Das Büro der Zukunft - Plätze zum Arbeiten statt Arbeitsplätze

Riza Demirci Foto: BNP Paribas R.E.

Die Gewährleistung größtmöglicher Flexibilität mit Blick auf Bürofläche und Arbeitsplatz genießt nicht mehr nur für Start-ups Priorität. Auch immer mehr Mittelständler und große Konzerne aus klassischen Branchen nehmen sich inzwischen dieser Thematik an und experimentieren mit innovativen Bürokonzepten. Eine weise Entscheidung, denn gerade junge Menschen haben teils gänzlich andere Vorstellungen vom Arbeiten als ihre älteren Kollegen. Eine gute erste Indikation, welche neuen Arbeitsformate zu den speziellen Bedürfnissen eines Unternehmens passen, bietet laut Autoren dabei die Belegung sogenannter Coworking-Spaces, die sich in Deutschland seit kurzem starker Beliebtheit erfreuen. (Red.)

Der Trend hin zu offenen Arbeitsplätzen statt kleiner Bürozellen hat in den vergangenen drei bis fünf Jahren Fahrt aufgenommen. Er zieht sich durch alle Branchen und macht auch vor Banken und Kreditinstituten nicht Halt. Der Grund: Neben dem Wandel der Technik und insbesondere der Kommunikationstechnik hin zur Digitalisierung haben sich vor allem die Arbeitsweisen verändert und lassen sich unter dem Begriff "Smart Working" zusammenfassen.

In unserem aktuellen Arbeitsumfeld erleben wir einen ständigen Wechsel zwischen der fokussierten Arbeit des Einzelnen und der kommunikativen Arbeit mit wechselnden und unterschiedlich großen Teams. Auch ein grundsätzlicher Wandel weg von der traditionellen, routinebasier ten Sachbearbeitung hin zum wissensbasierten Dienstleister vollzieht sich in vielen Branchen. Der Arbeitsplatz muss diesen veränderten Anforderungen Rechnung tragen - immerhin verbringen wir durchschnittlich über 1 600 Stunden pro Jahr im Büro.

Höhere Zufriedenheit der Mitarbeiter

Flexible Arbeitswelten stehen somit hoch im Kurs. Die klassischen Büroformen wie Einzel-, Mehrpersonen- oder Großraumbüros mit starrer Arbeitsplatzzuordnung weichen variablen Office-Konzepten. Das bereits "betagte" Modell Großraumbüro erlebt dabei ein Comeback als neues Arbeitsplatzkonzept. Dies ist nicht nur ein anderer Name, sondern ein völlig anderer Entwurf: Neue Arbeitswelten bedeutet, dass der neue Großraum durchdachter und lebenswerter ist als die alte "graue Einöde" von möglichst vielen Schreibtischen auf engem Raum.

Meist wird es auch nicht das "Google Office", sondern ein Kombi- oder Gruppenbüro. Die neue Raumsituation muss zum Unternehmen passen. Die Vorteile der neuen Arbeitswelten liegen auf der Hand: Die Kommunikation wird verbessert, Synergien ergeben sich schneller, alles wird transparenter. Dies lässt sich auch an der Mitarbeiterzufriedenheit ablesen, die bei offenen, modern gestalteten Bürowelten um 40 Prozent höher als bei konventionellen Büros ist, wie Studien von IREBS Regensburg und Towers Watson belegen.

Akustik, Transparenz und Rückzugsraum entscheidend

Auch ein weiterer Aspekt findet verstärkt Berücksichtigung: Unternehmen, die auf der Suche nach jungen Talenten sind, müssen in vielerlei Hinsicht punkten. Das Gehalt ist nur ein Aspekt, heute kommt noch ein moderner Arbeitsplatz hinzu. Um Young Talents einen ansprechenden Arbeitsplatz zu bieten, muss auch beispielsweise eine gemütliche Lounge als Rückzugsmöglichkeit zur Verfügung stehen, um den Wohlfühlfaktor nicht zu kurz kommen zu lassen.

Aber mit schickem Design allein ist es nicht getan. Entscheidend ist, dass jeder Mitarbeiter die Möglichkeit bekommen soll, überall und seinen Bedürfnissen entsprechend zu arbeiten. Die Förderung des Austauschs mit anderen Bereichen und ein Ausbruch aus dem gewohnten Umfeld, um keine Routine aufkommen zu lassen, sind das Ziel des neuen Konzepts. Die Atmosphäre soll animieren und Lust zum Arbeiten machen.

Zwei Faktoren spielen bei offenen Raumkonzepten eine große Rolle: Die Akustik und die Einsehbarkeit. Die komplette akustische Abschirmung ist dabei nicht gewünscht; ein akustisches Grundrauschen (etwa von zehn Stimmen - eine einzelne würde dagegen als sehr störend wahrgenommen) ist ideal. Interessant dabei: Nicht die schrillen Frequenzen, sondern vor allem die tiefen Männerstimmen müssen ausgeblendet werden, um ein angenehmes akustisches Raumklima zu erzeugen. Dazu kommen eine ausgeklügelte Licht- und Lüftungstechnik.

Der Faktor Einsehbarkeit unterliegt der Abwägung von transparentem Arbeitsplatz und partiellem Rückzugsraum. Unternehmen sollten vor allem darauf achten, Einsehbarkeit zuzulassen, gleichzeitig aber persönliche Grenzen zu akzeptieren und Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen. Der Rückzugsraum wird immer wichtiger in der Open-Space-Welt. Der klassische Meetingraum - vor allem für die interne Kommunikation - ist tot. Alternativen gibt es viele: vom soliden Holztisch mitten im Büro, der mit einem Vorhang abgeschirmt werden kann, bis hin zu schicken High-Back-Sofas, wie man sie aus Hotellobbys kennt.

Deutsche Banken mit ersten Projekten

Aus Arbeitsplätzen werden also Plätze zum Arbeiten beziehungsweise Arbeitsmöglichkeiten, die der Mitarbeiter je nach Bedarf flexibel auswählen kann - Stehtische oder Barhocker für kurze Meetings, Präsentationsmöglichkeiten oder Alkoven für ungestörte Telefonate. Damit wird das Büro in gewisser Weise demokratisiert. In vielen Unternehmen unterscheiden sich die Bereiche durch ein unterschiedliches Farbkonzept und Mobiliar - sie haben gemeinsam, dass sie das jeweilige Unternehmen und dessen Kultur widerspiegeln.

Es gibt sicher Bereiche, in denen kein Austausch stattfinden darf, etwa aus Datenschutzgründen. In der neuen Wirtschaftswelt ist aber klar, dass man seine Ideen häufig teilen muss, damit sie überhaupt realisiert werden können. Man gibt, bekommt aber dafür auch Knowhow zurück. So lassen sich Produkte schneller weiterentwickeln. Die ING-Diba, die Deutsche Bank und die Commerzbank zum Beispiel haben in den vergangenen Jahren bereits Büroflächen angemietet, die so aufgebaut sind, dass unternehmensintern ein solcher Austausch gelebt werden kann. Ein Vorzeigeprojekt für Smart Working ist die Credit-Suisse-Zentrale in Zürich.

Coworking muss zunächst getestet werden

Um die neuen Arbeitsformen praktisch zu testen, mieten immer mehr traditionelle Unternehmen aus der Old Economy wie Banken, Finanzdienstleister oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit einzelnen Projektgruppen Flächen in Coworking-Spaces, um in kreativer Atmosphäre neue Ideen zu entwickeln, Konzepte zu testen und diese dann im eigenen Unternehmen zu implementieren. Die Mietdauer variiert von drei oder fünf Monaten bis hin zu mehreren Jahren.

Unsere Erfahrung zeigt allerdings auch, dass Coworking nicht für alle gleichermaßen funktioniert. So hatte etwa ein Finanzdienstleister erst mit einer Abteilung Flächen in einem Coworking-Space angemietet, musste jedoch feststellen, dass dieses Konzept nicht für das Unternehmen funktionierte, weil es nicht passgenau auf seine Bedürfnisse zugeschnitten war und sie nun ihre eigenen Flächen lieber inhouse planen.

Bis 2016 spielten Coworking-Konzepte in vielen deutschen Großstädten noch keine Rolle; 2017 stieg der Anteil dann vor allem in den Innenstädten sprunghaft an. So haben im vergangenen Jahr in Frankfurt Betreiber von Coworking-Angeboten allein elf Mietverträge über 50 000 Quadratmeter abgeschlossen; im ersten Halbjahr 2018 waren es sieben Verträge über 23 000 Quadratmeter. Und die Nachfrage hält an. In London macht dieses Marktsegment sogar 20 Prozent des gesamten Büroflächenumsatzes aus. Und in Frankfurt sind klassische große Arbeitgeber schon die größten Nachfrager vor Startups.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

In Deutschland liegen Berlin (Flächenumsatz 2017: 60 500 Quadratmeter) und Frankfurt bei Coworking-Flächen an der Spitze vor Hamburg und München. Allerdings ist der Anteil am gesamten Büroflächenbestand aktuell noch gering und besetzt eine Nische (er liegt bei etwa 0,6 Prozent in Berlin, bei 0,5 Prozent in Frankfurt und bei 0,3 Prozent in München), zeigt aber deutlich Wachstumspotenzial.

Die Idee dahinter ist eigentlich nicht neu - solche Flächen gibt es seit mehr als 20 Jahren. Früher haben Büroserviceanbieter Büroflächen angemietet, im wesentlichen Einzelbüros geschaffen und diese dann einzeln mit Empfangs- und Sekretariatsservice vermietet. Die Flächen werden bei den neuen Anbietern jedoch anders designt; es wird mit anderen Oberflächen und Materialien gearbeitet, um weg vom 08/15-Büroflair zu kommen. Man versucht zudem, Zonen zu schaffen, in denen alle Mieter im Haus zusammenkommen, um sich auszutauschen, Ideen zu teilen und gemeinsam an Projekten zu arbeiten.

Es ist allerdings nicht so, dass alle im Großraumbüro arbeiten. Im Wesentlichen sitzen die Beschäftigen auch in den neuen Arbeitswelten im weiteren Sinne in Zellenstrukturen auf relativ engem Raum, gelangen von diesen aber auf großzügige Allgemeinflächen, um sich hier mit den Kollegen auszutauschen. Die aktuelle Entwicklung zeigt also, dass der ursprüngliche Coworking-Gedanke in den Hintergrund getreten ist und stattdessen die Argumente Verfügbarkeit, Lage und Flexibilität dominieren. Und das Konzept zieht immer weitere Kreise: So haben beispielsweise alle neuen Bürotürme in Frankfurt, vom Omniturm über den Marienturm bis zum Tower One solche Flächen bereits eingeplant.

Langfristiges Change Management ist zentral

Neben der notwendigen Fläche muss sich ein Unternehmen auch darüber im Klaren sein, dass ein neues Bürokonzept nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Bis es salonfähig wird, also in den Köpfen der Mitarbeiter ankommt und gelebt wird, kann es durchaus anderthalb bis zweieinhalb Jahre dauern. Erst dann wird sich zeigen, ob das neue Konzept, das auf den ersten Blick feste Strukturen hinter sich lässt, für eine neue Büroordnung mit viel Raum für Ideen und Kreativität sorgt.

Damit das neue Bürokonzept gelingt, ist es wichtig, die Mitarbeiter mitzunehmen - und das bereits frühzeitig. Sechs Monate, bevor man über einen Umzug nachdenkt, sollte man mit dem Change Management beginnen. Mithilfe von Umfragen und in gemeinsamen Workshops wird ein Konzept entwickelt, in das sich der Mitarbeiter ebenso einbringen kann wie die Geschäftsführung. Bei einem Unternehmen mit mehreren Hundert Beschäftigten ist die Einbindung jedes Einzelnen selbstverständlich nicht machbar, weshalb hier Vertreter aus sämtlichen Bereichen ihre Ideen einbringen müssen.

Mentalitäten berücksichtigen

Zu dem Zeitpunkt ist es wichtig, dass sich der Mitarbeiter bei der Ideenfindung integriert fühlt, um die Akzeptanz und Identifikation zu erhöhen. Die Umsetzung muss zudem transparent gestaltet werden, damit der Mitarbeiter nicht am Ende vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Der Prozess muss sowohl nach dem Start als auch nach dem Einzug noch rund sechs Monate lang kontinuierlich begleitet werden. Es muss auch Raum eingeräumt werden, um Dinge korrigieren zu können. Auch eine konkrete Anleitung, wie man die neuen Räumlichkeiten und Möglichkeiten, wie etwa den Alkoven zum Telefonieren, nutzen soll, hilft bei der Akzeptanz. Entscheidend ist, dass das Angebot verschiedener Möglichkeiten als Gewinn und nicht als Verlust erlebt wird.

Eine Herausforderung der neuen Smart-Working-Konzepte ist es, der unterschiedlichen Mentalität der jüngeren und der älteren Mitarbeiter gerecht zu werden. Was 20-Jährige hip finden, lässt 35-Jährige die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Die Kunst ist, für junge Talente attraktiv zu sein, ohne die erfahreneren Mitarbeiter zu verprellen.

Riza Demirci Geschäftsführer & Head of National Office Advisory, BNP Paribas Real Estate, Frankfurt am Main
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Petra Storek Head of Project Solutions, BNP Paribas Real Estate, Berlin

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