Fünf Jahre SSM - Aufgaben, organisatorische Einbindung, Befugnisse und Grenzen

Alexander Kottmann, Foto: PwC

Welche Ziele hat der vor fünf Jahren gestartete Einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM), wie ist er organisiert, wie funktioniert er, welche wesentlichen Aktivitäten hat es gegeben, welche Erfolge wurden erzielt und wo gibt es noch Verbesserungspotenziale? Die Autoren bescheinigen dem SSM in ihrem Überblick eine beachtenswerte, respektable Leistung und registrieren eine deutliche Stärkung der Eigenkapitalquoten. Den schon seit dem Start diskutierten zentralen Zielkonflikt von Geldpolitik und Bankenaufsicht sehen sie aber nicht gelöst. Zudem weisen sie auf die hohen Kosten der Bankenaufsicht, personelle Doppelrollen oder Komplikationen bei der Auslegung von bankaufsichtlichen Anforderungen hin. (Red.)

Der Einheitliche Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) ging am 4. November 2014 an den Start und ist in seiner Form weltweit die größte Bankenaufsicht.1) Der Gründung des SSM war die Erkenntnis der Politik in der EU vorausgegangen, eine einheitliche Bankenaufsicht für die damals 17 Euroländer zu benötigen. Ausgangspunkt hierfür war die 2007 eingetretene globale Finanzmarktkrise, welche sich zu einer Euro-Währungs- und Wirtschaftskrise ausweitete und 2010 und 2011 die ersten Eurostaaten in eine Krise führte.

Im Jahr 2012 beschlossen die EU-Mitgliedsstaaten, für die Euroländer eine eigene Bankenaufsicht zu gründen. Verschiedene Überlegungen führten dazu, diese unter dem Dach der EZB, in Form des SSM, anzusiedeln; er wird auch als System der Bankenaufsicht aller Eurostaaten verstanden. Die Funktion des "obersten Bankenaufsehers" in der Eurozone obliegt seitdem der EZB. Gleichwohl bestehen die jeweiligen nationalen Bankenaufseher (National Competent Authorities oder NCAs) in den Staaten der Eurozone und den anderen Staaten der EU fort. Sich dessen bewusst zu werden ist wichtig, da sich damit zahlreiche Auswirkungen auf die makro- und mikroprudenzielle Aufsicht über die Kreditinstitute ergeben.

Zielsetzung, Funktionsweise und Besonderheiten des SSM

In den nachfolgenden Abschnitten wird auf ausgewählte Aspekte der Aufsicht durch den SSM eingegangen und anhand der Organisation und Funktionsweise des SSM kritisch beleuchtet, wie sich die Bankenaufsicht seit 2014 für nunmehr 19 Euroländer entwickelt hat.

Das Erfordernis und die grobe Funktionsweise des SSM sind schnell erklärt und auch die rechtlichen Grundlagen sind, mit der SSM-Verordnung und der ergänzende Rahmenverordnung, formal eindeutig bestimmt.2) Dennoch gibt es Besonderheiten, die erst bei näherer Betrachtung erkennbar werden und die mittelbare und unmittelbare Auswirkungen auf die betroffenen Banken haben. Diese Besonderheiten liegen begründet erstens in der Eingliederung des SSM in die EZB, zweitens der internen Aufgabenverteilung und operativen Arbeitsweise des SSM sowie drittens den Kompetenzen des SSM.

Der SSM erklärt die Notwendigkeit, Zielsetzung und Funktionsweise gemäß eines Videobeitrages wie folgt:3) Eines der wesentlichen Erfordernisse zur Gründung des SSM ergab sich aus der Tatsache, dass in allen Eurostaaten unterschiedliche Standards galten, um die Risiken von Banken zu bewerten und fortlaufend zu überprüfen. Um sicherzustellen, dass die gleichen Regelungen in der Zukunft für alle Banken anzuwenden sind und eine einheitliche Überwachung der Banken erfolgt, wurde der SSM gegründet. Der SSM wird von der EZB geführt und arbeitet mit den Staaten der Eurozone beziehungsweise deren NCAs zusammen. Staaten der EU, die nicht der Eurozone angehören, können dem SSM beitreten. Der SSM wird als wesentlicher Teil angesehen, die Finanzstabilität zu gewährleisten und somit die Wirtschaft zu stärken. Die EZB selbst übernimmt die direkte Aufsicht über die signifikanten Banken (Significant Institutions, SIs). Zum 1. August 2019 sind dies 116 Banken. Weniger bedeutende Banken (Less Significant Institutions, LSIs) werden von NCAs der Heimatländer beaufsichtigt.

Einhaltung der Bankenregeln

Hauptaufgabe der EZB-Bankenaufsicht ist, zu überprüfen, ob die SIs die EU-Bankenregeln einhalten4) und frühzeitig eventuell auftretenden Problemen in den Banken zu begegnen. Hierbei schaut sich die EZB an, wie Banken Geld entgegennehmen, verleihen und investieren, das heißt, er überprüft, ob die Banken es vorschriftsgemäß tun und in welchem Maße Risiken eingegangen werden beziehungsweise bestehen.

Konkret kann die EZB-Bankenaufsicht festlegen, dass eine Bank mehr finanzielle Mittel vorhalten muss, um den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten; dies dient als Sicherheitsnetz, falls Probleme bei einer Bank erkennbar werden. Die EZB kann Banklizenzen erteilen und diese entziehen. Und sie kann Banken sanktionieren, wenn Regeln gebrochen werden.

Die EZB-Bankenaufsicht und die NCAs befinden sich in einem regelmäßigen Austausch, sowohl auf Einzelebene (EZB zu NCA) als auch in dedizierten, thematischen Arbeitsgruppen. In Bezug auf die LSIs überprüft die EZB, ob die NCAs eine ordnungsgemäße Beaufsichtigung der Institute durchführen und ob die staatenspezifischen Regelungen den Vorgaben der EZB ent- und nicht widersprechen.

In Summe ist es Ziel des SSM, Banken gesünder zu machen, um bei Schocks von außen, wie Finanzkrisen, stabiler zu sein. Dies wiederum sorgt dafür, dass die Einlagen von Sparen sicher sind.

Aufteilung der EZB-Bankenaufsicht in vier Einheiten

Die Darstellung des Organigramms der EZB beabsichtigt, die wichtigsten Bereiche der EZB abzubilden, die einen inhaltlichen Bezug zur Bankenaufsicht haben (Abbildung 1). Es ist zu erkennen, dass unterhalb des Direktoriums die Bereiche "Geldpolitik", "Makroprudenzielle Politik und Finanzstabilität" sowie "Statistik" eine enge Verbindung zu den Zielen des SSM besitzen. Dies ist für eine Bankenaufsichtsbehörde nicht alltäglich, denn in vielen Staaten werden Bankenaufsicht und Zentralbank voneinander in getrennten Behörden geführt.

Die organisatorische Aufteilung der EZB-Bankenaufsicht (SSM) erfolgt in die vier Einheiten, Mikroprudenzielle Aufsicht I (Directorate General, DG I) bis Mikroprudenzielle Aufsicht IV (DG IV) sowie das Sekretariat.5) Der SSM beschäftigte im Jahr 2018 direkt 1 099 Mitarbeiter, hinzukommen 453 indirekte Mitarbeiter aus den Zentralbereichen der EZB. Gegenüber 2017 ist der Personalbestand um circa 7 Prozent gestiegen. Von 2018 auf 2019 sind weitere 10 Prozent Personalanstieg geplant.6) 7)

Der SSM erhält zudem Mitarbeiterunterstützungen aus den anderen Eurostaaten. Dem Jahresbericht der EZB von 2018 ist zu entnehmen, dass 1 150 Personen aus den NCAs als sogenannte On-Site-Inspektoren tätig waren, sie stellen einen Großteil der Prüfungsleiterinnen und -leiter sowie Teammitglieder im SSM.

Die DG I umfasst die Bankenaufsicht über die circa 30 größten SIs. In DG II werden circa 90 SIs betreut. DG III widmet sich den LSIs beziehungsweise dem Austausch und der Zusammenarbeit mit den NCAs. DG III gewinnt mit zunehmendem Bestehen des SSM eine größere Bedeutung. Dies deshalb, da die EZB sich in den ersten Jahren zuvorderst der Aufsicht über die SIs gewidmet hat. Sukzessive wird DG III die gemachten Erfahrungen aus DG I, DG II und insbesondere DG IV zur Anwendung gegenüber den LSIs bringen und hierbei die NCAs in die Pflicht nehmen. Dies folgt dem erklärten Ziel, eine einheitliche Bankenaufsicht über alle Banken, das heißt SIs und LSIs, sicherzustellen und hierbei nationale Wahlmöglichkeiten und Ermessenspielräume begrenzt zu halten.

Im täglichen Zusammenspiel der Aufsicht über die SIs arbeiten DG I und DG II intensiv mit der DG IV zusammen. In DG I und DG II sind die einzelnen Aufsichtsteams, die sogenannten Joint Supervisory Teams (JST), zusammengefasst. Die größten JSTs verfügen über mehr als 80 Mitarbeiter. Teile der JSTs sind in der Regel direkt vor Ort bei den Banken tätig. Sie stehen in engem Kontakt mit der Bank und können kurzfristig Gesprächstermine, auch mit dem Topmanagement der Banken, erwirken.8) DG I und DG II legen in Abstimmung mit DG IV eine jährliche Prüfungsplanung je Bank fest.

Schwerpunkte und Intensität basieren unter anderem auf dem Ergebnis aus dem aufsichtlichen Überprüfungsprozess (SREP). Inhalt der Prüfungsaktivitäten sind zum Beispiel die Durchführung des SREP, eingehende Überprüfungen (Deep Dives) sowie thematische Überprüfungen und Analysen zu Schwerpunkten, die im Rahmen der Aufsichtsprioritäten der EZB für alle Banken festgelegt werden.

DG IV übernimmt Querschnitts- und Expertenaufgaben für alle SIs und steht DG I und DG II mit Fachwissen und Unterstützung, zum Beispiel zu internen Modellen und Vor-Ort-Prüfungen, zur Seite. Direkt eingebunden ist DG IV bei der Erstellung neuer Vorschriften, Grundsätze oder Methoden. Beschlüsse, die an beaufsichtige Institutionen gerichtet sind, werden durch DG I und DG II vorbereitet und gemeinsam mit dem Sekretariat verfasst. Geht es um Vor-Ort-Prüfungen, wird die DG IV in die Beschlussfassung eingebunden.

Die NCAs besitzen eine wichtige eigenständige Rolle im Beschlussverfahren. Sie dürfen Aufsichtsbeschlussentwürfe unterbreiten. Für gemeinsame Verfahren der EZB und der NCAs ist vorgesehen, dass die EZB Beschlüsse auf der Grundlage von Vorschlägen der NCAs fasst. Bei den NCAs verbleiben nationale Zuständigkeiten, wie beispielsweise der Verbraucherschutz oder die Bekämpfung von Geldwäsche.

Der SSM legt jährlich seine Aufsichtsprioritäten fest. Sie werden vom SSM-Aufsichtsgremium (Supervisory Board)9) verabschiedet. Ausgangspunkt ist eine Risikoidentifizierung und -beurteilung. Sie erfolgt in Abstimmung mit den NCAs. Das Ergebnis wird als sogenannte Risikokonstellation der Hauptrisiken für die folgenden zwei bis drei Jahre durch den SSM veröffentlicht.

Abgeleitet aus der Risikokonstellation werden die Aufsichtsprioritäten festgelegt und in Aufsichtsaktivitäten konkretisiert. Die Banken können hieraus erkennen, mit welchen generellen Maßnahmen im aktuellen Jahr durch die Aufsicht gerechnet werden kann.

a. Aufsichtlicher Überprüfungs- und Beurteilungsprozess - SREP: In Übereinstimmung mit den EBA-Leitlinien zum aufsichtlichen Überprüfungs- und Beurteilungsprozess10) , führt die EZB für alle SIs eine jährlichen Überprüfung und Beurteilung im Rahmen des SREP-Prozesses durch. Im Rahmen dieses Prozesses analysiert, beurteilt und bewertet die EZB die vier verschiedenen Dimensionen Geschäftsmodell, Governance und interne Kontrollen, Kapitalrisiken sowie Liquiditäts- und Refinanzierungsrisiken. Die erhobenen Informationen werden zu einem Gesamtbild zusammengefasst. Das Gesamtbild wird zum Beispiel für die individuelle Aufsichtsplanung herangezogen.

Jährlicher SREP-Brief

Auf Basis der Ergebnisse des SREP erhalten die SIs einmal jährlich einen sogenannten "Beschluss zur Aufstellung aufsichtsrechtlicher Anforderungen" (SREP-Brief). In dem SREP-Brief teilt die EZB der Bank die jeweiligen aufsichtsrechtlichen Anforderungen (zum Beispiel Kapitalanforderungen [P2R - Pillar 2 Requirement], Liquiditätsanforderungen oder auch Anforderungen in Bezug auf die Governance des Instituts), die Empfehlung zur Kapitalausrichtung in Säule 2 (P2G - Pillar 2 Guidance) sowie die Ergebnisse der aufsichtlichen Überprüfung (das heißt Feststellungen aus den genannten vier Beurteilungsdimensionen) mit. Dabei kann der SREP-Brief in Abhängigkeit von der Komplexität des Instituts sowie der Anzahl der Feststellungen hinsichtlich Länge und damit Detaillierungsgrad deutlich variieren; der Umfang der Briefe bewegt sich entsprechend zwischen 10 und 60 Seiten.

Für viele Banken stellen dabei insbesondere die individuellen Kapitalanforderungen und -empfehlungen der P2R und der P2G eine spürbare Belastung in Bezug auf die Kapitalausstattung der Bank dar und engen oftmals den freien Spielraum zur Ausweitung der Geschäftstätigkeit und des Geschäftsvolumens deutlich ein. Wie die Abbildung 2 zeigt, bedingt in der Regel eine schlechtere Beurteilung höhere Kapitalanforderungen. Insbesondere wird aber auch deutlich, dass die Kapitalanforderungen und -erwartungen der EZB seit dem Start des SSM im November 2014 auch bei gleichem Score deutlich angestiegen sind.

Die Informationen zur Beurteilung der Banken bezieht die EZB einerseits aus der direkten Interaktion der JSTs mit den SIs und andererseits aus laufend abzugebenden Meldungen der Banken. Zudem hat die Europäische Zentralbank erstmals im Jahr 2016 und seitdem auf jährlicher Basis, durch die Anforderung detaillierter Informationen zum ICAAP und zum ILAAP, umfangreiche Informationen zum Management von Kapital- und Liquiditätsrisiken erhoben.

b. Aufsichtsprioritäten, thematische Überprüfungen und Vor-Ort-Prüfungen: Die EZB legt jedes Jahr themenbezogene aufsichtliche Prioritäten und Schwerpunkte zur Überwachungstätigkeit fest. Aktuelle thematische Schwerpunkte sind im Bereich Kreditrisiko die Themen notleidende Kredite sowie Kreditvergabeprozess und die Qualität von Kreditengagements; im Bereich Risikomanagement die Überprüfung von internen Risikomodellen, ICAAP und ILAAP, IT und Cyberrisiken sowie Liquiditätsstresstests und übergreifend die Vorbereitungen der Institute auf den Brexit sowie Handelsrisiken und die Bewertung von Sicherheiten. Die Schwerpunkte ändern sich im Zeitablauf und betrafen in den Vorjahren unter anderem auch die Geschäftsmodellanalyse, BCBS 239 oder die Auswirkungen der Erstanwendung des IFRS 9.

Vor-Ort-Prüfungen

Die Schwerpunkte der Überwachungstätigkeit wirken sich einerseits auf die laufende Überwachung der Institute im Rahmen des SREP aus. Andererseits setzt die Europäische Zentralbank die Schwerpunkte insbesondere auch im Rahmen von sogenannten thematischen Überprüfungen (Thematic Reviews) um. In den vergangenen Jahren erfolgten thematische Überprüfungen zum Beispiel in den Themengebieten Geschäftsmodell und Ertragstreiber, Risikoberichterstattung und Risikodatenaggregation (BCBS 239) sowie Outsourcing. Aktuell führt die EZB thematische Überprüfungen im Themengebiet Kredit durch.

Zur gezielten Analyse und Beurteilung von Einzelaspekten kann die EZB auch Vor-Ort-Prüfungen (On-site Inspections) anordnen. Die Vor-Ort-Prüfungen werden üblicherweise von einem vom JST unabhängigen Prüfungsteam in den Geschäftsräumen des geprüften Instituts durchgeführt.11)

Gemäß Jahresbericht 2018 der EZB wurden im Jahr 2018 insgesamt 156 Vor-Ort-Prüfungen gestartet. Die weit überwiegende Anzahl der Prüfungen bezog sich dabei auf die Themen Kredit, Governance und IT. Kritisiert werden dabei von der EZB in erster Linie die unzureichenden Kreditvergabeprozesse der Banken, Unzulänglichkeiten im internen Kontrollsystem sowie Defizite im IT-Betrieb.

c. Aufsichtliche Stresstests: In einem zweijährigen Rhythmus führt die EZB in Kooperation mit der EBA aufsichtliche Stresstests durch. Vonseiten der EBA wurden insgesamt 48 europäische Banken einbezogen, darunter auch die 33 größten direkt von der EZB überwachten Banken. Parallel dazu hat die EZB den Stresstest noch für weitere 54 SIs sowie - zeitlich vorgelagert - noch für vier griechische Banken durchgeführt. 2018 wurden somit insgesamt 91 SIs dem Stresstest unterworfen. Die Stresstest-Methodik und die verwendeten Szenarien sind dabei für alle einbezogenen Banken weitgehend identisch.

Basis für die Empfehlung zur Kapitalausrichtung

Die qualitativen Ergebnisse des Stresstests können insbesondere die Beurteilung der Dimension "Governance" im Rahmen des SREP beeinflussen und insofern auch ihren Niederschlag in der P2R finden. Auf Basis der quantitativen Ergebnisse des Stresstests determiniert die EZB ihre Empfehlung zur Kapitalausrichtung in Säule 2 (P2G).

d. Sanierungs- und Abwicklungsplanung: Aus dem Themenspektrum der im Jahr 2013 finalisierten Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie der EU ist die EZB für den Themenbereich Sanierungsplanung zuständig, während die Zuständigkeit für die Abwicklungsplanung der SIs dem Single Resolution Board (SRB) obliegt. Die Sanierungspläne werden bei der EZB eingereicht und mit dem für die Bank zuständigen JST diskutiert.

Sollte die Aufsicht bei der Überwachung einer Bank zu der Auffassung gelangen, dass die Bank "failing" oder "likely to fail" ist, so trifft allerdings in erster Linie das SRB die Entscheidung darüber, ob diese Bank abgewickelt wird oder auf Basis des nationalen Insolvenzrechts liquidiert wird. Im Falle einer Abwicklung führt das Institut seine Geschäftstätigkeit erstmals in vollem oder teilweisen Umfang fort und wird daher im notwendigen Umfang mit frischem Eigenkapital ausgestattet (zum Beispiel durch ein Bail-in-Verfahren). Eine Abwicklung und damit ein Fortbestand des Institutes als Ganzes oder in Teilen kommt dabei für solche Institute in Betracht, die entweder gesamtwirtschaftlich kritische Funktionen ausüben oder aufgrund ihrer Größe eine Schlüsselposition für die Wirtschaft eines Landes oder einer Region einnehmen.

Potenzial für Verbesserungen und ernst zu nehmende Kritik

Vergleicht man den aktuellen Stand des Eurozonen Bankenmarktes mit den Zielen und Hauptaufgaben des SSM, so ist festzustellen, dass die beaufsichtigten Banken im Allgemeinen sicherer und stärker sind als vor fünf Jahren. Die Kapitalquoten sind deutlich gestiegen. Das Regelwerk wurde in vielen Themen vereinheitlicht. Und es stehen ausreichend Instrumente zur Verfügung, um institutsspezifischen Krisen zu begegnen und bei Bedarf Kreditinstitute vom Markt zu nehmen. Gleichwohl gibt es Potenzial für Verbesserungen und auch ernst zu nehmende Kritik am SSM.

Geldpolitik und Bankenaufsicht unter einem Dach: Ein wesentlicher Kritikpunkt, der vielmals schon im Vorfeld der Übernahme der Bankenaufsicht durch die EZB artikuliert wurde, bezieht sich auf den Zielkonflikt von Geldpolitik (die der EZB als Zentralbank unterliegt) und Bankenaufsicht (durch den SSM, innerhalb der EZB).

Einerseits soll die EZB im Rahmen ihres geldpolitischen Mandats über die Preisstabilität - gemessen an einem selbst gesetzten Inflationsziel von "unter, aber nahe zwei Prozent" - in der Eurozone wachen. Wie die geldpolitischen Beschlüsse der letzten zehn Jahre gezeigt haben, legt die EZB dieses Mandat sehr weit aus. So soll durch eine stark expansive Geldpolitik die Kreditvergabe der Banken an die Wirtschaft befördert werden, um so das Wirtschaftswachstum in der Eurozone zu beschleunigen und damit auch dem Inflationsziel näher zu kommen. Gleichzeitig setzen die Null- beziehungsweise Negativzinsen der EZB die traditionell kredit- und zinsmargenbasierten Geschäftsmodelle europäischer Banken unter Druck und tragen daher zur schwierigen wirtschaftlichen Situation vieler europäischer Banken mit bei.

Auf der anderen Seite ist die EZB seit November 2014 für die gemeinsame Bankenaufsicht in der Eurozone zuständig. Hier agiert die EZB in einer anderen Rolle und mit deutlich anderen Zielen. Die EZB Bankenaufsicht legt auf Basis der jeweiligen Risikosituation der Bank individuelle (das heißt höhere) Kapitalanforderungen fest, mit dem Ziel, die Stabilität und Widerstandsfähigkeit der Bank und des Bankensystems insgesamt zu erhöhen. Höhere Kapitalanforderungen kann eine Bank einerseits durch mehr Kapital erfüllen - oder aber durch eine Anpassung des Geschäftsvolumens und damit auch einer Einschränkung der Kreditneuvergabe.

Ein inhärenter Zielkonflikt

Aus den unterschiedlichen Zielen von Geldpolitik und Bankenaufsicht ergibt sich ein inhärenter Zielkonflikt in Bezug auf die Kreditvergabe der Banken in der Eurozone. Aus geldpolitischer Sicht gibt die EZB überspitzt formuliert "Vollgas" und stimuliert durch ihre expansive Geldpolitik die Kreditvergabe der Banken, während sie aus Sicht der Bankenaufsicht durch kontinuierlich steigende Eigenmittelanforderungen auf der Bremse steht.

Die EZB trägt daher mit ihrer Niedrigzinspolitik in nicht unerheblichem Maße zu den Problemen der Banken bei. Zwar legt die EZB den Banken nahe, ihre Geschäftsmodelle anzupassen und ihre Abhängigkeit von Zinserträgen zu verringern. Dazu scheibt die FAZ: "Das klingt so, als ob der Brandstifter Ratschläge zum Brandschutz erteilt."12)

Weitere Kritikpunkte ergeben sich unter anderem aus 1. organisatorischen Doppelrollen von Senior-Management-Positionen in der EZB, 2. aus Komplikationen bei der Auslegung von bankaufsichtlichen Anforderungen, 3. aus einem höheren operationellem Koordinationsbedarf zwischen EZB-Bankenaufsicht und den NCAs untereinander und mit den Banken, einhergehend mit steigenden finanziellen Kosten und 4. aus erforderlicher Transparenz gegenüber europäischen Institutionen.

1. Eine der Doppelrollen bezieht sich auf die Mitgliedschaft im EZB-Direktorium sowie die Mitgliedschaft im Aufsichtsgremium des SSM. Der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsgremiums des SSM wird aus dem Kreise der Mitglieder des EZB-Direktoriums ausgewählt. Diese Person ist dann im SSM dem Vorsitzenden des SSM unterstellt, gleichzeitig aber durch seine Mitgliedschaft im EZB-Direktorium dem SSM übergeordnet. Bis zum Jahr 2018 hatte die Mitgliedschaft im SSM, als stellvertretende Vorsitzende, Frau Sabine Lautenschläger inne. Frau Lautenschläger war bis September 2019 gleichfalls Mitglied im EZB-Direktorium.

Diese Art der formalen Trennung wird leicht zur Fiktion,13) denn es obliegt dieser Person, immer genau zu unterscheiden, wie aus welcher Rolle heraus kommuniziert und gehandelt wird. Für die herausgestellte und bedeutsame Funktion einer Notenbank und einer Bankenaufsicht ist das Doppelmandat äußerst ungewöhnlich und nach Kenntnis der Autoren in keiner anderen Notenbankversus Bankenaufsicht-Konstellation eines der EU- oder G20 Staaten der Fall.

2. In den letzten fünf Jahren haben sich verschiedene Komplikationen bezüglich der Auslegung oder der Umsetzung von bankaufsichtlichen Anforderungen ergeben. Beispiele sind

- die Veröffentlichung der P2R (als mikroprudenzielle Maßnahme) im Jahr 2016, begleitet mit dem parallelen Einphasen des Kapitalerhaltungspuffers;

- die Festlegung des Kapitalzuschlags (Puffer) für sogenannte "andere systemrelevante Institute, A-SRI" (als makroprudenzielle Maßnahme). Die Festlegung erfolgt je EU-Mitgliedsstaat individuell, auf Basis von Vorgaben der EBA. Jedoch fällt auf, dass die Puffer von Staat zu Staat bezogen auf ähnliche und dieselben Banken sehr abweichen. Hier wäre die EZB in ihrer Rolle als Mitglied in der EBA gefragt; oder

- die Anwendung der MaRisk bei direkt von der EZB überwachten SIs.

Höherer operationeller Arbeitsaufwand

3. Ein höherer operationeller Arbeitsaufwand für den SSM resultiert aus der Interaktion deutlich mehr Beteiligter bei der Bankenaufsicht als zuvor. Neben dem SSM sind über 19 NCAs der Eurostaaten mit der Bankenaufsicht betraut. Hinzu kommt die europäische Bankenabwicklungsbehörde (SRB), welche unter anderem die Pläne zur Abwicklung von Banken managt und dabei auf zahlreiche gleiche Informationen, Daten und Berichte angewiesen ist, wie die EZB. Ferner steht die EBA als Regelsetzer im Austausch mit den Banken.

Dies betrifft nicht die direkte Beaufsichtigung, aber das Aufnehmen und Auswerten von Daten und Informationen der Banken, welche die EBA benötigt, um die makroprudenzielle Risikolage zu analysieren und Steuerungsimpulse an die Bankenaufseher weiterzugeben. All dies muss dann teils in unterschiedlichen Sprachen erfolgen. Es müssen Lösungen für die IT geschaffen und aktuell gehalten werden. Und auch viele juristische Aspekte bedürfen der wiederholten Bewertung und Entscheidung.

Sollten also Beteiligte oder Beobachter im Jahr 2014 angenommen haben, dass die Aufwände, die Anfragen, die erforderlichen Reports oder die dafür anfallenden Kosten perspektivisch irgendwann einmal geringer werden, so ist nach fünf Jahren festzuhalten, dass dies nicht eingetreten ist. Die Aufwände und Kosten aller staatlichen Institutionen sind angestiegen und dies trifft leider auch auf Teile der NCAs zu. In Summe liegen die Kosten 2019 aus der Beaufsichtigung durch den SSM und SRM bei circa 620 Millionen Euro.14) Herr Pentti Hakkarainen, Mitglied des Aufsichtsgremiums des SSM, sagte am 5. Februar 2019 "What I mean is that there are clear economies of scale when it comes to banking supervision, as I explained earlier. The banking union has such broad coverage that it naturally offers certain benefits in terms of efficiency and effectiveness". 15) Dies, so gilt es zu hoffen, tritt dann hoffentlich in den nächsten Jahren ein.

4. Neben vorgenannten Aspekten haben sich verschiedene Abgeordnete nationaler Parlamente, das Europäischen Parlament (EP) und der Europäische Rechnungshof (ERH) mit Kritik zu Wort gemeldet. Letztere dürften schwer wiegen, denn so führten unter anderem die Auditoren der EU und der Mitgliedsstaaten aus: "Wir erleben die paradoxe Situation, dass die Prüfungskompetenzen in der Bankenaufsicht insgesamt begrenzter sind als vor der Einführung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus im Jahr 2014."16) 2019 haben sich der ERH und die EZB auf eine Absichtserklärung geeinigt, in der die praktischen Modalitäten für den Informationsaustausch während der Prüfungen der Aufsichtstätigkeiten der EZB durch den ERH festgelegt sind. Dies kann als positives Zeichen gewertet werden, die erforderliche Transparenz sicherstellen zu wollen.

Einheitliches Reportingsystem erwünscht

Das EP stellt in einer Studie von 2019 fest, dass die Fähigkeit des SSM, seine Aufsichtsaufgaben selbstständig zu verwalten, teils eingeschränkt ist. Dies liegt auch daran, dass die NCAs einen zu großen Teil der Aufgaben übernehmen müssen. Eine zu starke Abhängigkeit von NCA-Mitarbeitern - bei gleichzeitiger Senkung der Reisekosten und Verbesserung des Verständnisses des SSM für die lokalen Bankpraktiken - kann sich negativ auf die Wirksamkeit der Aufsichtsmaßnahmen auswirken. Dies wurde auch dadurch ausgeglichen, in dem mehr externe Unterstützung durch Berater herangezogen wurde. So gab der SSM für das über mehrere Jahre terminierte Projekt TRIM (Targeted Review of Internal Models) 2017 circa 45 Millionen Euro aus; das entspricht circa 10 Prozent seines Gesamtbudgets für ein einziges Projekt.17)

Zudem merkt das EP an, dass es eines einheitlichen Reportingsystems bedarf. Aktuell, so stellt der Bericht heraus, haben Kreditinstitute dieselben Daten mehrmals an verschiedene Institutionen zu berichten. In diesem Zusammenhang wurde der EBA ein Mandant erteilt, sich einer Lösung anzunehmen - avisiert für 2020.

Zielkonflikt und hohe Kosten

Die Etablierung des SSM wiegt positiv. Eine einheitliche Bankenaufsicht, über die größten, zurzeit circa 120 Banken sowie mehr als 3 000 LSI, hat es zuvor in der EU nicht gegeben. Der SSM hat einen qualitativen Review aller Bankbilanzen der SIs durchgeführt. Im Ergebnis hat dies auch dazu geführt, dass zahlreiche Banken ihr Eigenkapital deutlich gestärkt haben. Seit 2014 stiegen die Eigenkapitalquoten der SIs deutlich an.

Kritik am SSM gibt es unter anderem in Bezug auf die hohen Kosten der Bankenaufsicht, personelle Doppelrollen oder Komplikationen bei der Auslegung von bankaufsichtlichen Anforderungen. Schon im Vorfeld der Übernahme der Bankenaufsicht durch die EZB wurde jedoch insbesondere auf den Zielkonflikt von Geldpolitik und Bankenaufsicht hingewiesen. Mit der fortdauernden Niedrigzinspolitik der EZB und der gewaltigen Sprengkraft der Niedrigzinsen für das Geschäftsmodell vieler Banken hat dieser Kritikpunkt bis zum heutigen Tage nichts an seiner Aktualität eingebüßt. Die weiteren Entwicklungen im SSM werden sicher weiter aufmerksam verfolgt.

Fußnoten

1) Dies ergibt sich aus den 19 Mitgliedsstaaten und deren Mitarbeitern in der (nationalen) Bankenaufsicht.

2) https://www.bafin.de/DE/Aufsicht/BankenFinanzdienstleister/EUBankenaufsicht/SSM/ssm_node.html

3) Video der EZB zum SSM "SSM erklärt in 3 Minuten" https://www.youtube.com/watch?v=xC_2N0Y20qQ

4) Die EZB hat sich dabei an die Vorgaben an Banken zu halten, welche von der EU erlassen werden (zum Beispiel die CRR), an die Regeln der EBA sowie an Gesetze der Eurostaaten (zum Beispiel das deutsche KWG). Die EZB kann auch eigene Vorgaben für alle oder einzelne Banken erlassen.

5) Die Aufgaben der Einheit Sekretariat haben sich seit Gründung in 2014 geändert. Die Aufgabe "Aufsichtliche Qualitätssicherung" war 2014 ursprünglich der Einheit DG IV zugewiesen worden.

6) Gemäß EZB-Jahresbericht zur Aufsichtstätigkeit 2015, Seite 18, , entfällt der größten Anteil der Mitarbeiter auf DG IV (circa 30 Prozent), gefolgt von DG I (circa 27 Prozent), DG II (circa 25 Prozent), DG III (circa 11 Prozent) sowie dem Sekretariat https://www.bankingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssmar2015.de.pdf

7) Im Vergleich dazu sind in allen anderen 19 Eurostaaten circa 1 800 Mitarbeiter in den NCAs mit der Aufsicht über Banken beschäftigt, inklusive Manager. Dies erscheint vergleichsweise wenig. Stand 2016; https://www.bankingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssm.reportlsisupervision2017.en.pdf

8) https://www.bankingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssm.supervisorymanual201803.en.pdf Seite 13, oben.

9) Mitglieder Aufsichtsgremiums sind: (i) Vorsitzende beziehungsweise Vorsitzender (wird für eine nicht verlängerbare Amtszeit von fünf Jahren ernannt), (ii) Stellvertretende Vorsitzende beziehungsweise stellvertretender Vorsitzender (wird aus dem Kreis der Mitglieder des EZB-Direktoriums ausgewählt), (iii) vier Vertreterinnen beziehungsweise Vertreter der EZB, (iv) Vertreterinnen beziehungsweise Vertreter nationaler Aufsichtsbehörden.

10) Siehe EBA/GL/2018/03 - SREP-Guidelines vom 19. Juli 2018

11) Siehe "Leitfaden für Vor-Ort-Prüfungen und Prüfungen interner Modelle" der EZB vom September 2018

12) Kommentar von Markus Frühauf in der FAZ "Das Dilemma der EZB-Bankenaufsicht", 10./12. Juli 2016, abgerufen unter www.faz.net

13) Siehe Working Paper 2018, Nummer 28, des European Banking Institute (EBI). Der Autor stellt heraus, dass aus dem zweifachen Mandat, die Wirksamkeit des ansonsten relativ gut durchdachten Aufsichtssystems beeinträchtigt wird und beschreibt mögliche Alternativlösungen. https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3206523

14) Kosten der EZB-Bankenaufsicht circa 576 Millionen Euro. Kosten circa 46 Millionen Euro für den SRB. Der SSM verursachte einen Kostenanstieg von 2018 auf 2019 um über 100 Millionen Euro. Parallel hierzu verfügt die BaFin über ein Haushalt von circa 345 Millionen Euro. Im Vergleich zu 2016 ein Anstieg um circa 100 Millionen Euro

15) EZB Internetseite: https://www.bankingsupervision.europa.eu/press/speeches/date/2019/html/ssm.sp190205~b0b7cdad7c.en.html

16) https://www.eca.europa.eu/de/Pages/NewsItem.aspx?nid=11258

17) http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/IDAN/2019/634388/IPOL_IDA(2019)634388_EN.pdf 

Alexander Kottmann PwC, Director, Financial Services Risk & Regulation, Berlin
Frank Mehlhorn Direktor Bankenaufsicht, Bundesverband deutscher Banken e. V., Berlin
Alexander Kottmann , PwC, Director, Financial Services Risk & Regulation, Berlin
Frank Mehlhorn , Direktor Bankenaufsicht , Bundesverband deutscher Banken e. V.

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