Wie geht's weiter, Dax? Anforderungen eines Asset Managers an Börsenindizes

Benjardin Gärtner Foto: Union Investment

Der Dax ist besser als sein Ruf. Wer daran zweifelt und denkt das Gros der Unternehmen habe seine beste Zeit hinter sich, dem empfiehlt der Autor den Blick auf einige Zahlen zu richten. Denn gegen alle Vorurteile habe es der Großteil der Dax-Unternehmen über die letzten 30 Jahre geschafft, mit der Zeit zu gehen, sich zu wandeln und weiterzuentwickeln. Den Schwächen des deutschen Leitindex, als Beispiel wird die vergleichsweise schwache Stellung der deutschen IT-Konzerne genannt, sei die hohe Präsenz von exportstarken Unternehmen im Dax entgegenzusetzen. Selbst die aktuell problembehaftete Automobilindustrie präsentiert sich weiterhin dominant. (Red.)

Man kann nicht behaupten, dass die 30 Jahre, die der Dax nun bereits auf dem Buckel hat, besonders ruhig waren. In der Weltpolitik gab es positive Entwicklungen zu verzeichnen, wie den Fall der Mauer oder das Zusammenwachsen der Europäischen Union, und negative, wie die Kriege in der Golfregion und auf dem Balkan oder der Aufstieg des islamistischen Terrors. In der Zeit des Wandels hat sich auch die Wirtschaft in Deutschland immer wieder verändert und der Dax hat dem stets Rechnung getragen. An dieser Stelle soll aber weniger der Rückblick eine Rolle spielen als die Perspektiven, die der Dax in den kommenden Jahren hat. Und da gibt es sehr unterschiedliche Stimmen.

Kritik am Dax

Glaubt man den Pessimisten, dann gleicht der Blick auf den Dax einem Blick in die graue Vorzeit. Das Gros der Unternehmen habe seine beste Zeit hinter sich, Firmen wie die Deutsche Bank, Volkswagen oder Thyssen Krupp würden sich vornehmlich damit beschäftigen, die Fehler der Vergangenheit zu verarbeiten, anstatt ihr Geschäft fit für die kommenden Jahre und Jahrzehnte zu machen. Der Dax, einst prall gefüllt mit der Spitze deutscher Innovationskraft, sei 30 Jahre nach seiner Gründung nur noch ein Abbild des vergangenen Glanzes, ein Index von gestern.

Die Kritik ist nachvollziehbar, aber stark überzeichnet. Denn ganz nüchtern betrachtet bildet der Dax die größten in Deutschland gelisteten Aktiengesellschaften ab und ist damit ein Spiegel der deutschen Unternehmenslandschaft. Tatsache ist, dass der Schwerpunkt und die wesentliche Stärke der deutschen Wirtschaft in dem Bereich liegen, der als Old Economy bezeichnet wird. Dabei wird unterschätzt, wie groß und mächtig diese Wirtschaftszweige sind - und wie konsequent sich die meisten der Schwergewichte mit Erfolg auf den traditionellen Geschäftsfeldern behaupten, ohne die künftigen Herausforderungen aus dem Blick zu verlieren.

Dominanter Automobilsektor

Übersehen wird überdies oft, wie sehr sich der Dax in den vergangenen 30 Jahren gewandelt hat. Einstmals eminent wichtige Sektoren wie etwa die Banken und Versorger haben in der Struktur des Index stark an Bedeutung verloren. Gleichermaßen dominant wie aktuell problembehaftet präsentiert sich derzeit der wohl wichtigste Sektor im Dax: die Automobilindustrie. Allein die drei Hersteller VW, BMW und Daimler stehen für rund ein Drittel der Gewinne im Index. Die Dieselaffäre hat daran im Übrigen ebenso wenig etwas geändert wie die aufkommende Konkurrenz aus China und den USA. Die Unkenrufe, dass die deutschen Hersteller den immensen Herausforderungen - Elektromobilität, autonomes Fahren, Vernetzung - nicht gewachsen seien, schlagen sich in den Börsenkursen und den Geschäftszahlen jedenfalls nicht nieder.

Anlässlich des 30. Geburtstags des Dax sollte insbesondere im Zusammenhang mit der deutschen Automobilindustrie kurz daran erinnert werden, welche Zukunft man der Branche bei der Indexgründung prophezeit hat. Damals drängten Namen wie Datsun, Toyota und Mitsubishi auf den deutschen Markt und nicht wenige sahen die Glanzzeit der deutschen Marken angesichts des Angriffs aus Japan als erledigt an. Heute sind es andere Herausforderungen, die den drei Großen angeblich den Garaus machen werden.

In anderen Schlüsselindustrien, etwa der Chemiebranche oder dem Maschinenbau, ist es kaum anders. Die Unternehmen, die sich seit längerer Zeit an der Spitze der deutschen Wirtschaft behaupten, tun das nicht in erster Linie wegen ihrer Tradition, sondern vor allem aufgrund ihrer Wandlungsfähigkeit. Spinoffs wie Healthineers, Osram und Lanxess zeigen, dass sich auch große Namen immer wieder neu infrage stellen, um die optimale Struktur für das Geschäftsmodell zu finden.

Das ist auch den ausländischen Investoren nicht entgangen: Während die Telekom mit dem Bund und der KfW als Ankeraktionären noch zu fast 60 Prozent in deutscher Hand ist, trifft das im Dax nur noch auf wenige andere zu. Der Anteil der ausländischen Investoren liegt mittlerweile bei mehr als 50 Prozent, bei einzelnen Unternehmen wie etwa Infineon, Adidas oder Bayer liegen mehr als 70 Prozent der Aktien in Depots außerhalb Deutschlands. Dies zeigt zweierlei: Zum einen, dass die größten deutschen Unternehmen auch für Investoren aus den USA und Asien interessant sind - und zum anderen, wie vernetzt die globale Wirtschaft mittlerweile ist. Die Dax-Unternehmen sind Global Player, die oft nur noch einen Bruchteil ihrer Umsätze im Heimatland erwirtschaften. Ein Investment in den Dax ist heute mehr denn je ein Investment in die Wirtschaft der ganzen Welt. Gerade aufgrund der hohen Präsenz von exportstarken Unternehmen im Dax ist ein Dax-Investment immer international.

Schwachstelle IT-Industrie

Soweit zu den Stärken. Die Schwächen des Index und damit der hiesigen Wirtschaft liegen unter anderem in der vergleichsweise schwachen Stellung der deutschen IT-Konzerne. Ein zweites Silicon Valley wird hierzulande nicht entstehen. Das ist bedauerlich, hat aber eine Vielzahl teils banaler Gründe: In den USA herrscht ein anderer Gründergeist, der dadurch genährt wird, dass unternehmerisches Scheitern nicht als persönliche Niederlage gilt. Zweitens gibt es in den USA eine umtriebige Private-Equity- und Wagniskapital-Szene, die davon lebt, gute Ideen zu entdecken, zu fördern und am Ende die Hand aufzuhalten - wenn alles gut gegangen ist. Drittens verfügen die US-Unternehmen über einen Startvorteil, weil sie einen sehr homogenen Markt mit gut 300 Millionen potenziellen Kunden vor der Haustür haben. Und viertens findet die relevante Forschung hinsichtlich neuer Technologien überwiegend in den USA statt. Und schließlich werden aussichtsreiche IT-Unternehmen aus Deutschland, sobald sie tatsächlich nachhaltige Erfolge vorweisen können, von größeren Adressen aus dem Ausland aufgekauft.

Starke Historie mit vereinzelten Schwächephasen

Der IT-Sektor ist daher im Dax nur mit zwei Unternehmen präsent. Diese können sich allerdings in Sachen Zukunftsfähigkeit durchaus sehen lassen. Der Softwarehersteller SAP, mit einer Marktkapitalisierung von knapp 120 Milliarden Euro der größte Dax-Wert, hat die Chancen des Cloud Computing früh erkannt und wächst in diesem Bereich stetig. Und Infineon kann unter anderem als einer der großen Profiteure der modernen Mobilität gelten. Denn je moderner ein Fahrzeug ausgestattet ist, desto mehr Chips und Halbleiter werden verwendet - ein Bereich, in dem die Münchner führend sind. Sie profitieren davon, die Zeichen der Zeit erkannt und die damit verbundenen Chancen rechtzeitig ergriffen zu haben, statt sich auf den Verdiensten der Vergangenheit auszuruhen.

Dass das Gros der Dax-Unternehmen es über 30 Jahre geschafft hat, mit der Zeit zu gehen, sich zu wandeln und sich gut zu entwickeln, zeigt ein Blick auf einige Zahlen: Immerhin die Hälfte der Dax-Titel ist von Anfang an dabei. Seit dem Start am 1. Juli 1988 sind nur 19 Unternehmen mit Blick auf die Auswahlkriterien Handelsumsatz und Marktkapitalisierung aus geschieden. Insgesamt waren in diesem Zeitraum 56 verschiedene Titel im Dax gelistet. Vor allem aber konnten sich die Investoren die meiste Zeit über die Entwicklung freuen. Von den 30 Dax-Jahren endeten bislang nur acht im Minus. Es sollte auch im Jubiläumsjahr nicht verschwiegen werden, dass die roten Zahlen es dann aber in sich hatten: Schwere Verluste machte, wer in den Jahren 2000 bis 2002 investiert war, den einzigen aufeinanderfolgenden Jahren mit roten Zahlen. Ging das Jahr 2000 mit einem Minus von knapp acht Prozent noch glimpflich aus, so verloren Anleger im Jahr 2001 fast 20 und 2002 rund 44 Prozent ihres Investments. Kein Wunder, dass das Platzen der Internetblase bis heute Spuren in den Köpfen der Anleger hinterlassen hat, auch wenn die Kurse in den darauf folgenden fünf Jahren kräftig kletterten, viermal sogar mit mehr als 20 Prozent per annum.

Es ist eine Binsenweisheit, aber sie ist trotz dem wahr: Die Erfolge von gestern zählen an der Börse nicht. Gefragt sind heute wie eh und je Adressen mit schlüssigen und vor allem mit zukunftsfähigen Geschäftsmodellen. Hier gibt es für die deutschen Konzerne ohne Frage sehr viel zu tun, um ihre Produktpalette und ihre Kostenstrukturen fit für veränderte Zeiten zu machen. Nicht jedes Unternehmen, das heute im Dax steht, wird seine Berechtigung für den Large-Cap-Index in zehn Jahren noch haben. Da wird es heutigen Blue Chips nicht anders gehen als in der Vergangenheit klangvollen Namen der deutschen Wirtschaftsgeschichte wie Deutsche Babcock oder Feldmühle Nobel. Das Gros der Adressen aber ist gegen den Abstieg gut gerüstet. Die Anleger sollten an Dax-Investments daher auch in den kommenden Jahren noch viel Freude haben.

Ob der Dax es schafft, sich in den nächsten 30 Jahren so stark weiterzuentwickeln wie in den vergangenen drei Jahrzehnten, ist allerdings offen. Seit dem Startpunkt hat sich der Wert des Index in etwa verdreizehnfacht. Zum 60. Geburtstag im Jahr 2048 müsste der Dax dann bei knapp 170 000 Zählern stehen. Glänzende Aussichten für Aktieninvestoren!

Benjardin Gärtner Leiter Portfoliomanagement Aktien, Union Investment, Frankfurt am Main
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