Agile Organisationsstrukturen im Spannungsfeld zwischen Arbeits- und Bankenaufsichtsrecht

Daniel Happ, Foto: Noerr LLP

Die agile Transformation ist allgegenwärtig. Für Kreditinstitute ergeben sich dabei Herausforderungen auf unterschiedlichen Ebenen. Im Artikel gibt der Autor zunächst einen verständlichen und klar strukturierten Einblick in das Wesen einer agilen Organisationsform. Nach einer Würdigung der Vorteile einer agilen Organisation analysieren die Autoren die rechtliche Lage. Insbesondere bei Kreditinstituten stelle sich dabei nicht nur die Frage nach arbeitsrechtlichen Hürden. Hier spielt auch die Regulatorik eine zunehmend große Rolle, die auch bei dem Umbau zu einer agilen Organisationsform Hindernisse aufbaut. Insbesondere interne Kontrollfunktionen (Compliance, Risikomanagement et cetera), die aus aufsichtsrechtlicher Sicht in eigenen, getrennten und unabhängigen Organistionseinheiten auftreten sollen, können Hürden auf dem Weg zur vollständig agilen Transformation einer Bank sein. (Red.)

Noch im Jahr 2014 äußerte der CIO der Commerzbank in einem Interview, dass bei den kurzen Entwicklungszeiten, die der hausinternen IT-Abteilung zur Verfügung stehen, "agile Arbeitsmethoden gebraucht würden"; dies sei jedoch nicht möglich: "unsere bankinternen Projekte erfordern das Wasserfall-Modell".1) Seitdem hat sich viel verändert: Nicht nur ist mit der ING DiBa die erste "agile Großbank" auf dem Markt präsent,2) sondern sowohl der Durchsatz an agilen Unternehmen(-sabteilungen) als auch das regulatorische Umfeld der Bankenwelt haben sich gewandelt.

Die agile Transformation als weichenstellendes Zukunftsthema füllt dieser Tage die Projektdiskussionen in Unternehmen aller Größenordnungen. Angesichts des Grades der damit verbundenen Umstellungen ist die Transformation hin zu einer agilen Organisationsstruktur mehr als eine übliche trendgetriebene Erneuerung. Sie wird von vielen Verantwortlichen mehr als "essential" statt als "nice-to-have" gesehen.

Herausforderungen bei der agilen Transformation

Für die mit der Thematik Betrauten ergeben sich dabei vor, während und nach Abschluss des Projektes "Agile Transformation" Herausforderungen auf unterschiedlichen Ebenen. Zunächst stellt sich die Frage nach der passenden agilen Philosophie, da es neben "Scrum" eine kaum zu überschauende Vielfalt von Abwandlungen wie "eXtreme programming (XP)", "lean software development", "feature-driven development (FDD") und "crystal methodologies", also nicht "die eine" agile Organisationsstruktur gibt.3)

Ist diese, mitunter schwierige, Wahl getroffen, sehen sich die Projektverantwortlichen Herausforderungen bei der Umstrukturierung gegenüber, die sich zu einem erheblichen Teil aus dem Arbeitsrecht speisen. Zu der problembehafteten Umstrukturierungsthematik, die bereits an sich die Verantwortlichen vor hinreichende Herausforderungen stellt, gesellt sich im Finanzdienstleistungsbereich die restriktive Regulatorik. Die regulatorischen Anforderungen gehen mit einem Mehr an Kontrolle und der Schaffung klarer Strukturen und Verantwortlichkeiten sowie institutionalisierten Abläufen einher. Man muss keine Ausbildung zum Scrum Master4) genossen haben, um den Zielkonflikt zu agilen Organisationstrukturen zu entdecken.

Soweit ersichtlich beschränkt sich die Diskussion in der juristischen Literatur bislang auf die Frage, mit welchen Mitteln der agile Transformationsprozess an sich durchzuführen ist.5) Unbehandelt blieb die konzeptionell vorgelagerte Frage nach den Wechselwirkungen zwischen der vordergründig freiheitlicheren Arbeit des Einzelnen und den unverändert bestehenden oder gar zunehmenden regulatorischen Rahmenbedingungen.

An dieser Stelle soll der vorliegende Beitrag einen Schritt nach vorn leisten. Zunächst wird eine agile Organisationstruktur am Beispiel der agilen Arbeitstechnik Scrum erläutert, um in einem zweiten Schritt - nach der Herausarbeitung des arbeitsrechtlichen Kerns - die Frage zu behandeln, ob und wenn ja inwieweit sich eine agile Organisationsstruktur im Rahmen des Bankenaufsichtsrechts umsetzen lässt.

Agile Arbeitsweise am Beispiel Scrum

Das Scrum Team bietet sich für die bevorstehende Betrachtung an. Zum einen steht mit dem Scrum Guide eine Art ausgearbeiteter Best-Practice-Leitfaden zur Verfügung.6) Zum anderen ist Scrum in Reinform oder in Abwandlungen die in der Praxis derzeit wohl am häufigsten anzutreffende agile Organisationsstruktur.7)

Scrum Teams zeichnen sich dadurch aus, dass die Teammitglieder den Arbeitsprozess eigenverantwortlich und ohne arbeitsrechtliche Weisungen selbstständig organisieren. Scrum versteht sich dabei lediglich als Rahmenwerk, in dem Personen miteinander komplexe Aufgabenstellungen bearbeiten können und nicht etwa als Prozess oder Methodik. Man arbeitet nicht "nach Scrum Prinzip", sondern man wird ein Scrum Team, das sich abseits der täglichen Meetings eigene Abläufe gibt und dabei auch einstmalige Vorgesetztenaufgaben wie Genehmigung und Koordination von Urlaub und tägliche Arbeitszeit bis hin zur Sitzordnung selbst gestaltet.

Das Scrum-Rahmenwerk besteht aus vorgegebenen Rollen sowie aus Regeln des konkreten Arbeitsablaufs, in dem das Ergebnis erarbeitet wird. Ein Scrum Team besteht typischerweise aus einem kleinen, zum Beispiel sechsköpfigen, interdisziplinären Team sowie einem Product Owner und einem Scrum Master. Im Scrum Team bestehen keine Hierarchien. Das Team erarbeitet das Arbeitsergebnis in mehreren Abschnitten (Sprints). Der jeweilige Sprint beginnt mit der Festlegung der zu erledigenden Arbeitsprozesse (Sprint Planning). Der eigentlichen Arbeit geht täglich eine Eingangsbesprechung voraus (Daily Scrum). Hierin wird in der gebotenen Kürze die Arbeit der nächsten 24 Stunden geplant. Dies erfolgt unter Berücksichtigung der seit dem letzten Daily Scrum erreichten Fortschritte und Erkenntnisse.

Der Product Owner gibt die zu erarbeitenden Produkteigenschaften zu Beginn im Product Backlog vor. Die Anforderungen an das Produkt werden als User Stories in das Product Backlog eingetragen. Die Produkteigenschaften und damit auch das Product Backlog werden allerdings häufig im folgenden Entwicklungsprozess vom Team in Rücksprache mit dem Product Owner angepasst.

Der Product Owner entscheidet, ob im Sprint das jeweilige Ziel erreicht wurde, welche Punkte noch abgearbeitet werden müssen und ob die Entwicklung des Produkts beendet ist. Er aktualisiert jeweils das Product Backlog und kennzeichnet erreichte Backlog-Einträge als "done". Der Scrum Master ist als Coach für die Beachtung der zur Zusammenarbeit im Scrum Team festgelegten Regeln zuständig und unterstützt das Team bei der Organisation der Arbeitsweise. Darüber hinaus dient er auch der Koordination zwischen verschiedenen Teams. Weder der Product Owner noch der Scrum Master verfügen über arbeitsrechtliche Weisungsbefugnisse. Scrum Teams bestehen teils allein aus unternehmensinternen Mitarbeitern, teils werden sie (auch) aus Externen gebildet.

Vorteile: Zeit- und Kostenersparnis

Entscheidendes Kriterium für die Wahl agiler Organisationsstrukturen ist zumeist eine verkürzte Produktentwicklungszeit. Darüber hinaus können sich weitere Vorteile bieten. Durch die Arbeit in Scrum Teams soll die Produktivität einzelner Arbeitstechniken sowie des bestehenden Projektmanagements transparent werden. Die täglichen Besprechungen, wie auch die Abschlussbesprechungen nach den jeweiligen Sprints (Sprint Retrospektive) erlauben es, Erkenntnisse quasi in Echtzeit in zukünftige Arbeitsprozesse zu implementieren sowie den Projektfortschritt jederzeit zu erfassen.

Aufgrund der Zerteilung des Gesamtprojekts in viele kurze Zeitabschnitte wird all dies zu einem überschaubaren Kostenfaktor ermöglicht. Auf diese Weise erhöht die Struktur die Planungssicherheit bei zugleich größtmöglicher Aktualität und Effizienz. Ferner steigert die eigenverantwortliche interdisziplinäre Tätigkeit des Teams nicht nur die Innovationsfähigkeit, integraler Bestandteil dieser Zusammenarbeit ist der ständige Austausch untereinander. Auf diese Art wird eine konstante Weiterbildung und Entwicklung der einzelnen Teammitglieder erreicht und zwar als inhärenter Bestandteil der Arbeitsorganisation und nicht als Randaspekt. Als positiver Nebeneffekt für das Unternehmen ergibt sich ferner eine Minimierung von Silodenkweisen und Automatismen.

Arbeitsrechtliche Folgen agiler Strukturen

Vorschnell könnte man auf den Gedanken zu kommen, bei der beschriebenen Arbeitsorganisation handele es sich letztlich um eine Umverteilung alter Management-Rollen. Aus dem Abteilungsleiter werde dann eben der Product Owner. Dem ist indes nicht so.

Der arbeitsrechtliche Dreh- und Angelpunkt einer herkömmlichen Arbeitsorganisation ist das Direktionsrecht. Dieses Recht stellt für gewöhnlich das "Werkzeug" dar, mit dem der Arbeitgeber die Tätigkeit des Arbeitnehmers steuert und gegenüber der allgemeinen Tätigkeitsbeschreibung im Arbeitsvertrag konkretisiert. Gemäß §§ 106 S. 1 GewO, 611a Abs. 1 S. 2 BGB kann der Arbeitgeber dabei Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen. Wie weit das Direktionsrecht im Einzelfall reicht, hängt davon ab, wie präzise die auszuübende Tätigkeit im systematisch vorrangigen Arbeitsvertrag definiert wurde. Grundsätzlich gilt, je allgemeiner die Tätigkeitsbeschreibung gehalten ist, desto weiter reicht die Konkretisierungsbefugnis des Arbeitgebers via Direktionsrecht.8)

Der strukturelle Rahmen der Scrum Teams unterscheidet sich ganz wesentlich von einer herkömmlichen Organisationsform. Jede Person hat zwar eine Rolle im Team; diese Strukturvorgaben dienen aber lediglich dazu, dem Team eine möglichst schnelle und autonome Adaption zu ermöglichen. Wie das einzelne Teammitglied seiner Rolle gerecht wird - in welchem zeitlichen und örtlichen Kontext - ist ihm überlassen. In arbeitsrechtliches Vokabular übersetzt bedeutet das: Die tatsächliche Tätigkeit eines jeden einzelnen Teammitgliedes erfolgt weisungsfrei. Aus der Zuweisung von Tätigkeiten qua Direktionsrecht ("Push") wird im Scrum Team eine eigenverantwortliche Auswahl und Erledigung der Tätigkeit aus einem bestehenden Angebotspool, dem Product Backlog ("Pull").

Dabei bestehen verschiedene rechtliche Möglichkeiten, wie die Weisungsfreiheit erreicht werden kann. Welche dies sind und welche - möglicherweise unterschiedlichen - arbeitsrechtlichen Konsequenzen damit einhergehen, wird im Folgenden erörtert.

Die radikalste Variante, eine weisungsfreie Arbeitsorganisation - und damit den Kern agiler Strukturen - herbeizuführen, ist die vertragliche Abbedingung des Direktionsrechts. Gemeint ist damit stets der tätigkeitsbezogene Teil des Direktionsrechts (auch fachliches Weisungsrecht genannt). Schlicht aus seiner Stellung als Vertragspartei des Arbeitsvertrages heraus hat der Arbeitgeber auch in einem tätigkeitsbezogen direktionsfreien Arbeitsverhältnis stets noch das - teils missverständlich als disziplinarisches Direktionsrecht bezeichnete - Recht inne, den Arbeitsvertrag zu kündigen oder andere vertragsmodifizierende Maßnahmen zu ergreifen.

In Bezug auf das tätigkeitsbezogene Direktionsrecht ist sich die arbeitsrechtliche Literatur weitgehend einig, dass ein echter Verzicht im Sinne einer vertraglich vereinbarten Weisungsfreiheit zulässig ist.9) So ist es zum Beispiel zur Praxis bei der Anstellung von Syndikus-Rechtsanwälten geworden, dass diese, um den Anforderungen der Bundesrechtsanwaltsordnung gerecht zu werden, "weisungsfrei gestellt" werden. Sie gestalten ihre juristische Tätigkeit eigenverantwortlich. Typischerweise handelt es sich in der Praxis bei weisungsfrei gestellten Arbeitnehmern um solche, denen wegen ihrer hochgradigen Spezialisierung bereits faktisch keine tätigkeitsbezogenen Weisungen erteilt werden. Aufseiten des Arbeitgebers existiert schlichtweg kein Pendant, das über die dazu notwendigen Qualifikationen verfügt. Gleichzeitig ist es - insbesondere bei Betriebssonderbeauftragten - teilweise auch von Gesetzes wegen vorgegeben, dass ihre Tätigkeit in fachlicher Hinsicht ohne Intervention des Arbeitgebers verrichtet werden muss.10) Diesen Arbeitnehmern ist gemein, dass sie zwar zu einem fixen Berufsbild eingestellt sind und sie sich auch etwa dem zeitlichen, örtlichen und organisatorischen Rahmen des Arbeitgebers fügen müssen. Im Kern sind sie jedoch, bei der Frage, wie die von ihnen geschuldete Tätigkeit erbracht wird, frei.

Ein Arbeitgeber, der einzelnen Arbeitnehmern derartige Freiheiten lässt, verlässt dadurch auch nicht den Boden des deutschen Arbeitsrechts. Zwar ist das Direktionsrecht Kennzeichen des Arbeitsvertrages; durch den vertraglichen Verzicht darauf wird allerdings aus dem Arbeitsverhältnis kein (freies) Dienstverhältnis. Im Bereich des Direktionsrechtsverzichts besteht der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellte Grundsatz, dass Vertragsparteien, die auf dem Papier die Bezeichnung "Arbeitsvertrag" wählen, diese Wahl auch unabhängig von der Ausgestaltung der Tätigkeit beibehalten dürfen, weil sie damit letzten Endes nur in das höhere Schutzniveau des Arbeitsrechts optieren.11)

Ebenso einig wie darüber, dass dieser Verzicht rechtlich zulässig ist, ist sich die arbeitsrechtliche Literatur richtigerweise darin, dass von einem solchen Vorgehen abzuraten ist. Der Arbeitgeber benimmt sich mit einem "harten" Direktionsrechtsverzicht sämtlicher Steuerungsmöglichkeiten. Kommt es etwa in weisungsfreien Arbeitsverhältnissen zu einer Situation, in der die fachliche Meinung/Arbeitsweise eines Team-Mitglieds zu Störresonanzen führt, sind dem Arbeitgeber die Hände gebunden. Sein Einflussbereich beschränkt sich allein auf Zielvorgaben; Handlungsanweisungen sind nicht möglich.

Faktischer Verzicht auf das Direktionsrecht

Um die Vorteile einer selbstorganisierten Arbeitsweise mit dem Sicherheitsfallschirm der Eingriffsmöglichkeit via Direktionsrecht zu verbinden, bietet sich deshalb ein Mittelweg an. Nach unwidersprochener Auffassung ist es dem Arbeitgeber ebenso möglich, das ihm zustehende Direktionsrecht vertraglich unangetastet zu lassen, faktisch jedoch auf seine Ausübung zu verzichten. Die Umsetzung in der Praxis erfolgt, indem der Arbeitgeber sich darauf beschränkt, nicht dem Individuum, sondern dem Team initial in Form des Product Backlogs und den darin enthaltenen "User Stories" einen Arbeitsauftrag zuzuweisen. Danach enthält er sich weiterer Eingriffe, die ihm rechtlich jedoch weiterhin jederzeit möglich sind.

Die Rechtsprechung hat hierzu festgestellt, dass eine bloße - auch längerfristige - Nichtausübung des tätigkeitsbezogenen Direktionsrechts keinen Anspruch des Arbeitnehmers auf eine dauerhaft weisungsfreie Tätigkeit begründet. Der Arbeitgeber wird der Ausübung des Direktionsrechts also nicht durch eine dauerhafte Nichtausübung verlustig.

Allein aus dem arbeitsrechtlichen "Können" kann nicht auf das aufsichtsrechtliche "Dürfen" geschlossen werden. Für die vorliegende Betrachtung sind vor allem jene Normen von zentraler Bedeutung, die sich mit den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation beziehungsweise mit der internen Corporate Governance befassen. Zu nennen sind an dieser Stelle insbesondere die §§ 25a Abs. 1, 3 sowie 25c Abs. 3, 4a KWG. Daneben finden sich mannigfaltige Vorgaben auch auf untergesetzlicher Ebene, wie zum Beispiel in MaRisk12) , Ma-Comp13) und BAIT14) sowie in den EBA Guide lines15).

Aus einer Zusammenschau der genannten Regelungen lassen sich einige Grundsätze extrahieren, an denen sich eine agile Organisationsstruktur messen lassen muss:

- Auch eine agile Organisationsstruktur muss klar definiert sein und eindeutig bestimmte, transparente sowie konsistente Zuweisungen von Verantwortlichkeiten enthalten.

- Die Arbeitsabläufe sind transparent und nachvollziehbar zu dokumentieren.

- Bei der Implementierung wie auch in der täglichen Praxis ist auf mögliche Interessenkonflikte zu achten, die daraus entstehen können, dass Mitarbeiter eng in Projekten zusammenarbeiten, obwohl eine organisatorische Trennung aufsichtsrechtlich angezeigt ist. Dies bedeutet insbesondere, dass interne Kontrollfunktionen (Risikomanagement, Compliance und interne Revision) unabhängig sein müssen. Dies umfasst jedenfalls bei einem systemrelevanten Institut auch eine eigenständige Organisationseinheit.

Reibung zwischen Bankenaufsicht und agilen Strukturen

Die aufgezeigten Grundkonzepte scheinen einander zu widersprechen. Hier ein starres Korsett mit einem Höchstmaß an Steuerungsfähigkeit und klar nachvollziehbarer Einzelverantwortlichkeit, dort ein output-fokussiertes Organisationssystem, weitgehend ohne Interventionsmöglichkeiten während des laufenden Prozesses und mit Verantwortlichkeit wesentlich auf Teamebene. Dagegen finden sich jedoch auch Stimmen, die Agilität gerade als Mittel betrachten, zunehmender und schnelllebiger Regulatorik zu begegnen. Nur wer als Bank in der Lage sei, seine Entwicklung auch im laufenden Prozess an den geltenden Stand des aufsichtsrechtlichen Umfelds anzupassen, könne mit einer signifikanten Reduktion von Produktzyklen rechnen.16) Es drängt sich daher die Frage auf, ob sich diese Reform des Arbeitens und dabei insbesondere der Verantwortlichkeit in einer ausschlaggebenden Breite auf Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche übertragen lässt oder aber dieser Schritt durch die um sich greifende Regulatorik verhindert wird.

Eine absolute Beantwortung dieser Frage ist nicht möglich und wäre - sollte dies denn gewagt werden - weder redlich noch den mannigfaltigen Ausgestaltungen in der Lebenswirklichkeit angemessen.

Grundsätzlich gilt, dass Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortlichkeiten und Berichtslinien für alle Beteiligten klar und nachvollziehbar dokumentiert sein müssen. Eine solche Vorgabe scheint auf den ersten Blick den Kern agiler Strukturen zu konterkarieren. Dies ist jedoch nicht unbedingt der Fall. Dem Aufsichtsrecht ist an dieser Stelle Genüge getan, wenn man sich darauf verständigt, wie innerhalb der Organisationstruktur die Aufgaben verteilt werden und damit auch entsprechende Verantwortlichkeiten und Kompetenzen einhergehen. Für eine hinreichende Organisationsstruktur ist es nicht erforderlich, dass dem Product Owner auch ein tätigkeitsbezogenes Direktionsrecht zusteht. Klar festgelegt werden muss jedoch, wer an wen berichtet.

Ein unumstößliches Hindernis für eine freie Zusammensetzung agiler Teams folgt jedoch aus dem Grundsatz der Vermeidung von Interessenkonflikten. So ist eine Funktionstrennung zwischen Markt, Handel und Marktfolge zu beachten. Diese Trennung bedeutet, dass zum Beispiel ein Bereich, der Kreditgeschäfte initiiert und bei Kreditentscheidungen über ein Votum verfügt (Markt), von einem Bereich bereits aufbauorganisatorisch (!) zu trennen ist, der bei Kreditentscheidungen ebenfalls über ein Votum verfügt (Marktfolge). Diese aufbauorganisatorische Trennung soll bis einschließlich zur Ebene der Geschäftsleitung erfolgen.17) Damit dürfte es kaum vereinbar sein, Mitarbeiter von Markt und Marktfolge einem Scrum Team zuzuordnen. Insbesondere die Rolle eines sogenannten Customer Journey Expert wird im Einzelfall bei marktfolgeorientierten Scrum Teams sehr genau zu prüfen sein. Dies führt dazu, dass eine völlig freie Bildung der Scrum Teams vor dem Hintergrund des Aufsichtsrechts nicht zu erreichen ist.

Einen gordischen Knoten bildet aus aufsichtsrechtlicher Sicht ebenso die Unabhängigkeit der Bereiche, die mit internen Kontrollfunktionen betraut sind. Eine Eingliederung der damit befassten Personen in interprofessionell agierende Teams würde ihre Unabhängigkeit gefährden. Insbesondere bei systemrelevanten Instituten stünde einer solchen Eingliederung auch das Erfordernis der Ansiedlung dieser Bereiche in einer eigenen Organisationsstruktur entgegen.

Ausgehend von den dargestellten Widersprüchen lassen sich für die der Betrachtung zugrunde liegende Thematik zwei Formen einer regulatorisch konformen agilen Organisationsstruktur ausmachen:

Agile Inseln - partiell echte agile Transformation

Die partiell echte agile Transformation kennzeichnet Fälle, in denen die Arbeitsorganisation teilweise, zum Beispiel beschränkt auf einzelne Abteilungen, in agile Strukturen überführt wird. Diese Abteilungen arbeiten fortan agil und es entsteht ein Miteinander von agil und "klassisch" tätigen Mitarbeitern unter dem Dach einer Organisation. Diese Erscheinungsform ist, gerade da agile Strukturen in der Breite erst am Anfang stehen, eher die Regel als die Ausnahme. Dies gilt insbesondere für Unternehmen in der Einführungsphase der Agilität. Die neuen, agilen Bereiche innerhalb bestehender Organisationen tragen dann häufig Namen wie "Innovationslabor" oder auch "Digital:Lab".18)

Ob diese Spielart einem Unternehmen Vorteile bietet, hängt davon ab, wie sich die Arbeitsergebnisse des agilen Bereiches in das Produktangebot des Unternehmens einfügen. Handelt es sich bei den in agiler Form erstellten Ergebnissen um abgeschlossene und an sich verwertbare Erzeugnisse, bieten sich im Wesentlichen die oben genannten Vorteile ohne Abzüge. Differenzierter zu betrachten sind die Fälle, in denen erst durch die Zusammenarbeit verschieden organisierter Arbeitsgruppen ein verwertbares Produkt entsteht. Für die hinreichende Nutzung der Vorteile ist in diesen Fällen die Ausgestaltung der Schnittstellen zwischen agil und "klassisch" tätigen Mitarbeitern von entscheidender Bedeutung. Wird die agil tätige Gruppe in ihrer Arbeitsweise durch auf klassische Weise arbeitende Bereiche zu stark eingebremst, sei es in der Adaption neuer Erkenntnisse oder der Umsetzung innovativer Ideen, so besteht das Risiko, dass die zunächst entstehenden Vorteile auf Dauer verloren gehen. Um Wartezeiten zu verkürzen und Rückschläge zu vermeiden, sinkt die Produktivität des agil arbeitenden Bereiches ab. Aus dieser Position heraus erschließt sich die Bedeutung des Scrum Masters. Er agiert genau an dieser Schnittstelle und sorgt für eine möglichst reibungslose Zusammenarbeit, in der insbesondere die agil tätigen Mitarbeiter ihr Potenzial möglichst vollends entfalten können.

Hybridmodell - klassische Abläufe in agiler Struktur

Demgegenüber finden sich in der Praxis vielfach agile Organisationsstrukturen, die allerdings in einzelnen besonders kritisch eingestuften Bereichen weiterhin gewöhnliche Berichtspflichten und Direktionsrechte aufweisen.

Hierbei handelt es sich bei nüchterner Betrachtung um Arbeitsorganisationen, in denen die Tätigkeit wie bisher in hierarchisch aufgebauter Struktur mit übergeordneten Verantwortlichkeiten erfolgt (Wasserfall), in denen Mitarbeitern aber unter Umständen Freiheit bei der Erledigung der alltäglichen, unkritischeren Aufgaben eingeräumt wird. Dies widerspricht dem Idealbild der Agilität, denn der Kern, aus dem sich die Vorteile der Agilität schöpfen, ist die Transparenz des Prozesses und eigenverantwortliche Erarbeitung der Ergebnisse, insbesondere unter Adaption der gewonnenen Erkenntnisse. Hierbei spielen Rückschläge und Misserfolge eine bedeutende Rolle. Ein Durchregieren qua Direktionsrecht setzt hier also an einem kritischen Punkt an.

Das Bankenaufsichtsrecht wird von grundsätzlich anderen Beweggründen getragen als die Vision einer agilen Arbeitswelt. Wie bei tiefgreifenden Umbrüchen die Regel so wird auch die Idealkonzeption einer agilen Arbeitsweise in der Praxis von ihren ursprünglichen Maximalforderungen zurückweichen müssen.

Aus dem Kompromissbedarf in regulierten Bereichen ergibt sich, dass Finanzinstitute unter dem Regime der derzeitigen Regulatorik nicht vollständig in das Idealbild einer agilen Arbeitsorganisation transferiert werden können. Dabei steht dem weniger der Kern der Agilität - die dem tradierten Arbeitsrecht eher fremde Weisungsfreiheit - als vielmehr die Tatsache entgegen, dass die Teams nicht völlig frei besetzt werden können. Dies ist unter Umständen jedoch auch nicht erforderlich.

Finanzinstituten steht damit grundsätzlich die Möglichkeit offen, agile Inseln im Wege der partiell echten agilen Transformation zu bilden. Diese bieten bei richtiger Ausgestaltung alle avisierten Vorteile. Im risikoaversen hochregulierten Umfeld ist das Hybridmodell allerdings häufig die einzige Möglichkeit, die Vorteile einer gemeinsamen interdisziplinären Aufarbeitung und Adaption von modernen Arbeitsmethoden mit einem robusten Compliance-Apparat zu verbinden. Hierbei besteht jedoch das dieser Zwangsvermählung entspringende Risiko, dass Produktivitätssteigerungen möglicherweise nicht dauerhaft erzielt werden können. Essenziell für den Erfolg sind also in jedem Fall die Schnittstellen zu den anderen, auf herkömmliche Art und Weise organisierten Bereichen und insoweit eine starke Ausgestaltung der Rolle des Scrum Masters.

Die Autoren bedanken sich für den wertvollen Austausch hinsichtlich einzelner regulatorischer Aspekte bei Dr. Jens Kunz, Partner bei Noerr LLP.

Fußnoten

1) Siehe https://www.computerwoche.de/a/die-itder-com merzbank,3061150, zuletzt abgerufen am 25.09.2019 um 14:00 Uhr.

2) Siehe https://www.ing-diba.de/ueber-uns/menschen/agile-bank/, zuletzt abgerufen am 25.09.2019 um 14:00 Uhr.

3) Siehe Dingsøyr et. al., Journal of Systems and Software, Volume 85, Issue 6, June 2012, S. 1213-1221.

4) In der Praxis auch Agile Coach oder Agile Master genannt.

5) Siehe Günther/Böglmüller, NZA 2019, 273; Hoffmann-Remy, DB 2018, 2757; Wallisch, NZA-Beilage 2018, 81; Litschen/Yacoubi, NZA 2017, 484.

6) Siehe Schwaber/Sutherland, Der Scrum Guide, deutsche Ausgabe, November 2017, https://www. scrumguides.org/docs/scrumguide/v2017/2017-Scrum-Guide-German.pdf, zuletzt abgerufen am 25.09.2019 um 14:00 Uhr.

7) Cappelli/Tavis, Harvard Business Manager 07/2018, S. 21, 25.

8) BAG, Urt. v. 19.01.2011 - 10 AZR 738/09, NZA 2011, 631, 632.

9) Siehe etwa BeckOK ArbR/Tillmanns, GewO, § 106, Rn. 9; Günther/Böglmüller NZA 2017, 546 (547); anders nur NK-ArbR/Pils, GewO, § 106, Rn. 13.

10) Siehe etwa § 8 Abs. 1 ASiG für Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit.

11) BAG, Beschl. v. 25. 1. 2007 - 5 AZB 49/06, NZA 2007, 580.

12) Rundschreiben 09/2017 (BA) der BaFin vom 27.10.2017 zu den Mindestanforderungen an das Risikomanagement.

13) Rundschreiben 4/2010 der BaFin vom 7.06.2010, zuletzt geändert am 8.3.2017, zu den Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und die weiteren Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten nach §§ 31 ff. WpHG für Wertpapierdienstleistungsunternehmen.

14) Rundschreiben 10/2017 (BA) der BaFin vom 3.11.2017 zu den bankaufsichtsrechtlichen Anforderungen an die IT.

15) Guidelines on internal governance under Directive 2013/36/EU der European Banking Authority vom 26. September 2017, EBA/GL/2017/11.

16) Siehe https://www.bcg.com/de-de/publications/2017/financial-institutionstechnology-digital-when-agile-meets-regulatory-compliance.aspx, zuletzt abgerufen am 25.09.2019 um 14:00 Uhr.

17) Siehe insbesondere BTO Tz. 2 und Tz. 3 sowie BTO 1.1 MaRisk.

18) Siehe https://vw-dilab.com/ zu einem Anwendungsbeispiel bei der Volkswagen AG, zuletzt abgerufen am 25.09.2019 um 14:00 Uhr.

Daniel Happ Rechtsanwalt für Arbeitsrecht, Noerr LLP, Frankfurt am Main
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