Soll Nachhaltigkeit geregelt werden?

Frank Pierschel Foto: BaFin

Der Klimawandel wird auf Dauer nicht nur die Erde verändern, sondern birgt auch Risiken und Kosten beispielsweise für den Wiederaufbau nach Naturkatastrophen, den Schutz vor Überflutung oder die nötige Infrastruktur für genügend Wasser zur Versorgung der Bevölkerung. Um das auf der Pariser Klimakonferenz vereinbarte Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, geht man von Kosten in Höhe von schätzungsweise 3 bis 7 Billionen US-Dollar aus. Dazu muss durchaus auch privates Vermögen gewonnen werden. Die nachhaltige Wirtschaft boomt und der Autor sieht eine Entwicklung dahin, dass Menschen bereit sind, mehr Geld für gesunde Ernährung, energieeffizientes Wohnen, saubere Fortbewegung und grüne Finanzanlagen auszugeben. Er sieht die BaFin in ihrer Funktion als Aufsichtsbehörde in diesem sich ausweitenden Feld in der Aufgabe, darüber zu wachen, dass der deutsche Finanzmarkt seiner gesellschaftlichen Funktion stabil und nachhaltig nachkommen kann. (Red.)

Während der IWF-/Weltbankjahrestagung auf Bali bekannte sich das International Monetary and Financial Committee (IMFC), an dem von deutscher Seite Bundesfinanzminister Olaf Scholz teilnahm, zu den "Nachhaltigen Entwicklungszielen bis 2030". Zudem sollen Staaten unterstützt werden, die mit makroökonomischen Folgen unter anderem aus Klimawandel und Naturkatastrophen sowie Energieknappheit zu kämpfen haben. Auch wenn es nur ein Satz der knapp zweiseitigen Erklärung ist, so stellt er doch ein weiteres hochoffizielles Statement dar, dass Klimawandel und Nachhaltigkeit eine unbestrittene Finanzstabilitätskomponente bekommen haben.

Physische und transitorische Risiken

Allein die physischen Risiken aus der Veränderung der Umwelt werden erhebliche wirtschaftliche und damit auch finanzwirtschaftliche Auswirkungen haben. Ob man diese als wissenschaftliche oder alternative Fakten ansieht, die Ursachen als menschengemacht bejaht oder anzweifelt: Die Veränderungen, die wir alle selbst auch erleben, sind zur täglichen Realität geworden. Selbst in unserer sehr stabilen Region, was Umwelteinflüsse angeht, sind Dürreperioden und immer häufiger auftretende Stürme wahrzunehmen.

Durch immer höhere Durchschnittstemperaturen werden der Anstieg des Meeresspiegels, dem wir auch in Deutschland nicht werden ausweichen können, und die weitere Wüstenbildung in den schon jetzt sehr trockenen Regionen der Erde nicht mehr aufzuhalten sein. Sie werden weite Gebiete dieser Erde unbewohnbar, Böden für die Landwirtschaft unbrauchbar machen. Sehr viele Millionen Menschen werden dort, wo sie jetzt ihr Zuhause haben, nicht mehr leben können. Etliche Staaten werden die Kosten für den Wiederaufbau nach Naturkatastrophen nicht mehr aufbringen, viele aus ihren staatlichen Haushalten nicht die erforderlichen Investitionen für Schutz vor Überflutung einleiten und nur wenige die nötige Infrastruktur für genügend Wasser zur Versorgung der Bevölkerung und ihrer Wirtschaft schaffen können.

Neben den rein physischen Risiken betrachten wir sogenannte transitorische Risiken. Transitorische Risiken entstehen durch den Wandel der Märkte, der Gesellschaft und deren Investitionsentscheidungen, durch politische oder regulatorische Vorgaben, kurz: durch die Umstellung von unserer jetzigen, eher "braunen" Wirtschaft auf eine "grüne" oder "nachhaltige". Sie zeichnen sich durch plötzlichen Wertverlust oder höhere Kosten aus. Dinge, die nicht grün oder nachhaltig sind, werden in Zukunft wahrscheinlich weniger Wert sein. Die Umstellung der Wirtschaft bedarf eines möglichst geordneten Übergangs. Zu abrupte Übergänge bringen ungewollte volkswirtschaftliche Verwerfungen mit sich. Deutschland ist hierbei noch vergleichsweise gut aufgestellt. Nach Einschätzung der meisten Experten werden auch wir die Auswirkungen des Klimawandels innerhalb von weniger als einer Generation erleben. Daher sollten wir jede mögliche Verlangsamung dieses Prozesses anstreben.

Um das viel beschworene und auf der Pariser Klimakonferenz vereinbarte Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, werden Tausende Milliarden Euro in nachhaltige Investitionen nötig sein. Schätzungen gehen von einem weltweiten jährlichen Bedarf in Höhe von 3 bis 7 Billionen US-Dollar aus. Die EU-Kommission gibt diesen für die EU mit jährlich 180 Milliarden Euro an, wollte man noch in die Nähe des Zwei-Grad-Ziels kommen. Es geht damit nicht nur um immense Anstrengungen, es geht auch um enorme Chancen für die Wirtschaft. Auch wenn der Anteil der nachhaltigen Wirtschaft sich noch im einstelligen Bereich bewegt, hat dieser Sektor eine bemerkbare Größe erreicht. Noch bemerkenswerter ist jedoch sein Wachstum.

Enormer Investitionsbedarf

Neben Anreizen zur Umstellung auf eine klimafreundlichere Wirtschaft muss privates Vermögen für die oben schon erwähnten Investitionen gewonnen werden. Es ist offensichtlich, dass die Haushaltslagen in fast allen Ländern dieser Erde den zusätzlichen Finanzbedarf nicht abdecken. Auch die EU-Kommission weiß, dass bei Weitem nicht alle erforderlichen Investitionen in Europa aus öffentlichen Geldern aufzubringen sein werden. Sie schielt ganz unverhohlen auf die privaten Vermögen. Und das nicht ganz grundlos.

Unabhängig vom Beitrag für den Klimaschutz, der in Europa und insbesondere in Deutschland, der größten europäischen Volkswirtschaft, erbracht wird und erbracht werden kann, gibt es Entwicklungen, die eine über die rein ökologische und wirtschaftliche Dimension hinausgehende Betrachtung verdienen. Mit der technologischen Entwicklung und der Veränderung der Umwelt geht auch eine gesellschaftliche Entwicklung einher, die zunehmend sozialethische Aspekte und Prinzipien der Unternehmensführung in den Fokus rückt.

Zunehmend messen Menschen der Erhaltung ihrer Lebensgrundlage und Lebensformen einen Wert bei. Und mit diesem Wertewandel wächst der Bedarf an ökologisch nachhaltigen, gesunden und fair produzierten Waren und Dienstleistungen. Dieser Bedarf wird eine der treibenden Kräfte für den Wandel sein. Menschen sind bereit, mehr Geld für gesunde Ernährung, energieeffizientes Wohnen, saubere Fortbewegung und grüne Finanzanlagen auszugeben. Diese Bereitschaft gilt es, mit dem Investitionsbedarf für den Wandel zur nachhaltigen Ökonomie in Verbindung zu bringen. Hier setzen die Regulierungsvorschläge der EU-Kommission an, die im Grunde durchweg begrüßenswert sind.

Nachhaltigkeit im Finanzsektor

Längst hat die Nachhaltigkeitsdiskussion das Finanzwesen erreicht. Es kreditiert, berät, investiert, versichert, kurz: In nahezu jeder Phase des Wirtschaftens geht es kaum ohne Banken, Versicherungen und Wertpapierunternehmen ab. Wer Nachhaltigkeit im Finanzsektor nur auf das Umlenken von Finanzströmen von klimabedrohenden zu klimafreundlichen Produkten und Dienstleistungen begrenzt, übersieht leicht die Rolle von Versicherungen bei sich weiter verkürzenden Naturkatastrophenzyklen, das Risiko von sogenannten Stranded Assets, die bei einem ungeordneten Übergang wertgemindert in den Bilanzen von Unternehmen und Finanzinstituten verblieben, als auch Aspekte des Verbraucherschutzes.

Wie jede neue Entwicklung hat auch das Thema nachhaltige Finanzierung sehr viel Kreatives hervorgebracht. Dieses gilt es nicht in seiner Kreativität zu begrenzen, sehr wohl jedoch in seiner Risikoübertragung. Und in dem Augenblick, in dem die Risikolage von einzelnen oder einigen wenigen Finanzinstituten betroffen oder aber systemische Auswirkungen auf die Stabilität des Finanzmarktes nicht mehr auszuschließen sind, kommt auch die Finanzdienstleistungsaufsicht ins Spiel.

Natürlich werden weder die physischen noch die transitorischen Risiken aus dem Kontext der derzeitigen Risikoarten herausgenommen. Sie bleiben Kredit-, Markt-, Versicherungs- oder operationelles Risiko. Aber sie erhalten einen neuen Bezug. Und diesen gilt es zu adressieren. Verbesserte Transparenzanforderungen, eine aktive Rolle in internationalen Regulierungsvorhaben und eine Integration in das Risikomanagement von Finanzinstituten sind die Ziele der BaFin.

Vereinheitlichte Grundlagen

Die EU-Kommission möchte vereinheitlichte Grundlagen für nachhaltige Finanzierung schaffen. Kernbausteine sind eine europäische Taxonomie, die es erlaubt, nachhaltige Waren und Dienstleistungen von nicht nachhaltigen zu unterscheiden, und Transparenzregeln, die es Privaten und Institutionellen erlauben, die Nachhaltigkeit von Produkten so weit beurteilen zu können, dass sie eine Anlageentscheidung zugunsten nachhaltiger Angebote auch guten Gewissens treffen können.

Nach dem Aktionsplan legte die EU-Kommission ihr Regulierungspaket vor, das in Bezug auf Nachhaltigkeit, Transparenz, sogenannte "investor duties", also Pflichten für Investoren und Anlagevermittler, Änderungen von MiFID und IDD sowie Benchmarks noch vor Ablauf der Legislaturperiode des Europäischen Parlaments im Frühjahr 2019 abgeschlossen werden soll. Parallel laufen die Arbeiten an der Taxonomie. Prüfaufträge an die europäischen Aufsichtsbehörden ESMA und EIO-PA sind bereits ergangen beziehungsweise werden in Kürze an die EBA erfolgen.

So begrüßenswert die europäische Initiative und so nennenswert der Zeitdruck ist, wollte man noch in die Nähe des Zwei-Grad-Zieles kommen, so wenig sollte die Auswirkung der Regulierung außer Acht gelassen werden. Beratungspflichten dürfen nicht zu einer vorgegebenen Kundenbeeinflussung führen. Auch muss sichergestellt sein, dass Transparenzpflichten, die sich mangels Taxonomie zumeist nur auf die individuelle Interpretation zumeist selbst aufgestellter Nachhaltigkeitskriterien beziehen dürften, sich nicht nachteilig nach Einführung einer einheitlichen Taxonomie auswirken. Beispielsweise wenn ein als nachhaltig oder grün beworbenes und verkauftes Produkt laut EU-Taxonomie weniger oder überhaupt nicht mehr nachhaltig beziehungsweise grün sein würde. Hierbei gilt es, mögliche Haftungsrisiken für Finanzinstitute auszuschließen.

Ein weiteres, kontrovers diskutiertes Thema ist die Frage nach einem Unterstützungsfaktor für nachhaltige Aktiva. Es ist ein Vorschlag der EU-Kommission, der von den nationalen europäischen Aufsichtsbehörden sehr kritisch gesehen wird. Unabhängig, ob es um die Einführung einer eigenen Risikoklasse, etwa nachhaltige Immobilien, geht oder um einen Faktor, mit dem als nachhaltig eingestufte Aktiva in ihrem Risikogewicht begrenzt werden, es bleibt eine Verlagerung einer gesellschaftlichen Aufgabe in die Bilanz von Finanzinstituten. Ohne einen langfristig belegbaren Nachweis, dass nachhaltige Aktiva tatsächlich ein geringeres Risiko bergen, wären Überlegungen zugunsten einer Verminderung der Risikovorsorge verfrüht.

Die Bafin hat die Aufgabe, darüber zu wachen, dass der deutsche Finanzmarkt seiner gesellschaftlichen Funktion stabil und nachhaltig nachkommen kann. Die Rolle der Aufsichtsbehörden bei nachhaltiger Finanzierung wird mit den inhärenten Risiken wachsen. Aus Finanzstabilitätssicht wird die BaFin das Thema ebenso begleiten, wie als Aspekt des Risikomanagements. In internationalen Gremien wird sie den Prozess unbedingt unterstützen, allerdings unter Wahrung einer angemessenen Risikounterlegung. Die BaFin beobachtet den sich vollziehenden Wandel in vielen Finanzinstituten mit großem Interesse. So wie sich Produkte, Geschäftsentscheidungen und Prozessumstellungen in Richtung Nachhaltigkeit entwickeln, verdienen sie häufig das Prädikat "beeindruckend".

Dennoch gibt es noch viel zu tun. Hierzu ist die BaFin in den Dialog mit der Finanzwirtschaft getreten. Es gibt viele verschiedene Ansätze, die in ihrer Pluralität und auf die eigenen Geschäfte bezogene Ausrichtung auch nicht beschränkt werden sollen. Für Aufseher gilt es, genauso wie für die Finanzwirtschaft, zu lernen, die maßvollen Ansätze zu finden, die zum einen das Nachhaltigkeitsziel fördern und Finanzinstituten gleichzeitig eine neue oder andere Geschäftsperspektive ermöglichen, aber gleichzeitig auch die Risikobetrachtung nicht außen vor lässt. Mehr noch als sich kurzfristig mit Nachhaltigkeit gewinnen lässt, lässt sich nachhaltig verlieren, was zum letzten Aspekt dieser Betrachtung führt: Es muss gelingen, Anlageentscheidungen von kurz- bis mittelfristigen Horizonten auf eine langfristige Orientierung zu bringen. Nur dann werden sich die langfristigen Investitionsziele, und wir reden hier von Zeitspannen von jetzt bis weit nach 2050, auch mit einer vernünftigen Risikounterlegung gestalten lassen.

Frank Pierschel Leiter Referat Bankenaufsicht, Abteilung Internationales, Finanzstabilität und Regulierung, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Bonn
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