Finanzierung der Digitalisierung im Maschinen- und Anlagenbau - Wandel durch Industrie 4.0

Bianca Illner, Leiterin Abteilung Betriebswirtschaft, VDMA Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V., Frankfurt am Main

Bianca Illner, Leiterin Abteilung Betriebswirtschaft, VDMA Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V., Frankfurt am Main - Der Tendenz nach lässt die zunehmende Digitalisierung in allen Bereichen der Wirtschaft auf absehbare Zeit eine wachsende Investitions- und Innovationsbereitschaft erwarten. Den Kern der Digitalisierungsaktivitäten sieht die Autorin dabei weniger im klassischen Anlagevermögen oder bei Immobilien, sondern verstärkt in Prozessoptimierung, Software sowie der Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter. Von der Kreditwirtschaft als dem nach wie vor bevorzugten Finanzierer all dieser Neuerungen wünscht sie sich eine möglichst detaillierte Auseinandersetzung mit den speziellen Anforderungen der jeweiligen Branchen und der einzelnen Unternehmen. (Red.)

Die Entwicklung der Digitalisierung im Maschinen- und Anlagenbau, unter dem Schlagwort Industrie 4.0 bekannt, verlangt langfristig wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen in den Unternehmen. In der vernetzten Fabrik wird die zentrale Steuerung von der dezentralen Selbstorganisation abgelöst: Intelligente Produkte steuern aktiv den Produktionsprozess, kommunizieren über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg und der komplette Lebenszyklus eines Produktes wird verfolgbar. Hersteller, Lieferanten sowie Kunden werden miteinander vernetzt und die Innovationszyklen verkürzen sich. Möglich wird dies durch integrierte Sensoren, Prozessoren und Netzwerktechnik sowie die Anbindung an Datenmanagementsysteme.

Kurzum: Die Dinge verändern sich. Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau hat an diesem Erfolg einen gewichtigen Anteil und mit Blick auf das Thema Industrie 4.0 kommt ihm eine Schlüsselrolle zu. Dies verpflichtet geradezu, neue Entwicklungen in der industriellen Produktion aktiv mitzugestalten.

Hohe Investitionen in Digitalisierung

Damit sind ohne Zweifel zahlreiche Herausforderungen verbunden: Von der Datensicherheit bis hin zu Fragen rund um die Aus- und Weiterbildung in der Industrie 4.0. Die mit der Digitalisierung verbundene technologische Entwicklung wird weiter voranschreiten - das gilt es als Chance zu begreifen.

Studien zeigen, dass Industrie 4.0 in den nächsten zehn Jahren in Deutschland schätzungsweise zu Investitionen in Höhe von 25 Milliarden Euro jährlich führen. Der VDMA hat errechnet, dass ein durchschnittliches Unternehmen aus Maschinen- und Anlagenbau (knapp 200 Beschäftigte und rund 40 Millionen Euro Jahresumsatz) mit einer Investitionsquote von 3,5 Prozent vom Umsatz jährlich zirka 1,5 Millionen Euro investiert. Geht man davon aus, dass die Digitalisierung in den nächsten zehn Jahren vermehrte Investitionen nach sich zieht, erhöht sich dieser Betrag noch.

Es ist aber zu beachten, dass es sich um eine Durchschnittsbetrachtung über den Maschinen- und Anlagenbau handelt und die Gesamtinvestitionen abbildet. Wie hoch der Investitionsbedarf eines einzelnen Unternehmens durch die Digitalisierung tatsächlich ist, hängt maßgeblich vom individuellen technischen Stand der Produkte und Prozesse, dem Geschäftsmodell des Unternehmens und von den jeweiligen Kunden und der Wettbewerbssituation ab. Ein Kern der Digitalisierung besteht darin, dass Unternehmen verstärkt in Prozessoptimierung, Software sowie Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren - weniger in klassisches Anlagevermögen oder Immobilien. Die Ergebnisse dieser Digitalisierungsprojekte sind häufig immaterielle Wirtschaftsgüter (zum Beispiel Dienstleistungen), Software oder Geschäftsmodelle, die darüber hinaus noch einem kürzeren Innovationszyklus unterliegen. Das Maß an Unsicherheit über den Erfolg eines Vorhabens ist bei diesen Investitionen ungleich höher als bei klassischen Sachanlageinvestition und die Amortisationszeiträume liegen zudem häufig über den üblichen Finanzierungszeiträumen von zirka fünf Jahren.

Neue Risiken durch Digitalisierung

Zudem ist Digitalisierung ein fortlaufender Prozess: "Bei Industrie 4.0 geht es primär um fortwährende statt einmaliger Investitionen; darum, stets die neueste Technologie nutzen zu können, anstatt sie einmalig zu erwerben", erläutert Roland Chalons-Browne, CEO von Siemens Financial Services. Der internationale Wettbewerb fordert, dass die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer ihre Produkte, Prozesse und Produktionsmittel regelmäßig auf den neuesten technologischen Stand bringen - nur so kann Made in Germany auch weiterhin als Qualitäts- und Innovationsführer am Markt bestehen. Dies erfordert eine fortwährende Investitionstätigkeit der Unternehmen und somit einen laufenden Finanzierungsbedarf mit einem erhöhten Risikoprofil.

In der digitalisierten Industrie sind Produktionswelten und Prozesse vernetzt und intelligente Produkte steuern aktiv ihren Produktionsprozess. Hier stellt sich die Herausforderung der IT-Sicherheit. In einer vernetzten Produktion tauschen Akteure und Elemente selbstständig Daten miteinander aus. Für die Zuverlässigkeit solcher Systeme und zum Schutz von betriebs- und personengebundenen Daten ist ein hohes Maß an IT-Sicherheit unabdingbar. Die Entwicklungen im Bereich der IT-Sicherheit sind im Fluss und auch die Gefahren durch Cyber-Kriminalität und deren steigende Einwirkmöglichkeiten durch Digitalisierung sind für viele Unternehmen noch gar nicht greifbar. Unternehmen und Forschung arbeiten an Lösungen, den damit verbundenen Risiken wird aber erst schrittweise entgegengewirkt. Die ganzheitliche IT-Sicherheit verlangt neben den technischen Lösungen auch ein robustes Risikomanagement der vernetzten Unternehmen, aber auch eine angemessene Risikobeurteilung durch die Finanzierer.

Weiterhin bedeutet Vernetzung der gesamten Wertschöpfungskette vom Kunden bis zum Lieferanten auch, dass Investitionen nicht zwangsläufig nur einem Unternehmen zugeordnet werden können. Durch die inner- und vor allem überbetriebliche Vernetzung der Geschäftsprozesse verändern sich gegebenenfalls auch die Eigentums- und Verfügungsrechte an den Prozessen, Investitionsgütern oder Produkten. Vermehrte und engere Kooperation zwischen Unternehmen bedingt einen hohen Abstimmungsaufwand und Klärungsbedarf hinsichtlich der Eigentumsrechte und Güter, Produktionsmittel und geistigen Entwicklungen, wie Innovation in Produkte und Prozesse.

Höherer Stellenwert des Risikomanagements

Auch die Verteilung des wirtschaftlichen Erfolgs der verschiedenen vernetzten Unternehmen muss eindeutig geregelt werden. Dies ist aber leichter gesagt als getan, denn der Nutzen eines Digitalisierungsprojekts lässt sich im Vorfeld nicht immer eindeutig berechnen. Wenn aber Eigentum nicht mehr einem einzelnen Unternehmen zugerechnet werden kann - wie können dann die Verwertungsrechte als Sicherheiten für Finanzierungslösungen genutzt werden? Und wenn Umsatz und Profitabilität nicht mehr eindeutig einem Unternehmen zuordenbar sind - wie kann die finanzierende Bank die Kapitaldienstfähigkeit des Unternehmens ermitteln, welches eine Finanzierung beantragt?

Zunehmende Komplexität und Abhängigkeiten innerhalb der Wertschöpfungsketten durch eine unternehmensübergreifende Vernetzung setzt voraus, dass auch das Risikomanagement und die Risikobewertung der Digitalisierungsprojekte entsprechend umfassend aufgestellt sind und alle operativen und strategischen Risiken abdecken. Die finanziellen Auswirkungen möglicher Risiken müssen adäquat den Beteiligten zugerechnet werden können und es muss zudem sichergestellt sein, dass diese Risiken auch bei unternehmerischen Entscheidungen mitberücksichtigt werden, um deren Eintrittswahrscheinlichkeit zu reduzieren.

Betrachtet man den Wandel in der Investitionstätigkeit durch Digitalisierung, zeigt sich, dass die klassische Investitionsfinanzierung der Unternehmen mehr zu einer Projektfinanzierung transformiert. Angesichts des eingangs erwähnten Investitionsbedarfs des mittelständisch geprägten Maschinen- und Anlagenbaus und dem damit verbundenen Finanzbedarf müssen sich die Kreditinstitute maßgeblich weiterentwickeln bei der Finanzierung von Innovationen und somit auch von Industrie-4.0- beziehungsweise Digitalisierungsvorhaben.

Die Kreditinstitute müssen daher ihre Fachkompetenz zur Bewertung von Projektentwicklungen und -ideen ausweiten, ohne dabei die Kosten der Kreditvergabe spürbar zu erhöhen. Der VDMA und seine Mitgliedsunternehmen stellen hier ihr Know-how zur Verfügung, den Kapitalgebern diese Fachkompetenz bestmöglich zu vermitteln. Banken sollten weiterhin als erster Ansprechpartner des Maschinen- und Anlagenbaus auch für Innovationsfinanzierung zur Verfügung stehen. Zudem müssen die Finanzierungslösungen an die Projektspezifika und Finanzbedarfe angepasst sein und es ermöglichen, die Finanzierung in mehreren Tranchen fortschrittsbezogen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlicher Höhe auszuzahlen.

Digitalisierung und Industrie 4.0 bedeuten eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderung in den Unternehmen und die Geschwindigkeit der Veränderungsprozesse wird in den nächsten Jahren zunehmen. Es ist davon auszugehen, dass die beschleunigte Veränderung in den Unternehmen auch zu einer Häufung von unterschiedlichsten Finanzierungsprojekten führt. Diese können sich in Höhe und Dauer massiv unterscheiden und auch die Amortisationszeiträume schwanken sehr. Die Finanzierungslösungen müssen so angelegt sein, dass sie sich flexibel auf die jeweilige Finanzierungssituation anpassen lassen.

Starr vorgegebene Finanzierungslösungen gehören der Vergangenheit an. Was bisher als Sonderfall galt - das Projektrating - ist bei komplexen Digitalisierungsprojekten mit mehreren Beteiligten dem Unternehmensrating vorzuziehen. Bisher stetige Tilgungspläne müssen sich auf neue Ertragsmodelle anpassen lassen. Die Abhängigkeit der vernetzten Unternehmen und Geschäftspartner untereinander führt nicht nur zu einer hohen Komplexität bei der Risiko- und Bonitätsbeurteilung, sondern macht auch die Vertragsgestaltung der Finanzierungsvereinbarung schwierig. Wer übernimmt welche Verpflichtungen im Rahmen eines Finanzierungsvertrages? Wer leistet wann welche Beiträge zur Tilgung?

Die Beantwortung dieser Fragen kann bei Digitalisierungsprojekten nicht ad hoc erfolgen und macht mit zunehmender Anzahl der Beteiligten durch die Vernetzung eine eindeutige Zuordnung fast unmöglich. Klassische Finanzierungsinstrumente stoßen hier an ihre Grenzen.

Steigende Kommunikationsanforderungen

Zukünftige Finanzierungsvereinbarungen müssen daher die Verteilung der Verpflichtungen angemessen auf die beteiligten Parteien herunterbrechen und die finanziellen Belastungen den rechtlichen und sachlichen Gegebenheiten der Prozesskette beziehungsweise des Geschäftsmodells entsprechend gestalten. Dabei sollen Finanzierungslösungen grundsätzlich für die Unternehmen verlässlich und langfristig angelegt sein. Einfache und flexible Finanzierungsinstrumente sind zu bevorzugen, die die jeweilig günstigsten Finanzierungsquellen berücksichtigen. Das bedeutet im Einzelfall eine langfristige Finanzierungszusage, die verschiedene Finanzierungsquellen mischt und teilweise auf kurzfristigen Finanzierungsinstrumenten basiert. Wenn das durch das Digitalisierungsprojekt geplante Geschäftsmodell erst ein Jahr später als erwartet Erträge generiert, muss die Finanzierungslösung es dem Unternehmen ermöglichen, diesen Ertrags- und Liquiditätsausfall entsprechend zu überbrücken.

Die Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus, aber auch die Finanzinstitute werden sich darauf einstellen müssen, dass es einen höheren Bedarf an aktiver Kommunikation zwischen den am Finanzierungsprozess Beteiligten geben wird. Die Nutzen- und Ertragslogik von Digitalisierungsprojekten ist wesentlich erklärungsbedürftiger und die Finanzinstitute benötigen ein besseres Verständnis für die Prozesse, das Umfeld, die Kundenstrukturen und die technologischen Herausforderungen.

Diese Informationen können nur die Unternehmen selbst zur Verfügung stellen. Sie müssen daher gegebenenfalls ihren Kapitalgebern einen sehr genauen Einblick in ihre Kernprozesse ermöglichen, bis hin zu Echtzeitdaten aus ihrer Produktion und Auftragseingänge. Die Anforderungen der Kapitalwirtschaft an Formerfordernisse und Aufarbeitung von den bereitgestellten Informationen ist daher weitgehend zu reduzieren, damit die gestiegenen Erwartungen an die Finanzkommunikation nicht zu überbordenden administrativem Aufwand und damit zur Hürde für Digitalisierungsprojekte aufseiten der Unternehmen führen.

Industrie 4.0 birgt enorme Chancen für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau und bedeutet gleichzeitig auch einen Wandel in der Finanzierung dieser Projekte. Der Finanzierungsbedarf des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus wird wegen der Anforderungen an die Innovationskraft der Betriebe und die stärkere Globalisierung weiter steigen. Die Innenfinanzierung solcher Projekte wird bei den VDMA-Mitgliedsunternehmen weiterhin beherrschend bleiben, kann aber den Finanzierungsbedarf nicht abdecken.

Kombination flexibler Laufzeiten und angepasster Vertragsgestaltung

Um bei der Digitalisierung weiterhin in der ersten Liga mitzuspielen, muss sich neben den Unternehmen auch die Kreditwirtschaft verändern. Die Finanzierungslandschaft muss passgenau auf die Bedürfnisse von Industrie-4.0-Projekten abgestimmt werden. Insbesondere für mittelständische Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau, die keinen direkten Zugang zum Kapitalmarkt haben, ist dies wesentlich für die schnelle Durchdringung der Digitalisierung und somit dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Für zukünftige Finanzierungslösungen heißt das konkret eine Kombination flexibler Laufzeiten und angepasste Vertragsgestaltung, unterschiedliche Finanzierungsvolumina und Finanzierungsinstrumente, fortschrittsbezogene Zahlungszeitpunkte und Akzeptanz unterschiedlichster Formen der Finanzkommunikation.

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