Kartellrechtscompliance?

Übersicht: Ausgewählte deutsche Kartellverfahren der Jahre 2013 und 2014

Kai Schmidt und Dr. Thomas Weck, beide Mitarbeiter der Monopolkommission, Bonn
Den stärksten Zuwachs an Mitarbeitern in der Kreditwirtschaft verzeichnet schon seit Jahren nicht das operative Geschäft, sondern Stabsfunktionen wie Risikomanagement und Compliance. In letzterem Bereich sehen die Autoren sogar noch weiteren Ausbaubedarf. Eine Auslotung der kartellrechtlichen Graubereiche durch die Finanzbranche halten sie für eine riskante Unternehmensstrategie. Seitens der europäischen Politik und auch der Gerichte registrieren sie jedenfalls eine Tendenz, die Sanktionen für Verstöße gegen die wirtschaftlichen Ordnungsregeln weiter zu verschärfen. (Red.)

Das Schlagwort "Compliance" und die damit verbundenen Belastungen beschäftigen Mitarbeiter und Entscheidungsträger in der Kreditwirtschaft in immer größerem Maße. So wird etwa kritisiert, dass auch eine kleinere Bank heute sieben Beauftragte benötige, nämlich einen Geldwäschebeauftragten, einen Beauftragten für sonstige strafbare Handlungen, einen Datenschutzbeauftragten, einen für Compliance nach dem Wertpapierhandelsgesetz, einen für Compliance nach den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk), einen für Risikocontrolling und einen internen Gutachter für die Bewertung von Realkrediten.1)

Nur allgemein gefasste Verbote

Hinzu kommt, dass die Finanzmärkte zurzeit einem grundlegenden Wandel unterliegen, nicht zuletzt durch eine Neugestaltung der Bank- und Finanzmarktregulierung in einem bisher ungekannten Ausmaß. Diese Regulierung wirft ihrerseits vielfältige Compliance-Fragen auf. Zwar ist zu fragen, ob die immer weiteren Compliance-Anforderungen in ihrer Gesamtheit noch angemessen sind oder ob sie nicht vielmehr die betroffenen Banken überfordern. Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass Finanzdienstleistungen in hohem Maße vertrauensgebunden sind: Wenn Kunden ihrer Bank nicht mehr vertrauen, ziehen sie die angelegten Gelder ab und die Bank verliert im schlimmsten Fall ihre Existenzgrundlage. Die Einhaltung von Compliance-Standards ist also - jedenfalls in bestimmtem Maße - im eigenen Interesse der Kreditwirtschaft.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass Kartellrechtscompliance in der Kreditwirtschaft bisher - außerhalb der Sondersituation im Kontext von Finanz-Benchmarks (zum Beispiel Libor) - allenfalls am Rande diskutiert wird. Denn die Wettbewerbsregeln sind Grundregeln für die marktwirtschaftliche Tätigkeit von Unternehmen und gelten im Kern bereits seit vielen Jahrzehnten. Das unterscheidet sie von den neuen speziellen Anforderungen, die die aktuelle Diskussion um Compliance in Banken beherrschen. Plastisch gesagt gilt für Banken: Man hört viel über Maßnahmen zur Einhaltung des GWG (Geldwäschegesetz), aber nur wenig über Maßnahmen zur Einhaltung des GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen).

Dies mag nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass das Kartellrecht, anders als zum Beispiel das Kreditwesengesetz oder das Wertpapierhandelsgesetz, keine detaillierten Vorgaben macht, sondern nur allgemein gefasste Verbote enthält. So veröffentlichen die Kartellbehörden, anders als die BaFin, auch allenfalls allgemeine Handreichungen zu den gebotenen Compliance-Standards und -maßnahmen.2) Im Kern beschränken sie sich auf die Feststellung und Ahndung von Wettbewerbsverstößen.3) Deshalb sind die Folgen, wenn die Kartellbehörden ihr Eingreifen nicht auf eine bloße Untersagung beschränken, für die betroffenen Unternehmen regelmäßig auch erheblich schwerer zu beherrschen.

Kreditwirtschaft durchaus anfällig

Diese Folgen können bei aufgedeckten Verstößen gegen das Kartellrecht gravierend sein, wie die sogenannte Realwirtschaft zurzeit schmerzhaft erfährt: Das Bundeskartellamt hat allein in den letzten beiden Jahren mehrere Kartellverfahren unter anderem gegen Hersteller von Lebensmitteln des täglichen Bedarfs geführt. Diese Verfahren wurden auch für Mittelständler mit Geldbußen im Millionenbereich abgeschlossen. Die Zahlen sprechen für sich (siehe Übersicht).

Kartellgeldbußen können sich für Unternehmen und Verbände auf bis zu 10 Prozent des weltweiten Konzern-Jahresumsatzes belaufen. Daneben setzt das Bundeskartellamt im Regelfall auch gegen verantwortliche Einzelpersonen Geldbußen fest, die bis zu einer Million Euro betragen können. Schwerer als die eigentlichen Geldbußen können im Einzelfall mittelbare Folgen wirken, insbesondere Schadenersatzforderungen der betroffenen Lieferanten und Kunden sowie dauerhafte Rufschädigungen. So gibt es bereits eine ganze Reihe von Unternehmen, die innerhalb ihrer Branchen als "Kartellsünder" stigmatisiert sind, was in jedem Fall eine erhebliche Belastung sowohl für die Mitarbeiter als auch für die wirtschaftliche Entwicklung dieser Unternehmen bedeutet.4)

In der Kreditwirtschaft ist das Risiko von Wettbewerbsverstößen nicht geringer als in anderen Branchen einzuschätzen. Das gilt ungeachtet der Tatsache, dass Marktteilnehmer die Branche als wettbewerbsintensiv wahrnehmen. Denn es gibt regelmäßig starke Informationsasymmetrien zwischen den Anbietern (Banken) und der Nachfrageseite. Außerdem leidet gerade der deutsche Markt an Überkapazitäten (sogenanntes Overbanking), insbesondere auf der Ebene der Filialbanken, die innerhalb von Verbundgruppen kooperieren. Trotz der unbestreitbaren Vorzüge dieser Verbundzusammenarbeit besteht ein Risiko dafür, dass die Marktsituation zu Wettbewerbsverstößen ausgenutzt wird.

Kartellrechtlich relevantes Verhalten

Im Folgenden sind zur Illustration einige Beispiele für kartellrechtlich relevantes Verhalten angeführt. Dabei verstößt das geschilderte Verhalten zwar nicht notwendig gegen die Wettbewerbsregeln, denn die rechtliche Bewertung bleibt abhängig vom jeweiligen Kontext. Trotzdem dürfte bei einem derartigen Verhalten eine Absicherung der kartellrechtlichen Zulässigkeit im Interesse eines angemessenen Risikomanagements geboten sein:

- Mehrere Banken mit einem gemeinsamen Marktanteil von mehr als 15 Prozent vereinbaren, bestimmte Produkte, die sie bisher selbstständig entwickelt hatten, zu standardisieren und nur noch die standardisierten Produkte zu vertreiben.5)

- Ein Verbandsvertreter erklärt öffentlich, er habe "kein Verständnis" dafür, dass Primärinstitute auf verbundfremde Lösungen zurückgreifen.

- Ein kleines Institut erhebt für Fremdabhebungen an seinen Geldautomaten eine Gebühr von fünf Euro. Rechtfertigung: Die Zahl der Fremdabhebungen habe zu stark zugenommen.

Risiken bestehen aber nicht nur im klassischen Bankgeschäft, sondern durchaus auch im Kapitalmarktgeschäft. Dort ist die Risikoeinschätzung wegen des komplexen Marktgeschehens allerdings schwieriger, zumal zusätzlich kapitalmarktrechtliche Sanktionen möglich sind. Beispiele:

- Im Börsenhandel etabliert sich bei illiquiden Werten die Praxis, die Aktienkurse bei der Schlussaktion am Ende des Börsentags systematisch zu manipulieren, indem Orders zurückgehalten beziehungsweise künstlich gestaffelt oder als Scheinangebote abgegeben werden.

- Die Händler zweier Banken kommen überein, den Preis für ein wenig gehandeltes Finanzinstrument hoch zu treiben, indem sie "im Kreis" handeln, also sich das Instrument laufend wechselseitig verkaufen, sodass der Eindruck reger Nachfrage entsteht.

Vernachlässigung der Aufsichtsverantwortung

Die bisherigen Ermittlungen der Kartellbehörden deuten darauf hin, dass es im Finanzbereich mehr Wettbewerbsprobleme gibt, als lange Zeit angenommen wurde. So hat die EU-Kommission allein wegen Zinskartellen in der Derivatebranche Ende 2013 Geldbußen in Höhe von immerhin 1,71 Milliarden Euro verhängt (Libor/Euribor). Daneben wird weltweit weiterhin wegen Kartellverstößen bezüglich anderer Referenzwerte für Derivate (Tibor, ISDAfix), für Devisen (zum Beispiel CHF- und MXN-Wechselkurse) und im Rohstoffhandel (Gold, Silber) ermittelt. Ein rechtskonformes Verhaltens setzt grundsätzlich Maßnahmen zur Sicherstellung von Wettbewerbs- beziehungsweise Kartellrechtscompliance voraus. Verstöße gegen die Wettbewerbsvorschriften deuten darauf hin, dass die Unternehmensverantwortlichen ihre Aufsichtsverantwortung nicht hinreichend wahrgenommen haben. Dies ist die vorherrschende Position bei den Kartellbehörden und die Position der Monopolkommission, welche die Bundesregierung und die gesetzgebenden Körperschaften in Wettbewerbsfragen berät.6)

Verantwortlichkeit der Unternehmensleitung

Diese Position entspricht auch der aktuellen Rechtsprechung zu den Compliance-Pflichten von Unternehmensverantwortlichen. So hat ein Münchener Gericht erst kürzlich den Geschäftsleiter eines deutschen Unternehmens zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 15 Millionen Euro verurteilt, weil das Compliance-System des Unternehmens unzureichend war (LG München I, Az. 5 HKO 1387/10). Das Urteil betrifft zwar keinen speziell kartellrechtlichen Sachverhalt, zeigt aber, dass im Falle unzureichender Compliance-Maßnahmen - neben personenbezogenen Kartellbußgeldern - auch eine substanzielle zivilrechtliche Organhaftung droht. Die Tendenz geht dahin, die Sanktionen für Verstöße gegen die wirtschaftlichen Ordnungsregeln weiter zu verschärfen.7)

Für die Sicherstellung von Maßnahmen, die zur Kartellrechtscompliance erforderlich sind, ist in erster Linie die Unternehmensleitung verantwortlich (Legalitätspflicht). Dabei kommt es hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen auf den Einzelfall an. Zu solchen Maßnahmen gehört jedenfalls eine klare Compliance-Strategie und die Kommunikation dieser Strategie gegenüber den Mitarbeitern (tone at the top).

Abhängig vom konkreten wettbewerblichen Risiko können auch Schulungen einzelner Mitarbeitergruppen oder die Erstellung einer institutionalisierten Compliance-Struktur erforderlich sein. Eine Verteidigung mit Unwissenheit und Irrtum ist grundsätzlich jedoch nicht möglich.8) Deshalb ist ein bewusster Umgang mit entsprechenden Risiken sowohl im Interesse des Unternehmens als auch der Handelnden und der Unternehmensorgane.

Die (auch nur fahrlässige) Auslotung von kartellrechtlichen Graubereichen stellt sich insoweit als eine riskante Unternehmensstrategie dar. Demgegenüber können Unternehmen das Risiko von Kartellbußgeldern vermindern, indem sie - typischerweise auf Grundlage von Compliance-Strukturen - zur Sachverhaltsaufklärung beitragen.

Es ist aufgrund mehrerer jüngerer Entwicklungen davon auszugehen, dass der Druck zu kartellrechtlichen Compliance-Maßnahmen im Finanzbereich zunehmen wird. Die Kartellbehörden stellen immer mehr - auch etablierte - Praktiken in der Kreditwirtschaft infrage (so etwa das Bundeskartellamt die Einheitlichkeit der Händlerentgelte bei EC-Kartenzahlungen). Die britischen Behörden unterziehen die Kreditwirtschaft derzeit sogar einer umfassenden Sektoruntersuchung in Bezug auf Privatkunden-Girokonten und KMU-Geschäftskonten. Derartige Sektoruntersuchungen haben regelmäßig politische Maßnahmen sowie behördliche Einzelverfahren zur Folge. Ähnlich weitgehende Vorstöße des Bundeskartellamts sind zwar aktuell noch nicht abzusehen. Doch dürfte es auch in Deutschland nur eine Frage der Zeit sein, bis die Kartellbehörden ihre Aufmerksamkeit dem Finanzbereich noch stärker zuwenden.

Erhöhter Druck zur Umsetzung von Compliance-Maßnahmen

Insoweit erscheint nicht ohne Bedeutung, dass auch die Monopolkommission jüngst in ihrem XX. Hauptgutachten eine Reihe von Wettbewerbsverzerrungen in der Finanz- und Kreditwirtschaft offengelegt hat, die unmittelbar kartellrechtsrelevant sind.9) Auch dadurch hat sich der Druck zu Compliance-Maßnahmen erhöht. Denn die Markteinschätzung der Monopolkommission fließt nicht nur in die politische Debatte ein, sondern wird auch von den Kartellbehörden und den deutschen Gerichten bei deren Entscheidungsfindung im Einzelfall berücksichtigt. Gleichwohl sieht es die Monopolkommission grundsätzlich nicht als ihre Aufgabe an, in die Durchsetzung der Wettbewerbsregeln im Einzelfall in irgendeiner Form einzugreifen. Schließlich ist auf eine veränderte Einstellung von Unternehmen und Verbrauchern hinzuweisen. Denn mit zunehmendem Bewusstsein für die mit Wettbewerbsverstößen verbundenen Schäden nimmt die Bereitschaft zur Hinnahme solcher Verstöße ab. Die bereits zu beobachtende Entwicklung einer zunehmenden Durchsetzung privater Schadenersatzansprüche für Wettbewerbsverstöße dürfte in nächster Zeit durch die Umsetzung einer entsprechenden Richtlinie beschleunigt werden, die vom Europäischen Parlament nach langer Vorarbeit im April 2014 angenommen wurde.10) Diese Richtlinie enthält unter anderem Regelungen zur Erleichterung des Schadensnachweises und dürfte die Durchsetzung von Schadenersatzklagen wegen Wettbewerbsverstößen spürbar vereinfachen.

Als Fazit ist festzuhalten: "Die Einschläge kommen näher". Denn die Risiken wegen Wettbewerbsverstößen sind auch im Finanzbereich vielfältig, und die überkommene Zurückhaltung der Kartellbehörden gegenüber diesem Bereich nimmt ab. Die Unterlassung von Maßnahmen zur Sicherstellung der Kartellrechtscompliance ist vor diesem Hintergrund fahrlässig. Dies gilt umso mehr, als die relevanten Risiken sich oft relativ einfach vermindern oder sogar ganz vermeiden lassen dürften. Denn dass kartellrechtliche Vorgaben die Erreichung legitimer geschäftlicher Ziele verhindern würden, gilt tatsächlich nur in seltenen Ausnahmefällen.

Fußnoten

1) Gortmann und Schmitz in: Wittkowski, "Unser Modell droht Opfer der Regulatorik zu werden", Interview in der Börsen-Zeitung vom 15. Mai 2014.

2) Vgl. EU-Kommission, Wettbewerbsrechtliche Compliance, Broschüre, 2012; abrufbar: http://ec.europa. eu/competition/antitrust/compliance/index_en.html; Bundeskartellamt, Punkt "Compliance" unter: http://www.bundeskartellamt.de/DE/Kartellverbot/ kartellverbot_node.html.

3) OECD, Promoting compliance with competition law, Policy Roundtables, 2011, S. 13.

4) Das gilt allerdings nicht nur für die Realwirtschaft, sondern ebenso auch für die Kreditwirtschaft; siehe Frühauf, Topbanker war vor Selbstmord in Sorge um Deutsche Bank, FAZ.net vom 25. März 2014.

5) Vgl. EU-Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2011 C 11/1, Tz. 240.

6) Monopolkommission, XX. Hauptgutachten 2014, Tz. 956. Dagegen wird von Anwaltsseite eine Belohnung für Compliancebemühungen gefordert; siehe zum Beispiel Seeliger, Belohnung von Compliance ist der richtige Weg, Börsen-Zeitung vom 30. August 2014.

7) Siehe aktuell Wefers, Unternehmensbußen unter der Lupe, Börsen-Zeitung vom 12. August 2014: Bundesregierung prüft Verschärfung der Sanktionsinstrumente - Zentrale Rolle der Compliance-Systeme; ferner dpa/beu, Kartellamt dürfte mehr Strafen verhängen denn je, Welt Online vom 8. Juli 2014.

8) Vgl. zuletzt EuGH, Urteil vom 18. Juni 2013, C-681/11, Schenker, noch nicht in amtl. Slg., Rn. 41.

9) Monopolkommission, XX. Hauptgutachten 2014, Tz. 1822ff., 1923 ff. sowie Tz. 2074-2130.10) Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. April 2014, P7_TA(2014)0451.

Der Beitrag gibt allein die persönliche Auffassung der Autoren wieder, die nicht notwendigerweise mit der der Monopolkommission übereinstimmt.

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