Der Euro - noch immer Programm

Dr. Ralph Wiechers, Foto: VDMA

Die aktuelle Situationsanalyse des Autors zum Projekt Europa und dessen gemeinsamer Währung verkennt keineswegs die Entwicklungen des vergangenen Jahrzehnts. Als Folge der Finanz- und Eurokrise hatten und haben große Teile der europäischen Bevölkerung erhebliche Lasten zu tragen, die Perspektivlosigkeit zahlreicher Bürger hat populistischen Parteien Aufwind gegeben und Tendenzen zum Rückzug ins Nationale und zum Misstrauen gegenüber jedweder Form multilateraler Zusammenarbeit Auftrieb gegeben. Und dennoch hält er aus Sicht des deutschen Maschinen und Anlagenbaus unbeirrt an dem europäischen Gedanken und dem Euro fest und stuft die gemeinsame Währung weiterhin als eines der anspruchsvollsten und gleichzeitig wichtigsten Projekte der europäischen Einigung ein. Um alle EU-Bürger an Wachstum und Wohlstand teilhaben zu lassen, plädiert er besonders für eine nachhaltige Schuldenreduzierung, die Einhaltung fiskalischer Disziplin und zukunftsorientierte Reformen in den Euroländern. (Red.)

"Der Euro ist mehr als nur eine neue Währung - der Euro ist Programm. Er setzt tiefgreifende Umwälzungsprozesse in Gang. [...] Umwälzungsprozesse, die gemeinsame politische Antworten erfordern." Mit diesem klaren Statement positionierte sich VDMA Präsident Dr. Michael Rogowski anlässlich der Eröffnung der Hannover Messe Industrie 1998, dem Jahr vor der Euro-Einführung, nicht nur eindeutig als Befürworter der gemeinsamen Währung. Er formulierte auch unmissverständlich die Erfolgsbedingungen, unter denen der Euro stehen müsse. In vielerlei Hinsicht sollte er Recht behalten - heute wie vor zwanzig Jahren. Doch gemeinsame politische Antworten scheinen derzeit weiter entfernt als je zuvor.

Heimatmarkt Europa ist wichtigster Absatzmarkt

Die deutsche Industrie hatte sich bereits sehr früh und sehr deutlich für den Euro ausgesprochen. Die europäische Währungsunion sei, so der Bundesverband der deutschen Industrie in einem Report des Industrieforums: EWU von 1996, "... ein besonders wichtiger Beitrag dazu, uns wieder konkurrenzfähiger zu machen. [...] nicht nur Deutschland, der "alte Kontingent" insgesamt braucht neue Strategien, um gegenüber Nordamerika und Ostasien wieder aufzuschließen. Die Politik hat zwei wichtige strategische Weichenstellung getroffen: die Osterweiterung der EU und die Währungsunion."

Der Maschinen- und Anlagenbau machte im Konzert der industriellen Befürworter keine Ausnahme - aus gutem Grund. Die Bedeutung des gemeinsamen Währungsraums für die deutschen Maschinenhersteller war und ist immens. Knapp die Hälfte aller deutschen Maschinenexporte gehen in das EU-Ausland, allein rund 30 Prozent in die Länder der Eurozone. Die Eurozone und die EU als Ganzes sind somit für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau nicht nur Heimatmarkt, sondern auch größter Absatzmarkt zugleich. Hinzu kommt: Rund ein Drittel und damit der größte Teil deutscher Direktinvestitionen im ausländischen Maschinenbau liegt in der EU, also praktisch vor der eigenen Haustür.

Doch das ist keine Einbahnstraße. Ausländische Direktinvestitionen in den deutschen Maschinenbau kommen zu mehr als 50 Prozent aus der EU. Die Gemeinschaftswährung stand für die Branche deshalb nicht allein für das Fortschreiten des politischen Einigungsprozess auf dem europäischen Kontinent, sondern vor allem für die fortschreitende wirtschaftliche Integration der EU-Mitgliedsstaaten und damit für eine zunehmende, intensivere Verflechtung der vielfältigen europäischen Geschäftsbeziehungen.

Ein Gewinn für den Maschinen- und Anlagenbau

Das bedeutet also ein ungeheures Standortpotenzial, von dem der gesamte europäische Maschinenbau in Folge der Währungsunion tatsächlich profitierte: Der Intrahandel europäischer Maschinenexporte stieg im Zeitraum 1997 bis 2017 um mehr als 156 Prozent, das heißt sogar etwas mehr als die europäischen Maschinenausfuhren insgesamt zulegen konnten, und das, obwohl parallel zu dieser Entwicklung China als mittlerweile größter einzelner Exportmarkt enorm an Bedeutung für die Maschinenexporte gewann.

Aber noch ein anderer ganz praktischer Beweggrund spielte speziell für die deutschen Maschinenhersteller eine wichtige Rolle: die Erwartung relativer Kosten- und damit Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Mitgliedern des gemeinsamen Währungsraums.

Zunehmend schärferer Wettbewerb

Um im zunehmend schärferen Wettbewerb bestehen zu können, sind deutsche Hersteller regelmäßig gefordert, mit Innovation und Produktqualität aufzuwarten, um die vergleichsweise hohen Preise ihrer Produkte rechtfertigen und durchsetzen zu können. Der permanente Kostennachteil ist zum einen bedingt durch die im internationalen Vergleich recht hohen deutschen Arbeitskosten. Bei einer Exportquote von 78 Prozent ist aber auch die heimische Währung für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau neben anderen Standortbedingungen ein wesentlicher Faktor der preislichen Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten.

Wettbewerbsvorteile durch Abwertung, wie sie sich andere europäische Staaten zeitweise verschaffen konnten, wurden von den deutschen Maschinenherstellern, deren technologische Wettbewerbsfähigkeit regelmäßig durch eine Aufwertung der traditionell harten D-Mark aufgezehrt zu werden drohte, schon deshalb immer mit Skepsis betrachtet. Mit der Einführung des Euros wurden nun endlich gleiche Spielregeln für alle Länder der Eurozone geschaffen. Mehr noch: Außerhalb des Euroraums verhalf der Euro durch seine relative Schwäche im Vergleich zur D-Mark dem exportorientierten deutschen Maschinen- und Anlagenbau, seine Spitzenposition im weltweiten Handel mit Maschinenbauprodukten zu behaupten. Zusätzlich profitierte insbesondere die Investitionsgüterindustrie von einer niedrigen Inflationsrate und damit niedrigen Zinsen in praktisch allen Mitgliedsländern, da günstigere Kredite nicht nur der Bauwirtschaft zu einem Boom verhalfen, sondern auch Investitionen in Ausrüstungen und Maschinen förderten.

Konstruktionsmängel durch die Krise offenbart

Während der Euro also schon bald nach seiner Einführung eine schier beispiellose Phase wirtschaftlichen Fortschritts einleitete und namentlich den Absatz von Investitionsgütern signifikant begünstigte, zeigten sich spätestens in der Eurokrise eine Reihe von Konstruktionsmängeln der Währungsunion. Der langanhaltende wirtschaftliche Aufschwung in den Jahren vor der Finanz- und später Eurokrise hatte die strukturelle Heterogenität in den EU-Mitgliedsstaaten lange Zeit überdeckt. Viele Euroländer ignorierten, verführt durch einen vergleichsweise leichten Zugang zu Krediten, die Regeln zur Begrenzung der Gesamtverschuldung sowie der Haushaltsdefizite.

Die gestiegenen Refinanzierungskosten im Zuge der Eurokrise offenbarten dann umso schmerzhafter die Tragweite der hohen Verschuldung. Und sie schlugen sich auch deutlich in den Ausfuhren der deutschen Maschinenbauer nieder. Allein im Jahr 2009 sanken die Maschinenexporte in den Euroraum um 28 Prozent. Besonders deutlich waren die Einbrüche in Italien (minus 32 Prozent), Spanien (minus 35 Prozent), Portugal (minus 24 Prozent) und Griechenland (minus 23 Prozent). Allein auf diese vier Länder entfielen noch ein Jahr zuvor immerhin fast ein Zehntel der gesamten deutschen Maschinenausfuhren.

Heute, zehn Jahre nach der Lehman-Pleite, schreibt der deutsche Maschinenbau wieder Rekorde - auch in Europa. Doch diese Erfolge dürfen nicht davon ablenken, dass es heute, mehr noch als je zuvor, dringend notwendiger Reformen bedarf, die einen weiteren Schuldenzuwachs verhindern und die nationalen Schuldenquoten dank eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums senken. Sicher: Die Lasten, die große Teile der europäischen Bevölkerung im Zuge der Eurokrise und danach zu tragen hatten, aber auch die Perspektivlosigkeit zahlreicher Bürger haben populistischen Parteien Aufwind gegeben. Angesichts deren Propaganda eines Rückzugs ins Nationale und des Misstrauens gegenüber jedweder Form multilateraler Zusammenarbeit scheint eine gemeinsame europäische Antwort im Moment weiter entfernt als je zuvor. Doch nur eine gemeinsame Reformstrategie auf europäischer Ebene, die durch attraktive Standortbedingungen und kluge Investitionen Arbeitsplätze und damit finanzielle Sicherheit und Wohlstand für alle Bürger schafft, bringt uns wieder dem Ziel näher, dass die Väter der Währungsunion vor Augen hatten: ein wirtschaftlich und politisch integriertes, erfolgreiches Europa.

Zukunft sichern

Der Maschinenbau als einer der größten industriellen Arbeitgeber Europas steht deshalb unbeirrt hinter dem europäischen Gedanken und dem Euro. Der Euro ist eines der anspruchsvollsten und gleichzeitig wichtigsten Projekte der europäischen Einigung. Die Bedeutung geht weit über die wirtschaftliche Integration hinaus. Die gemeinsame Währung bezeugt den Willen und die Fähigkeit zu einem gemeinsamen Haus Europa. Doch dieses Haus muss auf einem kooperativen und soliden Fundament stehen. Es bedarf einer nachhaltigen Schuldenreduzierung und Einhaltung fiskalischer Disziplin. Zusätzlich müssen die Euroländer zukunftsorientierte Reformen durchführen, um alle EU-Bürger am Wachstum und Wohlstand teilhaben zu lassen. Nur eine solche gemeinsame politische Antwort kann die Basis für ein gemeinsames Europa und eine erfolgreiche Zukunft der gemeinsamen Währung sein.

Der Beitrag ist unter Mitarbeit von Benjamin Jeske und Arne Kollat, beide VDMA, entstanden.

Dr. Ralph Wiechers Mitglied der Hautgeschäftsführung, Chefvolkswirt, Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA), Frankfurt am Main
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