Moderne Mittelstandsfinanzierung europäisch-euphorisch – Banken- und Kapitalmarktunion vereinbar?

Prof. Dr. Michael Torben Menk, Juniorprofessor für Risk Governance, Universität Siegen.

Prof. Dr. Michael Torben Menk, Juniorprofessor für Risk Governance, Florian Neitzert, SME Graduate School - Fast-Track PhD, beide Universität Siegen. - Primär erhofft sich die Europäische Kommission von einer Europäischen Bankenunion eine Reduzierung der Krisenanfälligkeit des europäischen Bankensystems und somit eine nachhaltige Stabilisierung des Finanzsystems. Die Autoren sind diesbezüglich skeptisch und sehen die Gefahr, dass die bisherige Bankenregulierung selbst zum "Stabilitätsrisiko" wird. Das derzeitig "Bankensterben" in Deutschland führen sie nur bedingt auf ökonomische Marktmechanismen zurück, sondern mehr auf ein schädliches Eingreifen von Bankenaufsehern. Für eine funktionsfähige und wachstumsstärkende Mittelstandsfinanzierung halten sie es für unerlässlich, eine enge Verflechtung zwischen Bankenunion und Kapitalmarktunion herbeizuführen, die sich in ihren Wirkungen keinesfalls konterkarieren dürfen. (Red.)

Empirische Untersuchungen zur Finanzierungsstruktur kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) in Deutschland verdeutlichen, dass nach wie vor die bankbasierte Unternehmensfinanzierung die wichtigste Säule der Außenfinanzierung darstellt. In Abhängigkeit der Unternehmensgröße variiert der Anteil der Bankverbindlichkeiten an der Bilanzsumme durchschnittlich zwischen 16 Prozent bei mittelgroßen bis hin zu 35 Prozent bei sehr kleinen Unternehmen.1)

Projekt Europäische Bankenunion

Während in Krisenzeiten der deutsche Mittelstand auf seine Hausbank bauen und vertrauen konnte und mit ihr eine systemstabilisierende Allianz bildete, waren Banken in anderen Ländern Europas gezwungen, die Kreditvergabe an realwirtschaftliche Unternehmen zurückzufahren.2) Bis heute haben große Teile Südeuropas Schwierigkeiten, wirtschaftlich aufzuschließen und auf den Wachstumspfad zurückzufinden.

Auch die Aufarbeitung regulatorischer Schwachpunkte ist noch immer nicht abgeschlossen; das Großprojekt Europäische Bankenunion entwickelt sich zu einer Hängepartie. Vor allem bei der Feinabstimmung für eine verhältnismäßige Regulierung von Regionalbanken ringen Bankenaufsicht und Bankenpraxis um einen Konsens. Eine drastische Anhebung der Eigenmittel und damit die Verteuerung von Bankkrediten können nicht im Sinne der Wirtschaft sein.3)

Mitten hinein in diese richtungsweisenden Verhandlungen platzt die Europäische Kommission 2015, angelehnt an das angelsächsische Muster, mit der Europäischen Kapitalmarktunion. Hauptanliegen des hierzu veröffentlichten Grünbuches ist es, mit einem voll funktionsfähigen, integriert supranationalen Kapitalbinnenmarkt das Finanzierungsspektrum für KMU auszuweiten und den Europäischen Kapitalmarkt aufzuwerten. Gleichzeitig strebt die Europäische Kommission an, die aus ihrer Sicht zu starke Abhängigkeit von Bankkrediten zu reduzieren.4) Vor diesem Hintergrund muss zum einen die Tauglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Akzeptanz der im Raum stehenden kapitalmarktorientierten Finanzierungslösungen überprüft werden.

In Zeiten von Niedrigzinsen, regulatorischer Überbelastung und digitaler Transformation ist zum anderen die Frage nach der Zukunftsfähigkeit oder gar Überlebensfähigkeit regionaler Volksbanken und Sparkassen zu stellen. Wird, wie angedacht, der klassische Bankkredit mehr und mehr durch innovative Finanzprodukte verdrängt, gerät das für Kontinuität und Stabilität stehende Hausbankenprinzip ins Wanken. Können nichtsdestoweniger Bankenunion und Kapitalmarktunion auf einen Nenner gebracht werden?

Unvollendeter Weg zur europäischen Finanzsystemstabilität

Rückblickend markiert das Jahr 2007 den Ausgangpunkt einer der größten Finanzkrisen in der Geschichte. Angesteckt von herüberschwappenden Verwerfungen auf den US-Immobilienmärkten wurde Europa von einer außergewöhnlichen Bankenkrise mit anschließender Staatsschulden- und Eurokrise heimgesucht. Zutage geförderte Mängel in der Architektur der Wirtschaftsund Währungsunion, allen voran der umstrittene Banken-Staaten-Nexus, kombiniert mit makroökonomischen Disparitäten zwischen den Mitgliedsstaaten, stellten die europäische Finanzsystemstabilität auf die Probe. Kurzfristig angelegte und den vollständigen Systemkollaps verhindernde Gesetze waren unausweichlich.5) Mittelfristig mussten Maßnahmen zur Stärkung der Widerstandskraft auf Institutsebene ergriffen werden. Das Hauptaugenmerk dieser Baseler Novellierungen lag auf der qualitativen und quantitativen Verbesserung der regulatorischen Eigenkapitalbasis.

Darüber hinaus waren die Eindämmung prozyklischer Effekte (Leverage Ratio) sowie die Festlegung von Liquiditätsstandards (Liquidity Coverage Ratio, LCR und Net Stable Funding Ratio, NSFR)) wesentlicher Bestandteil der Agenda.6) Ergänzend zur mikroprudenziellen Bankenaufsicht bedurfte es zur Bekämpfung systemischer Risiken des Aufbaus einer makroprudenziellen Aufsicht. Primär erhoffte sich die Europäische Kommission von einer die Verflechtung von Banken abbildenden Europäischen Bankenunion, die Krisenanfälligkeit des europäischen Bankensystems zu reduzieren und somit das Finanzsystem nachhaltig zu stabilisieren.

Lücken im Regelwerk

Mit dem Single Rule Book (SRB) wird nun ein europaweit einheitlich anzuwendender regulatorischer Rahmen vorgegeben. Darauf aufbauend bilden die einheitliche Aufsicht (Single Supervisory Mechanism, SSM) die einheitliche Abwicklung (Single Resolution Mechanism, SRM) sowie die noch nicht vollendete einheitliche europäische Einlagensicherung (European Deposit Insurance Scheme, EDIS) das Grundgerüst der Bankenunion.

Betraut mit der zentralen Aufsicht über derzeit rund 120 als signifikant eingestufte Institute ist die Europäische Zentralbank.7) Für wirtschaftlich in Schieflage geratene signifikante Institute regelt seit 2016 der SRM deren Sanierung und Abwicklung. Eine staatliche Bankenrettung, wie sie in der Finanzkrise zulasten des Steuerzahlers wiederholt erfolgte, wird dadurch theoretisch ausgeschlossen. Statt Bail-out gilt vielmehr Bail-in. Damit soll die Untrennbarkeit von Risiko und Haftung wiederhergestellt werden.8)

Die Feuertaufe bestand der SRM im Juni 2017 mit der Rettung der spanischen Banco Popular souverän. Hingegen ermöglichten es Lücken im Regelwerk zwei italienischen Instituten, die Entscheidungsbefugnis über das Vorgehen der nicht überlebensfähigen Banken Veneto Banca und Banca Popolare di Vicenza von der europäischen auf die nationale Ebene zu verlagern.9) Genau dieser Mechanismus sollte vermieden werden - eine Bankenrettung durch die Regierung und damit auf Kosten der Allgemeinheit. Von konsequentem, zielführendem Handeln kann hier keine Rede sein.

Als größte Baustelle auf dem Weg zur Fertigstellung der Bankenunion erweist sich eine gemeinsame europäische Einlagensicherung.10) Dieses Ansinnen stößt insbesondere bei deutschen Interessenvertretern auf massive Kritik; die Fronten um den Gesetzesentwurf vom November 2015 sind verhärtet. Mit dem im Oktober 2017 vorgelegten Vorschlag unternimmt die Europäische Kommission einen weiteren Anlauf, die Bankenunion noch bis Ablauf der Legislaturperiode - zumindest auf politischer Ebene - fertigzustellen.11) Er sieht eine gestaffelte Einführung des Einlagensicherungssystems vor: Eine (kürzere) "Rückversicherungsphase" (Stufe 1) soll die Liquidität bereits existierender nationaler Sicherungssysteme, gerade in Notfällen, garantieren; in Anspruch genommene Mittel sind zurückzuführen. Unter der Maßgabe, dass faule Kredite in den Bankbilanzen abgebaut werden, erfolgt der Übergang zu Stufe 2. Diese "Mitversicherungsphase" kann dann auch für Bankverluste auf nationaler Ebene in Anspruch genommen werden.

Umstrittene Regulierung bankbasierter Kreditvergabe

Ungeachtet aller erkennbaren Verbesserungen am aufsichtlichen Regelwerk, kommt die Europäische Bankenregulierung nicht zur Ruhe. Permanent im Raum stehende Novellierungen am Baseler Rahmenwerk, zudem unterschiedliche Standpunkte zwischen Bankenaufsehern und Politikern, zeugen von schwindendem Vertrauen und mangelnder Akzeptanz in das selbst geschaffene Normengefüge. Erschwerend kommt für eine große Gruppe von Banken hinzu, dass durch Basel IV das nachweislich risikoarme Kreditgeschäft mit mittelständischen Unternehmen benachteiligt werden könnte und dass dadurch wiederum wachstumshemmende sowie systemdestabilisierende Folgeeffekte entstehen könnten.

KMU-Kredite ohne Rating sind nach aktuell gültiger CRR (Capital Requirements Regulation) mit einem, um den Unterstützungsfaktor von 76,19 Prozent erleichterten, Risikogewicht von 75 Prozent zu unterlegen. Jüngste Konsultationen zum KSA (Kreditrisiko-Standardansatz) sehen hingegen nicht nur den Wegfall des Unterstützungsfaktors, sondern auch eine Erhöhung des Risikogewichts für KMU-Kredite auf 85 Prozent vor. Bei vollständiger Erfüllung definierter Größen-, Kreditvolumen- und Granularitätskriterien soll eine Klassifizierung als regulatorisches Retail zu einem Risikogewicht von 75 Prozent möglich sein. Verbandsschätzungen zufolge könnten die Eigenmittelanforderungen für KMU-Kredite um bis zu 50 Prozent steigen.12)

Eine Verknappung des Kreditangebots oder die Weitergabe der gestiegenen Kosten an den Kunden wären die Konsequenz. Dem Vorstoß zu Basel IV zum Trotz plädiert die Europäische Kommission in ihrem Entwurf zur CRR II/CRD V für die Beibehaltung des 75-Prozent-Risikogewichts - sogar von einer Ausdehnung des Unterstützungsfaktors ist die Rede.13) Für Finanz- und Realwirtschaft wie auch im Sinne der Systemstabilität bleibt zu hoffen, dass sich die Vorschläge des Baseler Ausschusses final nicht durchsetzen können.

Regulierung von Verbriefungen

Auch wenn es um Verbriefungen geht, ziehen der Baseler Ausschuss und die Europäische Kommission bisweilen nicht an einem Strang. Obwohl in der Finanzkrise die Ausfallquoten von europäischen Verbriefungen sehr niedrig waren und vergleichsweise deutlich unter dem Niveau des US-Verbriefungsmarktes lagen, blieben auch in Europa umfangreiche regulatorische Maßnahmen nicht aus. Sicherlich der Produktvielfalt und -komplexität geschuldet, ist das aufsichtliche Regelwerk für Verbriefungen wesentlich umfassender und weniger handhabbar geworden, jedoch nicht ausreichend granular und risikosensitiv.14)

Seit Jahren fortwährende Nachjustierungen tragen langsam aber sicher ihre Früchte. So wurde etwa das 2014 vom Baseler Ausschuss veröffentlichte Konsultationspapier für Verbriefungspositionen 2016 noch einmal um Kriterien zur Klassifizierung von qualitativ hochwertigen STC-Verbriefungen (simple, transparent, comparable) erweitert,15) ab Juli 2017 steht nun die Eigenmittelunterlegung solch privilegierter Verbriefungen zur öffentlichen Konsultation.16)

Was die strukturellen Qualitätskriterien von STS-Verbriefungen (simple, transparent, standardised) sowie darauf gerichtete regulatorische Anreize angeht, einigten sich Parlament, Rat und Kommission im Juni 2017 auf einen Risikobehalt von fünf Prozent.17) Da allerdings der jüngst erzielte Konsens keinerlei Erwähnung im Entwurf zur überarbeiteten CRR II/CRD V findet, bleibt abzuwarten, ob der europäische Verbriefungsmarkt wieder an Fahrt gewinnt und die Kreditvergabe ankurbelt.

Um dem Ziel der EU-Kommission, bis 2025 ein "Europäisches Haus" zu errichten, näher zu kommen, müssen noch einige Hürden genommen werden.18) Unter anderem verlangt dieses Haus eine koordinierte Verlinkung von Bankenmarkt und Kapitalmarkt. Fragwürdig erscheint, ob die auch regulatorisch herbeigeführte, schwächelnde und somit wachstumshemmende Kreditvergabe durch Banken als Rechtfertigung für den zwanghaft wirkenden Aufbau eines europäischen Kapitalbinnenmarktes dienen kann. Dies setzt offenkundig nicht an den Ursachen an; Wirkungszusammenhänge werden ins Gegenteil verkehrt.

Ausschlaggebend für den nachhaltigen Erfolg einer Finanzunion als dem ökonomischen Kernelement des Europäischen Hauses wird der Gleichklang zwischen Bankenmarkt und Kapitalmarkt sein. Europäische Bankenunion und Europäische Kapitalmarktunion verlangen demzufolge eine abgestimmte Zielsetzung und widerspruchsfreie Maßnahmen, die zu dieser Zielerreichung beitragen.

Europäische Kapitalmarktunion als Impulsgeber und Wachstumsgenerator

Angelehnt an die im angelsächsischen Raum gängige kapitalmarktbasierte Unternehmensfinanzierung zeichnet die Europäische Kommission mit dem Grünbuch eine Blaupause für den Aufbau der Europäischen Kapitalmarktunion. Mittels eines supranationalen europäischen Kapitalbinnenmarktes soll die in Europa dominierende bankbasierte Kreditfinanzierung von KMU zurückgedrängt, das Finanzierungsspektrum diversifiziert und somit die Finanzsystemstabilität gestärkt werden.

Nach Auffassung der Kommission würde ein europäischer Kapitalmarkt zusätzliche Finanzmittel aus der übrigen Welt anlocken und Finanzierungschancen für Infrastrukturprojekte oder andere nachhaltig ausgerichtete Investitionsvorhaben eröffnen. Basierend auf einem das Grünbuch operationalisierenden Aktionsplan soll das Projekt Europäische Kapitalmarktunion bis 2019 abgeschlossen sein.19)

Dieser umfasst 33 konkrete Einzelmaßnahmen, die sich über ein Spektrum von prinzipiellen Maßnahmen wie etwa dem Abbau gegenwärtig existierender rechtlicher Hürden bis hin zu Rahmenvorschriften für Kreditfonds erstrecken. Speziell mit Blickrichtung auf kleine und mittlere Unternehmen und deren Finanzierungssituation sind folgende Maßnahmen hervorzuheben:

Erleichterter direkter Kapitalmarktzugang: Aus unverhältnismäßigen Prospekt- und Dokumentationspflichten entstehende Fixkosten hindern derzeit KMU, die direkte Kapitalmarktfinanzierung in Betracht zu ziehen. Gemäß der am 30. Juni 2017 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Prospektverordnung soll sich dies zukünftig ändern. Kernpunkt der Verordnung ist, dass Emissionen bis zu einer Höhe von 8 Millionen Euro von der Prospektpflicht ausgenommen werden. Die Entscheidungshoheit darüber obliegt dem nationalen Gesetzgeber.

Insbesondere der "EU-Wachstumsprospekt", der standardisierte Registrierungsformulare sowie entsprechende Wertpapierbeschreibungen vorsieht, dürfte weitere mittelständische Unternehmen zu einem Engagement am Kapitalmarkt ermutigen.20) Ferner eröffnete die Deutsche Börse im Frühjahr 2017 das KMU-Segment "Scale". Alternativ zum öffentlich zugänglichen Kapitalmarkt steht der Privatplatzierungsmarkt zur Verfügung, den die Kommission ebenfalls ausbauen und etablieren möchte. Das deutsche Erfolgsmodell des Schuldscheindarlehens nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein.

Märkte für Risikokapital beleben

Erhöhung Kreditvergabepraxis von Banken: Offensichtlich den regulatorischen Maßnahmen geschuldet, ist der europäische Verbriefungsmarkt in den letzten zehn Jahren massiv geschrumpft: Lag das Emissionsvolumen in Europa 2007 noch bei zirka 594 Milliarden Euro, so beträgt es mit 216 Milliarden Euro im Jahr 2014 nur noch weniger als die Hälfte. Trotz des noch immer anhaftenden krisenverursachenden Stigmas stellen Verbriefungen ein ökonomisch wirkungsvolles Instrument für die Verzahnung von Banken- und Kapitalmarktfinanzierung dar. Intendierte Risikoteilung schafft Kreditinstituten Spielräume in ihren Bilanzen, wodurch die Kreditvergabepraxis stimuliert und Wachstum mittelbar gefördert wird. Zentraler Baustein eines funktionsfähigen Kapitalbinnenmarktes ist die Revitalisierung des europäischen Verbriefungsmarktes, den die Europäische Kommission mittels qualitativ hochwertiger STS-Verbriefungen vollführen will.

Förderung innovativer Finanzierungsformen: Auch die Finanzierungsmöglichkeiten von Start-ups und Unternehmen in der frühen Expansionsphase sind der Europäischen Kommission ein wichtiges Anliegen. Der Zusammenschluss europaweit zersplitterter Risikokapitalmärkte zu einem integrierten und damit leistungsfähigeren Markt ist fundmental für eine dauerhafte europäische Wachstums- und Innovationsdynamik. Erreicht wird dies nicht zuletzt durch Überarbeitungen der EuVECA- (European Venture Capital Fund) und EuSEF-Verordnungen (European Social Entrepreneurship Funds) sowie gezielte steuerliche Anreize. Im Bereich der innovativen Finanzierungsformen wie Crowdfunding liegt das Hauptaugenmerk der Kommission darauf, eine Balance zwischen ausreichendem Anleger- und Verbraucherschutz sowie Vielfalt und Finanzsystemstabilität zu finden.

Europäisches Haus - Bankenunion und Kapitalmarktunion als Einheit

Gerade das für den deutschen Bankenmarkt charakteristische Drei-Säulen-Modell trug in Krisenzeiten zu einer Stabilisierung des Finanzsystems bei. Vor allem waren es regionale Banken, die mit der Ausweitung der Kreditvergabe antizyklisch reagierten und die Versorgung mittelständischer Unternehmen mit finanziellen Mitteln sicherstellten. Doch das derzeit schwierige Umfeld, resultierend aus anhaltend niedrigen Zinsen, ausufernder Regulierung und digitaler Transformation zwingt kleine und mittlere Institute dazu, ihr breit angelegtes, kostenintensives Filialnetz aufzugeben. Die in den letzten Jahren enorm gestiegene Anzahl von Fusionen spricht für sich.21)

Problematisch ist hierbei, dass dieses, den Wettbewerb schmälernde Bankensterben nur bedingt auf ökonomische Marktmechanismen zurückgeführt werden kann, sondern mehr auf ein schädliches Eingreifen von Bankenaufsehern. Oligopolistische Bankenmärkte - nach der Krise noch als gefährlich eingestuft - rücken dadurch stärker in den Fokus. Sogar große Genossenschaftsbanken mit mehreren Milliarden Bilanzsumme, von denen man eigentlich noch am ehesten die Wahrung der Eigenständigkeit erwarten würde, sehen sich auf Dauer nicht mehr imstande, erfolgreich am Markt zu agieren. Für Bankenaufseher ist dies ein schmaler Grat - Bankenregulierung wird selbst zum "Stabilitätsrisiko". Es ist an der Zeit, dieses Stabilisierungsparadoxon zu lösen.

Für das einzelne Kreditinstitut stellt sich die zentrale Frage, wie eine Europäische Kapitalmarktunion das eigene Geschäftsmodell verändern könnte: Welche Kundengruppe wäre überhaupt bereit für den ersten Schritt in Richtung Kapitalmarkt? Untersuchungen zur Kreditnachfrage von KMU verdeutlichen, dass bei über 50 Prozent von ihnen der jährliche Finanzierungsbedarf bei weniger als 50 000 Euro liegt.

Diese Kundengruppe ist vordergründig nicht angesprochen. Durchschnittlich liegt jedoch der Kapitalbedarf von KMU bei ungefähr 300 000 Euro pro Jahr - bei fast 10 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen sind es sogar mehr als eine Million Euro.22) Somit bietet die direkte Kapitalmarktfinanzierung für den gehobenen Mittelstand eine Alternative zum klassischen Kredit, die von der Bank als Chance wahrzunehmen ist.

Forcieren eines europäischen Kapitalbinnenmarktes

Aufbauend auf der langjährigen, vertrauensvollen Hausbankenbeziehung könnte eine Anpassung des Geschäftsmodells dahingehend erfolgen, dass Institute vermehrt als Berater und Vermittler für kapitalmarktorientierte Finanzierungslösungen fungieren und den Übergang von zinsabhängigen zu provisionsgenerierenden Quellen aktiv gestalten. Für einen Großteil der KMU wird das regionale Kreditinstitut weiter erster Ansprechpartner für Finanzierungen bleiben.23)

Um ein harmonisches Zusammenwirken von Bankenunion als disziplinierendem und Kapitalmarktunion als anreizendem Element der Europäischen Finanzunion sicherzustellen, sind noch eine Reihe koordinierender Maßnahmen erforderlich. Zwei davon sollen hier kurz angeschnitten werden. Wenn es um Verbriefungen geht, so verspricht sich die EU-Kommission mit dem Forcieren eines europäischen Kapitalbinnenmarktes die Wiederbelebung des seit 2008 stark geschrumpften Verbriefungsmarktes. Mittlerweile muss konstatiert werden, dass dem nach der Krise regulatorisch erzwungenen Rückgang intensiver entgegengewirkt werden muss, um die ökonomische Vorteilhaftigkeit von Verbriefungen auszuschöpfen.

Weit weniger als in der öffentlichen Wahrnehmung vermutet, trafen europäische Verbriefungen eine Mitschuld an der Krise. Nun dürfen bei dem Wiederaufbauen eines Verbriefungsmarktes Kreditinstituten keine unverhältnismäßig großen Steine in den Weg gelegt werden. Über die Kalibrierung einer regulatorischen Handhabung von Verbriefungen wird seit Jahren gestritten. Entlastungen für Banken sind angebracht und förderlich. Dank einfacher, standardisierter und transparenter Verbriefungen (STS) könnten Ausfallrisiken reduziert und Eigenmittelunterlegungen gelockert werden. Nicht nur zwischen "Basel" und "Brüssel" sollte Einigkeit herrschen - damit wäre schon viel erreicht -, sondern auch innerhalb der Europäischen Union. Kapitalmarktunion und Bankenunion bilden schließlich die angestrebte Finanzunion im Europäischen Haus.

Kleine und mittlere Banken kommen aufgrund des fehlenden Zugangs zum Verbriefungsmarkt voraussichtlich nicht in den Genuss von regulatorischen Entlastungen durch STS-Verbriefungen. Umso wichtiger ist es, ihnen das klassische Kreditgeschäft zu stärken, anstatt es mit regulatorischen Hürden zu schwächen. Zur Diskussion steht vor allem die Anerkennung des KMU-Unterstützungsfaktors und damit die dem Risikogehalt angepasste Eigenmittelentlastung für Kredite an kleine und mittlere Unternehmen. Sollte der KMU-Unterstützungsfaktor wie von Basel IV vorgesehen wegfallen, könnten Kredite nur noch zu höheren Konditionen angeboten werden.

Belastungs- und Bewährungsprobe

In Verbindung mit der von europäischer Seite anvisierten Diversifizierung des Finanzierungsangebotes durch einen speziell für KMU attraktiveren Kapitalmarkt, würden kleine und mittlere Banken in doppelter Hinsicht einer Belastungs- und Bewährungsprobe unterzogen. Es kann nicht im Interesse eines auf Wachstum angelegten Wirtschaftsraumes Europa sein, Diversifizierung auf Kosten einer Oligopolisierung und Destabilisierung des Bankensektors voranzutreiben und negative Rückkopplungseffekte auf den Kapitalmarkt zuzulassen. Vielmehr empfiehlt sich ein maßvolles Regulieren von regionalen Banken mit Weitsicht und Abstellen auf Risikotragfähigkeit, um Kreditfinanzierung zu stützen, gepaart mit einer ebenso maßvollen Weiterentwicklung des Kapitalmarktes, um mittelständischen Unternehmen ein zeitgemäßes, innovatives und transparentes Finanzierungsspektrum optional anbieten zu können.

Europa, wie in der Lissabon-Erklärung von 2000 vereinbart, zu einem der dynamischsten Wirtschaftsräume der Welt auszubauen, ist ein ambitioniertes Ziel, das nur mithilfe synchronisierter Instrumente und Maßnahmen für den Bankenmarkt und den Kapitalmarkt bewerkstelligt werden kann. Unverhältnismäßig rigide Bankenregulierung erschwert regionalen Banken die Kreditvergabe. Moderne Finanzierungsformen wie Venture Capital drängen auf den Markt und gewinnen an Attraktivität und Akzeptanz. Das deutsche Drei-Säulen-Modell steht vor großen Herausforderungen - Fusionen von kleinen und mittleren Banken sind an der Tagesordnung. Enge Verflechtungen zwischen Banken und Kapitalmarkt bedingen vor allem eines: enge Verflechtungen zwischen Bankenunion und Kapitalmarktunion. Bankenunion und Kapitalmarktunion dürfen sich nicht konterkarieren. Vereinbarkeit: Daumen hoch.

Literatur

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Fußnoten

1) Vgl. Kaserer, 2015, pp. 21-25

2) Vgl. Hofmann, 2013

3) Vgl. Menk, 2017

4) Vgl. Europäische Kommission, 2015a

5) Vgl. Breuss, 2013

6) Vgl. Reifschneider, 2014

7) Vgl. Neyer & Vieten, 2014

8) Vgl. Rocholl, 2013

9) Vgl. Höltschi, 2017

10) Vgl. Europäische Kommission, 2015d

11) Vgl. European Commission, 2017b

12) Vgl. Hofmann, 2016

13) Vgl. Europäische Kommission, 2016

14) Vgl. Meister, 2015

15) Vgl. Bank for International Settlements, 2016

16) Vgl. Bank for International Settlements, 2017

17) Vgl. Europäische Kommission, 2017a; vgl. Europäische Kommission, 2017b

18) Vgl. Europäische Kommission, 2015b

19) Vgl. Europäische Kommission, 2015c; vgl. European Commission, 2017a

20) Vgl. Europäisches Parlament, 2017

21) Vgl. Rasch, 2017

22) Vgl. KfW Research, 2016

23) Vgl. Zeidler, 2014

Florian Neitzert , Wissenschaftlicher Mitarbeiter, M. Sc., Seminar für ABWL und Bankbetriebslehre, Universität zu Köln
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