KREDITPOLITISCHE TAGUNG

"Einheitliche Regeln bergen das Risiko, dass 'one size fits all' zum durchgängigen Prinzip wird"

Dr. Thomas Schäfer, Foto: Hessisches Ministerium der Finanzen (Sabrina Feige)

Finanzminister Thomas Schäfer fand klare Worte. Britische Finanzdienstleister sollten nicht auf wie auch immer geartete Äquivalenzverabredungen hoffen, sondern ihren Sitz nach Kontinentaleuropa verlagern, denn wer hier am Markt tätig sein wolle, müsse hier auch niedergelassen sein. Von der deutschen Regierung erhofft er sich eine Abkehr von der vornehmen Zurückhaltung in Sachen Eigenmarketing. Sonst könnte die gute Arbeit Frankfurts als potenzieller neuer Standort schnell zunichte gemacht sein. Zudem kritisierte er Gesetzesentwürfe wie die Finanzstransaktionssteuer oder verabschiedete Gesetze zum steuerlichen Umgang mit Verlusten bei Termingeschäften. Beides wäre klar zum Nachteil des Finanzstandortes Deutschland und müsste umgehend korrigiert werden, so Schäfer. Und einen Wunsch hatte der Finanzminister auch noch: Deutschland habe alle Chancen als Gewinner aus Themen wie der Digitalisierung und dem Klimawandel hervorzugehen. Man müsse sie nur gemeinsam nutzen. (Red.)

Wenn ich auf das Thema des heutigen Tages schaue, so ist diese Klammer enorm wichtig. Denn die Realwirtschaft und die Finanzwirtschaft sind in Deutschland so dicht miteinander verwoben, wie in keinem anderen Land Europas. Kern ist die dezentrale Wirtschaftsstruktur, an der sich auch die Aufstellung der Kreditwirtschaft in der Bundesrepublik orientiert. Darüber immer wieder zu diskutieren, ist natürlich eine Aufgabe innerhalb Deutschlands. Es ist aber vor allem auch eine Herausforderung, die daraus folgenden Besonderheiten immer wieder auch außer halb unseres Landes zu erklären. Die Fragen "Wie geht es der Finanzindustrie?" und "Wie geht es der Realwirtschaft?" können nur gemeinsam beantwortet werden.

Bleibende Brexit-Unsicherheit

Und zwar in einem Europa, das sich verändert. Nehmen Sie nur den Brexit. Wir sind jetzt nach Monaten der Unsicherheit in einer neuen Situation. Ein geordneter Austritt hat am 31. Januar 2020 stattgefunden. Allerdings schon wieder mit einer zeitlichen Deadline, denn die britische Führung hat recht martialisch festgelegt, dass die Übergangsperiode am 31. Dezember dieses Jahres endet.

Für die Verhandlungen zwischen den Briten und den Europäern ist das ein ausgesprochen enger Zeitrahmen, denn im Kern dampft sich dieser auf die Zeitspanne zwischen März und Oktober ein. Sie brauchen vorher Zeit zur Mandatserteilung. Dann geht es in die Verhandlungsperiode. Zwischendrin steht auch noch der übliche Sommerurlaub an. Und ab Ende Oktober müssen dann die Ratifizierungsprozesse in den Mitgliedsstaaten der EU angesetzt werden. Das heißt, es steht für ein Abkommen zur zukünftigen Gestaltung dessen, was künftig wie zwischen Großbritannien und Europa stattfinden soll, gerade mal ein halbes Jahr zur Verfügung. Allein die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada haben vier Jahre gedauert. Und das sei noch Rekordzeit, behaupten auf der internationalen Bühne sehr erfahrene Verhandlungsführer. Da bekommt man ein ungefähres Gefühl dafür, dass wir möglicherweise im zweiten Halbjahr 2020 wieder eine Debatte über einen Hard Brexit und Ähnliches führen werden.

Deshalb habe ich in der vergangenen Woche Vertretern von Banken, die aus Großbritannien nach Frankfurt umziehen wollen, geraten, dies auch nun noch zu tun und sich nicht darauf zu verlassen, dass es ein irgendwie geartetes Austrittsabkommen mit besonderer Privilegierung der Finanzindustrie geben wird. Ich bin zwar kein Bankenaufseher, das kann Herr Hufeld sehr viel besser beurteilen als ich, aber durch meine politische Brille betrachtet, bin ich durchaus skeptisch, was eventuelle Äquivalenzverabredungen betrifft. Ich bringe es mit meinem schmalen intellektuellen Profil nicht zusammen, wenn der britische Finanzminister erklärt, man wolle einerseits der Enge der europäischen Regulierung entkommen und hoffe andererseits aber gleichzeitig auf Äquivalenzvereinbarungen. Entweder das eine oder das andere, beides wird man am Ende nicht bekommen. Und deshalb ist unser Rat an die britischen Finanzinstitute nach wie vor: Wer am Ende in Kontinentaleuropa dauerhaft am Markt tätig sein will, muss sich hier auch niederlassen, damit er den aufsichtsrechtlichen Anforderungen Kontinentaleuropas entspricht.

Standortwettbewerb

Meine Kabinettskollegen Lucia Puttrich, Tarek Al-Wazir und ich haben eine Zwischenbilanz unserer Bemühungen auf der kleinen Provinzbühne einer hessischen Landespolitik ziehen dürfen und ich kann feststellen: Wir sind im Wettbewerb mit anderen Standorten nicht unerfolgreich. Insgesamt wurden deutschlandweit bislang 50 Lizenzen an britische Banken und Finanzdienstleister erteilt. Das ist mehr als an den Wettbewerbsstandorten. Aber wir dürfen uns auf dem Erfolg nicht ausruhen. Wir Deutschen gelten als sehr bürokratisch, was mitunter kritisiert wird. Aber das sorgt für eine große Verlässlichkeit und damit für große Sicherheit. Und genau das wiederum wird bei den Interessenten für einen Umzug sehr geschätzt und führt am Ende häufig zu der Entscheidung, sich am Finanzplatz Frankfurt anzusiedeln. Ein weiterer wichtiger Wettbewerbsvorteil ist die bereits erwähnte sehr enge Konnektivität zur Realwirtschaft.

All das sind rationale Argumente, die für den Standort Deutschland sprechen. Aber wir wissen auch, dass es noch andere Faktoren gibt, die bei einer solchen Entscheidung eine Rolle spielen. Wenn ein Entscheidungsträger am Freitagnachmittag nach Hause fährt und am Wochen ende mit der Familie über den bevorstehenden Umzug plaudert, kann es durchaus passieren, dass er am Montag Paris doch wieder sympathischer findet als Frankfurt. Das darf man nicht unterschätzen. Und die Symbolik, mit der der französische Präsident den roten Teppich ausgerollt und den gleichfarbigen Rotwein in besonderer Weise präsentiert hat, ist durchaus nicht ohne Eindruck geblieben. Da würde ich mir wünschen, dass die nationale politische Bühne die repräsentativen Möglichkeiten vom Schloss Bellevue, dem Bundeskanzleramt oder dem Bundesfinanzministerium noch ein bisschen stärker nutzen würde, um ebenfalls stärker nationales Marketing zu betreiben - auch wenn Deutschland bekanntermaßen zu großer Zurückhaltung im Selbstmarketing neigt. Aber jetzt ist die Zeit, das auch mal zu tun. Nur zugucken hilft nicht. Zu glauben, wir wären erfolgreich gewesen und könnten uns darauf ausruhen, ist ein Trugschluss.

Der zweite Punkt, an dem Deutschland noch Nachholbedarf gegenüber anderen Ländern, vor allem den Franzosen hat, sind die regulatorischen Anforderungen. Wenn ich mir anschaue, mit welcher Geschwindigkeit dort bei der Auslegung von Rechtsvorschriften an Privilegierungen gearbeitet wird, beispielsweise der raschen Anerkennung von Drittstaaten-Zweigstellen, meine ich: Da müssen wir aufpassen! Entweder wir machen das Gleiche und sorgen so wieder für gleiche Wettbewerbsbedingungen oder wirken darauf hin, dass anderen, die das Aufsichtsrecht im Standortwettbewerb einsetzen, Grenzen gesetzt werden.

Letzter Punkt zum Brexit: Ich kann mich noch gut an die ersten Tage nach der Abstimmung in Großbritannien erinnern, als es die zentrale Sorge war, wer als nächstes geht, die Polen vielleicht oder doch die Ungarn? Eines hat die sicherlich mühsame Geschichte dieses Versuchs, aus der Europäischen Union auszutreten, doch gezeigt: Wenn das schon eine der traditionsreichsten Demokratien dieser Erde an die Grenzen ihrer Funktionsfähigkeit bringt, dann sollten die Machthaber anderer Staatsstrukturen sehr viel autoritäreren Grundursprungs in Osteuropa lieber die Finger davon lassen. Denn so etwas fegt Dich schneller vom Markt, als Du überhaupt gucken kannst. Natürlich haben wir das Durcheinander in und mit Großbritannien. Aber wie immer: Alles Schlechte hat gelegentlich auch etwas Gutes.

Besonderheiten machen Deutschland stark

Aber nun möchte ich mich wieder ein Stück näher dem eigentlichen Kernthema widmen: "Welche Perspektiven hat und braucht der (Finanz)Standort Deutschland? und "An welchen Stellschrauben muss gedreht werden beziehungsweise an welchen Stellschrauben muss verhindert werden, dass an ihnen gedreht wird?" Ich glaube, ein wesentlicher Punkt hierbei ist die dezentrale Struktur unserer Banken. Unser Regionalbankenprinzip, was manche sowohl innerhalb, aber vor allem auch außerhalb Deutschlands für ein antiquiertes Relikt des vorvergangenen Jahrhunderts hielten, ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass sich unsere Wirtschaft enorm entwickeln konnte. Dezentral organisierte Ökonomien, der Föderalismus und dezentral organisierte Banken hängen inhaltlich zusammen. Viele unserer bekannten und unbekannten Champions auf dem Weltmarkt finden sich nicht in den Zentren, sondern an Orten Deutschlands, deren Namen die meisten von uns vorher noch nie gehört haben.

Das findet sich so in anderen Ländern nicht. Und daher wundert man sich in einem Land wie Frankreich, das traditionell zentralistisch organisiert ist, natürlich über die Erfolge unserer Unternehmen aus dieser gewachsenen Dezentralität heraus. Wir sind dazu aufgerufen, diese Dezentralität auch in Zukunft aufrechtzuerhalten. Sonst müssen wir noch sehr viel mehr über "abgehängte Regionen" sprechen. Und deswegen müssen wir dafür kämpfen, dass es auch in Zukunft Regionalbanken und dezentral organisierte Bankengruppen gibt. Das eine geht nicht ohne das andere.

Zwar ist eine Harmonisierung der Regulierung durch die europäische Ebene zu begrüßen. Aber einheitliche Maßstäbe beziehungsweise einheitliche Regeln, die auf sehr großer Flughöhe in Brüssel und Straßburg erarbeitet werden, bergen immer auch das Risiko, dass "one size fits all" zum durchgängigen Prinzip wird. Von daher sind all die Versuche, jetzt ein Stück mehr Proportionalität in der Bankenaufsicht zu erreichen, richtig und notwendig und müssen weitergehen. Der alleinige Ansatz der sogenannten Small Banking Box reicht nicht aus. In der Regulierungsgesetzgebung müssen Fragen der Proportionalität und der Angemessenheit der individuellen Risikoorientierung stärker verankert werden, so komplex das auch sein mag. Ich verstehe jeden operativ verantwortlichen Funktionsträgers einer Aufsichtsbehörde, der Harmonisierung begrüßt. Denn für ihn ist es leichter, alle nach gleichen Maßstäben zu haben und nie begründen zu müssen, warum er den einen so und den anderen so behandelt. Aber wir aus wohlverstandener deutscher Sicht brauchen in Zukunft eine auf der Level-One-Gesetzgebung der europäischen Ebene konsequent an Dezentralität orientierte Regulierung, die dann auch von den Aufsichtsbehörden auf Level 3 so gelebt und umgesetzt wird. Und ich bin mir sicher, dass wir eine Chance haben, das auch zu erreichen.

Lassen Sie mich noch eine weitere Bemerkung machen: Die Bankenregulierung orientierte sich bislang nahezu ausschließlich an der Annahme, der Wettbewerber einer Bank ist eine andere Bank. Und selbst vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung, dem Aufkommen großer und kleiner Fintech- und Bigtech-Player, sehen wir, dass die Konkurrenten einer Bank, wenn es darum geht ein Bankgeschäft in Summe zu betreiben, immer noch hauptsächlich andere Banken sind. Aber jedes einzelne Segment des Geschäftes wird im Moment von Spezialanbietern technologiebasiert attackiert. Und da die Kunden zu Recht erwarten, dass ihnen ihre Bank das gleiche Angebot machen kann, wie die neuen Anbieter, hat eine Bank heute an allen Ecken ihre Wettbewerber, an denen sie sich messen lassen muss. Das erhöht den Druck enorm.

Eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre ist es, die Regulierung so auszurichten, dass diese die Kreativität, mit der Fintechs und Startups neue Ideen entwickeln können, nicht ausbremst, gleichzeitig aber gleiches Risiko gleichbehandelt, egal ob dieses durch etablierte Banken verursacht wird oder durch neue Spieler entsteht, die aus einer ganz anderen Ecke kommen und sich in einen neuen Markt hineinentwickeln. Mittlerweile bewegen sich neben sehr vielen kleinen Playern auch große Konzerne wie Apple, Google oder Facebook im Markt der Finanzdienstleistungen. Da brauchen wir umso mehr, so komplex und herausfordernd das auch ist, Regeln, die sicherstellen, dass der Wettbewerb fair bleibt und Risiken in gleicher Weise betrachtet und reguliert werden. Da gibt es noch eine Menge zu tun.

Falsche Signale

Kommen wir zur Politik: Diese hat die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu setzen und ich gehe so weit das zu sagen, bei der Arbeit nicht zu stören. Im Moment beobachte ich aber zwei Themenfelder, in denen die Politik dabei ist, erheblich zu stören. Das eine ist die Debatte um die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. In der vorletzten Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/ CSU und SPD wurde festgehalten, dass es eine Finanztransaktionssteuer auf der europäischen Ebene nur geben darf, wenn diese dem Kleinsparer, der Altersvorsorge und dem Mittelstand nicht schadet. Diese Aussage gilt heute unverändert. Auf dieser Basis begannen die Gespräche auf europäischer Ebene. Von ehedem 14 an der Einführung einer solchen Steuer interessierten Staaten sind heute nur noch 10 übrig. Der Kreis der Befürworter wird immer kleiner. Und es ist ein Modell übriggeblieben, welches nicht in der Lage ist, die Anforderungen der Koalitionsvereinbarung zu erfüllen. Denn es zahlt doch kein einziger Spekulant am Aktienmarkt, um jetzt mal das Klischee zu bedienen, auch nur einen Cent dieser Finanztransaktionssteuer, wenn sie so käme, wie Herr Scholz sie gerne hätte, aber die Aktiensparerinnen und -sparer werden zur Kasse gebeten.

Somit werden selbst die Kleinsparer dazu aufgefordert, sich vermehrt im Niedrigzinsumfeld am Kapitalmarkt zu beteiligen, damit keine finanziellen Konsequenzen für nachfolgende Generationen entstehen. Und gleichzeitig erklärt die gleiche Politik, dass sie diese Vorhaben besteuert. Das versteht nicht nur kein Mensch, sondern das ist auch blanker Unsinn. Das ist das schlichte Verfolgen einer irgendwann mal für sich selbst festgelegten Ideologie, nach dem Motto "Finanztransaktionssteuer ist gleich Zocker bekämpfen". Ein bisschen mehr Reflexion würde ich mir in der nationalen Politik an der Stelle wünschen.

Diese Reflexion findet gerade in Österreich statt. Ich habe mir die ersten Erklärungen des österreichischen Finanzministers samt der Koalitionsvereinbarung angesehen. Wenn die Österreicher sich auch nur halbwegs an die Maßstäbe ihrer eigenen Koalitionsvereinbarung halten, dann müssen sie aus den Verhandlungen um eine Finanztransaktionssteuer aussteigen. Und dann sind wir unter Umständen sehr schnell bei der Debatte, die mein ehemaliger nordrhein-westfälischer Amtskollege angestoßen hat, die Finanztransaktionssteuer notfalls auch in einem nationalen Alleingang einzuführen. Das, so viel kann ich versprechen, wird es unter keinen denkbaren Umständen geben.

Das zweite Beispiel für eine falsche Politik ist das vor einigen Monaten verabschiedete Jahressteuergesetz. In einem der Entwürfe fand sich eine Regelung zur Fragestellung, wie man die Verlustverrechnung bei Termingeschäften neu gestalten kann. Darüber wurde viel diskutiert und auf Anraten des Bundesrates wurde dieses Thema aus dem Jahressteuergesetz herausgenommen. Allerdings hat man auf Ebene der Bundestagsfraktion der nationalen Koalition entschieden, eine solche Regelung an das nächste denkbare Gesetz anzuhängen. Das klingt jetzt für viele von Ihnen wie ein Feinschmeckerthema. Aber es ist ein sehr negatives Signal für den Finanzstandort Deutschland. Inzwischen wurde nämlich die Regelung verabschiedet, dass ab 2021 zwar weiterhin Verluste aus Termingeschäften mit Gewinnen aus Termingeschäften verrechnet werden können. Allerdings wurde der maximale Verrechnungssatz auf 10 000 Euro im Jahr beschränkt. Das hat zur Folge, dass ein Anleger, der mit solchen Geschäften im Jahr 30 000 Euro Gewinn und 40 000 Euro Verlust macht, am Ende 20 000 Euro zu versteuern hat. Dass daraus für Deutschland kein Wettbewerbsvorteil wird, versteht sich von selbst.

Wir beobachten jetzt schon, dass in Banken Überlegungen angestellt werden, diese Geschäfte gar nicht mehr aus Deutschland heraus zu betreiben. Und wir sprechen da allein hier in Frankfurt von einer dreistelligen Anzahl von Arbeitsplätzen. Das muss sehr schnell repariert werden. Nationale Politik muss ebenso wie Landes- und Kommunalpolitik die Bereitschaft haben, einmal eingetretene Fehlentscheidungen schnell zu korrigieren. Das wäre ein wichtiges Signal, ein wichtiges Anliegen im Sinne des Finanzstandortes Deutschland.

Früher war nicht alles besser

Wie Deutschen neigen vielleicht ein bisschen mehr als andere Völker auf der Welt dazu, eher pessimistisch in die Zukunft zu schauen. Und was wir ganz sicherlich haben, ist die Fähigkeit uns in diesem pessimistischen Grundansatz noch so zu suhlen, sodass wir dabei auch noch Freude empfinden. Ich warne vor denjenigen in den Medien und anderswo, die uns einzureden versuchen, dass unser Untergang unmittelbar bevorsteht. Man kann vom amerikanischen Präsidenten halten, was man will. Da habe auch ich eine Meinung. Aber er hat es in Davos jedenfalls in Ansätzen versucht, den Menschen zu verstehen zu geben, dass es auch positive Aspekte für die Zukunft gibt. Dass er dafür aus der nationalen deutschen Politik gleich in Bausch und Bogen wieder verdammt wurde, ist kein gutes Zeichen politischer Differenzierungsfähigkeit.

Ja, wir müssen über die Risiken und über die enormen Herausforderungen und Aufgaben reden. Aber erinnern wir uns doch mal gute 10 Jahre zurück, als wir in der größten Wirtschafts- und Finanzkrise nach dem Zweiten Weltkrieg standen. Angela Merkel und der damalige Finanzminister Peer Steinbrück mussten an einem Nachmittag vor die Presse treten und erklären: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein." Selbst die BILD-Zeitung, die sonst nicht dafür bekannt ist, die Ausdifferenzierung bis ins Letzte zu betreiben, äußerte sich am darauffolgenden Montag mit den Worten "ruhig bleiben". Was war passiert? Nach der Pleite der isländischen Kaupthing Bank wurden die Geldautomaten von uns Realbürgern geplündert, in der Sorge, morgen gebe es kein Geld mehr.

Die Zahl der Bargeldabhebungen an bundesdeutschen Geldautomaten verdoppelte sich von Tag zu Tag. Vier Tage weiter und die Sache wäre zu Ende gewesen. Da standen wir Millimeter vorm Abgrund. Glücklicherweise haben es die wenigsten gemerkt. 10 Jahre später kann man das ja erzählen. Ich erzähle es aber, weil wir immer den Eindruck haben, sich in der Vergangenheit nur an das Gute erinnern zu können. Mit "früher war alles besser" wird momentan auch Politik gemacht, und die Ideen, die vor uns liegen, werden als riesige Berge geschildert, die wir nicht bewältigen können.

Chancen gemeinsam nutzen

Wir haben schon eine große Klimakrise in der Geschichte der Menschheit bewältigt, als es kurz vor 12 war - Stichwort Ozonloch. Wir haben es in einer weltweiten Kraftanstrengung geschafft, dass sich jeder auf der Welt einen neuen Kühlschrank gekauft hat und Haarsprays nicht mehr verwendet wurden, in denen FCKW enthalten war. Heute redet darüber kein Mensch mehr, sondern es ist selbstverständlich. Wenn wir es schaffen wollen, können wir es schaffen.

Und wenn wir Deutschen uns nicht im Elend suhlen, sondern bereit sind, uns auf unsere Stärken zu konzentrieren, dann können wir neue Technologien entwickeln, die auch für Länder interessant sind, die nicht an den Klimawandel glauben. Denn wenn klimaneutraler produziert und damit auch bessere Geschäfte gemacht werden können, dann bekommen wir am Ende auch die Chinesen, die Kanadier, die Inder und die Amerikaner an einen Tisch.

Wer soll diese Sachen entwickeln, wenn nicht wir Deutschen. Und wer soll das alles finanzieren, wenn nicht der Finanzstandort Deutschland mit all seinen guten Perspektiven für die Zukunft. Insofern, lassen wir uns nicht anstecken von denen, die den Untergang prophezeien. Wir haben alle Chancen, nutzen wir sie gemeinsam.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich der 64. Kreditpolitischen Tagung "Perspektiven für den (Finanz)Standort Deutschland" am 24. Januar 2020 in Frankfurt am Main.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Dr. Thomas Schäfer Hessischer Minister der Finanzen, Wiesbaden
 
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Dr. Thomas Schäfer , Hessischer Minister der Finanzen, Wiesbaden
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