Digitalisierung als Basis für das Banking von morgen

Roland Boekhout, CEO, ING-DiBa AG, Frankfurt am Main

Roland Boekhout, CEO, ING-DiBa AG, Frankfurt am Main. Ganz so düster, wie das zuweilen in der Öffentlichkeit vermittelt wird, sieht der Autor die Zukunft der hiesigen Bankenbranche nicht. Zwar rechnet er auf mittlere Sicht mit einer Konsolidierung, aber er zeigt sich auch optimistisch hinsichtlich der Zukunftschancen. Sein Blick richtet sich dabei über sie längst laufenden Kooperationen mit Fintechs und die vielen Ansätze zur Digitalisierung hinaus auf neue Formen der Arbeitsorganisation und neue Arten von Services. Durch die Digitalisierung sieht er einen Wandel von Arbeitsstrukturen und Führungsstilen begünstigt, der schnelle und flexible Reaktionen auf die Kundenwünsche zulässt. Eine große Bedeutung schreibt er in diesem Zusammenhang einer klugen Datennutzung zu. Dabei will er sowohl den Sicherheitsaspekt als auch die Kundeneinwilligung keineswegs ausgeblendet sehen, schätzt aber deren Bremswirkung auf neue Entwicklungen - Stand heute - als nicht durchschlagend ein. (Red.)

Die Finanzindustrie befindet sich mitten im Wandel - Disruption und Innovation sind die zentralen Begriffe, die momentan bei jedem Expertengespräch zu vernehmen sind, wenn es um die aktuelle Lage von Finanzinstituten geht. Die fundamentalen Umwälzungen, die in anderen Industriebereichen wie der Automobilindustrie oder im Konsumgüterbereich bereits früher stattfanden, sind im Banking angekommen. Auch wenn eine Reihe von Finanzinstituten den Wandel und dessen Geschwindigkeit argwöhnisch betrachten, besteht in jeder Veränderung eine Chance. Wenn man die Lage richtig einschätzt und rechtzeitig die entscheidenden Weichen stellt, werden Banken gestärkt aus der Phase des Umbruchs herausgehen und weiteres Wachstum generieren.

Kooperationsmodell

Vor ein paar Jahren, als die ersten Fintechs am Markt auftauchten, riefen nicht wenige Stimmen, dass das Ende der Banken eingeläutet sei. Niemand würde mehr die etablierten Player brauchen, denn die Fintechs würden die gleichen Leistungen günstiger und kundenfreundlicher ab decken. Die Verunsicherung in der Branche war durchaus hoch. Aber letztendlich hat sich gezeigt, dass es kein "Entwederoder" gibt, sondern vielmehr ein "Sowohlalsauch." Es gibt keine Bank, die aufgrund eines Fintechs vom Markt verschwunden ist, aber genauso wenig gibt es kein Finanz institut, welches sich der jungen Konkurrenz vollkommen verschließen kann.

Heute herrscht Konsens zwischen nahezu allen Banken, dass die Kooperation mit Fintechs für beide Seiten Früchte trägt. Während Banken Zugang zu neuen innovativen Ansätzen erhalten, können Fintechs von dem etablierten Image, dem großen Kundenstamm und dem langjährigen Knowhow der Banken profitieren. Und letztendlich muss festgehalten werden, dass vor allem der Kunde durch noch mehr und bessere Leistungen von diesen Kooperationen Gewinn zieht.

Obwohl Fintechs heute keine Bedrohung mehr für die Bankenlandschaft darstellen, werden sicherlich nicht alle Finanzinstitute die Disruption überleben. Die Unternehmensberatung Bain & Company prognostizierte kürzlich, dass bis 2025 ein Drittel der Banken in Deutschland aufgrund ihrer Renditeschwäche verschwinden werden. Eine Marktkonsolidierung ist auch zwingend nötig, da Deutschland im internationalen Vergleich weit hinterherhinkt. Viele Institute haben es versäumt, ihre Kosten im Griff zu behalten und auf Innovationen zu setzen.

Von anderen Branchen lernen

Und dabei geht es nicht allein um die Zusammenarbeit mit Fintechs, sondern um weitaus mehr: Viele Banken haben den Trend der Digitalisierung, und damit verbunden auch eine Reihe von Kostenvorteilen, die sie mit sich bringt, verschlafen. Denn es ist die Digitalisierung, die Technologie, neue Ansätze der Arbeitsorganisation sowie innovative Formen der Kundenbetreuung und -gewinnung kombiniert. Und das bringt erhebliche Effizienzsteigerungen und Wachstumschancen mit sich.

Dabei war dieser Trend bereits früh erkennbar, wenn man über den eigenen Tellerrand hinausschaute: Unternehmen wie Amazon oder Nike haben schnell erkannt, welche Chancen die Digitalisierung für ihre Geschäftsaktivitäten bietet und immer mehr Services in Echtzeit angeboten sowie Wege gefunden, wie ihre Marken über das eigentliche Produkt oder den eigentlichen Service hinaus noch besser positioniert werden können. So hat Nike ein ganzes Lifestyle-Imperium geschaffen. Das Unternehmen bietet nicht nur individualisierte Produkte an, sondern auch eine ganze Reihe an Sport-Apps und Events, mit denen sich Freunde "connecten" und gegenseitig motivieren können, sportliche Höchstleistungen zu erbringen, oder bei Trainingsfragen Nike-Experten direkt nach individuellen Tipps fragen können.

Neue Art von Services

Auch Banken sollten sich ein Beispiel daran nehmen und aufhören, von ihren Produkten aus zu denken. Wenn sich Finanzinstitute stärker in die Lage des Kunden versetzen und sich fragen würden, was genau sie im Leben eigentlich brauchen, kämen sie schon ein gutes Stück weiter. Denn Kunden wollen sich ihre Träume erfüllen und Ziele erreichen - daher sollte es Aufgabe der Banken sein, ihnen dies mit den dafür am besten geeigneten Produkten und Services zu ermöglichen. Und hierbei bietet die Digitalisierung ein optimales Sprungbrett. Mit ihr können Prozesse bankintern endtoend digitalisiert werden, was zum einen zu höherer Effizienz führt, aber vor allem dem Kunden Real-Time-Banking ermöglicht.

Die Digitalisierung wird die Bankenbranche von Grund auf erneuern und sich nicht nur auf Produkte und Dienstleistungen auswirken, sondern auch auf die Art, in der Services erbracht werden. Schon heute kontrollieren die Kunden ihre Finanzen von unterwegs mit der App im Schnitt acht Mal am Tag. Und es ist nur noch eine Frage der Zeit, in der auch die meisten Kunden in Deutschland Wertpapiergeschäfte oder eine Immobilienfinanzierung mobil und "on the go" beantragen - weil es genauso sicher wie am Laptop geht, aber man viel flexibler ist.

Digitalisierung als Treiber für agiles Arbeiten

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der durch die Digitalisierung mit verursacht wird, ist der Wandel von Arbeitsstrukturen und Führungsstilen. Um auf die sich rapide ändernden Möglichkeiten, die der Kunde für sein Banking nutzen will, genauso schnell reagieren zu können, stehen heute Agilität und Flexibilität ganz oben auf der Liste der Eigenschaften, die Mitarbeiter haben sollten. Neue Innovationsmethoden wie Pace oder Scrum werden abteilungsübergreifend verwendet, um in kurzen Sprints neue Zusatzdienste oder Produktprototypen zu entwickeln, und diese dann in Tests mit Kunden auszuprobieren, weiterzuentwickeln und so letztendlich schnell auf den Markt bringen zu können.

Auf diese Weise wurde auch der Express-Vorteil bei Krediten entwickelt: Damit können ausgewählte Girokonto-Kunden schnell und einfach online einen Raten-, Auto- oder Wohnkredit erhalten. Auch wenn heute noch bei Weitem nicht alle Bereiche der Bank mit solchen innovativen Methoden arbeiten, gelten die dahinterstehenden Botschaften bereits jetzt für alle Mitarbeiter: Es gilt immer zu hinterfragen, ob Arbeitsprozesse und -ergebnisse so weiterhin richtig sind oder nicht durch die ein oder andere Stellschraube verbessert werden können.

Die Zukunft mit Smart Data

Die Digitalisierung bietet auch heute schon mehr Möglichkeiten, als eigentlich Verwendung finden. So wird das Thema Smart Data mittelfristig ein zentraler Baustein für das Banking von morgen sein. Die unglaubliche Fülle von Kundeninformationen und -daten wird sicherlich in Zukunft dafür verwendet werden können, auf den Kunden zugeschnittene, noch vorteilhaftere Produkte und Services zu der Zeit, zu der sie wirklich gebraucht werden, anbieten zu können. Dabei spielen Kundeneinwilligung und Datenschutz natürlich eine wichtige Rolle. Auch in Zukunft wird jeder Kunde selbst entscheiden können, welche Daten er zu welchem Zweck zur Verwendung freigibt.

Aber letztendlich wird der Mehrwert für Kunden durch Smart Data enorm sein. Etwa, wenn sie vorab per Alert informiert werden, wenn ihr Konto mit einer weiteren Transaktion ins Soll rutscht. Wenn Kunden durch solch eine Vorwarnung die Möglichkeit haben, ihr Konto frühzeitig auszugleichen oder sich beispielsweise mit einem Instant-Kredit bessere Konditionen sichern, als wenn der Dispo-Zins ihres Girokontos greift, ist das ein lukrativer Mehrwert für den Kunden. Genauso werden Kunden davon profitieren, wenn sie in bestimmten Situationen das Auszahlungslimit am Geldautomaten oder ihr Kreditkartenlimit in Echtzeit erhöhen können - sei es nur für ein Zeitfenster von 15 Minuten. Im ING-Netzwerk wird schon heute sichtbar, wo die Reise hingeht. Viele europäische Länder sind bei Smart Data early adopter. Das gilt etwa für Spanien, wo sich Kunden bereits heute per Push-Nachricht attraktive Angebote auf das Smartphone schicken lassen, je nachdem, wo sie sich gerade befinden. Sicherlich wird das früher oder später auch in Deutschland der Fall sein. Durch advanced analytics wird - sofern der Kunde denn einwilligt - das, was er mit der Bank tut, dokumentiert, analysiert, Veränderungen ermittelt und Schlussfolgerungen hinsichtlich der Wünsche und Anforderungen des Kunden gezogen. Daraufhin entwickelt die Bank eine Anwendung oder gar ein Produkt, die genau diese Kundenbedürfnisse erfüllen.

Chancen einer Konsolidierung

Sicherlich wird die Bankenlandschaft während der aktuellen Disruptionsphase Federn lassen. Lange nicht jede Bank ist bereit und fähig, sich in dem Maße den notwendigen Änderungen zu stellen, wie es die Digitalisierung erforderlich macht. Eine Konsolidierung der Branche wird in Deutschland mittelfristig nicht ausbleiben. Die Banken, die die Umbruchphase aber meistern, werden gestärkt aus ihr hervorgehen. Sie werden die Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, in neues Wachstum ummünzen - indem sie sich auf der Kostenseite schlanker aufstellen und auf der Ertragsseite durch innovative Services und Produkte, eine starke Marke sowie ein tolles Kundenerlebnis mehr Einnahmen generieren.

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