Technologische Entwicklungen haben schon immer zu Veränderungen geführt, sodass neue Märkte für neue Produkte entstehen und bestehende Märkte mit etablierten Produkten stark erodieren oder gar komplett substituiert werden. Bei diesen sogenannten disruptiven Innovationen auf technologischer Basis1) verdrängte beispielsweise die Digitalfotografie das bestehende Geschäftsmodell von Agfa oder Kodak,2) das im Kern auf den Verkauf von Kameras und die Entwicklung von Filmen basierte. Weitere prominente Exempel sind die Schreibmaschine oder die Schallplatte.3)
Durch die zunehmende Digitalisierung4) finden jedoch disruptive Innovationen von Geschäftsmodellen statt, Booking.com, Uber, Spotify, Sky, Airbnb, Amazon haben weitreichende Konsequenzen für viele Branchen wie den Buchhandel, Verlage, Hotels, Reisebüros, Film- und Musikindustrie und somit den stationären Vertrieb gehabt. Die Disruption ist ein schleichender Prozess5) und so haben in der Vergangenheit etablierte Unternehmen die Gefahr meist zu spät erkannt. Christensen beschreibt anhand einiger Geschäftsmodelle, dass Technologiesprünge von den Branchenführern versäumt wurden und es kleine und neue Unternehmen sind, die mit neuen Technologien neue Märkte erschaffen.6)
Unternehmensanalyse und bei Bedarf Anpassung der Strategie
Der deutsche Mittelstand verfügt in vielen Branchen über eine starke Marktposition, ist die zentrale Stütze der internationalen Wettbewerbsfähigkeit7) sowie insgesamt hinsichtlich Umsatzwachstum/-rendite und Mitarbeiterproduktivität seit Jahren auf dem Höchststand.8) Die Top 100 Mittelständler sind profitabler als die Dax-Konzerne.9) Um diese Position zu erhalten, haben sich im Rahmen der Digitalisierung - denn diese stellt eine der hervorstechenden Herausforderungen dar10) - die Eigner und das Management von mittelständischen Unternehmen eingehend mit den sich verändernden Märkten und Technologien auseinanderzusetzen. Eigentümer und Fremdkapitalgeber können im Rahmen von möglichen Geschäftsmodellumstürzen und dem sich daraus ergebenden Wandlungserfordernis nicht auf klassische Risikoevaluationen zurückgreifen.11) Unter den sich verändernden Bedingungen haben Mittelständler eine detaillierte Unternehmensanalyse vorzunehmen und gegebenenfalls die Unternehmensstrategie entsprechend anzupassen.12)
Es werden nur die Unternehmen reüssieren, die massive Modernisierungs- und Digitalisierungsmaßnahmen ergriffen haben13) und sich nicht von der "German Angst"14) beeinflussen lassen. Innovationen, digitale Transformation oder Implementierung einer neuen Strategie erfordern sowohl personelle als auch finanzielle Ressourcen,15) die gerade im Mittelstand bei den Inhabern beziehungsweise Unternehmerfamilien üblicherweise begrenzt sind.16) Daher sind Kreditinstitute weiterhin eine der wichtigsten Finanzierungsquellen des Mittelstandes17) insbesondere bei langfristigen Finanzierungen18) und das Hausbankprinzip ist aufgrund der assoziierten Informationsvorteile weiterhin sehr stark verbreitet.19)
Durch die anstehenden Investitionserfordernisse kann sich diese Abhängigkeit weiter erhöhen und dies obwohl in den vergangenen Jahren die mittelständischen Unternehmen in Deutschland ihre Eigenkapitalquote durch Thesaurierung deutlich steigern konnten.20) Auch die Liquiditätssituation konnte sich beträchtlich verbessern, sodass die Anzahl der Insolvenzen rückläufig war. 21)
Seit 2018 scheint dieser positive Trend vorerst gestoppt22) und könnte sich durch die angesprochenen Herausforderungen verschärfen. Vor diesem Hintergrund ist eine Betrachtung des Kreditentscheidungsprozesses in Kreditinstituten opportun.
Eine Frage der Wahrscheinlichkeit
Im Rahmen einer Kreditentscheidung führen Banken und Sparkassen eine sogenannte Kreditanalyse oder Kreditwürdigkeitsprüfung durch. Dabei hat die Kreditanalyse das primäre Ziel, die Frage nach der Wahrscheinlichkeit der Kapitaldienstfähigkeit des Kreditnehmers zu beantworten,23) das heißt die Erbringung der vertraglich vereinbarten Zins- und Tilgungsleistungen während der Vertragslaufzeit.
Um die Bonität von mittelständischen Unternehmen als Ganzes beurteilen zu können, erstellen Kreditinstitute sogenannte Unternehmensratings.24) Das Rating ist als essenzielles Risikobemessungssystem den Kreditinstituten durch die Bestimmungen von Basel II/Basel III und MaRisk verbindlich vorgeschrieben und ist eine standardisierte Methode zur Bonitätseinstufung von Unternehmen, welche neben rein quantitativen - sogenannten Hardfacts - auch qualitative Faktoren einfließen lässt. 25)
Auch wenn es in den unterschiedlichen Säulen der Kreditwirtschaft keine einheitliche Skala gibt, haben alle Risikoeinschätzungen das Ziel, die Ausfallwahrscheinlichkeit (probability of default) des Kreditnehmers innerhalb eines Jahres zu bestimmen.26) Zu den quantitativen Kriterien zählen insbesondere die Kennziffern, welche den wirtschaftlichen Erfolg widerspiegeln. Diese lassen sich aus dem Jahresabschluss ableiten und die traditionelle Bilanzanalyse ist weiterhin - trotz ihrer immanenten Schwächen - von essenzieller Bedeutung. Insofern basieren Kreditratings primär auf jahresabschlussbezogenen Kennzahlen der Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage der Unternehmung.27) Bei der Generierung von Kennzahlen aus historischen Jahresabschlüssen besteht das Problem, dass von der Vergangenheit auf die Zukunft geschlossen werden muss. Schließlich kommt es bei der Kreditentscheidung darauf an, ob der Kunde zukünftig in der Lage sein wird, den Verpflichtungen in Gänze nachzukommen. Dies dokumentieren auch die Anforderungen für die Kreditgewährung durch die Einführung von Basel II/III.
Kreditinstitute sind zur erweiterten Offenlegung verpflichtet, welche sich insbesondere auf die Risikomessung- und Risikomanagement-Verfahren fokussieren,28) welche entsprechende Konsequenzen auch für den Mittelstand hat. Nach § 18 KWG haben sich Kreditinstitute für die Dauer des Kreditverhältnisses laufend über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers zu informieren. Die Kreditinstitute sind verpflichtet, selbst geeignete Maßnahmen zu definieren, um die Anforderungen zu erfüllen, die im Rahmen der Abschlussprüfung und Bankenaufsicht regelmäßig überprüft wird.29) Neben vergangenheitsbezogenen Unterlagen (JA, BWA) weist der Bundesverband Öffentlicher Banken insbesondere auf zukunftsorientierte Informationen wie Umsatzentwicklung, Business-Pläne sowie vor allem Erfolgs - und Liquiditätspläne hin,30) damit die Informationspflicht erfüllt wird.
Bedeutung der künftigen Unternehmensentwicklung
Die Erkenntnis über die Wichtigkeit der künftigen Unternehmensentwicklung ist nicht gerade erst gereift und vor diesem Hintergrund haben bereits hybride Ratingmodelle bei den Kreditinstituten Einzug erhalten, das heißt, dass neben den quantitativen Faktoren sogenannte qualitative Faktoren wie Managementfähigkeiten, Unternehmenssituation und -strategie, Perspektive, Nachfolgesituation und Kundenbeziehung berücksichtigt werden.31) Damit ist auch ein Blick in die Zukunft möglich, aber diese teilweise höchst subjektiven Größen haben jedoch noch keinen erheblichen Einfluss auf die Ratingnote.32) Vor diesem Hintergrund basieren zurzeit die Kreditentscheidungen im Firmenkundengeschäft auf der traditionellen Bilanzanalyse,33) welche die Ratingnote dominiert.34) Damit sind überwiegend Vergangenheitszahlen relevant.35) Unterjährige Entwicklungen, welche durch betriebswirtschaftliche Auswertungen dokumentiert werden, fließen nur ein, soweit diese negativen Abweichungen wesentlich sind, das heißt, dass die Erbringung des Kapitaldienstes gefährdet ist und somit als Warnhinweis zu implementieren ist.36)
Obwohl der Mittelstand inzwischen immer öfter Planzahlen im Rahmen einer Kreditentscheidung einreicht, sind diese nicht immer maßgeblich. Dies wird anhand eines Beispiels evident. Ein Unternehmen im deutlichen Subinvestment-Grade und positiven Planzahlen wird eher Schwierigkeiten haben, Finanzierungen auf Blankobasis zu erhalten. Unternehmen mit einem Investmentgrade Rating und keiner Planung beziehungsweise einer Planung, die eine statische Entwicklung prognostiziert, haben es vergleichsweise einfacher, eine Blankofinanzierung zu erhalten. Letztgenannte Konstellation erhöht die Wahrscheinlichkeit einer positiven Kreditentscheidung. Sofern keine negativen Informationen oder Marktverwerfungen bekannt sind, wird in der Regel eine stabile Kapitaldienstfähigkeit unterstellt.
Vernachlässigung im Tagesgeschäft
Diese de facto statische Betrachtung im Rahmen einer Kreditanalyse ist bei der Gegenüberstellung von ungewissen zukünftigen Entwicklungen (Planung) und einer bereits gezeigten Leistungsfähigkeit in der Vergangenheit (Jahresabschlüsse) verständlich. Ferner müssen Kreditinstitute bei den generierten Margen im Kreditgeschäft ihre Prozesse standardisieren und Kosten reduzieren, sodass die Entscheidungen nicht alle individualisiert werden können. In der Praxis werden daher detaillierte Planungen und prognostizierte Entwicklungen erst ab einem bestimmten Volumen und bei Spezialfinanzierungen Anwendung finden, bei denen unter anderem Cashflow-Modelle und Sensitivitätsanalysen als Basis für eine Kreditentscheidung dienen.
Was in der Theorie bereits Akzeptanz findet, dass sich die Kreditentscheidung an der zukünftigen Liquiditätsentwicklung der Unternehmung zu orientieren habe,37) geht aufgrund der bereits beschreibenden Faktoren im Tagesgeschäft unter. Die Kostendegression und die Stabilität des Mittelstandes haben in den letzten Jahren die echten Ausfallraten bei den Kreditinstituten überkompensiert,38) sodass eine Änderung dieser Vorgehensweise bis dato nicht erforderlich war.
Dies könnte sich durch die fortschreitende Digitalisierung ändern, da etablierte Geschäftsmodelle relativ schnell obsolet werden können. Die Geschwindigkeit von Veränderungen hat stark zugenommen39) und dies hat einen Akzeleratoreffekt auf die Handlungserfordernisse sowohl von Unternehmen als auch von Kreditinstituten zur Konsequenz.
Evolution der Bewertungskonzepte
Im Laufe der letzten 7 Jahrzehnte hat sich die Konzeption der Unternehmensbewertung in Deutschland grundlegend verändert, deren Entwicklung Abbildung 2 entnommen werden kann.
Bis zum Ende der 50er Jahre wurde der Wert von Unternehmen anhand von objektiven Faktoren festgelegt. Diese vorherrschende Wertkonzeption der objektiven Unternehmensbewertung ging davon aus, dass der Unternehmenswert unabhängig von der Bewertungssituation und allgemein realisiert werden konnte,40) demzufolge unparteiisch, verlässlich und nachprüfbar war.41) Diese apodiktischen Kriterien führten zwangsläufig dazu, dass nur die vergangenen und die gegenwärtigen Verhältnisse der Unternehmung betrachtet werden konnten,42) die erwarteten Entwicklungen blieben dagegen weitgehend unberücksichtigt.43) In der Praxis kam dem Substanzwertverfahren eine wesentliche Bedeutung zu.44)
Die objektive Bewertung sah sich aber mit einer sukzessiv stärker werdenden Kritik konfrontiert, insbesondere wegen der vermeintlichen Allgemeingültigkeit und wurde im weiteren Verlauf der 60er Jahre durch die subjektive Werttheorie abgelöst.45) Diese Wertkonzeption beruhte auf der Annahme, dass sich der Wert durch die Einbeziehung der individuellen Erwartungen, Ziele, Interessen und Potenziale des Bewertungssubjekts ermittelt.46) Eine der größten Vorteile der subjektiven Bewertung ist gleich der größte Kritikpunkt, da der Wert als nicht nachvollziehbar empfunden wird.47)
Basierend auf der sogenannten "Kölner Schule"48) wurde in den 1970er Jahren aus den vorgenannten Gegensätzen die funktionale Unternehmensbewertungslehre entwickelt, die eine Integration der dargestellten Werttheorien bezweckte,49) welche bis heute die anerkannte Basis für die Unternehmensbewertung darstellt.50) Diese Evolution zur funktionalen Werttheorie stellt einen Paradigmenwechsel dar und ermöglichte die Anwendung der sogenannten Gesamtbewertungsverfahren, bei der sich analog der subjektiven Bewertungstheorie, das Prinzip der Gesamtbewertung und insbesondere der Zukunftsbezogenheit durchgesetzt hat.51) Mit anderen Worten, der zukünftige Nutzen, den das Unternehmen als Ganzes und nicht die einzelnen Vermögensgegenstände für den Bewerter zu diesem Zweck stiften kann.52) Insofern kann es je nach Aufgabenstellung der Bewertung und für jeden individuellen Bewertungsinteressenten unterschiedliche Unternehmenswerte geben, ergo es existiert kein einziger allgemeingültiger Wert, der richtige Wert ist der zweckadäquate.53)
Zwei Modelle etabliert
Den künftigen Nutzen einer Unternehmung, welcher ex ante zu ermitteln ist, stellt den Bewerter vor eine nicht zu unterschätzende Planungs- und Prognoseproblematik, denn die Zukunft ist bekanntlich ungewiss.54) Vor diesem Hintergrund ist eine detaillierte Vergangenheitsanalyse erforderlich,55) um die Erfolgsquellen aber auch Schwachstellen des Unternehmens zu identifizieren.
Für die unterschiedlichen Bewertungsanlässe haben sich sowohl in der Theorie als auch in der Praxis präferierte Bewertungsverfahren kristallisiert, welche den oben angesprochenen Kriterien gerecht werden. Diese prädominanten Gesamtbewertungsverfahren56) haben einen investitionstheoretischen Ansatz und werden auch Zukunftserfolgsverfahren genannt.57) Hierzu zählen insbesondere die Ertragswertmethode (EWM) und die Dis counted-Cashflow-Methode (DCFM). 58) Der Wert des Unternehmens ergibt sich insofern aus der Fähigkeit zukünftige Erträge beziehungsweise Cashflows zu erwirtschaften und die Betrachtung des Unternehmens erfolgt in seiner Gesamtheit als fortzuführende Einheit.59)
Bei der EWM ist einer der wichtigsten Grundsätze somit die Betrachtung der zukünftigen Erträge und die Liquidationserlöse des nicht betriebsnotwendigen Vermögens.60) Der Eigenkapitalgeber investiert in die Zukunft des Unternehmens und nicht in die Vergangenheit, das heißt, innerhalb welcher Zeit fließt das investierte Kapital zuzüglich einer risikoadäquaten Verzinsung zurück. Die zukünftigen Erträge werden dabei auf den Bewertungsstichtag abgezinst (diskontiert), demzufolge ergeben der Barwert der zukünftig erzielbaren Erträge sowie der Wert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens den Unternehmenswert.61) Die Formel 1 (Abbildung 3) dient der Ermittlung des Ertragswertes.
Planungsrechnung auf Basis der GuV
Mit der klassischen EWM wird der Eigenkapitalwert des Unternehmens bestimmt.62) Im Zähler der oben aufgeführten Formel wird der zukünftig erwartete und nachhaltig erzielbare und ausschüttungsfähige Jahresüberschuss eingesetzt,63) mit anderen Worten die Zahlungsströme, die vom Unternehmen an den Eigner oder Eigentümer/Gesellschafter fließen.
Für die Bestimmung der zukünftigen ausschüttungsfähigen und damit der bewertungsrelevanten Überschüsse, die den Kapitalgebern zur Verfügung stehen, bietet sich eine Planungsrechnung auf Basis der Gewinn-und-Verlust-Rechnung an. 64) Diese Planung sollte neben einer GuV auch die Finanzplanung enthalten,65) denn daraus lassen sich die ausschüttungsfähigen Erträge unter Vorabberücksichtigung von beispielsweise Investitionen, Kreditaufnahmen und Rückführung von Darlehen ermitteln. Insofern wird der Ertragswert und somit Unternehmenswert nicht primär von bilanziellen Größen, sondern von Zahlungsströmen abgeleitet.
Die DCFM ist eine Bewertungsmethode, welche aus dem angloamerikanischen Raum hervorgegangen ist und sich in Deutschland inzwischen etabliert hat.66) Analog dem Ertragswertverfahren wird bei der DCFM der Unternehmenswert anhand von Barwerten ermittelt, das heißt, zukünftige Cashflows werden auf den Bewertungsstichtag abgezinst. Dabei werden die Erhaltung der betriebsnotwendigen Substanz und die Fortführung des Unternehmens unterstellt.67) Im Gegensatz zur EWM werden bei der DCFM keine Ertragsüberschüsse, sondern zukünftige und nachhaltig erzielbare Cashflows diskontiert.68) Cashflows sind zahlungsstromorientierte Erfolgsgrößen, die unabhängig von Bilanzierungsspielräumen ermittelt werden können.69) Für die Bewertung besteht eine Ausschüttungsfiktion, 70) das heißt, relevant sind die Cashflows, welche für die Gesellschafter zur Ausschüttung zur Verfügung stehen, auch wenn diese nicht zwangsläufig ausgeschüttet werden.
Konzeptionelle Nähe zur Etragswertmethode
Bei den DCFM unterscheidet man im Wesentlichen zwei Verfahren, um den Unternehmenswert zu ermitteln, nach der Netto- oder Bruttokapitalisierung,71) siehe auch Formeln 2 und 3 (Abbildung 3).
Alle DCFM haben gemeinsam, dass der Unternehmenswert von zwei wesentlichen Komponenten abgeleitet wird, dies sind die Cashflows, welche im Zähler abgebildet werden und der Kapitalisierungszinssatz im Nenner. Des Weiteren wird bei allen Verfahren analog der Ertragswertmethode das nicht betriebsnotwendige Vermögen abzüglich der nicht betriebsnotwendigen Verbindlichkeiten hinzuaddiert.72) Insgesamt zeigt sich bei den DCFM die konzeptionelle Nähe zur EWM, die sowohl in der Betriebswirtschaftslehre73) als auch in der Rechtsprechung74) anerkannt wurden. Das Bundesverfassungsgericht75) hat bereits im Jahre 2006 die DCFM der EWM gleichgestellt.
Es kann somit konstatiert werden, dass Gesamtbewertungsverfahren und insbesondere deren Zukunftsbezogenheitsprinzip in der Betriebswirtschaftslehre76) und in der Rechtsprechung77) anerkannt sind.
Diese Verfahren finden im Rahmen von gesellschaftsrechtlichen (wie beispielsweise Abfindungen 78) ) als auch von transaktionsbezogenen Bewertungen79) (Kauf- und Verkauf von Unternehmen/Anteilen) präferierte Anwendung, sofern eine Fortführung unterstellt wird.80) Als eine der wesentlichen Repräsentanten der Bewertungspraxis in Deutschland betrachtet das Institut der Wirtschaftsprüfer bei objektivierten Unternehmensbewertungen ebenfalls die Gesamtbewertungsverfahren als maßgebliche Methoden.81) Dies ist explizit verankert in den Grundsätzen für die Bewertung von Unternehmen.82)
Der Liquidationswert stellt sowohl betriebswirtschaftlich83) als auch rechtlich unter bestimmten Voraussetzungen,84) das heißt, das Unternehmen wird liquidiert und es besteht weder die unternehmerische Absicht noch ein rechtlicher Zwang zur Fortführung,85) den Mindestwert der Unternehmung dar.
Endwerte-Analyse durch Disruption
Starke Veränderungen von Geschäftsprozessen erschweren die Bonitätsanalyse, da klassische Vergangenheitsanalysen und folglich die daraus identifizierten Werttreiber der Unternehmung - beispielsweise technologische Alleinstellungsmerkmale, Marke, Kundenstamm, Marktanteile - für die Generierung von Erträgen keine belastbaren Prognosen mehr erlauben.
Für die Kreditanalyse ist es daher unabdingbar, die beständigen Werttreiber des Unternehmens zu identifizieren und die Risiken einzuschätzen, welche durch die Digitalisierung auf das Geschäftsmodell während der Kreditlaufzeit einwirken können. Neben den klassischen Implikationen auf Geschäftsmodelle wie Innovationssprünge, Wettbewerb, Konjunktur, politische Trends, Kundenerwartungen und Preisentwicklungen gewinnt die Beurteilung möglicher Auswirkungen der Digitalisierung deutlich an Bedeutung.
Ansätze für eine Einschätzung können Innovationsquoten, Anzahl von Patenten oder entsprechend adressierte Modifikationsstrategien sein. Die Kommunikation von Unternehmensstrategien und deren Umsetzung an potenzielle Kreditgeber ist als Basis für eine Beurteilung von Planzahlen notwendig. Das Verständnis des Kreditgebers über die strategische Aufstellung des Unternehmens ist unabdingbar, das heißt die diesbezüglichen Bedrohungen oder Erfolgspotenziale zu erkennen. Die Plausibilisierung der eingereichten Prognosen sollte individuell und je nach Geschäftsmodell völlig unabhängig von der historischen Entwicklung und anhand von Szenarioanalysen erfolgen. Dennoch stellt eine detaillierte Vergangenheitsanalyse die Basis für die Bewertung des Geschäftsmodells dar. Auch hier besteht eine Analogie zur Unternehmensbewertung, mit dem Unterschied, dass die Betrachtung für die Kreditanalyse sich auf die Kreditlaufzeit beschränkt.
Für Kreditinstitute wird die Herausforderung darin bestehen, dass Kostenerfordernissen im Kreditentscheidungsprozess Risiken aus künftigen Entwicklungen gegenüberstehen, welche aus der Digitalisierung resultieren. Eine antizipative Einpreisung von möglichen Ausfallrisiken (erwartete und unerwartete Verluste) aus der Digitalisierung kann nur pauschal erfolgen und kann mit Blick auf den bestehenden Wettbewerb nicht für alle Mittelstandssegmente umgesetzt werden, unabhängig davon wird es dem einzelnen Unternehmen nicht gerecht. Dennoch müssen Kreditinstitute bei Geschäfts- und Gewerbekunden aufgrund der Stückkostenproblematik auf maschinelle beziehungsweise standardisierte Kreditentscheidungsprozesse setzen. Bei größeren Kreditvolumina und damit einhergehend Blankorisiken verbleibt eine individuelle und zukunftsorientierte Kreditprüfung, welche mögliche Risiken und Chancen adressiert.
Blick auf die Perspektiven der Unternehmen
Aufgrund der bestehenden und nicht zu eliminierenden Unsicherheiten der zukünftigen Entwicklung einer Unternehmung und der Wettbewerbs- und Kostensituation der Kreditinstitute geht es nicht um triviale Veränderungen. Gleichwohl sollte sich die Kreditanalyse ein Beispiel an der Unternehmensbewertungsentwicklung nehmen, die als Ergebnis einer Dekaden währenden und teilweise adversativen Diskussion war, sich auf die Perspektiven der Unternehmung statt auf ein obsoletes Prinzip der Retrospektive zu stützen.
Die eindimensionale und statische Fortschreibung der wirtschaftlichen Ist-Werte kann nicht als verlässliche Prognose und somit als ausschließliches Kriterium für eine Kreditentscheidung dienen. Dies ist mit Blick auf die sich graduell vermehrende Anzahl von Unternehmen, die aus einer starken Vergangenheitsposition nunmehr mit existenzbedrohenden Veränderungen konfrontiert werden - insbesondere für größere mittelständische Unternehmen - keine Alternative.
Fußnoten
1) Eckert, 2019, Seite 20
2) Urbach & Ahlemann, 2016, Seite 162
3) Seifert, 2018, Seite 207; Nielen, Kay, & Schröder, 2017, Seite 1
4) Der Begriff wird sowohl für die Umwandlung von analogen Daten in digitale Informationen zur Hebung von Synergiepotenzialen als auch für die Transformation von Prozessen, welche eine tiefergehende Änderung von Verhaltensweisen der Marktteilnehmer zur Folge hat, verwendet
5) Keuper, Schomann, Sikora, & Wassef, 2018, Seite 248
6) Christensen, 2016, Seite 24
7) Schwartz, 2018, Seite 6
8) Deutscher Sparkassen- und Giroverband e.V., 2018
9) Theopold, 2019
10) Felden, Schirrmeister, & Schönmoser, 2018, Seite 218
11) Reinhardt, 2014, Seite 9
12) Lehmann & Wilhelm, 2018, Seite 250; Janke & Burkhardt, 2018, Seite 207; Eckert, 2019, Seite 18
13) Carl & Gondlach, 2018, Seite 15
14) Carl & Gondlach, 2018, Seite 13
15) Janke & Burkhardt, 2018, Seite 4; Botzkowski, 2018, Seite 192
16) Felden, Hack, & Hoon, 2019, Seite 82; Haack & Qushta, 2018, Seite 200
17) Hippchen, 2016, Seite 101; Dimler, Peter, & Karcher, 2018, Seite 7; European Central Bank, 2018
18) Schwartz, 2018, Seite 13
19) Schwartz & Gerstenberger, 2019, Seite 2-3
20) Schwartz, 2018, Seite 15-16; Deutscher Sparkassen- und Giroverband e.V., 2018, Seite 26
21) Creditreform, 2019
22) Statistisches Bundesamt, 2019
23) Lüscher-Marty, 2015, Seite 16
24) Michaelis & Schmeisser, 2016, Seite 57
25) Kühlwein & Burkert, 2015, Seite 161
26) Reitz, 2011, Seite 277; Becker, 2015, Seite 287
27) Graumann, 2017, Seite 250
28) Deutsche Bundsbank, 2011, Seite 17
29) Eilenberger, 2012, Seite 75
30) Bundesverband Öffentlicher Banken, 2005, Seite 17
31) Arens, 2009, Seite 68; Buschmeier & Everling, 2014, Seite 33
32) Buschmeier & Everling, 2014, Seite 32
33) Schierenbeck, Lister, & Kirmße, 2014, Seite 313
34) Portisch, 2019, Seite 94
35) Barrantes, 2009, Seite 55
36) Gleißner & Füser, 2014, Seite 77
37) Kahre, Laier, & Vanini, 2019, Seite 174; Lachnit & Müller, 2017, Seite 5; Gleißner, 2017, Seite 151
38) Deutsche Bundesbank, 2018; Creditreform Rating, 2019
39) McKinsey & Company, 2018, Seite 6; Wolters, 2016, Seite 33
40) Mellerowicz, 1952, Seite 11-17; Peemöller, 2015, Seite 5; Münstermann, 1966, Seite 20
41) Matschke, 1976, Seite 517
42) Matschke & Brösel, 2014, Seite 5
43) Franken, Schulte, & Brunner, 2015, Seite 1039
44) Kuhner & Maltry, 2017, Seite 58
45) Weiterführende Literatur zur subjektiven Unternehmensbewertung: Busse von Colbe, 1957: Der Zukunftserfolg; Münstermann, 1966: Wert und Bewertung der Unternehmung; Sieben, 1963: Der Substanzwert der Unternehmung; Jaensch, 1966: Wert und Preis der ganzen Unternehmung.
46) Peemöller, 2015, Seite 7; Matschke & Brösel, 2014, Seite 6
47) Matschke & Brösel, 2013, Seite 21; Peemöller, 2015, Seite 7
48) Zur Kölner Funktionenlehre vgl.: Sieben, G. (1976). Der Entscheidungswert in der Funktionenlehre der Unternehmensbewertung. Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 28, 491-504. Coenenberg, A.G. und G. Sieben (1976), Unternehmensbewertung. In Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, 4. Aufl. Bd. 3, Hrsg. E. Grochla, W. Wittmann, Seite 4062-4079. Stuttgart. Matschke, M.J. (1971), Der Arbitrium- oder Schiedsspruchwert der Unternehmung - Zur Vermittlerfunktion eines unparteiischen Gutachters bei der Unternehmensbewertung. BFuP 23 (9): 508-520. Sieben, G. und T. Schildbach (1979), Zum Stand der Entwicklung der Lehre von der Bewertung ganzer Unternehmen. DStR 17 (16/17): 455-461. Matschke & Brösel, Unternehmensbewertung: Funktionen - Methoden - Grundsätze (2013)
49) Kuhner & Maltry, 2017, Seite 59
50) Ihlau & Duschka, 2019, Seite 37; Kuhner & Maltry, 2017, Seite 60
51) Heesen, 2019, Seite 4; Kuhner & Maltry, 2017, Seite 56; Matschke & Brösel, 2013, Seite 806
52) Matschke & Brösel, 2013, Seite 20; Ballwieser & Hachmeister, 2016, Seite 9
53) Moxter, 1983, Seite 5; Ballwieser & Hachmeister, 2016, Seite 1; Drukarczyk & Ernst, 2010, Seite VI
54) Hering, 2006, Seite 4
55) Ballwieser & Hachmeister, 2016, Seite 17; Kuhner & Maltry, 2017, Seite 126
56) Jonas, 2015, Seite 87-88
57) Kuhner & Maltry, 2017, Seite 78-79; Ballwieser & Hachmeister, 2016, Seite 8-9
58) Heesen, 2019, Seite 4; Ihlau & Duschka, 2019, Seite 272
59) Ballwieser & Hachmeister, 2016, Seite 9-10; Matschke & Brösel, 2014, Seite 45
60) Ballwieser & Hachmeister, 2016, Seite 10
61) Ihlau & Duschka, 2019, Seite 50 und 75
62) Ihlau & Duschka, 2019, Seite 120
63) Ballwieser & Hachmeister, 2016, Seite 13; Pummerer, 2017, Seite 95
64) Ihlau & Duschka, 2019, Seite 44
65) Pummerer, 2017, Seite 78
66) Drukarczyk & Ernst, 2010, Seite 73; Heesen, 2019, Seite 5
67) Drefke, 2016, Seite 54
68) Kuhner & Maltry, 2017, Seite 228
69) Ernst, Schneider, & Thielen, 2017, Seite 302
70) Heesen, 2019, Seite 281
71) Baetge, Niemeyer, Kümmel, & Schulz, 2015, Seite 359
72) Ernst, Schneider, & Thielen, 2017, Seite 28; Ballwieser & Hachmeister, 2016, Seite 10
73) Zwirner & Lindmayr, 2017, Seite 381; Heesen, 2019, Seite 18; Ihlau & Duschka, 2019, Seite 49; Kuhner & Maltry, 2017, Seite 79
74) OLG München, 2014; BGH, 2015
75) Bundesverfassungsgericht, 2006
76) Kuhner & Maltry, 2017, Seite 60; Heesen, 2019, Seite 50; Matschke & Brösel, 2014, Seite 1
77) Fleischer, 2016, Seite 192; Hachmeister, Ruthardt, & Lampenius, 2011, Seite 900; Wüstemann & Brauchle, 2018, Seite 1579
78) Stilla, 2017, Seite 284; Ihlau & Duschka, 2019, Seite 120; Lauber, 2015, Seite 1019
79) Matschke & Brösel, 2013, Seite 754
80) Ballwieser & Hachmeister, 2016, Seite 10
81) Institut der Wirtschaftsprüfer, 2014
82) Institut der Wirtschaftsprüfer, 2008
83) Drukarczyk & Schüler, 2016, Seite 452
84) Fleischer, 2015, Seite 723
85) Bode, 2017, Seite 499
Ein umfangreiche Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie hier.