"Wir müssen eine Governance etablieren, die eine Unkontrolliertheit der Regulierung einbremst."

Alexander Radwan, Mitglied des Deutschen Bundestages, Berlin

Quelle: Stephan Muennich

Auch wenn die aktuelle Geldpolitik der EZB von vielen Beobachtern kritisch gesehen wird, hält der Autor die Unabhängigkeit der Notenbank für ein hohes Gut. Mit Blick auf die Auswirkungen der gerade hierzulande so sehr herbeigesehnten Zinswende stellt er die Frage, wie gut der hiesige Staat, die Wirtschaft und die Privaten darauf vorbereitet sind. Von der Geldpolitik bis hin zu den diversen Regelungsbereichen der EU-Kommission vermisst er in Europa eine Kultur der Einhaltung vereinbarter Regeln und mahnt gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen ein verbesserte politische Kontrolle der europäischen Institutionen an. Bei aller Aufmerksamkeit, die derzeit in Deutschland und Europa dem Thema Digitalisierung gewidmet wird, vermisst er einen ehrlichen Umgang mit dem Datenschutz. (Red.)

Die Finanzwirtschaft wird in Sippenhaft genommen, wenn etwas schief läuft. Zu dieser Feststellung in den Begrüßungsworten meiner Vorredner kann ich nur sagen, willkommen im Club - in der Politik ist das der Standard. Das gilt übrigens auch mit Blick auf diverse Regulierungsthemen, dabei wird häufig die Politik als Ganzes angesprochen und kritisiert.

Differenzierte Betrachtung

Zur aktuellen Situation der Koalitionsverhandlungen möchte ich mich nur allgemein äußern: Wir hatten im letzten Bundestag vier Fraktionen mit fünf Parteien. Nun haben wir in der neuen Legislaturperiode sieben Parteien mit sechs Fraktionen. Das führt zu einer naheliegenden Frage zurück, die ich schon im Wahlkampf gestellt habe: Ist jemand hier im Saal der Meinung, dass bei sieben Parteien im Deutschen Bundestag die Politik und Entscheidungen eindeutiger, klarer und stringenter werden? Wir werden jetzt damit konfrontiert, dass Parteien zusammenfinden sollen, die im Vorfeld der Wahl gar nicht zusammenfinden wollten.

Man muss nur den Punkt betrachten, den Georg Fahrenschon in seiner Rede ausgeklammert hat, den Verbraucherschutz: Der Weg, diesen Bereich gemeinsam mit den Grünen zu konkretisieren ist gelinde gesagt anspruchsvoll. Ein anderes Beispiel ist meine Initiative im deutschen Bundestag zu Basel III oder Basel IV, wie auch immer es genannt wird. Ich weiß, woran dieses Anliegen gescheitert ist, der Koalitionspartner war dagegen und die anderen sowieso. Dies sind nur Beispiele für die Realität in der Politik. "Die" Politik gibt es genauso wenig wie "die" Finanzwirtschaft. Deswegen lautet meine Bitte für die Zukunft, trotz oder gerade wegen aller Komplexität der Themen und der kontroversen Diskussionen, das ein oder andere doch etwas mehr zu differenzieren.

Bei der Zinspolitik der Zentralbanken gab und gibt es zu Recht immer die Forderung, dass die Notenbanken und damit auch die EZB in ihren Entscheidungen unabhängig sind. Man stelle sich nur einmal vor, die Geldpolitik in der EZB würde politisch zwischen den verschiedenen Interessengruppen so ausmanövriert werden, wie die EU-Kommission es erlebt. Um es vorsichtig zu formulieren - ich weiß nicht, ob das Ergebnis dann viel besser wäre. Das gilt auch für die aufsichtlichen Aufgaben der EZB. Erst dieser Tage wurde gemeldet, der italienische EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani habe sich mit Blick auf die Initiative der EZB zum Abbau der Non-Performing Loans in der europäischen Kreditwirtschaft nach dem Motto geäußert "Die NPLs der italienischen Banken gehen die EZB gar nichts an."

Solche Aussagen geben ein Gefühl, wie andere Staaten in der Europäischen Union die Unabhängigkeit der EZB in der Geldpolitik sehen und handhaben würden. Von daher müssen wir mit dem Rahmen umgehen. Ein Auftrag an den Deutschen Bundestag in der nächsten Legislaturperiode ist deshalb sicher die Frage, wie wir als nationaler Gesetzgeber in dieser Struktur und dem Umfeld, in dem wir uns befinden, entsprechend handeln können, um die Zinspolitik der EZB abzufedern. Im Bereich des Bausparkassengesetzes und der Lebensversicherungen haben wir ja bereits entsprechend auf die Zinspolitik reagiert.

Auf die Zinswende vorbereitet?

Mit Blick auf die Zinspolitik bewegt mich auch eine andere Frage: Sind wir auf die heiß ersehnte Zinswende wirklich in aller Breite vorbereitet? Wenn ich mich so umhöre sagt jeder, die deutsche Wirtschaft sei durchaus ein Profiteur der jetzigen Zinspolitik. Bei einem höheren Zins würde das ein oder andere Unternehmen nicht so gut dastehen. Was wird aber eigentlich passieren, wenn die Zinswende in dem Maße kommt, in dem wir sie herbeisehnen? Sind wir in Europa und Deutschland von der unternehmerischen wie der makroökonomischen Seite auf die Zinswende vorbereitet oder gibt es Maßnahmen, für die wir die verbleibende Zeit jetzt nutzen sollten? In diesem Zusammenhang möchte ich insbesondere auf den Bereich der Staaten eingehen, denn die Zinswende wird nicht nur die Wirtschaft betreffen, sondern auch die Finanzierung der Staaten.

Dauerthema Bürokratieabbau

Von der politischen Seite müssen wir in Deutschland kritisch sehen, dass diesbezüglich die gewonnene Zeit nicht genutzt wurde. Es ist dringend notwendig, die entsprechenden Maßnahmen zu treffen, damit die Staaten und die EU darauf vorbereitet sind, wenn die Zinswende kommt. Den Einstieg in die Nichtanwendung europäischen Rechts beim Stabilitäts- und Wachstumspakt war aus Deutschland heraus initiiert. Seitdem wurde dieses Regelwerk kein einziges Mal angewendet. Wenn ich mit Blick auf die Politik und Zinswende also auf die Europäische Zentralbank schaue, dann müssen wir alles daransetzen, gemeinsam mit Emmanuel Macron und den anderen europäischen Regierungen einen Weg zu finden, die europäischen Regeln künftig endlich einzuhalten. Die Rede des französischen Präsidenten hat eine umfangreiche Debatte über die zukünftige Entwicklung Europas eröffnet. Das heißt mit Blick auf die EZB und die Europäische Kommission mehr Orientierung am vorhandenen Regelwerk, das entsprechend eingehalten werden muss. Das ist eine der Hauptaufgaben für uns. Die Regeleinhaltung auf europäischer Ebene war bisher schon schwer, aber bereits im Deutschen Bundestag war die nicht immer Konsens. Jetzt müssen alle in ihrem Bereich daran arbeiten, natürlich die Politik und die neue Bundesregierung an erster Stelle, dass dies eine unverrückbare Position für unsere Politik in Brüssel ist und bleibt. Parallel ist es wichtig, dass die notwendige Zinswende rechtzeitig und richtig kommuniziert wird.

Das zweite Thema, das in der nächsten Legislaturperiode ganz oben ansteht, ist die auch hier bereits angesprochene Bürokratie. Das führt mich als Jurist erst einmal zu einer Bewertung einer neuen Entwicklung, mit der ich mich in den vergangenen zwei Jahren intensiv beschäftigt habe und die ich weiter aufmerksam beobachte. Die Umsetzung der Hypothekarrichtlinien steht beispielhaft dafür. Dazu wurden aus der Praxis nachvollziehbare Sorgen geäußert. Daraufhin habe ich die verschiedenen Vertreter der Verbände gebeten mir zu zeigen, wo das konkret steht. In der wörtlichen Formulierung des Gesetzes habe ich es nämlich nicht gefunden. Nachvollziehbarerweise waren viele der Bedenken lediglich vorrauseilender Gehorsam vor einer möglichen Rechtsprechung. Das heißt, in dem ganzen Thema Bürokratie, ob jetzt Bundesbank oder BaFin oder der Gesetzgeber, nimmt die Rechtsprechung mittlerweile eine dominierende Rolle als neuer, teilweise unkalkulierbarer Faktor ein, dem wir uns stellen müssen.

An dieser Stelle ist es wichtig klarzumachen, was gemeint ist, ansonsten geht es in eine unschöne Richtung. Ich weiß nicht, ob es der Königsweg ist, wenn der Gesetzgeber detailliertere Vorgaben macht, um bestimmte Rechtsprechungen zu vermeiden. Ich selbst habe die Gesetzgebung immer unter dem Ansatz verstanden, Marktteilnehmern Flexibilität und Luft zum Atmen zu lassen. Momentan atmet aber die Rechtsprechung in einem Maße, welches viele nicht erwartet haben. Dies wirft die Frage auf, ob das immer vom Gesetzgeber so gewollt war. Darum ist es in der kommenden Legislaturperiode dringend notwendig, dass wir mit den höchsten Gerichten gemeinsam nachdenken, in welche Richtung es geht, natürlich ohne die Unabhängigkeit der Justiz in irgendeiner Weise infrage zu stellen.

Politische Kontrolle für europäische Institutionen

Darüber hinaus stellt sich natürlich die Frage: Wie wird Bürokratie, etwa Vorgaben der Aufsicht, zukünftig implementiert? Die meisten Themen dazu sind auf europäischer Ebene bereits abgehakt. Es kommt noch die ein oder andere Initiative, aber die sogenannte Level-1-Gesetzgebung ist durch. Einzelne Themen wie die Einlagensicherung dürfen natürlich nicht aus den Augen verloren werden. Nun geht es um die Konkretisierung auf Level 2 und Level 3. Ich behaupte immer ein wenig salopp, das ist ein Schlaraffenland für Regulierer, die in den europäischen Institutionen Standards definieren, die sie dann selbst anwenden. Das läuft am "besten" noch ohne irgendeine politische Kontrolle ab, weder durch das europäische Parlament noch die nationalen Gesetzgeber. Wenn wir es jetzt nicht schaffen dieses Thema, das sich momentan in der europäischen Aufsichtspraxis manifestiert, ernsthaft anzupacken, werden wir es in den nächsten Jahren nicht mehr wegbekommen. Ein Beispiel bieten die drei ESAs (European Supervisory Authorities, ESA). In der Form, in der diese momentan agieren, tendieren sie dazu, nicht mehr nur Standardsetzer zu sein, sondern auch weitere Vollzugsrechte zu bekommen. Wir müssen an dieser Stelle eine nationale und europäische Governance etablieren, die eine Dynamik und eine Unkontrolliertheit der Regulierung ein Stück weit einbremst. Es geht mir dabei nicht um die Einmischung in konkrete Maßnahmen der Aufsicht, aber um die politische Kontrolle der Aufseher in Europa.

Strukturen aus der Zeit der Deregulierung

Ein besonderes Schmankerl bietet hierbei die Europäische Zentralbank, die ihre geldpolitische Unabhängigkeit auch auf die Aufsicht ausdehnt. Das kann in dieser Form natürlich nicht so bleiben. Gerade mit dem Brexit, mit dem Wegzug der EBA (European Banking Authority) und den Diskussionen um die Vorschläge von Emmanuel Macron müssen wir die Frage stellen, ob die Trennung von Geldpolitik und Aufsicht notwendig wäre, egal ob die EBA und die EZB an einem Standort sind oder nicht. Man müsste prüfen, ob die EZB zwar in dem Verbund bleibt, jedoch nicht letztentscheidend ist.

Beispiele wie das folgende aus dem Sparkassenlager unterstreichen diese These. Die EBA beschäftigt sich mit der Frage, wie politisch unabhängig zukünftig Verwaltungsräte sind. Formell ist die EZB Teil der EBA, nicht umgekehrt. Nachdem die EZB jedoch mitbekommen hat, dass die EBA das Thema in einer Art und Weise diskutiert, die sie vielleicht nicht möchte, wird sie zum Frontrunner und definiert selbst Vorgaben. Das ist ein Verhalten der Europäischen Zentralbank in dem Standardsetzungsprozess, der inakzeptabel ist. Daher wird die nächste Legislaturperiode sicherlich die Priorität haben, wie wir die Aufsicht besser kontrollieren können. Wir wollen Rechenschaft der Regulierer gegenüber dem Gesetzgeber, sei es auf nationaler oder europäischer Ebene. An dieser Stelle ist uns in den letzten Jahren etliches entglitten, teilweise auch auf Initiative der Finanzwirtschaft. Die heutige Lage resultiert noch aus dem Ausschuss der Weisen unter Baron Alexandre Lamfalussy. Damals war die deutsche Finanzwirtschaft sehr stark darauf aus, möglichst wenig Politik in dem Konstrukt zu haben, jedoch lautete die damalige Überschrift Deregulierung der Märkte - mittlerweile regulieren wir damit.

Für die hiesige Kreditwirtschaft stellt sich darüber hinaus eine weitere grundsätzliche Frage: Wie werden wir zukünftig unsere Anliegen des dreigliedrigen Bankensystems, die Differenzierung nach der Größe und den Risiken, auf europäischer und nationaler Ebene durchbringen. Basel III, Basel IV - ich will mich ausdrücklich heraushalten, welche Formulierung man wählen sollte - wird in der Sache sicherlich eine wichtige Messlatte dafür sein. Und eine zweite ist die Frage des Umgangs mit dem Begriff der Proportionalität. Ob in meinem Wahlkreis, im ganzen Lande oder auf europäischer Ebene findet man kaum jemand, der gegen Proportionalität ist. Der Begriff steht auch fast in jedem europäischen, vielleicht auch internationalen Dokument - man will Proportionalität. Spannend wird allerdings die Prüfung, ob man sich unter dem Ziel der Proportionalität wiederfindet, wenn diese definiert wird.

Schneller Start mit der "Small and Simple Banking Box"

Wenn sich auf der anderen Seite des Atlantiks die gemeinsamen Regelungen zu Basel nicht wiederfinden, sollten wir auf europäischer Ebene ernsthaft darüber diskutieren, ob wir das internationale Regelwerk europäisch wirklich umfassend umsetzen wollen. Das ist übrigens ein Verfahren, das die Amerikaner immer wieder praktizieren: ein internationales Regelwerk nochmals überprüfen, ob es in der nationalen Anwendung, entsprechend für die EU in der europäischen Anwendung, Sinn macht oder nicht. Das heißt nicht, dass man solche Vereinbarungen von Haus aus ablehnt, aber ein Stück weit sollten wir den Amerikanern die Sicherheit nehmen, dass wir jedes Regelwerk auf jeden Fall eins zu eins umsetzen nach dem Motto: Wir werden sehen, was ihr macht und werden uns daran anpassen.

Mit Blick auf die Proportionalität steht ein Vorschlag des früheren Finanzministers Wolfgang Schäuble zur Diskussion, der auf europäischer Ebene eingebracht wird, die "Small and Simple Banking Box". An dieser Stelle habe ich eine Anmerkung und eine Bitte an die Finanzwirtschaft: Ich weiß, dass solche Diskussionen auch national erst einmal sehr aufwühlend sind. Es gibt verschiedene Eckpunkte der Orientierung, ob man dafür oder dagegen ist. Aber ich glaube nicht, dass dieser Vorschlag, der aus Deutschland kommt, in Europa eins zu eins umgesetzt wird. Das würde mich wundern, es wäre das erste Mal. Also stehen wir jetzt vor der Frage, werden wir etwas einbringen, das wir zu 99,9 Prozent in Deutschland abgerundet haben und in dem sich alle wiederfinden? Das dürfte sicherlich eine gewisse Zeit dauern, bis wir das geschafft haben, wenn wir es überhaupt schaffen. Oder machen wir es frei nach dem Motto von Juncker "Lasst uns mal beginnen, dann schauen wir, was rauskommt"?

Wenn wir mit der "Small and Simple Banking Box" anfangen, die Vorgaben auf europäischer Ebene zur Implementierung bringen, nach zwei Jahren eine Evaluierung durchführen und an den notwendigen Stellen Anpassungen vornehmen, könnte das durchaus erfolgversprechender sein, als abzuwarten bis wir national einen einheitlichen Konsens auf allen Ebenen haben. Der ein oder andere müsste in diesem Fall in den sauren Apfel beißen, das macht man nicht gerne, aber in der Gesamtbetrachtung ist es eine Überlegung wert.

Nicht alle Eventualitäten regeln

Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Andreas Dombret hat in seiner Rede gesagt, nach Basel III wäre eine Regulierungspause wünschenswert, um darüber nachzudenken, wie alles läuft. Das kann ich nur unterstreichen und begrüßen. Wir haben in dieser Legislaturperiode das Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz gemacht. Aus der Bundesbank gab es den Hinweis: "Achtung, potenzielle Blasenbildung im Immobilienbereich möglich." Bundesbank und BaFin haben gesagt, sie hätten nicht die richtigen Instrumente, um rechtzeitig zu reagieren, bevor es zu spät ist. An dieser Stelle fragte ich mich, ob uns nach all der Regulierung auf europäischer und nationaler Ebene in den letzten Jahren Fehler unterlaufen sind, dass jetzt plötzlich von Blasenbildung gesprochen wird. Das ist wohl nicht der Fall. Aber kann man juristisch per Gesetz alle Eventualitäten regeln, um präventiv so etwas zu verhindern? Darauf habe ich bis heute noch kein "Ja" gehört. Für den Fall, dass man nicht alle Unwägbarkeiten durch nationale, europäische oder internationale Normierung ausräumen kann, sollten wir die Entwicklung eines solchen Gesetzes dazu nutzen, eine andere Frage zu klären. Brauchen die Aufseher aus makroökonomischer Sicht ein Stück weit mehr die Möglichkeit, situationsbedingt schnell zu reagieren - selbstverständlich alles unter klarer parlamentarischer Kontrolle - und dafür Entlastung im Tagesgeschäft, durch die deutliche Reduktion von Gesetzen beziehungsweise Regulierung? Die Diskussion zwischen dem Deutschen Bundestag, dem Bundesfinanzministerium und den Aufsehern, inwieweit wir in diesem Punkt nachjustieren können, halte ich für mehr als notwendig.

Thema Datenschutz

Abschließend noch kurz etwas zum Thema Digitalisierung: Obwohl wir viel über Bürokratie und Zinsen reden, wird die große Veränderung im Bereich der Digitalisierung kommen. An dieser Stelle appelliere ich, diese Diskussionen immer unter der Zielsetzung zu führen, die deutschen Banken und die Volkswirtschaft wieder wettbewerbsfähig machen. Wie sieht die Finanzwirtschaft zukünftig aus? Mit Blick auf die Digitalisierung reden wir von Datenwirtschaft. Wir reden heute davon, dass das Asset der Unternehmen die Daten sind. Bei unserem Datenschutz ist eine Konkurrenzfähigkeit Deutschlands und Europas jedoch nicht gegeben. Wir brauchen vielmehr eine Diskussion, wie wir ein gemeinsames Verständnis dafür bekommen, mit welchen Daten wir arbeiten und welche Daten wirklich geheim sind.

Wenn ich die Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition betrachte, wollen alle die Digitalisierung, aber das Thema Datenschutz traut sich keiner so richtig anzugehen. Ich kenne die Diskussionen, besonders mit Blick auf die kleinen Fintechs. Die Kreditwirtschaft kämpft nachvollziehbar hart darum, ihre Daten nicht rausgeben zu müssen. Die Frage ist aber: Ist es mittelfristig wichtiger, seine Daten zu behalten und nicht herauszugeben oder an die Daten von Google, Amazon und Co. heranzukommen. Ist es nicht prioritär, eine Reziprozität zu haben? Ist es in den nächsten Jahren perspektivisch weiterhin so, dass man noch mehr über seinen Kunden weiß als Google? Oder wird Google irgendwann auch über die Finanzaktivitäten des Kunden mehr wissen als seine Bank? Vor diesem Hintergrund müssen wir an das Thema gemeinsam herangehen und ein Verständnis dafür entwickeln, was sensible Daten sind. Es gilt gemeinsam herausfinden, wo wir mit Daten arbeiten und ein Verständnis für Sicherheit und Umgang zu entwickeln.

Ein zusätzlich wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang das Kartellrecht. Wenn wir es über das Kartellrecht nicht schaffen, zu diesen Internet-Riesen einen offenen, diskriminierungsfreien Zugang zu bekommen, werden wir erhebliche Probleme haben. Ich möchte an die Europäische Kommission erinnern, die erstmals vor Jahren in einem Fall das Unternehmen Microsoft dazu gezwungen hat, den vorinstallierten Media Player von seiner Software herunterzunehmen und die Schnittstelle für andere Anbieter offen zu gestalten und Konkurrenz zuzulassen. Die Europäische Kommission hat damit klargemacht: Wie ihr es in den USA macht, ist uns egal, aber wenn ihr in Europa Geschäft machen wollt, müsst ihr euch an unsere Regeln halten. Die zusätzliche Frage wird sein, wer zukünftig den Kundenkontakt hat und wird unsere Wirtschaft auch bei Schnittstellen sowie Plattformen beziehungsweise Geräten einen offenen diskriminierungsfreien Zugang bekommen.

Meine Wünsche mit Blick auf die Digitalisierung gehen über die aktuelle Thematik Fintechs und Förderung dieser hinaus. Wir sollten uns als Volkswirtschaft die Frage stellen, wie wir uns in diesem Bereich zukünftig wettbewerbsfähig aufstellen. Das betrifft die Finanzwirtschaft genauso wie das Gesundheitswesen, die Mobilität und andere Bereiche. Das ist eine Kernaufgabe der kommenden Legislaturperiode.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich der 63. Kreditpolitischen Tagung "Zins und Kreditwirtschaft - verkehrte Welt" der ZfgK am 10. November 2017.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Alexander Radwan , Mitglied des Bundestages, CDU/CSU-Fraktion, Berlin
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