Resultat aktionistischer Strategiearbeit zu vermeiden, sind zwei Grundprinzipien guter Strategiearbeit zwingend erforderlich:

"Wenn Du es eilig hast, gehe langsam". Diese alte asiatische Weisheit beschreibt, wie wichtig die strategische Reflektion und nach folgende Positionierung gerade auch in einem hochdynamischen Umfeld ist. Letztlich geht es um die Erkenntnis, dass der Verzicht auf gründliche Strategiearbeit mittel- und langfristig teurer ist als das Innehalten und Reflektieren.

Das zweite Prinzip betrifft den inhaltlichen Kern der Strategiearbeit, der im stark regulierten Finanzgewerbe zunehmend überlagert wird von aufsichtsrechtlich geforderten Strategiedokumentationen verschiedenster Art. Es geht um das letztlich nicht nur entscheidende, sondern für das Überleben am Markt einzig relevante, den Begriff der Strategie geradezu definierende Element: "Strategie bedeutet, klare Entscheidungen dazu zu treffen, wodurch man sich im Wettbewerb behaupten will. (Welch, J. u. S., a.a.O., Seite 183)." Dieser Anforderung an eine jede Strategie, die dem Unternehmen wirklich dienen soll, muss sich auch und insbesondere der Digitalisierungsstrategie stellen, ist sie es doch, deren inhaltliche Substanz und konsequente Umsetzung entscheidend für das Überleben auch der genossenschaftlichen Primärinstitute sein wird.

Die Beschleunigung der Märkte, insbesondere des Handlungsdruckes in einem im Porterschen Sinne reifen/gesättigten Markt wie dem Bankenmarkt und damit einhergehend der ständige Anpassungsdruck auf den Strategieentwicklungsprozess lässt es jedoch zunehmend sinnloser erscheinen, langjährige lineare und damit statische Strategien zu entwickeln.

Kernelemente der Strategie

Welche Kernelemente muss diese Strategie jedoch dennoch zwingend enthalten, um dem Unternehmen, vor allem aber auch den Kunden Orientierung zu liefern?

- Die klare Positionierung zu den Strategischen Geschäftsfeldern, insbesondere auch zu denen in der digitalen Welt.

- Eine klare Aussage zur zukünftigen Rolle der Filiale als Kontaktpunkt und Vertriebskanal.

- Eine Aussage dazu, ob disruptive Innovationen als Instrument der Zukunftssicherung akzeptiert und bei Bedarf bewusst auch zulasten des Kerngeschäftes umgesetzt werden oder das Primat der Unantastbarkeit des eigenen Ist-Geschäftsmodelles und damit der Beschränkung auf erhaltende Innovationen gilt.

- Eine Aussage dazu, ob die zur konsequenten Digitalisierung erforderliche kulturelle und führungstechnische Veränderung gewollt ist und aktiv angestrebt wird. - Eine Personalstrategie, eng vernetzt mit einem der digitalisierten Welt angepassten Führungs- und Organisationsmodell.

Die kulturelle Flankierung der digitalen Transformation

Die Agile Organisation ist diejenige Organisationsform, die seit einigen Jahren häufig als die natürliche organisatorische Lösung für Unternehmen in der digitalen Transformation angesehen wird. Die Diskussion zu dieser Thematik ist jedoch keineswegs abgeschlossen, sie wird vielmehr durchaus kontrovers geführt.

Kulturelle Flankierung als "Kür": Unabhängig davon, ob die Agile Organisation der logische Partner der Digitalisierung ist, hat sich eines klar herauskristallisiert: Die digitale Transformation ist ein Muss, auch für Volks- und Raiffeisenbanken. Erreichen diese in diesem Feld nicht zumindest annähernd das Niveau der Direktbanken beziehungsweise anderer digitalisierter Mitbewerber oder Fintechs, so werden große und wachsende Teile der Kundschaft unwiederbringlich verloren sein.

Es ist jedoch schlechterdings unmöglich, mit einer zunehmend digital affinen, bestens informierten und selbstbewussten Kundschaft auf digitalen Kanälen auf Augenhöhe zu kommunizieren, während die Bank nach innen immer noch de facto gemäß den Standards des Industriezeitalters organisiert ist. Insbesondere die direkten Schnittstellen zum Kunden (also der Vertrieb) sowie vertriebsnahe Einheiten wie Marketing, aber auch alle an den Innovationsprozessen beteiligten Bereiche können die erforderliche Geschwindigkeit am Kunden beziehungsweise in der Produktentwicklung nicht erreichen, wenn sie weiterhin primär in der alten Sparten- beziehungsweise Siloarchitektur arbeiten.

Digitale Transformation - eine zu erledigende Pflicht

Insofern ist also die digitale Transformation der Genossenschaftsbanken eine zu erledigende Pflicht. Diese stellt aber auch mit erfolgreicher Umsetzung (die nur als Folge einer Strategieklärung realistisch erscheint) keinen USP dar, sondern nur eine notwendige, aber eben nicht hinreichende Bedingung für das erfolgreiche Agieren in veränderten Märkten. Erforderlich ist die Ergänzung um eine kulturelle Veränderung, also gewissermaßen die Kür, der Banken, die sich wiederum in einer anderen, vor allem auch schnelleren, Kommunikation und insbesondere Interaktion (Co-Creation) mit dem Kunden manifestiert. Diese Erweiterung der technischen Dimension um die passende kulturelle bildet somit im Paket einen eben nicht schnell kopierbaren Wettbewerbsvorteil, einen USP.

Welche Kultur passt zur Digitalisierung? Die Vorreiter der Digitalisierung, Start-ups allgemein und Fintechs im Besonderen, werden in Presse und Öffentlichkeit oft auch als kulturelle Vorreiter angesehen, deren organisatorischer Kern agile Methoden seien. Die Botschaft ist häufig: "Agiere kulturell und organisatorisch wie ein Startup und du wirst die digitale Transformation meistern!"

Aber ist eine Regionalbank oder zumindest in den Regionen tätige Bank mit Filialnetz, und dazu gehören neben den Primärgenossenschaften und Sparkassen auch die deutschen Großbanken, wirklich vergleichbar mit einem Startup? Und besteht die organisatorisch-kulturelle Lösung zur Bewältigung der digitalen Transformation für diese Banken tatsächlich darin, sich weitgehend analog Startups aufzustellen und weite Teile der Belegschaft in agile Methoden einzubeziehen? Um diese fundamentale Frage beantworten zu können, ist zunächst eine nähere Betrachtung des inhaltlichen Kerns einer Agilen Organisation zwingend erforderlich.

Begriffliche Abgrenzung

Der Begriff der Agilen Organisation ist kein streng wissenschaftlich definierter. Je nach Autoren- beziehungsweise Branchenhintergrund finden sich unterschiedliche Abgrenzungen. Hier wird der Definition von Onpulson (www.onpulson.de) beziehungsweise Campus Verlag gefolgt: "Agilität ist die Fähigkeit einer Organisation, flexibel, aktiv, anpassungsfähig und mit Initiative in Zeiten des Wandels und Unsicherheit zu agieren." Hiervon ausgehend stellt sich die Frage, welche wesentlichen Themen für eine derartige Organisation typisch sind, eine häufige Schnittmenge in einem ansonsten unübersichtlichen Meer von Tools und Mind Sets bilden.

Im Rahmen dieser Untersuchung wird hierfür im Wesentlichen Bezug genommen auf Nowotnys Ausführungen (Nowotny 2017, Seite 30) und es findet eine Beschränkung auf die wesentlichen Themen Scrum, Kanban und Design Thinking statt. Das vierte Kernelement, Lean-Start-up, wird an dieser Stelle nicht behandelt, da es für eine typische Primärgenossenschaftsbank aufgrund mangelnder Größe von untergeordneter Bedeutung ist.

Der richtige Partner der Digitalisierung?

Sowohl die begriffliche Definition einer Agilen Organisation wie auch die enorme Zahl von zugeordneten Methoden und Mind Sets erschweren nicht nur eine exakte Abgrenzung, sondern reizen auch geradezu zur Kritik am Konzept insgesamt beziehungsweise an dessen tatsächlich neuen Beiträgen.

Wirklich neu? Die Diskussion hierzu wird teilweise sehr kontrovers geführt. Das Meinungsspektrum reicht hierbei von sehr kritischen Stimmen bis hin zur häufig geäußerten Überzeugung, dass Unternehmen entweder agiler werden oder zum Untergang verdammt sind. Eine besonders kritische Position vertritt hierbei der Organisationssoziologe S. Kühl: "Das, was unter dem Label der "agilen Organisation" propagiert wird, ist kalter Kaffee." (Human Resources Manager, Interview, 16. Januar 2017).

Am anderen Ende der Skala gibt es demgegenüber sehr positive Einschätzungen. So bewertet Hofert agile Vorgehensweisen als besonders, weil sie, im Unterschied zu typischen Prozessmethoden wie Lean Management, "auch soziale und kommunikative Aspekte" umfassen. Sie gelangt zu einem sehr positiven Fazit: "Sie [agile Vorgehensweisen, d. Verf.] sind somit mehr als eine weitere Projekt- oder Prozessmanagementmethode - auch ein Zukunftskonzept und eine Führungsmethode." (Hofert, a.a.O., Seite 2).

Diese Kombination aus spezifischen Projektmanagement- und Prozessmethoden in Verbindung mit den kulturellen Themen stellt somit als Paket für viele sehr wohl etwas Neues dar.

Letztlich sind Neuerungen sehr oft lediglich Kombinationen bereits grundsätzlich zumindest teilweise bekannter Themen. In diesem Sinne wird die Agile Organisation im Folgenden als eine eigenständige und damit abgrenzbare Organisationsform mit einer eng verknüpften spezifischen Unternehmenskultur verstanden.

Der Weg ins Chaos?

Kritiker agiler Methoden sehen diese aber nicht nur letztlich als einen Aufguss längst bekannter Methoden an, sondern teilweise auch als für ein Unternehmen gefährlich. Dies gilt insbesondere für den Fall einer unreflektierten Übernahme der Prinzipien im ganzen Unternehmen. Besonders kritisch wird das für Agile Organisationen typische Element flacher Hierarchien beziehungsweise in Einzelfällen auch der Hierarchielosigkeit gesehen. Eine solche Betrachtung ist jedoch ebenso verengt und einseitig wie die ebenfalls anzutreffende Gegenposition, dass Menschen erhöhte Freiheitsgrade und Selbstverantwortung nicht sinnvoll und zum Wohle des Unternehmens nutzen können.

Die beiden Pole der Organisation - völlig agil versus völlig direktiv sind letztlich auch nur für bestimmte Unternehmens typen geeignet und das wiederum in bestimmten Phasen ihrer Existenz. Während in Startups typischerweise weitestgehend agil gearbeitet wird, finden sich in Konzernen, aber auch traditionellen mittelständischen Unternehmen häufig eher direktive Strukturen. Jedoch sind Unternehmen eben nicht statisch: Startups müssen sich im Laufe ihres Wachstumsprozesses verändern, interne Strukturen aufbauen. Die anfängliche Organisationsform einer weitgehenden Organisationslosigkeit macht das Unternehmen unführbar ab einer gewissen Größe.

Und Großunternehmen, aber auch traditionelle Mittelständler, zu denen auch die Primärgenossenschaftsbanken typischerweise gehören, müssen sich "häuten": Der Wettbewerb in einerseits weitgehend gesättigten und andererseits digitalisierten Märkten verlangt eine Geschwindigkeit, die zumindest in den direkt kundenorientierten, aber auch den kundennahen Bereichen (zum Beispiel Marketing), nur über den Abbau traditioneller Silostrukturen und die zumindest teilweise Einführung agiler Methoden darstellbar ist. Diese laufende Veränderungsnotwendigkeit der Unternehmen wurde bereits von Larry E. Greiner 1972 in seinem Phasenmodell der Organisation aufgezeigt (Evolution and Revolution as Organizations grow, Harvard Business Review, Vol. 50 (4), 1972).

Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die Agile Organisation an sich nicht Unternehmen in den Zustand des Chaos versetzt. Sie muss jedoch effektiv und effizient eingesetzt werden: Effektiv bedeutet in diesem Kontext, dass sie nur dort eingesetzt wird, wo sie einen Mehrwert schafft, also zum Beispiel nicht in einer mittels KVP/Kaizen gut aufgestellten Produktion beziehungsweise typischerweise nicht in linearen oder komplizierten Systemen, sondern im komplexen Umfeld, typischerweise im Vertrieb beziehungsweise Marketing oder F& E. Effizienz wiederum heißt an dieser Stelle, dass auch dort, wo der Einsatz grundsätzlich Vorteile verschafft, nicht eine Flut agiler Methoden mit der Gießkanne über die Organisation ausgeschüttet wird.

Die Lösung aller Organisationsprobleme?

Die Begeisterung, die der Agilen Organisation häufig entgegenschlägt, mündet oft in die Einschätzung, alle Unternehmen müssten "agil" werden und sich vollständig in einen Transformationsprozess hin zur Agilen Organisation bewegen. Hier ist ein gesundes Misstrauen vonnöten, denn kein bisher entwickeltes Führungs-, Organisations-, Prozess- oder Managementmodell hat sich als umfassende Lösung für alle Bereiche eines typischen mittelständischen Unternehmens bewährt.

Die Agile Organisation dominiert jedoch Startups und bewährt sich mit ihrer starken Kundenorientierung seit Jahren in Bereichen wie IT (insbesondere Scrum), Produktentwicklung (Kanban-Boards als eine Methode hierfür) und der Beobachtung des wahren Kundenverhaltens (Design Thinking). Hier liegen auch die potenziellen Einsatzfelder in Genossenschaftsbanken der Primärstufe.

Als Zwischenfazit lässt sich das Zusammenspiel von Digitalisierung und Agiler Organisation wie folgt darstellen (Abbildung 1).

Genossenschaftliche Werte und Agile Organisation - ein Dreamteam?

Zentrale genossenschaftliche Werte: Genossenschaftliche Primärbanken haben eine lange Historie auf der Basis eines klaren und über die Banken hinweg sehr ähnlichen Wertegerüstes. Dieses wird zwar hier und da leicht unterschiedlich formuliert und nuanciert, aber letztlich geht es immer um die vom Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) als Basis einer Strategiepyramide dargestellten Genossenschaftsidee. Diese besteht in der Darstellung des BVR aus den Werten Eigenverantwortung, Selbstständigkeit, Subsidiarität und Solidarität. Hiermit eng verwandt und von diversen Kreditgenossenschaften zusätzlich aufgeführt sind die Werte Nachhaltigkeit und Beteiligung. Diese Genossenschaftsidee ist es, die einerseits den Unternehmenskern bildet und damit zugleich Grundlage der Bildung von USPs ist.

Die Genossenschaftsidee genügt damit aber zugleich im besonderen Maße aktuellen Anforderungen an die Unternehmensführung, wie sie zum Beispiel von Reinhard K. Sprenger prägnant formuliert werden. Er fordert vehement Eigenverantwortung in den Unternehmen ein und hält resigniert fest: "Den verantwortlichen Menschen haben wir offenbar historisch hinter uns gelassen (R. K. Sprenger, a.a.O., Seite 133).

Es ist genau diese Selbstverantwortung, die in der Genossenschaftsidee auf der tiefsten Ebene fest verankert ist.

Vergleich mit den agilen Werten: Die wichtigsten agilen Werte (vergleiche Hofert, a.a.O., Seite 11) sind: Selbstverpflichtung, Rückmeldung, Fokus, Kommunikation, Mut, Respekt, Einfachheit und Offenheit. Diese Werte sind die Grundlage der agilen Prinzipien und damit wiederum aller agilen Methoden.

Es kann somit konstatiert werden, dass die genossenschaftlichen Werte grundsätzlich gut vereinbar sind mit den Werten der Agilen Organisation. Hierbei ist insbesondere das beiden gemeinsame Prinzip der Eigenverantwortung/Selbstverpflichtung hervorzuheben. Aber auch die agilen Werte Mut, Respekt und Einfachheit passen sehr gut zu dem Wertesystem einer regional aufgestellten Genossenschaftsbank, die in unternehmerischer Verantwortung vor Ort unbürokratische Lösungen auf kurzen Wegen für ihre Kunden sucht.

Beispielhafte Anwendungen in einer Primärbank

Design Thinking: In der Westerwald Bank eG wurde Design Thinking bisher in folgenden Themen getestet:

- zur Beobachtung des Kundenverhaltens im Servicebereich, - als Qualifizierungsbaustein und angewandte Methodik für die Gruppe der Potenziale und

- als eine Möglichkeit, die "Voice of Customer" im Rahmen des von der Bank zur Prozessoptimierung verwendeten Lean-Six-Sigma-Ansatzes zu befüllen.

Der bisherige Einsatz hat gezeigt, dass Design Thinking eine wertvolle Möglichkeit darstellt, die "wahren" Kundenwünsche zu ermitteln. Gerade hier zeigt sich, dass Digitalisierung nötig, aber nur Pflicht ist, während eine begleitende Organisationsveränderung die Kür darstellt: Kundenbefragungen auf standardisierten Fragenbögen werden durch ihre Digitalisierung zwar besser handhabbar und auswertbar. Jedoch ändert sich die inhaltliche Qualität nicht: Der Kunde wird weiterhin kognitiv und vorgesteuert abgefragt.

Ganz anders Design Thinking: Es ermöglicht eine ganz andere, höhere Qualität der Kundenbefragung. Mittels Beobachtung des tatsächlichen Verhaltens nähert man sich den echten Wünschen des Kunden, die oftmals eben nicht in einer standardisierten Befragung zutage gelangen, an. Gewissermaßen steigt der Beobachter in die Gefühlswelt des Kunden ein und mit diesem dann wieder empor in die kognitive Beschreibung des bisher dem Kunden selbst nicht bewusst bekannten Wunsches.

Kanban Boards: Kanban Boards werden in jeweils individualisierter und teilweise auch in digitalisierter Form in folgenden Teams eingesetzt: Bereich Organisation, in Teilen der Marktfolge und im Retailgeschäft. Die bisherigen Einsätze mit digitalen und nicht digitalen Kanban Boards zeigen die Flexibilität des Tools ebenso auf wie seine Nützlichkeit bei der Strukturierung von Arbeiten und dem Fördern und Einfordern von Eigenaktivität der Mitarbeiter/innen.

Scrum: Scrum als ein zentrales Tool des Baukastens agiler Methoden, ist unverändert primär im IT-Bereich im Einsatz. Es wird auch in der Westerwald Bank eG nicht direkt eingesetzt. Jedoch wurde zur Entwicklung und wird für die Weiterentwicklung der Regionale-App der Bank ("WWir", vergleiche www.westerwaldbank.de) mit einer Agentur zusammengearbeitet, die diese App im Scrum-Verfahren entwickelte. Hierbei waren auch Mitarbeiter/innen der Bank eingebunden, wodurch ein Einblick in dieses Verfahren ermöglicht wurde.

Die agile Filiale als spezifische Erweiterung der agilen Toolbox: Die Digitalisierung wird häufig geradezu als natürlicher Feind und Sargnagel der Bankfiliale betrachtet. Hinzu gesellt sich die Agile Organisation, die dabei hilft, Digitalisierung schnell und kundenorientiert umzusetzen. In diesen Konzepten hat eine Bankfiliale, immerhin das Markenzeichen klassischer Universal- und insbesondere Regionalbanken, scheinbar keinen Platz mehr. Diese Sichtweise ist aber wiederum selbst "digital", im Sinne einer undifferenzierten oder Schwarz-Weiß-Betrachtung.

Wenn für eine Volksbank Raiffeisenbank folgende Hypothesen gelten:

- die personenbesetzte Filiale bleibt ein wichtiger Kundenkontaktpunkt und Vertriebskanal,

- die Filiale bleibt auch als Unterscheidungsmerkmal zu Direktbanken von großer Bedeutung,

- die digitale Transformation ist unvermeidlich,

- eine damit verbundene kulturelle Flankierung Veränderung (Einführung agiler Methoden) ist unvermeidlich, dann muss sich auch die Filialgestaltung und Filialentwicklung grundlegend verändern.

Die Filiale muss somit Teil der digitalen Transformation und der Einführung agiler Methoden werden. Andererseits stellt sie einen Anachronismus dar, der sich in der Bank zunehmend zu einer "Museumsinsel" entwickelt und den Anschluss an die anderen Kundenkontaktpunkte und weite Teile der Kundschaft völlig verliert.

Technologisch betrachtet, heißt es also auch für die Filiale: sie muss modernste Technologie bieten und diese mit ihrem Vorteil - dem direkten Kundenkontakt zu etwas Neuem Verbinden, das sich mit "Heimat und High-Tech" beschreiben lässt. Der lokale Kern genau dieses Standortes muss herausgearbeitet werden und mit modernster Technologie zu einem Anziehungsmagneten im Ort werden.

Verbindung agiler Methoden mit der Filiale

Die organisatorische Sicht, im Sinne der Verbindung agiler Methoden mit der Filiale, beinhaltet verschiedene Stufen:

- Planung und Entwicklung der Filiale primär durch Kunden und Mitarbeiter/innen dieser Filiale (agiler Wert Selbstverpflichtung).

- Nach der Eröffnung laufende Erprobung neuer Themen, der zugehörigen Beurteilungen (agiler Wert Feedback) und dann konkrete Optimierung genau dieser Themen (agiler Wertfokus).

Hier handelt es sich somit insgesamt um ein scrum-ähnliches Vorgehen.

Einsatz von Design Thinking zur Beobachtung des Kundenverhaltens, insbesondere im Servicebereich.

Eine Filialentwicklung und ein Filialbetrieb in diesem Sinne verbindet digitale Transformation, ausgewählte Aspekte der Agilen Organisation mit den einzigartigen Vorteilen, die so nur eine Filiale bieten kann.

Die Diskussion der Agilen Organisation ist untrennbar mit derjenigen einer erfolgreichen digitalen Transformation verknüpft. Wird die letztlich marktgetriebene, digitale Transformation in den Genossenschaftsbanken, also die "Pflicht", nicht bewältigt, ist die Erörterung oder gar Einführung agiler Methoden, die "Kür", sinnlos. Primäres Erfolgsrezept für die erfolgreiche digitale Transformation ist eine adäquate Digitalisierungsstrategie. Wird Digitalisierung erfolgreich betrieben, ist jedoch nur die notwendige Bedingung für ein Alleinstellungsmerkmal in digitalisierten Märkten erfüllt. Technologie ist nur ein Mittel und schnell kopierbar. Es ist die passende Organisationsform und damit auch Führungs- und Kommunikationskultur, die den Unterschied macht und die hinreichende Bedingung für einen USP schafft.

Die Analyse hat gezeigt, dass die zielgerichtete und selektive Einführung ausgewählter Elemente der Agilen Organisation eine Genossenschaftsbank der Primärstufe im Prozess der digitalen Transformation stark unterstützen kann. Deutlich wurde aber auch, dass eine undifferenzierte Einführung agiler Methoden quer über die Bank hinweg ähnlich negative Ergebnisse zeitigen würde wie eine ungeordnete Digitalisierung. Mithin ist also letztlich neben einer Digitalisierungsstrategie auch eine dazu passende Organisationsstrategie erforderlich. Diese Organisationsstrategie, so zeigte die Analyse, wird für eine typische Genossenschaftsbank sowohl klassische Organisationselemente wie auch Methoden der Agilen Organisation beinhalten.

Eine hybride Strategie

Letztlich geht es also um eine hybride Strategie, die ein schnelles Adaptieren und Verändern (arbeiten am System) mit weiterhin effizientem Abwickeln und Optimieren im Rahmen des bisherigen Geschäftsmodells (arbeiten im System) verbindet.

Die Genossenschaftsidee mit ihren zentralen Werten, in der es immer um die Autonomie des Individuums und dessen aufrechten Gang geht, ist also einerseits - sofern ernsthaft gelebt - mit den acht wesentlichen Werten der Agilen Organisation hervorragend kombinierbar und damit auch unter organisationstheoretischen Überlegungen zukunftsfähig. Gleichzeitig kann sie aber auch hervorragend mit den effizienzgetriebenen und teamorientierten Ansätzen wie KVP und Lean kombiniert werden, da genossenschaftliches Denken immer um langfristiges gemeinsames Überleben in einer Marktwirtschaft kreist.

Grafisch lässt sich die Kombination der drei ausführlich behandelten Faktoren Digitale Transformation, Agile Organisation und Genossenschaftliche Werte als genossenschaftliche Erfolgspyramide verstehen (Abbildung 2): Die Pyramide ruht fest auf der Genossenschaftsidee und verjüngt sich hin zum aktuellen Trend der Agilen Organisation. Genauso gut lässt sich die Genossenschaftsidee als Fuß einer anderen Pyramide, zum Beispiel mit "Prozessoptimierung" auf der mittleren und "Lean-Six-Sigma" als Spitze kombinieren. Es sind also die enorme strategische Flexibilität, die Wandlungsfähigkeit bei gleichzeitig klar definiertem Markenkern, die die Genossenschaftsidee und damit auch die Genossenschaftsbanken so stark und nachhaltig überlebensfähig gestalten.

Literatur

- Greiner, L.E., "Evolution and Revolution as Organizations grow", Harvard Business Review, Vol. 50 (4), 1972.

- Hofert, S., "Agiler führen - einfache Maßnahmen für bessere Teamarbeit, mehr Leistung und höhere Kreativität", Wiesbaden 2016.

- Kühl, S., "Wenn die Affen den Zoo regieren - die Tücken der flachen Hierarchien", Frankfurt 2015.

- Kühl, S., "Sisyphos im Management - die vergebliche Suche nach der optimalen Organisationsstruktur", 2. Akt. Auflage, Frankfurt/Main 2015.

- Laloux, F., "Reinventing Organizations - A Guide to Creating Organizations Inspired by the Next Stage of Human Consciousness", Kindle ebook 2014.

- Meyer, J.-U., "Digitale Disruption - die nächste Stufe der Innovation", Göttingen 2016.

- Nowotny, V., "Agile Unternehmen - fokussiert, schnell, flexibel. Nur was sich bewegt, kann sich verbessern", 3. Auflage, Göttingen 2017.

- Sprenger, R. K., "Das anständige Unternehmen", München 2015.

- Welch, J./Welch, S., "Winning - das ist Management", Frankfurt 2005.

Ralf Kölbach , Mitglied des Vorstands, Westerwald Bank eG, Montabaur

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