Kundenberatung 2030 zwischen Empathie und Künstlicher Intelligenz

Ralf W. Barkey, Foto: Genossenschaftsverband

Die genossenschaftliche Bankengruppe muss die technischen Entwicklungen der Bankenbranche annehmen und wird sie in die Zukunftsausrichtung ihres Geschäftsmodells einbinden. Künstliche Intelligenz und Robo Banking können in diesem Szenario perspektivisch neben klassische Beratungsformen treten, werden diese aber eher ergänzen als ersetzen. Die Kunst besteht darin, im Zusammenspiel von Mensch und Maschine gemeinsam mehr Effizienz und Profitabilität zu erreichen. Diesen Schlussfolgerungen nähert sich der Autor über fünf Thesen, angefangen von der Zukunft der Filialen, ihres konkreten Änderungsbedarfs, die Bedeutung der Beratung im Bankgeschäft, eine kluge Einbindung der technischen Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz und Robo Banking sowie nicht zuletzt ein zukunftsweisendes Konzept für die Aus- und Weiterbildung. (Red.)

Der Bankenmarkt in Deutschland ist - nicht zuletzt durch die Entwicklungen seit der Finanzkrise 2007/2008 und der Digitalisierung durch zahlreiche Umbrüche geprägt. Speziell die These, Deutschland sei mit Anbietern von Bankdienstleistungen überversorgt (overbanked) hält sich seit vielen Jahren oder sogar Jahrzehnten. Der Blick auf die Zahlen verdeutlicht, dass ein Konsolidierungsprozess im Kreditgewerbe seit langem zu beobachten ist. Während die Zahl der Institute seit mehreren Dekaden rückläufig ist, hat dieser Trend bei den Filialen erst vor gut 15 Jahren eingesetzt (Tabelle).

Diskussionen um die Zukunft der Filiale

Diesen Zahlen und zahlreichen Pressemitteilungen, Beiträgen von Fachleuten und anderen Publikationen folgend scheint die Bankfiliale keine wirkliche Zukunft mehr zu haben. "Tod der Filiale" titelte die Welt Anfang September dieses Jahres einen redaktionellen Beitrag zu diesem Thema. Auch wenn dies übertrieben ist: Der Zahlungsverkehr findet längst mittels Laptop und Smartphone statt und Bargeld kann sowohl im Supermarkt als auch an der Tankstelle abgeholt werden. Selbst die Baufinanzierung - über lange Jahre hinweg ein zentrales Beratungsprodukt der Kreditwirtschaft - kann mittlerweile komfortabel online erledigt werden.

Parallel dazu flutet die EZB den Markt mit Liquidität zum Nulltarif und ein Ende dieser Politik ist unabhängig vom Wechsel auf dem EZB-Präsidentenstuhl nicht zu erwarten. Damit wird nicht nur ein zentraler Steuerungsmechanismus in einer Marktwirtschaft zum Erliegen gebracht (der Zins), sondern gleichzeitig massiv in das Geschäftsmodell von Kreditinstituten eingegriffen. Diese extrem expansive Geldpolitik geht einher mit stetig steigenden regulatorischen Anforderungen speziell für kleinere und mittlere Kreditinstitute, sodass sich die Banken insgesamt einem mit vielfältigen Herausforderungen versehenen Marktumfeld gegenüber sehen.

Fünf Thesen zum deutschen Bankensystem

Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - einzelne Thesen zum deutschen Bankensystem aufgegriffen werden.

These 1: Die Zahl der Banken und der Bankfilialen wird weiterhin rückläufig sein: Der Konsolidierungsprozess im deutschen Kreditgewerbe wird unverändert weitergehen. Entscheidend für Privat- und Firmenkunden ist der Zugang zu Bankdienstleistungen und dieser kann auf vielen Wegen erfolgen. Die genossenschaftliche Bankengruppe geht diesen Weg im Rahmen ihrer Digitalisierungsoffensive von einer filialzentrierten hin zu einer omnikanalen Bankengruppe. Dabei stehen die Kunden mit ihren Erwartungen im Fokus, sie sollen den Zugangsweg ihrer Wahl zu ihrer VR-Bank nutzen können.

Die Möglichkeiten des digitalen Bezahlens nehmen stetig zu, ob privat per Kwitt, per Paydirekt oder per digitaler Karte. Daher ist es nur konsequent, dass seit dem Jahr 2015 auch die Zahl der Geldautomaten rückläufig ist - deutschlandweit sowohl bei allen Instituten als auch bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken. Diese Entwicklung wird sich in Zukunft weiter verstärken, schließlich wird es über alle Altersgruppen hinweg immer selbstverständlicher, alltägliche Aufgaben - und dazu gehört zweifelsohne das Bezahlen - mittels Smartphone zu erledigen. Gleichzeitig wird eine immer komfortablere Technik diesen gesellschaftlichen Trend beflügeln.

Dem entsprechen auch die Ergebnisse der alljährlichen Umfrage des Genossenschaftsverbandes - Verband der Regionen unter den Mitgliedsbanken zur Bedeutung von Trends für das eigene Haus: Das im vergangenen Jahr bereits an erster Stelle liegende Mobile Payment hat seine Spitzenstellung noch ausgebaut - zwischenzeitlich messen sogar 77 Prozent dem Zahlen mit dem Smartphone einen hohen Stellenwert für die eigene Bank zu, gegenüber 66 Prozent im letzten Jahr. Das mobile Zahlen mit der Karte legt von 49 Prozent auf 57 Prozent zu.

Pragmatischer Ansatz im Rhein-Main-Gebiet

Das gemeinsame Betreiben von Filialen der Frankfurter Volksbank mit der Taunus Sparkasse kann in diesem Zusammenhang als ein weiterer und pragmatischer Ansatz gesehen werden, Präsenz in der Fläche mit Aufwandseinsparungen zu verbinden. Es wird spannend sein zu sehen, inwieweit die Kunden dieses Modell annehmen und es damit eventuell auch für andere Banken in der Zukunft adaptierbar werden kann. Gleichwohl muss man aufpassen, hier nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten, denn der Wettbewerb in der Fläche bleibt auch im stationären Vertrieb ein wertvolles Gut. Die Filiale ist ein Anker des genossenschaftlichen Geschäftsmodells, denn sie ist ein wichtiger Faktor für gelebte Dezentralität. Aber sie wird ihr Gesicht verändern: In Kleinstfilialen können die meisten der heute nachgefragten Dienstleistungen aus technischen, personellen, regulatorischen und Sicherheitsgründen gar nicht angeboten werden. Umgekehrt werden die bisher in solchen Filialen angebotenen Dienste von den meisten Kunden nicht mehr benötigt beziehungsweise online erledigt. Dementsprechend gering ist dann vielfach die Frequenz.

These 2: Die Bankfiliale wird nicht vollständig verschwinden - aber sie wird anders sein: Die Volksbanken und Raiffeisenbanken müssen moderne Antworten auf technologische Entwicklungen und den damit einhergehenden Wandel im Kundenverhalten geben. Das Omnikanal-Banking und die geänderten Kundenwünsche werden selbstverständlich zu einer Veränderung der Filialstrukturen auch bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken führen. Dabei wird es keine Einheitslösung geben, denn jede Genossenschaftsbank entscheidet autonom, wie sie sich aufstellt.

Dass es hierfür kein Schema F gibt, zeigt der Blick auf die Mitgliedsbanken in den 14 Bundesländern und Stadtstaaten im Genossenschaftsverband - Verband der Regionen. Dessen Name hat programmatischen Charakter, denn das Gebiet spiegelt den föderalen Aufbau des Staates wider mit einer Fülle von Wirtschaftsregionen unterschiedlichen Zuschnitts sowie lokalen, kulturellen und sozialen Besonderheiten. Es erstreckt sich von West nach Ost, vom Saarland mit der Grenze zu Luxemburg und Frankreich, bis Sachsen, mit der Grenze zu Tschechien und Polen. Und von Nord nach Süd, also zum Beispiel vom Rügener Kreidefelsen bis zum Dahner Felsenland in der Südpfalz. Es umfasst Großstädte wie Berlin und Frankfurt ebenso wie landwirtschaftlich geprägte Regionen und traditionell strukturstarke Ballungsräume wie etwa das Rhein-Main-Gebiet. Daraus resultieren unterschiedliche soziodemografische Bedarfsstrukturen. Marktkonforme örtliche Strukturen auf der Primärstufe sind da eine entscheidende Grundlage für die notwendige Individualität in der Marktbearbeitung.

Institute als Netzwerkpartner in der Region

Grundsätzlich wird es ein Weg sein, dass sich die Institute als Netzwerkpartner in ihrer Region und Anker der mittelständischen Wirtschaft platzieren. Diese Positionierung geht weit über die reine Annahme von Einlagen, die Vergabe von Krediten sowie die Abwicklung des Zahlungsverkehrs hinaus. In den regionalen Communities finden auch Vernetzungen statt, die mit Bankgeschäften nur am Rande zu tun haben, die für die Beziehungen der Menschen in der jeweiligen Region aber bedeutsam sind. Dieser regionale Bezug wird auch in einer technisierten Welt Relevanz behalten.

Denn nur eine geringe Anzahl an Menschen hat das Interesse, alle Bankgeschäfte online durchzuführen. Deutlich mehr Kunden suchen früher oder später wieder den persönlichen Kontakt zu ihrer Bank. Die Omnikanalstrategie nimmt genau dieses Verhalten auf und ermöglicht ein "sowohl als auch" anstelle eines "entweder-oder". Man spricht hier von sogenannten Hybridkunden, deren Anteil einzelnen Untersuchungen zufolge bei Menschen im Lebensalter von 15 bis 29 Jahren am höchsten ist.

Insofern muss die qualitative Präsenz in der Fläche voll erhalten bleiben: Das bedeutet ein breites Angebot mit immer noch vergleichsweise dichten regionalen Netzen - deutlich über dem Niveau anderer Institute in Deutschland. Mit Entscheidungszentren in den Regionen und persönlicher Beratung vor Ort unterscheidet die Gruppe auch von den neuen digitalen Konkurrenten, Stichwort Big Techs.

These 3: Die Beratung bei Finanzprodukten wird unverändert eine hohe Relevanz haben: Die Anzahl und die Komplexität von Finanzprodukten nimmt kontinuierlich zu. Gleichzeitig haben sich die Bedürfnisse von Retail- und Firmenkunden in den letzten Jahren stark verändert. Die Banken müssen sich diesen Veränderungen anpassen. Starre Strukturen sind hierbei gefährlich. Erstklassige Beratung wird in den wichtigsten Bereichen (zum Beispiel Wohnbaufinanzierung) erwartet. Angesichts des demografischen Wandels und auch mittelfristig anhaltender Negativzinsen birgt vor allem die Altersvorsorge dafür ein hohes Potenzial: 85 Prozent der Volksbanken und Raiffeisenbanken befürchten in der bereits erwähnten Umfrage, dass ihre Kunden insgesamt nicht ausreichend vorsorgen. Dieses Resultat unterstreicht die Verantwortung wie auch Chance, die Kunden mit der genossenschaftlichen Beratung zu sensibilisieren.

Immer härter umkämpftes Firmenkundengeschäft

Unverändert beratungsintensiv bleibt das im Wettbewerb immer härter umkämpfte Firmenkundengeschäft: Hier bieten sich zusätzliche Potenziale durch eine stärkere Differenzierung in der Ausrichtung auf die Kundenbedarfe, die sich je nach Unternehmensgröße deutlich unterscheiden. Insbesondere auch die aktive Gewinnung neuer Kunden und die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Kunden des oberen Mittelstands sollten strategisch im Fokus stehen.

These 4: Künstliche Intelligenz und Robo Banking werden Beratung ergänzen, aber nicht ersetzen: Die Kreditgenossenschaften werden zunehmend Charakteristika von Technologieunternehmen mit deutlich über das Banking hinausgehenden regionalorientierten und datengetriebenen Services adaptieren. Denkbar ist zum Beispiel das Angebot eines elektronischen Finanzassistenten für Kunden und auch Nichtkunden: Ziel muss sein, diesen auf die Displays zu bringen - der Finanzmanager hat als erster Ansprechpartner exklusiven Zugang zum Kunden. Es wird zunehmend Vorstände auch mit technischer Qualifikation geben. Die Aufgabengebiete der Mitarbeiter verändern sich: In der Beratung übernehmen sie ausschließlich Aufgaben, denen menschliche Stärken zugrunde liegen - automatisierbare Aufgaben übernehmen Algorithmen.

Der Erfolgsfaktor Nähe entspringt dem Wunsch des Kunden nach einem Gegenüber, dem er in Geldangelegenheiten vertraut. Deshalb ist der integrierte Ansatz der Genossenschaftlichen Finanzgruppe der richtige Weg um sich gegenüber anonymen, rein digitalen Konkurrenten erfolgreich am Markt zu behaupten. Erfolgreiches genossenschaftliches Banking erfordert, die Mentalität der Menschen zu berücksichtigen und über Berater sowie den persönlichen Kontakt Zugang zu den Mitgliedern beziehungsweise Kunden zu haben. Das unverzichtbare lokale und persönliche (über den Kunden) Know-how bleibt erhalten,

These 5: Der Bedarf an gut ausgebildeten Bankmitarbeitern wird weiterhin vorhanden sein und perspektivisch sogar steigen: Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, heterogene Kommunikationswege sowie eine wachsende Komplexität der Produkte in volatiler werden Märkten erhöhen jeweils für sich und im Zusammenspiel die Anforderungen an eine sachgerechte Finanzberatung sowohl im Privat- als auch im Firmenkundengeschäft. Diese vom Kunden erwartete und geforderte qualitativ hochwertige Beratung ist nur mit motivierten und sehr guten ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erreichen. Im Ergebnis steigen damit die Anforderungen für Aus-, Fort- und Weiterbildung. Dabei geht es neben der Fachkompetenz zunehmend auch um soziale Kompetenz und Empathie, die auch perspektivisch nicht von Maschinen, sondern von Menschen kommen werden.

Neue Anforderungsprofile an die Personalentwicklung

Wenn es darum geht, zukunftsfähige Ausbildungsziele und -methoden zu entwickeln, so ist es entscheidend, dass diese ganzheitlich und kompetenzorientiert ausgerichtet sind. Sie sind nur dann erfolgsversprechend, wenn sie Persönlichkeitsentwicklung, Sozial- und Verkaufskompetenz in Ausbildung und Studium einschließen und junge Menschen darauf vorbereiten, berufliche Situationen zu meistern. Daher ist das Hauptziel einer zeitgemäßen Ausbildung, dass die Auszubildenden eine hohe Vertriebskompetenz erlangen und es ihnen gleichzeitig gelingt, wechselnde Problemstellungen des Tagesgeschäfts erfolgreich und kundenorientiert zu bewältigen.

Darüber hinaus gilt es, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit durchgehend zu verankern, um mit Zukunftsthemen adäquat umgehen zu können. Dabei ist nicht nur an den Einsatz von Virtual Reality im Beratungsprozess zu denken. In Zukunft werden voraussichtlich auch Mitarbeiter benötigt, die kreativ über Anwendungsmöglichkeiten großer Datenmengen in Kombination mit Optionen aus der Nutzung Künstlicher Intelligenz nachdenken und daraus die richtigen Geschäftsansätze ableiten können. Hier können neue Anforderungsprofile an Mitarbeiter und damit auch an die Personalentwicklung entstehen.

Aufbauend auf diese Basis gilt es heute wie morgen, eine umfassende Produktkenntnis sowie Sozial-, Vertriebs- und Führungskompetenz stetig zu entwickeln beziehungsweise weiterzuentwickeln. Dazu kommen die aus der Regulatorik resultierenden Anforderungen, exemplarisch seien hier Banksteuerung, Rechnungs- und Meldewesen sowie die interne Revision genannt. Speziell für den genossenschaftlichen Sektor ist die Gruppe - insbesondere über die zu den Prüfungsverbänden gehörenden Regionalakademien und ihrem Angebot zu Ausbildung, Fortbildung, Weiterbildung, Management, Steuerung und Produktion sowie Führungskräfteentwicklung sehr gut aufgestellt.

Heimatbanken für das digitale Zeitalter

Der Rückgang der Anzahl an Banken und Bankstellen ist seit Langem zu beobachten und er wird sich fortsetzen. Die Bankfiliale wird im Rahmen eines Omnikanalansatzes ein Zugangspunkt der Kunden für die Abwicklung ihrer Geldgeschäfte bleiben. Allerdings wird es dabei zusehends weniger um alltägliche Transaktionen gehen, sondern um umfassende und komplexe Beratungsthemen, für die viele Kunden den persönlichen Kontakt zu ihrem Bankberater suchen und suchen werden. Die Kreditgenossenschaften bauen für die Menschen Brücken zwischen digitaler Welt und Heimat. Sie werden als Heimatbanken für das digitale Zeitalter erfolgreich sein. Denn sie bieten Heimat und digitale Zukunft. Die enge Verbindung von Finanz- und Realwirtschaft, das Wissen um die regionalen Besonderheiten und die gewachsenen Beziehungen zu den Menschen vor Ort sind Eckpfeiler des Geschäftsmodells.

In diesem Szenario können Künstliche Intelligenz und Robo Banking perspektivisch neben klassische Beratungsformen treten, werden diese aber eher ergänzen als ersetzen. Mensch und Maschine werden gemeinsam für mehr Effizienz und Profitabilität stehen. Der Schlüsselfaktor einer erfolgreichen Bank wird aber auch in Zukunft eine hinreichend hohe Zahl an flexiblen und gut ausgebildeten Mitarbeitern sein. Hier ist die Geno-Akademie des Genossenschaftsverbandes der Partner für genossenschaftliche Unternehmen sowohl der Kreditgenossenschaften als auch aller anderen Genossenschaften.

Ralf W. Barkey, Vorsitzender des Vorstands, Genossenschaftsverband - Verband der Regionen e. V., Frankfurt am Main
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