Agiles Management und klare Verantwortlichkeiten - Anmerkungen der BaFin

Béatrice Freiwald, Foto: Bernd Roselieb/ BaFin

Agilität ist keineswegs von der aktuellen Managergeneration erfunden worden, sondern vielmehr ein altbekanntes Thema im neuen Kontext. Im Kern geht es dabei immer um ein möglichst schnelles Reagieren von Unternehmen auf sich wandelnde Rahmenbedingungen. Durch die jüngsten Entwicklungen im Zuge der Digitalisierung wächst der Druck auf Institutionen und Firmen und das Thema Agilität gewinnt stark an Bedeutung. Doch passen solche Vorstellungen mit den Anforderungen der Bankenaufsicht an die Unternehmensführung zusammen? Hierzu die Autorin: In keinem Fall darf Agiles Management zu einem Verlust von klar zuordenbarer (Letzt-)Verantwortung führen. Zwar mag auf allen Ebenen eine erhöhte Verantwortungsübernahme durch einen breiteren Kreis von Beschäftigten hinzukommen, diese schmälert nicht die bestehende (Letzt-)Verantwortung der Führungskräfte bis hin zur Geschäftsleitung. (Red.)

Agilität ist schon seit den 50er Jahren ein Thema mit dem sich große Organisationseinheiten auseinandersetzen. Der amerikanische Soziologe Talcott Parsons hat in seinem "AGIL-Schema" ein systemtheoretisches Modell geschaffen, das vier Grundfunktionen benennt, die jedes soziale System erfüllen muss, um seine Existenz langfristig zu sichern:

Adaptation - Anpassung an sich verändernde äußere Bedingungen

Goal Attainment - Zieldefinition und -verfolgung

Integration - Kohäsion und Inklusion

Latency - Erhalt von grundlegenden Strukturen und Werten

Aktualität gewinnt die Frage nach der notwendigen Agilität einer Organisationseinheit insbesondere mit Blick auf die rasant fortschreitende Digitalisierung. Alle Institutionen, Behörden wie Verwaltungen setzen sich derzeit mit diesem Thema auseinander. Gerade auch Unternehmen müssen sich in die Lage versetzen, Prozesse zügig an die dynamischen Entwicklungen des Marktes anzupassen.

Die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens liegt daher in einer gleichermaßen flexiblen wie qualitätsgesicherten Definition, Implementierung und Modifikation von Prozessen in Zeiten radikalen Wandels. Dabei wird zunehmend auf die bekannten agilen Arbeitsmethoden und Managementansätze wie das "Agile Management" zurückgegriffen.

Spannungsfeld zwischen Verantwortlichkeit und Agilität

Aus der Perspektive des Aufsichtsrechts stellt sich die Frage, ob insbesondere ein Grundelement des Agilen Managements, nämlich das mitarbeiterzentrierte Führungsverständnis, das mit einer weitreichenden (dynamischen) Delegation von Entscheidungen und Verantwortung auf selbstorganisierte und sich selbst steuernde Beschäftigte einhergeht, in einem Widerspruch dazu steht, dass die gesetzliche Regulatorik eindeutige Zuständigkeiten und hieraus resultierend klare (Letzt-)Verantwortlichkeiten fordert.

Das Kreditwesengesetz (KWG) sowie die aufsichtlichen Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) sehen vor, dass alle Geschäftsleiter, unabhängig von der internen Zuständigkeitsregelung und unter Berücksichtigung ausgelagerter Aktivitäten und Prozesse, für die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation des Instituts und deren Weiterentwicklung verantwortlich sind (ressortunabhängige Gesamtverantwortung). Darüber hinaus fordern KWG und MaRisk die Festlegung aufbau- und ablauforganisatorischer Regelungen mit klarer Abgrenzung der Verantwortungsbereiche.

§ 25c KWG greift die diesbezügliche Organisations- und Umsetzungsverantwortlichkeit der Geschäftsleitung wie folgt auf: Im Rahmen ihrer Gesamtverantwortung müssen die Geschäftsleiter Grundsätze einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung beschließen, die die erforderliche Sorgfalt bei der Führung des Instituts gewährleisten und insbesondere eine Aufgabentrennung in der Organisation und Maßnahmen festlegen, um Interessenkonflikten vorzubeugen. Dabei reicht der bloße Beschluss nicht aus.

Die Geschäftsleiter müssen für die Umsetzung dieser Grundsätze Sorge tragen. Auch müssen im Kontext der internen Kontrollverfahren die wesentlichen Prozesse und damit verbundene Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortlichkeiten, Kontrollen sowie Kommunikationswege klar definiert sein. Es muss sichergestellt sein, dass Mitarbeiter keine miteinander unvereinbaren Tätigkeiten ausüben. Die Geschäftsleiter tragen also die Verantwortung für eine Aufbau- und Ablauforganisation mit präzise abgegrenzten Verantwortungsbereichen. Obwohl diese aufsichtsrechtlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation angemessen und wirksam umgesetzt werden müssen, obliegt es im Rahmen der prinzipienbasierten Aufsicht in erster Linie den Instituten und damit der Verantwortung der Leitungsgremien, wie sie sich organisieren.

Aufsichtsrechtliche Vorgaben für das Agile Management

Bezogen auf Agiles Management bewegen sich die Institute in einem Spannungsfeld zwischen Kreationsprozessen, die durch die Führungskräfte in viele Hände gegeben werden und Entscheidungssituationen, die - wie gerade ausgeführt - aus aufsichtsrechtlicher Sicht in Führungshände gehören.

In keinem Fall darf Agiles Management zu einem Verlust von klar zuordenbarer (Letzt-)Verantwortung führen. Zwar mag auf allen Ebenen eine erhöhte Verantwortungsübernahme durch einen breiteren Kreis an Beschäftigten hinzukommen, diese schmälert nicht die bestehende (Letzt-)Verantwortung der Führungskräfte bis hin zur Geschäftsleitung.

Auch agile Arbeitsabläufe brauchen Strukturen, die eine eindeutige Rollendefinition sicherstellen und vorgeben, wie Entscheidungen geordnet - unter Einbeziehung der (letzt-)verantwortlichen Personen - getroffen werden. Agil hervorgebrachte Arbeitsergebnisse und die darauf basierenden Entscheidungen müssen klar definierten Verantwortungsträgern zuordenbar sein. Diese Verantwortlichen müssen wiederum über alle für ihr Handeln und ihre Entscheidungsfindung notwendigen Informationen verfügen.

Nicht automatisch ein Widerspruch

Der Umgang mit agil arbeitenden Teams stellt die Führungskräfte also vor besondere Herausforderungen. Auch mehr oder minder agile (autonome) Einheiten, die in Abkehr von linearen Arbeitsabläufen kollaborativ und netzwerkartig arbeiten, brauchen Steuerung - auch in den Verhältnissen zueinander und zur gesamten Organisation. Ein solides Schnittstellenmanagement ist sicherzustellen, was nur gelingt, wenn die Rahmenbedingungen benannt sind. Im Falle von Konflikten muss die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit gewahrt bleiben. Hierfür sind angemessene Eskalationsinstanzen einzurichten und bekannt zu machen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Ein unüberwindbarer Widerspruch zwischen agilem Management und dem aufsichtlichen Postulat klarer Zuständigkeiten und (Letzt-)Verantwortlichkeiten besteht nicht per se. Die aufsichtsrechtlichen Vorgaben setzen aber der Agilität im Sinne einer Managementmethode klare Grenzen. Agilität ist kein Selbstzweck. Das Bild einer agilen Organisation muss in jedem Falle unternehmensindividuell gezeichnet werden. Es erscheint essenziell, dass ein beaufsichtigtes Institut, das nach erweiterter Agilität strebt, Agilität praxistauglich auslegt. So können gegebenenfalls Mischformen zwischen agilen und klassischen Organisationsformen abgeleitet und diese unternehmensindividuelle Interpretation dann in der Aufbau- und Ablauforganisation so abgebildet werden, dass die aufsichtsrechtlichen Vorgaben ohne Einschränkungen in angemessener und wirksamer Art und Weise eingehalten werden.

Ein Einheitskonzept für Agiles Management in Instituten gibt es - weder in Bezug auf ein Unternehmen im Ganzen, noch in Bezug auf dessen verschiedene Unternehmenseinheiten - nicht.

BaFin will agile Methoden bewusster nutzen

Ein Blick auf die BaFin selbst: Die Organisationswirklichkeit der öffentlichen Verwaltung orientiert sich trotz permanenter Verwaltungsmodernisierung nach wie vor am klassischen Bürokratiemodell des Soziologen Max Weber und ist aufgrund der besonders engen Bindung an Recht und Gesetzt primär regel- oder normgesteuert; der Primat des Rechts als oberstes handlungsleitendes Prinzip stellt den prägenden Kontext des gesamten Verwaltungshandelns und letztlich auch der öffentlichen Verwaltungsorganisation dar.*

Auch die BaFin beabsichtigt, agile Methoden im Rahmen ihrer eigenen digitalen Transformation verstärkt und bewusster zu nutzen. Die behördliche Hierarchiestruktur soll dabei aber erhalten bleiben. Und auch für die BaFin gilt: Agile Methoden sind ein Mittel für eine Organisation, in der motivierte Mitarbeiter erfolgreich arbeiten, aber kein Allheilmittel. Die häufige Ableitung, je agiler gearbeitet wird, desto "reifer" ist das Team oder die Organisation, ist zu pauschal und scheint durch einen "agilen Hype" hervorgerufen. Die BaFin analysiert individuell, welches Maß an Agilität auf der jeweiligen Entwicklungsstufe hin zu einer agilen Organisation das richtige ist.

* Dr. Rüdiger Nolte/Dr. Annette Wöhner, Hochschule des Bundes für die öffentliche Verwaltung, Fachbereich Finanzen, Impulsvortrag zum Thema "Agile Organisation (Verwaltung) - Agiles Management", Dezember 2017.

Béatrice Freiwald Exekutivdirektorin Innere Verwaltung und Recht, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Bonn
Béatrice Freiwald , Exekutivdirektorin Innere Verwaltung und Recht, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Bonn
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