Digitale Finanzdienstleistungen aus wettbewerbspolitischer Sicht

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Dr. Thomas Weck, LL.M.*), Leitender Analyst, Monopolkommission, Bonn - Während die Digitalisierung der verschiedenen Wirtschaftsbereiche in den vergangenen Jahren vorangeschritten ist, hat die Finanzbranche in Deutschland aus Sicht des Autors erst verzögert auf das Aufkommen von Direktbanken, Fintechs für Einzeldienstleistungen und digitalen Marktplätzen reagiert. Inzwischen registriert er allerdings auch hierzulande Ansätze eines einzelfallbezogenen Wettbewerbs um Finanzdienstleistungen, der den Kunden einen zusätzlichen Mehrwert gegenüber den bisherigen Angeboten verschafft. Im Rahmen der wettbewerbspolitischen Gestaltung zwischen Finanzaufsichtsrecht, dem allgemeinen Verbraucherschutzrecht, diversen Vorschriften zu Datenschutz und technischer Datensicherheit sowie landesrechtlichen Regelungen wie Gewerbeordnungs- und Sparkassenrecht plädiert er für eine Regulierung, die der höheren Marktdynamik in möglichst wettbewerbsfreundlicher Weise Rechnung trägt. (Red.)

Die Monopolkommission hat sich in ihrem XXI. Hauptgutachten mit der Digitalisierung und dem Markteintritt neuer digitaler Anbieter in den Finanzsektor beschäftigt.1) Der vorliegende Beitrag fasst diese Erkenntnisse zusammen.

Auswirkungen der Digitalisierung auf Finanzdienstleistungen

Finanzdienstleistungen werden bereits herkömmlich in großem Umfang über elektronische Kanäle abgewickelt. Die Digitalisierung verbessert insofern die technischen Möglichkeiten. Finanzdienstleistungen haben besondere Eigenschaften, wenn man sie mit anderen Dienstleistungen vergleicht, die über das Internet vertrieben werden, zum Beispiel den Dienstleistungen von Suchmaschinen, sozialen Netzwerkdiensten oder Handels- und Buchungsportalen. So stellen Finanzdienstleistungen häufig gebündelte Produkte dar. Ein Beispiel ist ein Girokonto, das neben der Einlagenverwaltung andere Dienste wie etwa Ein- und Auszahlungen sowie Überweisungen umfasst. Außerdem vermitteln Finanzdienstleister zwischen verschiedenen Kunden im Rahmen länger laufender Vertragsbeziehungen, zum Beispiel, indem sie als Banken Gelder von Einlegern annehmen und an Kreditnehmer weiterleiten. Diese Tätigkeit erfordert das Vertrauen der jeweiligen Kunden und setzt somit grundsätzlich voraus, dass Finanzdienstleister eine durch Vertrauenswürdigkeit gekennzeichnete Marktreputation aufbauen.

Die Marktbedingungen für den Vertrieb von Finanzdienstleistungen, die über elektronische Kanäle erbracht werden, ändern sich schon seit einiger Zeit. Die Digitalisierung beschleunigt diesen Veränderungsprozess insbesondere bei standardisierbaren Finanzdienstleistungen im Privatkundengeschäft. Bei bedingt oder gar nicht standardisierbaren Finanzdienstleistungen wirkt sich die Digitalisierung in wesentlich geringerem Umfang aus (zum Beispiel bei der Vergabe von Unternehmenskrediten).

Veränderungen bei standardisierbaren Finanzdienstleistungen im Privatkundengeschäft betreffen sowohl die gegenüber Kunden vertriebenen Produkte (Frontoffice) als auch darauf bezogene Abwicklungsdienstleistungen (Backoffice). Die Digitalisierung hat für die Anbieter die Möglichkeiten zur Standardisierung und Modularisierung erweitert. Sie hat zugleich aber auch für die Kunden die Markttransparenz erhöht und die mit Transaktionen verbundenen Such- und Abschlusskosten gesenkt. Finanzprodukte sind aufgrund ihrer Bündelung aus Teildienstleistungen und der Abhängigkeit von Marktentwicklungen für Kunden oft schwer zu beurteilen. Die Kunden benötigen insofern Beratung. Das Internet ermöglicht es den Kunden nun vielfach, sich die nötigen Informationen selbst zu verschaffen. Anders als bei der bisher von den Finanzdienstleistern selbst gesteuerten Modularisierung erfolgt die Trennung von Produkt und Beratung jetzt allerdings auf Initiative des Kunden.

Informationen und Interaktion

Im Internet macht der Kunde die Erfahrung, dass er Informationen schnell, transparent und ausgerichtet an seinen Präferenzen erhalten kann. Es spricht einiges dafür, dass die Nutzung des Internets, mit der genannten Erfahrung einhergehend, noch zwei weitere Folgen hat:

- Zum einen reduzieren sich in Anbetracht des Informationsangebots im Internet bisherige vertrauensbasierte Bindungen an einzelne Produktanbieter;

- zum anderen erhöhen sich die Verhaltensspielräume für den Kunden. Es kommt also weniger darauf an, welche Produkte ein bestimmter Finanzdienstleister anbieten kann, sondern mehr darauf, welche Produkte der (nunmehr in der Regel besser informierte) Kunde nachfragt.

In der digitalen Ökonomie kommt es stärker als zuvor auf die Informationen an, auf welche ein Kunde als Internetnutzer zugreift, und auf seine Interaktion mit anderen Nutzern (zum Beispiel Empfehlungen in sozialen Netzwerken). Es genügt daher häufig nicht mehr, dem Kunden Angebote im Rahmen dessen zu machen, was zum Beispiel eine Bank in ihrer bestehenden Organisation leisten kann, und etablierte Denkmuster auf neue Kundenanforderungen anzuwenden.

Das hat Rückwirkungen auf die Geschäftstätigkeit der Finanzdienstleister. So steht etwa der Nutzen einer bestehenden Filialinfrastruktur und IT-Infrastruktur infrage, wenn Kunden nicht mehr zwingend zur Beratung in eine Filiale kommen und wenn vielmehr die IT auf Anbieterseite geeignet sein muss, die Ermittlung der Kundenpräferenzen durch Datenauswertung zu ermöglichen.

Entwicklung des Marktes - neue Anbieter mit Alternativangeboten

Die Entwicklung bei Bankdienstleistungen für Privatkunden zeigt, dass der Umstand, dass die herkömmlichen Anbieter auf die Marktentwicklungen bislang mit Verzögerungen reagiert haben, es neuen Anbietern ermöglicht hat, mit Alternativangeboten in den Markt einzutreten.

In einem ersten Schritt sind Direktbanken entstanden, bei denen Kunden ihre Bankgeschäfte online beziehungsweise per Telefon abwickeln können und die über eine speziell auf diese Vertriebskanäle ausgerichtete Beratungsinfrastruktur verfügen. Der Unterschied zwischen dem Direktbankgeschäft und herkömmlichen Filialbankgeschäften besteht im Wesentlichen darin, dass die Kunden sich in größerem Umfang selbst um die Abwicklung von Finanztransaktionen kümmern und im Gegenzug keine Filiale aufsuchen müssen. Aus Kundensicht bedeutet das Angebot von Online- und Telefonbanking eine Erweiterung des Leistungsspektrums der Kreditwirtschaft. Allerdings erhält er nur vergleichsweise einfache Hilfestellungen und noch keine digitale Assistenz.

In einem zweiten Schritt haben sich Finanztechnologieunternehmen (Fintechs) entwickelt, die ihren Kunden standardisierbare Einzeldienstleistungen anbieten, die stark auf die jeweiligen Kundenbedürfnisse zugeschnitten sind (das heißt einfach, schnell, transparent und möglichst personalisiert). Das Produkt wird dabei ausgehend von einem gewünschten Kundenerlebnis, also nicht im Rahmen bestehender Strukturen, entwickelt und dann erst den Kunden vorgestellt und vermarktet.

Fintechs treten als neue Wettbewerber von Banken auf (zum Beispiel als Kontoverwaltungsdienste, Crowd-Lending-Plattformen), arbeiten häufig aber auch im Rahmen von Kooperationen, das heißt als Produkt- oder Prozess partner, mit Banken zusammen (etwa im Backoffice). Die Übergänge zwischen beiden Aktionsformen sind fließend. Aus Kundensicht vereinfachen Fintechs die Durchführung einzelner Finanzdienstleistungen, indem sie solche Dienstleistungen auf die Kundenpräferenzen zuschneiden (= digitale Assistenz). Davon abgesehen eröffnen Fintechs zum Teil auch solchen Kundengruppen Zugang zu Finanzdienstleistungen, die angesichts hoher Risiken und geringer Erträge durch das standardisierte Angebot herkömmlicher Banken nicht erreicht werden konnten (zum Beispiel beim Crowd Lending).

In einem dritten Schritt sind Vertreter einer neuen Generation von Fintechs entstanden, die verschiedene Einzeldienstleistungen auf einer (technischen) Plattform bündeln und dem Kunden über ein einheitliches Portal beziehungsweise eine Mobilapplikation den Zugriff auf diese Dienstleistungen erlauben. Die beschriebenen Systeme werden auch als digitale (Finanz-)Marktplätze bezeichnet. Ihre Struktur gestattet es nicht nur, Bankdienstleistungen und innovative Fintech-Dienste (zum Beispiel Peer-to-Peer-Dienste) einzubinden. Vielmehr können sie auch so aufgebaut werden, dass der Portalbetreiber dem Kunden bei einer individuellen Anfrage aus einem Pool von Anbietern das beste Angebot bereitstellt.

Plattformen und Portale

Schließlich ist es grundsätzlich möglich, Kunden über die Plattform auch den Zugriff auf Dienste von Nichtbankunternehmen einzuräumen (zum Beispiel zur Verwaltung eines Mobilfunkaccounts). Die digitalen Finanzmarktplätze stellen angesichts ihres vollständigen eigenen Produktsortiments einerseits Wettbewerber von herkömmlichen Direkt- und Filialbanken dar, können andererseits aber auch offen für Kooperationen sein. Aus Kundensicht erlauben es die Marktplatzsysteme, über ein einheitliches Portal auf seine individuellen Präferenzen zugeschnittene Finanzdienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Zugleich lässt sich die Informationsflut, welcher der Kunde hinsichtlich digitaler Finanzdienste häufig ausgesetzt ist, vermindern, da für ihn relevante Einzeldienste vom Betreiber des Marktplatzsystems automatisch eingebunden werden können.

Es liegt nahe, dass gerade das Entstehen digitaler Finanzmarktplätze mit der Zeit zur Entwicklung hybrider Geschäftsmodelle beitragen kann. Durch die weitere Entwicklung von offenen Marktplatzsystemen könnte es auch Nichtbankunternehmen aus dem Technologiebereich (zum Beispiel Anbietern von Internetdiensten, Mobilfunkbetreibern) erleichtert werden, sich im Bereich digitaler Finanzdienstleistungen zu engagieren. Außerdem können Marktplatzsysteme so aufgebaut sein, dass Kundenanfragen nach Finanzprodukten für unterschiedliche Anbieter ausgeschrieben werden (Auktionsplattform). Damit wird ein einzelfallbezogener Wettbewerb um Finanzdienstleistungen möglich, der dem Kunden einen zusätzlichen Mehrwert gegenüber den bisherigen Angeboten verschafft.

Wettbewerbspolitische Überlegungen

Eine offene Frage ist, ob Neuerungen im Zuge der Digitalisierung ein "disruptives Potenzial" entfalten und ob somit auf absehbare Zeit eine grundlegende Neuordnung des Finanzsystems zu erwarten ist. Die Digitalisierung hat die Finanzdienstleistungen (etwa von Banken, Versicherungen) bisher nicht als solche grundlegend verändert, sondern eher die technischen Abläufe bei der Erbringung dieser Dienstleistungen. Die wesentlichste Änderung dürfte dabei die Verlagerung von Bankdienstleistungen aus den örtlichen Geschäftsstellen ins Internet darstellen. Allerdings ist wahrscheinlich, dass sich der Wettbewerb zukünftig durch die Digitalisierung noch verstärken wird und dass sich die Standardisierung und Modularisierung von Bankdienstleistungen fortsetzen werden.

Im Rahmen der wettbewerbspolitischen Gestaltung sind die Besonderheiten von Finanzdienstleistungen zu beachten, die sich in der speziellen Regulierung solcher Dienstleistungen widerspiegeln. Die Regulierung ist darauf ausgerichtet, die Finanzmarktstabilität zu bewahren und die Marktteilnehmer gegen Verluste durch die Realisierung bestimmter Risiken zu schützen. Diesen Zielen dient das Finanzaufsichtsrecht, dem letztgenannten Ziel auch das allgemeine Verbraucherschutzrecht. Hinzu kommen insbesondere Vorschriften zum Datenschutz und technischer Datensicherheit sowie in Deutschland die landesrechtlichen Regelungen des Gewerbeordnungs- und Sparkassenrechts.

Diese Ziele sind allerdings in möglichst wettbewerbsneutraler Weise zu verfolgen. Für den Wettbewerb zwischen Finanzprodukten ist es wichtig, dass einheitliche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet bleiben beziehungsweise geschaffen werden. Das spricht dafür zu prüfen, ob eine zeitgebundene Aussetzung von Zulassungs- oder Meldepflichten für solche neuartigen Angebote eingeführt werden kann, die zulassungspflichtige Dienste betreffen, solange diese Dienste in einem Umfang unterhalb gesetzlich festzulegender Schwellen erbracht werden und sofern systemische Risiken auszuschließen sind (regulatorischer Sandkasten). Bei der Anpassung der gesetzlichen und behördlichen Regulierung ist davon abgesehen insbesondere die Entwicklung von Standards und zueinander kompatiblen Lösungen zu fördern, zum Beispiel über den Zugang zu IT-Schnittstellen.

Daneben sollten die Auswirkungen regulatorischer Maßnahmen auf grenzüberschreitend angebotene Dienste beachtet werden, zum Beispiel bei unterschiedlichen Pflichten zur Verbraucherinformation. Eingriffe in den Markt, die darauf abzielen, Marktteilnehmer zu schützen, die eine Anpassung an Marktveränderungen versäumt haben, sind zu vermeiden. Diese Überlegungen decken sich mit Maßnahmen, die insbesondere auf EU-Ebene zum Teil schon ergriffen worden sind. Hervorzuheben ist insofern vor allem die aktuelle Zahlungsdienste-Richtlinie, wonach Banken Dritten Zugang zu Schnittstellen (API) einräumen müssen, die Ertrags- und Kontenanzeigen und die Auslösung von Zahlungsaufträgen ermöglichen.2)

Höhere wettbewerbliche Dynamik

Der Markteintritt digitaler Dienstleister (Direktbanken, Fintechs) erhöht deutlich die wettbewerbliche Dynamik im Bereich standardisierbarer Finanzdienstleistungen. Er eröffnet dabei Potenziale für neuartige Kooperationen und die Entwicklung hybrider Geschäftsmodelle - nicht zuletzt unter Einbeziehung der Dienste von Nichtbankunternehmen wie zum Beispiel Telekommunikationsdienstleistern und Internetplattformbetreibern. Eine Reihe der deutschen Banken entwickelt zunehmend Lösungen, die die Vorteile der Digitalisierung nutzen.3)Die Regulierung sollte die Marktentwicklung unterstützen.

*) Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors wieder.

Fußnoten

1) Monopolkommission, XXI. Hauptgutachten, Wettbewerb 2016, Tz. 1339 ff.; Vorabveröffentlichung abrufbar: http://www.monopolkommission.de/images/HG21/HGXXI_Gesamt.pdf (zuletzt abgerufen am 26. Oktober 2016).

2) Art. 66 ff. und Erwägungsgrund 28 der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/ EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG, ABl. L 337, 23. Dezember 2015, S. 35.

3) Siehe zum Beispiel Deutsche Bank, Deutsche Bank startet neue Banking-App, Presse-Information vom 26. April 2016; Dohms/Schreiber, Sparkassen planen "Smartphone-Bank", Süddeutsche.de vom 2. Mai 2016; dazu auch o. A. Yomo: Acht Sparkassen, Finanz Informatik, rhein-landmobil und Star-Finanz basteln am number26-Killer, IT Finanzmagazin vom 3. Mai 2016.

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