Die Digitalisierung der Finanzbranche - eine Chance für Frankfurt

Tarek Al-Wazir, Hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung, Wiesbaden - Die volkswirtschaftlich so wichtige Neugründung von Unternehmen wird seit einigen Jahren in allen Sektoren der Wirtschaft stark von der Digitalisierungswelle getrieben. Für die hessische Landesregierung als verantwortlichem Rahmensetzer stehen dabei die Fintechs und der Finanzplatz Frankfurt besonders im Blickpunkt. Dort günstige Bedingungen für das Entstehen eines Fintech-Hubs zu schaffen, gehört zu den erklärten Zielen einer gemeinsamen Initiative aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Der Autor verweist auf die bereits vorhandene IT-Infrastruktur in der Region und formuliert ein reizvolles Ziel - den Aufbau eines Kompetenzzentrums für Datensicherheit. (Red.)

Kontoeröffnung per Internet, vollautomatisierte Konto- und Versicherungswechselservices mit anschließender Kündigung von Altverträgen, banklose Bezahlsysteme, Kryptowährungen und Blockchain - die Digitalisierung erfasst zunehmend auch den Finanzsektor und stellt insbesondere Banken, Börsen und Versicherungen vor neue Herausforderungen. Beinahe täglich erscheinen Zeitungsartikel zum Thema Fintechs. Historisch gewachsene und bewährte Geschäftsmodelle werden mit einer enormen Dynamik infrage gestellt. Dies betrifft zentrale Bereiche wie den Zahlungsverkehr, die Anlagenverwaltung, das Kreditgeschäft, die Kapitalmarktfinanzierung, den Wertpapierhandel sowie das Versicherungsgeschäft. Gleichzeitig verändern die neuen technologischen Möglichkeiten die Bedürfnisse und das Verhalten der Kunden, die es mittlerweile gewohnt sind, immer und überall auf das Internet zuzugreifen. Insbesondere die junge Generation erwartet, dass auch die Finanzbranche damit Schritt hält.

Investitionen in neue Produkte und Prozesse

Bei aller Übertreibung, die derartigen technischen Fortschritt immer begleitet: Es wäre ein Fehler, die Digitalisierung des Finanzsektors ausschließlich als Hype abzutun. Viele erfolgreiche Fintechs und Projekte zeigen, dass wir einen fundamentalen Wandel erleben, der vor der Finanzwirtschaft nicht Halt macht. Hergebrachte Strukturen, Abläufe und Produkte müssen im Hinblick auf neue technische Möglichkeiten fortwährend überprüft und entsprechend weiterentwickelt werden. Dies verlangt Investitionen in neue Produkte und Prozesse, in technische Ausstattung und Datensicherheit.

Kein Zweifel: Der Umbruch ist eine Herausforderung, aber er eröffnet auch erhebliche Chancen. Denn Effizienzsteigerungen locken neue Wettbewerber in den Finanzdienstleistungsbereich. 2015 hat sich die Höhe entsprechender Investitionen verdreifacht. Die Zahl junger Finanztechnologie-Unternehmen ist ebenfalls erheblich gestiegen. Der zuletzt veröffentlichte Annual Review of Global Banking von McKinsey kommt zu dem Ergebnis, dass Fintechs den traditionellen Banken in der nächsten Dekade bis zu 60 Prozent des Gewinns im Privatkundengeschäft sowie 40 Prozent ihres Umsatzes abnehmen können.

Ein attraktives Umfeld für moderne Finanztechnologien

Der Finanzplatz Frankfurt hat das Potenzial, von diesen Veränderungen erheblich zu profitieren - und die Hessische Landesregierung hat ein großes Interesse daran, diesen Wandel mitzugestalten und dazu beizutragen, dass am Main ein international führender Fintech-Hub entsteht. Sie handelt dabei nach der Prämisse, dass dieser Prozess nicht von Wiesbaden aus verordnet, sondern lediglich initiiert werden kann. Der eigentliche Antrieb muss aus der Fintech-Szene selbst kommen.

Daher hat die Landesregierung Ende Januar 2016 mit vielen Partnern, insbesondere der Stadt, einen ersten Schritt getan, um modernen Finanztechnologien in Frankfurt ein attraktives Umfeld zu bieten, das Neugründungen begünstigt und langfristig am Standort hält. Weitere Beteiligte sind Hochschulen, etablierte Finanzdienstleister und Organisationen wie Frankfurt Main Finance. Von zentraler Bedeutung ist die Etablierung eines Ortes mit günstigem und attraktivem Büroraum, Möglichkeiten zur Vernetzung und zum Austausch sowie Zugang zu Beratung und Investoren.

Kompetenzschwerpunkt für Datensicherheit

Dank der Vielzahl hochengagierter Akteure hat sich das Ökosystem in den letzten Jahren bereits erheblich entwickelt. Die Frankfurter Fintechs sowie universitäre und private Inkubatoren leisten hervorragende Arbeit. Schließlich sind es die natürlichen Stärken der Metropolregion Frankfurt, die die Entwicklung in diese Richtung lenken. Frankfurt ist der wichtigste Finanzplatz der Eurozone und Kontinentaleuropas. Über 200 Banken haben hier ihren Sitz, darunter internationale Großbanken; Sparkassen und Genossenschaftsinstitute sind ebenso vertreten wie fast alle großen Auslandsbanken, die EZB und wichtige europäische und nationale Aufsichtsbehörden. Aktuell sind hier zirka 63 000 Menschen im Bankensektor beschäftigt.

Das Rhein-Main-Gebiet ist aber auch ein Hotspot der Informations- und Telekommunikationsbranche mit einem besonderen Kompetenzschwerpunkt auf der für das Finanzwesen so kritischen Datensicherheit. Nirgends sonst in Deutschland oder Europa bietet sich eine ähnliche geografische Konzentration von Informations- und Kommunikationstechnologie mit Finanzdienstleistungen. Neben Weltmarktführern wie der Software AG und (kurz hinter der hessischen Landesgrenze) SAP sind auch zahlreiche hochspezialisierte und erfolgreiche IT-Dienstleister in unmittelbarer Nähe des Finanzplatzes versammelt.

Hinzu kommen Ausbildung und Forschung als Ursprung von Innovationen. Die Goethe-Universität genießt ebenso internationales Renommee wie die Frankfurt School of Finance & Management, die im kommenden Wintersemester die neue Spezialisierung "Digital Innovation and FinTech" in ihrem Bachelor-Studium in Business Administration anbietet - das erste Fintech-Studium in Deutschland. Im benachbarten Darmstadt sind international herausragende IT-Forschungseinrichtungen ansässig. Diese akademische Expertise verfügt mit dem Finanzplatz über einen direkten Zugang zu enormen Investitionskapital und zur Finanzkraft der Banken und Investoren.

Aber der Finanzpatz ist weit mehr als ein potenzieller Geldgeber und Wachstumsförderer der Fintechs. Ebenso bedeutend ist seine Rolle als Nachfrager nach innovativen Finanzdienstleistungen - seien es B2B-Lösungen, die Geschäftsprozesse vereinfachen und optimieren, seien es Ansätze, die Geschäftsprozesse den veränderten Bedürfnissen der Kunden anpassen und zukunftsfähig machen. Hier lockt Geschäft. Kurzum: In Frankfurt trifft die Innovationskraft von Fintechs auf die Finanzkraft, das Know-how und die Nachfrage eines internationalen Bankenzentrums.

IT-Infrastruktur als Standortvorteil

Zudem kann die Region Frankfurt mit einer erstklassigen IT-Infrastruktur aufwarten. Mit dem DE-CIX sitzt in Frankfurt der weltweit größte Internetknoten mit einem Datenverkehr von bis zu fünf Terabits pro Sekunde. Deutschlandweit stehen 40 Prozent der Großrechenzentren in Frankfurt. Das sind harte Standortvorteile für Big-Data-Technologien. Immer mehr Global Player im Cloud-Computing-Markt bauen ihre Rechenzentren in Frankfurt. In der zentralen globalen operativen Einheit des Global Legal Entity Identifier Systems laufen die digitalen Barcodes der Marktteilnehmer von Finanztransaktionen weltweit zusammen - auch diese Zentrale des von der G-20 initiierten Projektes hier in Frankfurt ist Financial Technology im materiellen Sinne.

All diese Standortvorteile werden bereits heute umfassend genutzt. Die Zahl der Fintechs wächst in Frankfurt schneller als im Bundesdurchschnitt. Dabei sind es am Main weniger Start-ups als etablierte Finanz- oder IT-Dienstleister, die innovative Finanztechnologien entwickelt haben - ein klarer Hinweis, dass sich das Thema Fintechs nicht auf Start-ups verengen lässt.

Was kann für junge Fintech-Unternehmen getan werden? Von großer Bedeutung ist die Frage der Regulierung: Denn Regulierung kann wesentlich dazu beitragen, Vertrauen in die neuen Unternehmen und ihre Produkte zu schaffen. Hier haben erste Gespräche zwischen Aufsicht, öffentlicher Hand und Start-ups begonnen, die zu einer guten Entwicklung beitragen werden. Entscheidend ist, dass die neuen Geschäftsmodelle und die neuen technischen Möglichkeiten die bestehenden regulatorischen Vorgaben nicht umgehen. Gleiche Risiken müssen gleich reguliert und beaufsichtigt werden. Gesetzgeber und Aufsicht müssen sich die neuen Modelle genau ansehen. Frankfurt als das zentrale Regulierungs- und Aufsichtszentrum der Eurozone ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt der ideale Standort für Fintechs.

Erleichterung der Gründungs- und Wachstumsphase

Das Land Hessen kann auf vielfältige Weise zur Fortentwicklung der Unternehmen und des Fintech-Standorts beitragen. Dies reicht von zinsvergünstigten Darlehen, Gründerfonds, Beteiligungen und Bürgschaften für Start-ups und Ausgründungen bis hin zur Forschung und zur Kooperation mit Hochschulen. Darüber hinaus setzt sich die Hessische Landesregierung in angemessener Weise für neue Finanzierungswege und -formen ein, um jungen Unternehmen mit neuen Technologielösungen die Gründungs- und Wachstumsphase zu erleichtern. Dieses Potenzial sollte nicht durch übertriebene Anforderungen eingeschränkt werden. Neuartige, über Internetplattformen vertriebene Finanzierungsformen wie zum Beispiel Crowd-Investing beziehungsweise Schwarmfinanzierung sollten nicht daran scheitern, dass Schwellenwerte für die Befreiung von der Prospektpflicht zu niedrig angesetzt werden.

Insgesamt soll ein lebendiges Ökosystem entstehen, das verschiedene von Finanzplatzakteuren betriebene Start-up-Zentren mit jeweils unterschiedlicher Ausrichtung und Profil beinhaltet, die sich gegenseitig anregen. Diesen Prozess wird das Land Hessen aktiv unterstützen und dazu beitragen, die Vernetzung der Fintech-Aktivitäten der Region zu stärken. Zudem wird das Land daran mitarbeiten, die Stärken und Vorteile, die die Region bereits heute bietet, auf nationaler wie internationaler Ebene besser zu vermarkten.

Tarek Al-Wazir , Hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung
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