Basel IV - Wettbewerbsnachteile für europäische Banken vermeiden

Gerhard Hofmann, Mitglied des Vorstands, Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e. V. (BVR), Berlin - Die Bewertung der laufenden Finalisierung des Basel-III-Projektes fällt aus Sicht des Autors eher kritisch aus. Sollten die Vorschriften nach heutigem Diskussionsstand festgelegt werden, hält er europäische Banken jedweder Größenordnung für benachteiligt und plädiert als Ausweg für eine angemessene Umsetzung durch die europäische Gesetzgebung. Aus dem Blickwinkel der hiesigen Genossenschaftsorganisation sieht er zum einen durch die im Raum stehenden Risikogewichte für die Beteiligung der Volks- und Raiffeisenbanken an der DZ Bank letztlich gar eine stabile Verbundstruktur durch regulatorische Maßnahmen infrage gestellt. Zum anderen droht seiner Einschätzung nach eine erhebliche Verteuerung der die Kredite kleinerer Institute an den Mittelstand wie Private, sofern das Risikogewicht für KMU-Kredite angehoben und/oder die Kriterien für die Zuordnung von Privatkundenkrediten zur Forderungsklasse "Mengengeschäft" verschärft werden. (Red.)

Noch nie hat es so viel Kritik an den Regulierungsvorschlägen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht gegeben wie derzeit. Das neue Regelwerk Basel IV, mit der Überarbeitung der Kapitalregeln insbesondere für Kreditrisiken und operationelle Risiken hat das Potenzial, den Baseler Ausschuss, dem in Europa wegen seiner mangelnden demokratischen Legitimation ohnehin mit zunehmender Skepsis begegnet wird, in eine existenzielle Krise zu führen. Bankenregulierung entfaltet stets auch Wettbewerbswirkungen, wenn international einheitliche Regeln auf unterschiedlich strukturierte Bankensysteme sowie unterschiedliche Anwendungskreise der Regeln treffen. Die derzeit auf dem Tisch liegenden Regeln würden ausweislich der Auswirkungsstudien zu drastisch erhöhten Kapitalanforderungen für europäische und andere Banken einerseits sowie signifikanten Erleichterungen insbesondere für amerikanische Banken führen.

Wettbewerbsverzerrungen

Gravierende Wettbewerbsverzerrungen durch Basel IV wären die Folge. Zugleich wäre dies ein prozyklisches Agieren in Basel, denn einige Bankensektoren in Europa leiden unter anhaltend schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen und einem hohen Anteil an "Non-Performing Loans". Blieben die Vorschläge unverändert, würde die Arbeit des Baseler Ausschusses insgesamt infrage gestellt. Da dies allen Beteiligten bewusst ist, bleibt die Erwartung, dass am Ende ausgewogenere Lösungen stehen.

Angetreten ist der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS) mit dem Ziel, die erkannten Fehler und Schwachstellen im internationalen Rahmenwerk für die Beaufsichtigung von Instituten zu beseitigen. Im Rahmen dieses "Vollendung von Basel III" genannten Projektes, das bis Jahresende abgeschlossen und ab 2020 weltweit umgesetzt sein soll, hat Basel jedoch eine umfassende Überarbeitung und Neuausrichtung der Risikobemessung in Angriff genommen. So werden die bisherigen Regelungen zur Unterlegung von Kreditrisiken im Kreditrisikostandardansatz (KSA) und im auf internen Ratings basierenden Ansatz (IRBA), von Forderungen im Handelsbuch und von operationellen Risiken erheblich und umfassend verändert. Daher ist es nur folgerichtig, in diesem Zusammenhang von Basel IV zu sprechen.

Der BCBS hat seine Arbeiten unter die Prämisse gestellt, dass die Kapitalanforderungen für die Institute nicht signifikant steigen sollten. Blieben die Vorschläge des Ausschusses unverändert, würde dieses Ziel allenfalls weltweit und im Durchschnitt eingehalten, nicht jedoch für einzelne Wirtschaftsräume, wie die Europäische Union (EU) oder Deutschland. Sowohl die Ergebnisse des Baseler Ausschusses im Rahmen einer quantitativen Auswirkungsstudie als auch entsprechende eigene Untersuchungen der Deutschen Kreditwirtschaft zeigen, dass nach dem aktuellen Verhandlungsstand die deutschen Institute künftig um 30 Prozent bis 40 Prozent höhere Kapitalanforderungen erfüllen müssten.

Institute jeder Größenordnung betroffen

Die steigenden Eigenmittelanforderungen betreffen praktisch alle Institute jeder Größenordnung. Die großen, international tätigen Banken sind insbesondere von den geplanten Änderungen des IRBA betroffen. So sollen diese künftig bei Forderungen gegenüber anderen Kreditinstituten und großen Unternehmen die möglichen Verluste nicht mehr anhand eigener Ratingmethoden bestimmen können, sondern hierfür Standardwerte verwenden, die deutlich konservativer sind. Auch die vorgeschlagene neue Systematik zur Berechnung der Untergrenzen für die Eigenmittelanforderungen (Floors) im Bereich interner Ratingverfahren bringt erhebliche Steigerungen mit sich und stellt partiell eigene Risikomessmethoden von Banken in Frage.

Die kleinen und mittelgroßen Institute sind von den Neuerungen beim KSA ebenfalls betroffen. Exemplarisch hierfür sind die Auswirkungen für die deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken. Diese halten seit jeher das Kapital an ihrer genossenschaftlichen Zentralbank, der DZ Bank AG. Durch diese Beteiligungen wird die die genossenschaftliche Finanzgruppe prägende Verbundstruktur geschaffen, indem die Primärbanken als Eigentümer der Zentralbank diese mit den notwendigen Eigenmitteln ausstatten und als Stimmrechtsinhaber deren Geschäftspolitik mitbestimmen. Daher hat auch der europäische Gesetzgeber folgerichtig diese strategischen Beteiligungen von den Abzugsregelungen von Finanzbeteiligungen an den Eigenmitteln ausgenommen. Im Gegenzug müssen diese jedoch als Beteiligungen mit Eigenmitteln unterlegt werden. Sowohl Basel III als auch die CRR sehen hierfür aktuell ein Risikogewicht von 100 Prozent vor.

Nach aktuellem Stand wird Basel IV dieses Risikogewicht auf 250 Prozent erhöhen. Die Folge wäre ein Anstieg der Eigenmittelanforderungen um 150 Prozentpunkte. Da die Beteiligungen an der DZ Bank AG regelmäßig einen signifikanten Teil des Portfolios einer jeden Genossenschaftsbank darstellen, hätte die Erhöhung des Risikogewichtes ernste Konsequenzen für die genossenschaftliche Finanzgruppe. Dadurch würde letztendlich die über viele Jahrzehnte bewährte und stabile Verbundstruktur durch regulatorische Maßnahmen infrage gestellt.

Erhebliche Verteuerung der Kredite

Aber auch die Kredite an die wichtigsten Kundengruppen kleinerer Institute würden sich nach den aktuell vorliegenden Vorschlägen erheblich verteuern. So ist eine Hauptkundengruppe der Volksbanken und Raiffeisenbanken und anderer kleiner Banken und Sparkassen kleine und mittlere Unternehmen (kurz KMU). Für diese ist aktuell in Basel III und der CRR ein Risikogewicht von 75 Prozent vorgesehen. Zudem hat der europäische Gesetzgeber erkannt, dass diese Kundengruppe nur geringe Verluste verursacht. Er hat daher bei Schaffung der CRR, die mit höheren Eigenmittelanforderungen einherging, einen Korrekturfaktor in Höhe von 76,19 Prozent eingefügt, um diesen Erhöhungen der Eigenkapitalanforderungen nach der Finanzkrise entgegenzuwirken.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) des Europäischen Parlaments hat jüngst in Rahmen einer Untersuchung dieses Ergebnis bestätigt und hält es für notwendig, dass dieser Korrekturfaktor sowohl aus Risikogesichtspunkten als auch zur Sicherstellung der Finanzierung von KMU auch künftig erhalten bleibt. Gleichwohl sieht Basel IV diesen Faktor nicht mehr vor. Zusätzlich soll das Risikogewicht für KMU-Finanzierungen auf 85 Prozent angehoben werden. Im Ergebnis würde dies eine Steigerung der Eigenmittelanforderungen im Bereich der Mittelstandsfinanzierungen um 50 Prozent bedeuten. Eine Verknappung und Verteuerung der Kredite wäre die wahrscheinliche Folge. Die besondere Rolle des Mittelstandes für Wachstum, Beschäftigung und Innovation in modernen Volkswirtschaften wird in Basel offenbar nur teilweise anerkannt, zu unterschiedlich sind die Wirtschaftsstrukturen und der Kreis der Institute, die Baseler Regeln anwenden müssen.

Nicht wesentlich anderes sieht es bei Krediten an Privatkunden aus. Eine grundsätzliche Erhöhung der Risikogewichte ist hier zwar nicht vorgesehen. Allerdings sollen die Kriterien für die Zuordnung dieser Kredite zur Forderungsklasse "Mengengeschäft" verschärft werden. Privatkundenforderungen dürfen heute diesem Segment zugeordnet werden, wenn sie maximal eine Million Euro betragen und zudem mit anderen Krediten, die sich in dieser Forderungsklasse befinden, vergleichbar sind. Dabei handelt es sich um das sogenannte Granularitätskriterium im Rahmen der Definition von Retail-Krediten. Bisher kann dieses von jeder Bank selbst festgelegt werden und ist damit kompatibel zur Größe einer Bank. Base IV sieht hingegen eine ausschließlich quantitative Vorgabe vor. So darf ein Kredit danach nur dann dem Mengengeschäft zugeordnet werden, wenn er maximal 0,2 Prozent des gesamten Mengengeschäftsportfolios ausmacht.

Massive Auswirkungen auf kleinere Banken

Bei großen Banken hat dieser Vorschlag keine spürbaren Auswirkungen, das heißt, er führt nicht zu Einschränkungen. Denn deren Mengengeschäftsportfolios sind deutlich größer als 500 Millionen Euro, sodass jeder Kredit bis zu einer Million Euro das Kriterium erfüllt. Für kleinere Institute hat die Vorgabe hingegen erhebliche Auswirkungen. Proberechnungen zeigen, dass kleinere Genossenschaftsbanken künftig nur noch Kredite bis zu einem niedrigen fünfstelligen Betrag als Mengengeschäft berücksichtigen könnten. Die anderen Kredite an Privatkunden würden dann wie Unternehmensforderungen behandelt werden, die ein um ein Drittel höheres Risikogewicht und damit entsprechend höhere Eigenkapitalanforderungen aufweisen. Die im Privatkundengeschäft schon heute geringen Margen würden bei diesen Häusern zusätzlich belastet, und Basel würde eine wettbewerbsverzerrende Regel schaffen: Ein und der gleiche Kredit wäre bei einer größeren Bank als kapitalmäßig günstiger Privatkundenkredit, bei einer anderen Bank aber als Unternehmenskredit eingestuft. Regulierung darf kleine Banken und deren Kunden nicht benachteiligen.

Darüber hinaus sieht Basel IV auch Änderungen in der Eigenmittelunterlegung von Kreditzusagen vor. Heute werden Zusagen, die jederzeit vom Institut widerrufen werden können, nicht mit Eigenmitteln unterlegt. Diese Freistellung soll künftig entfallen. Zudem werden die Anrechnungsfaktoren für alle Kreditzusagen teilweise deutlich erhöht. Dies dürfte dazu führen, dass Banken und Sparkassen künftig sehr viel weniger Kreditlinien einräumen, sodass der Finanzierungs- und Planungsspielraum von Unternehmen und Privatpersonen sinken dürfte. Diese vom Baseler Ausschuss beabsichtigte Änderung ist angesichts der Risikoerfahrung aus Kreditzusagen wenig nachvollziehbar.

Auch Interbankenforderungen werden sich bei vielen Instituten erheblich verteuern. Aktuell leitet sich deren Eigenmittelunterlegung meist vom Rating des Sitzstaates der kreditnehmenden Bank ab. So beträgt das Risikogewicht bei Bankenforderungen innerhalb der EU pauschal 20 Prozent. Der Baseler Ausschuss beabsichtigt, das sogenannte Sitzstaatenrating im Rahmen von Basel IV abzuschaffen. Stattdessen sollen eigenständige Risikogewichte zur Anwendung kommen, die ab 30 Prozent beginnen und somit die Eigenmittelanforderungen um mindestens 50 Prozent erhöhen. Zwar scheinen kleine Häuser auf den ersten Blick nicht so stark von dieser Regelung betroffen zu sein, da sie nur eingeschränkt unmittelbar Kreditgeber für andere Banken sind. Doch ist hierbei zu berücksichtigen, dass sie über erworbene Wertpapiere und insbesondere durch gehaltene Investmentfonds vielfach über Interbankenforderungen verfügen.

Angemessene Umsetzung in Europa

Nach aktuellen Berechnungen dürften die Eigenmittelanforderungen für Genossenschaftsbanken durch Basel IV - wie erwähnt - zwischen 30 bis 40 Prozent steigen. Sie liegen damit im Rahmen der für Deutschland prognostizierten Steigerungen bei allen Kreditinstituten. Bliebe es bei den derzeit bekannten Vorschlägen, hätte der Baseler Ausschuss sein Ziel, keine signifikanten Steigerungen bei den Eigenmittelanforderungen zu empfehlen, in Deutschland und Europa deutlich verfehlt. Dabei sind die betroffenen Kredite bei den Genossenschaftsbanken keineswegs besonders risikoreich. Es geht vielmehr um das eher risikoarme Brot- und Buttergeschäft. Die erhöhten Kapitalanforderungen sind auch durch keine empirischen Studien unterlegt. Daher sind diese Erhöhungen nicht akzeptabel. Inzwischen hat sich auch der EU-Finanzministerrat auf einer Sitzung vor der Sommerpause mit Basel IV befasst und Augenmaß in der Kalibrierung eingefordert.

Sowohl aus Kundensicht als auch aus Sicht der betroffenen Banken sind die Vorschläge des Baseler Ausschusses anzupassen; die Kalibrierung ist deutlich im Sinne einer Entschärfung der überzogenen Vorschläge zu verändern. Sollte dies aufgrund der weltweit unterschiedlichen Interessen und Bankenstrukturen nicht gelingen, ist der europäische Gesetzgeber gefordert, Basel IV in Europa angemessen umzusetzen. Europa ist wohl der Wirtschaftsraum mit der größten Zahl von Banken, die Baseler Standards anwenden. In den USA zum Beispiel ist der Bankensektor für die Finanzierung der Volkswirtschaft weniger bedeutend als in Europa; zudem müssen dort nur wenige Banken Baseler Regeln überhaupt einhalten. Das war und ist eine Schieflage in der internationalen Diskussion, die immer weniger glaubwürdig wirkt. Zugleich legitimiert die unterschiedliche Ausgangslage, die große Bedeutung der Bankfinanzierung sowie der umfassende Anwendungsbereich der Baseler Empfehlungen, für Europa angemessene Lösungen zu schaffen.

Gerhard Hofmann , Mitglied des Vorstands , Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (BVR), Berlin
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