KREDITPOLITISCHE TAGUNG

"Als nationale Behörde agieren wir aus eigenem Recht und eigener staatlicher Souveränität"

Felix Hufeld, Foto: BaFin

In seiner Rede betont der Präsident der BaFin die Wichtigkeit Europas. Global agierende Finanzunternehmen würden sich nur schwer rein auf nationaler Ebene angemessen beaufsichtigen lassen. Deshalb wurde nach der Finanzkrise ein europäischer Regulierungsrahmen aufgebaut. Auch das Thema Bankenunion trage - auch wenn die dritte Säule, die europäische Einlagensicherung, noch nicht steht - zur Stabilisierung der Finanzmärkte bei. Hufeld sieht in einer stärkeren europäischen Regulierung auch beim Thema Bekämpfung der Geldwäsche große Vorteile, schließlich ist die organisierte Kriminalität meist gut über Ländergrenzen hinweg vernetzt und aktiv. Da hat es ein Kampf rein auf nationaler Ebene oft schwer. Zum Ende der Rede hält er noch mal ein flammendes Plädoyer für die Kapitalmarktunion, seiner Meinung nach eines der wichtigsten Projekte. Vor allem für die Altersvorsorge und damit der Sicherung des sozialen Friedens sei das Thema wichtig. (Red.)

Der Jahreswechsel liegt noch nicht allzu weit zurück. Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen allen ein erfolgreiches und gesundes neues Jahr zu wünschen. Der frühe Termin im Januar und das Thema "Perspektiven für den Finanzstandort Deutschland" ließen in mir den Verdacht aufkommen, dass Sie von mir eine neujährliche Bußpredigt an die Banken erwarten. Die eine oder andere mahnende Äußerung an die hiesige Industrie ist mir in den vergangenen Monaten auch tatsächlich über die Lippen gekommen. Heute möchte ich aber Jahresanfangsmilde walten lassen und unsere Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken, das aus der Sicht eines Finanzaufsehers fundamental ist: Europa.

Nationale Perspektive reicht nicht aus

Eine der wesentlichsten Erkenntnisse aus der jüngsten Finanzkrise lautet: Aus einer überwiegend nationalen Perspektive und auf der Grundlage von Gesetzen, die nur national greifen, lassen sich global agierende Finanzunternehmen heutzutage nicht mehr angemessen beaufsichtigen. Folgerichtig gaben die G-20-Staats- und Regierungschefs im November 2008, kurz nach dem Lehman-Kollaps, in Washington den Startschuss für regulatorische Reformen historischen Ausmaßes.

Ich zitiere aus der Abschlusserklärung: "We pledge to strengthen our regulatory regimes, prudential oversight, and risk management, and ensure that all financial markets, products and participants are regulated or subject to oversight, as appropriate to their circumstances." Und so wurden in den Nachkrisenjahren einheitliche europäische Vorgaben für alle Aufsichtsbereiche formuliert: Zum Beispiel die grundlegenden Regelwerke Solvency II für die Versicherungen, MiFID II für die Wertpapierunternehmen - sowie die Eigenkapitalverordnung CRR und die Eigenkapitalrichtlinie CRD für die Banken. Parallel zur Verdichtung des materiellen Rechts wurde der institutionelle Rahmen für Finanzaufsicht und -regulierung in Europa auf- und ausgebaut.

Ein wichtiger Meilenstein war Anfang 2011 die Errichtung des Europäischen Systems der Finanzaufsicht - mit der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA, ihrem Pendant für die Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht EIOPA und der Wertpapier- und Marktaufsicht ESMA. Die European Supervisory Authorities (ESA) haben weitgehende Kompetenzen; entgegen ihren Namen sind sie im Kern aber nach wie vor eher regulatorische Harmonisierer als Aufsichtsbehörden. Sie wirken an der Entwicklung von einheitlichen technischen Standards mit und entwickeln Leitlinien und Empfehlungen.

Durchgriffsrechte haben diese Behörden dagegen nur in begrenzten Ausnahmefällen, etwa wenn eine nationale Aufsichtsbehörde in fundamentaler Weise nicht in der Lage ist, europäisches Recht auszuüben. Zwar gibt es immer wieder Überlegungen, die ESAs mit weitreichenderen Kompetenzen auszustatten, und teilweise haben sie diese auch erhalten. Zum Beispiel ESMA, die inzwischen über aufsichtliche Kompetenzen verfügt.

ESMA hat insofern eine gewisse Sonderstellung, als dass dort seit Beginn die direkte Aufsicht über europäische Ratingagenturen1) und Transaktionsregister2) angesiedelt ist. Zudem hat ESMA infolge des Ende vergangenen Jahres finalisierten ESA-Reviews3) weitere Befugnisse erhalten.4) So beaufsichtigt die ESMA ab 2022 auch bestimmte Datenbereitstellungsdienste und Administratoren kritischer Referenzwerte sowie Referenzwerte aus Drittstaaten direkt.

Außerdem wird die Rolle von ESMA bei der Überwachung von Zentralen Gegenparteien (Central Counterparties - CCP) aus Drittstaaten, die in der EU tätig werden, gestärkt, zum Beispiel durch die Einführung einer laufenden Aufsicht.

Bankenunion trägt zur Stabilität der Finanzmärkte bei

Gerade im Hinblick auf die bereits Ende 2021 anstehende nächste Evaluierung der Europäischen Aufsichtsbehörden durch die EU-Kommission warne ich aber davor, die ESAs zu Aufsehern über die Aufseher zu machen. Ihr Members-Driven-Charakter hat sich bewährt. Prozesse und Organisationsstrukturen, die diesen Ansatz unterlaufen, wären aus meiner Sicht sogar kontraproduktiv. Was wir brauchen, sind keine überbordenden Bürokratien mit überlappenden Kompetenzen und komplizierten Abläufen, sondern ESAs, die ihre Aufgaben so effizient wie möglich wahrnehmen können. Wer hierzu einen Beitrag leisten will, der sollte in erster Linie dafür sorgen, dass sie die Kompetenzen, die sie heute bereits haben, besser nutzen können.

Anders verhält es sich mit dem Single Supervisory Mechanism (SSM), dem einheitlichen europäischen Bankenaufsichtsmechanismus unter dem Dach der Europäischen Zentralbank.

Auch der SSM als erste Säule der Europäischen Bankenunion war ein Kind der Krise und der Erkenntnis, dass die größten europäischen Banken am besten aus einer Hand beaufsichtigt werden. Deshalb wurde im November 2014 erstmals ein echtes operatives Aufsichtsmandat für die rund 120 größten europäischen Banken von der nationalen auf die europäische Ebene angehoben. Nur wenige Wochen später, zu Jahresbeginn 2015, folgte die zweite Säule der Bankenunion, der einheitliche europäische Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism - SRM). Dank des SRM sind wir in der Lage, systemrelevante Banken in Europa ohne Schaden für die Allgemeinheit abzuwickeln. Auch vorbehaltlich der noch nicht gelösten Fragen der dritten Säule, das heißt, einer Europäischen Einlagensicherung, kann schon jetzt gesagt werden, dass die Bankenunion in signifikanter Weise zur Stabilität der Finanzmärkte in Europa beiträgt.

Und deshalb war ich froh, dass das Bundesverfassungsgericht im Juli vergangenen Jahres die Verfassungsbeschwerden gegen die deutsche Zustimmung zu diesem Projekt zurückgewiesen hat. Die Karlsruher Richter haben aber nicht bloß die Kompetenzverlagerung auf die europäische Ebene im Kern bestätigt.

Eigene Kompetenzen für nationale Behörden

Ebenso haben sie die originären Zuständigkeiten der nationalen Behörden in Bankenaufsicht und -abwicklung hervorgehoben und festgestellt, dass die Europäische Zentralbank durch die SSM-Verordnung nicht die komplette Aufsicht über die Kreditinstitute in der Eurozone übertragen bekommen habe, sondern nur bestimmte Aufgaben für alle Banken wahrnehmen darf. Demnach hätte sich die Rolle der EZB im Wesentlichen auf die Aufsicht über die bedeutenden Institute (Significant Institutions - SIs) zu beschränken. Im Urteil des Europäischen Gerichts der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg klang das noch anders. Das EuG war der Auffassung, dass die Zuständigkeit der nationalen Aufsichtsbehörden für die sogenannten weniger bedeutenden Institute (LSIs) nur eine abgeleitete, von der EZB rückdelegierte Kompetenz darstelle.

Dieser Auffassung ist das Bundesverfassungsgericht mit sehr klarer Sprache entgegengetreten und hat sie als "fernliegend" bezeichnet - und, würde man sie so vertreten, hypothetisch als sogenannten Ultra-vires-Akt qualifiziert, das heißt: als eine Überschreitung der maximal möglichen Grenzen des deutschen Verfassungsrechts.

Als Präsident der BaFin ist für mich entscheidend: Als nationale Behörden haben wir nach wie vor eigene Kompetenzen und wir agieren aus eigenem Recht und eigener staatlicher Souveränität. Und was den konkreten Aufsichtsalltag betrifft, kann ich ohnehin nur feststellen, dass sich das Zusammenspiel zwischen den europäischen und den nationalen Behörden inzwischen sehr gut eingependelt hat.

Wie bereits erwähnt, hat die Bankenunion noch eine dritte Säule, deren Errichtung nach wie vor im Verzug ist: die Europäische Einlagensicherung (European Deposit Insurance Scheme), kurz EDIS. Im November hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz mit einem Positionspapier neuen Schwung in die EDIS-Debatte gebracht. In diesem Papier hat der Minister die Einlagensicherung als notwendigen Bestandteil der Bankenunion bezeichnet und konkrete Vorschläge für die Ausgestaltung von EDIS gemacht. Die Europäische Einlagensicherung soll die nationalen Fonds demnach nicht als eine Art Vollversicherung ablösen, sondern nur nachrangig - als zusätzliche Rückversicherung mit stark eingeschränkter Risikoübernahme - greifen. Und zwar erst dann, wenn die jeweils zuständigen nationalen Fonds erschöpft sind.

Erst die Risiken reduzieren

Ansonsten gilt weiterhin die bisherige deutsche Linie, die besagt, dass EDIS erst dann eingeführt werden kann, wenn die Mitgliedstaaten die Risiken in ihrer jeweiligen Bankenlandschaft substanziell reduziert haben.

Zu diesen Vorbedingungen gehören ein effizienteres Aufsichtsregime und Krisenmanagement, eine sachgerechte regulatorische Behandlung von Staatsanleihen und der Abbau notleidender Kredite.

Es bleibt abzuwarten, ob die Initiative von Minister Scholz auf fruchtbaren Boden fällt. An unserer grundsätzlichen Offenheit und Ergebnisorientierung, die Bankenunion zu einem guten Ende zu führen, hat er jedenfalls keinen Zweifel gelassen.

Der frühere Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, hat einmal gesagt: "Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen!" So eindringlich lässt sich mit den eher technischen Fragestellungen aus Finanzaufsicht und -regulierung natürlich nicht für ein europäisches Miteinander werben. In unserem Metier geht es zwar glücklicherweise nicht unmittelbar um Leben und Tod. Allerdings - und das hat die Geschichte mehrfach gezeigt - können Finanz- und Wirtschaftskrisen ganze Gesellschaften in ihren Grundfesten erschüttern und dazu beitragen, dass schlimmeres Unheil seinen Lauf nimmt.

Darüber hinaus kann das europäische Projekt in der Finanzregulierung einen sehr konkreten Nutzen entfalten. Zum Beispiel bei der Geldwäscheprävention. Dass es hier zum Teil noch an einheitlichen Regelungen mangelt, hilft vor allem einer Gruppe: den Gesetzesbrechern. Während sie immer wieder aufs Neue beweisen, wie erfolgreich sie ihre Netze länderübergreifend hinweg spinnen können, enden die Kompetenzen von Polizei, Justiz und Aufsicht bei der Geldwäschebekämpfung noch allzu oft an den Grenzzäunen. Mancher Skandal könnte verhindert oder zumindest begrenzt werden, wenn es den Behörden möglich wäre, effektiver über die europäischen Grenzen hinweg zu kooperieren.

Die fünfte europäische Geldwäscherichtlinie, die bis zum 10. Januar in nationales Recht umgesetzt werden musste, hat uns hier ein entscheidendes Stück weitergebracht. Unter anderem, weil der Kreis der besonders Verpflichteten auf solche Sektoren erweitert wurde, die in der jüngeren Vergangenheit einem höheren Risiko unterlagen, zu Geldwäschezwecken benutzt zu werden. Dazu zählen zum Beispiel Dienstleister aus dem Bereich der Kryptowerte. Die Technologie, die diesen Werten zugrunde liegt, erlaubt es nämlich, Finanztransaktionen abzuwickeln, ohne dass dabei irgendein Intermediär eingeschaltet werden muss. Was die Sache einerseits sehr diskret, andererseits aber intransparent macht. Andere wesentliche Neuerungen, die uns die fünfte Geldwäscherichtlinie gebracht hat, sind erweiterte Befugnisse der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) bei Zugriffen auf polizeiliche Abfragesysteme und geänderte Vorschriften beim Transparenzregister.

Vereinheitlichung der Regelungen im Kampf gegen Kriminalität

Auf alle Aspekte der fünften Geldwäscherichtlinie einzugehen, würde meine Redezeit sprengen. Wichtig ist mir aber, noch folgende Warnung auszusprechen: So sinnvoll die neuen Vorgaben auch sind, wir werden den bösen Buben damit nicht über Nacht den Garaus machen. Aber je weiter sich die Unterschiede zwischen den einzelnen einzelstaatlichen Regelungen einebnen, desto schwerer machen wir ihnen ihr Handwerk. Wir brauchen auch zentrale Vollzugskompetenzen. Deshalb halte ich die Initiative der EU-Finanzminister, diese in einer zentralen EU-Behörde zu bündeln, auch grundsätzlich für richtig.

Konkrete Fragen nach dem Wie und Wo müssen natürlich noch geklärt werden. Aber auch das sollten wir hinbekommen. Europas Mühlen mahlen eben manchmal langsam, aber sie mahlen gründlich.

Verstehen Sie mich jedoch nicht falsch. Auch bei der Geldwäscheprävention beschränken wir uns nicht darauf, nach mehr Europa zu rufen. Wo immer wir einen gesetzlichen Auftrag und konkrete Durchgriffsmöglichkeiten haben, machen wir selbstverständlich unseren Job. Und dazu gehört, die Finanzinstitute anzuhalten, eine angemessene Geldwäscheprävention zu betreiben und dabei mindestens den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden. Und wenn wir feststellen, dass das bei einer Bank oder einer Sparkasse nicht der Fall ist, werden wir aktiv und verlangen, dass die Prozesse angepasst werden. Geschieht dies nicht, reichen unsere Sanktionsmöglichkeiten vom Bußgeld, dem Einsatz eines Sonderbeauftragten oder der Abberufung von Leitungspersonen bis hin zum Entzug der Erlaubnis.

Falsch wäre es auch, das Blickfeld nur auf die bankaufsichtliche Ebene zu verengen. Ebenso wichtig sind die Financial Intelligence Units (FIUs) als originäre Empfänger der Verdachtsmeldungen.

Und schließlich nützt eine bessere Koordination der verschiedenen Behörden nichts, wenn die Strafverfolgung anschließend doch wieder an den innereuropäischen Ländergrenzen ausgebremst wird. Auf das Gesamtpaket kommt es am Ende an. Und dazu gehören auch der Austausch und die Analyse von Daten. Natürlich weiß ich, dass wir es hier mit komplexen Sachverhalten zu tun haben, bei denen auch der grenzüberschreitende Datenschutz eine wichtige Rolle spielt. Gerade für derart komplexe Fragen sind nationale Insellösungen untauglich. Weswegen ich für die nächste Stufe der europäischen Geldwäscheregulierung einer rechtlich unmittelbar verbindlichen Verordnung den Vorzug vor einer Richtlinie geben würde.

Aufseher müssen europäische Identität entwickeln

Und wenn wir wieder bei Europa sind, muss ich auch ein paar Worte zum Faktor Kultur sagen: Ein bloßes Nebeneinander nationaler Aufsichtskulturen, in der jeder nach seiner Façon selig wird, wird den - sehr vielschichtigen - Anforderungen unserer Zeit nicht gerecht. Deshalb täten wir gut daran, noch intensiver als bisher an einer gemeinsamen europäischen Aufsichtskultur zu arbeiten. Wobei auch hier die Trauben nicht gleich allzu hoch hängen dürfen. Der europäische Gesetzgeber kann sich nämlich noch so sehr bemühen: Er wird allenfalls die nationalen Kulturen aneinander angleichen können.

Eine wirklich europäische Aufsichtskultur kann erst dann entstehen, wenn es uns Aufsehern gelingt, neben unserer nationalen eine europäische Identität zu entwickeln. Dann werden grenzüberschreitendes Denken und Arbeiten zur Selbstverständlichkeit. Insoweit empfinde ich die ersten fünf Jahre des SSM als ausgesprochen ermutigend und positiv, auch wenn die Reise zu einer originären europäischen Aufsichtskultur noch viele weitere Jahre in Anspruch nehmen wird. Als Präsident einer Behörde, die ihrerseits vor weniger als 20 Jahren aus drei Vorgängerbehörden zusammengefügt wurde, kann ich Ihnen versichern, dass solche Post-Merger-Projekte schon im nationalen Kontext anspruchsvoll sein können. Und ich bin sicher, dass viele hier im Raum dies aus Sicht eines Unternehmens bestätigen können.

Als deutscher Aufseher sage ich aber auch: Mehr Europa zu wagen - und die Angleichungsprozesse auf allen Ebenen intensiv mitzugestalten, liegt auch in unserem nationalen Interesse. Es wäre fast schon irrational, würden wir als eines der größten und wirtschaftsstärksten Länder nicht aktiv an der europäischen Harmonisierung mitwirken und das Feld stattdessen anderen Playern überlassen.

Damit würden wir uns unnötig klein machen und unser Standing in Europa unterminieren. Auch der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Banken, ob groß oder klein, würden wir einen Tort antun. Und so etwas kommt für uns als BaFin absolut nicht in Frage. Im Gegenteil: Wir freuen uns über Herausforderungen im Sparring Europas.

Profitabilität der Banken in Europa

Ein Punkt, der alle Finanzaufseher in Europa vereint, und nun folgt doch eine kurze Bußpredigt, ist die Sorge um die Nachhaltigkeit der Geschäftstätigkeit ihrer Banken - auch wenn die Gründe dafür im Detail sehr unterschiedlich aussehen können. Zwar heißt es geteiltes Leid ist halbes Leid. Aber so richtig passt der Spruch nicht zur gegenwärtigen Situation. Keinen Aufseher kann es trösten, wenn die Kreditwirtschaft im Nachbarland ebenfalls vor Problemen steht. Aber in einem vereinten Europa, in dem nun mal gleiche Regeln gelten, sollten uns die Sorgen der anderen schon interessieren. Ebenso sollten die anderen wissen, wo in Deutschland der Schuh drückt.

So wie vor allem in Südeuropa notleidende Kreditportfolios die Institute belasten, leiden die deutschen Banken unter ihrer Ertragsschwäche. Was vor allem daran liegt, dass immer noch rund 70 Prozent ihrer Erträge aus dem Zinsgeschäft stammen. Das Zinsniveau ist aber nun schon seit Jahren niedrig - und wird es gewiss auch noch eine Weile bleiben. Die Vorstände in Deutschlands Banken werden deshalb nicht umhinkommen, sich sehr intensiv mit neuen Konzepten und Geschäftsmodellen auseinanderzusetzen - und das tun sie natürlich auch. Allerdings haben längst noch nicht alle ihre Möglichkeiten voll ausgeschöpft, trotz vielfacher Anstrengungen. Worauf es bei vielen Instituten ankommt, ist die Struktur der heutigen Leistungserstellung und ihre Komplexität zu hinterfragen und deutlich zu verschlanken.

Auch Fusionen dürfen kein Tabuthema sein. Manche Branchenkenner sagen hin und wieder, dass Deutschland - auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern - "overbanked" sei und Fusionen daher zielführend wären.

An dieser Stelle warne ich vor falschen Hoffnungen. Natürlich kann man durch Zusammenschlüsse Synergieeffekte erzielen und an der einen oder anderen Stelle die Kosten senken. Ich bestreite jedoch, dass sich die grundlegenden Herausforderungen des deutschen Bankensektors allein dadurch ändern würden, wenn wir statt aktuell 1 400 Banken vielleicht nur noch 1 000 hätten. Konsolidierung im deutschen Bankensektor findet, wie Sie alle wissen, seit Jahrzehnten statt. Es ist geradezu ein säkularer Prozess, der sich noch einige Jahre fortsetzen wird.

Eine etwas andere Debatte betrifft die Großbanken, häufig in Kombination mit grenzüberschreitenden Szenarien. Gelegentlich wird auch von der Bildung europäischer Champions gesprochen. Von spezifischen Herausforderungen wie der Too-big-to-fail-Problematik und der häufig unterschätzten massiven Komplexität einmal abgesehen, sollte - so hoffe ich - über Folgendes Einigkeit bestehen: Über die Sinnhaftigkeit solcher Großfusionen sollte der Markt entscheiden, nicht die Politik oder die Aufsicht. Dass ein neues, durch eine Fusion entstandenes Großinstitut allen aufsichtlichen Anforderungen entsprechen muss, versteht sich von selbst. Insoweit werden wir immer enge Begleiter solcher Projekte sein. Darüber hinaus ist es aber weder die Aufgabe der Aufseher, mögliche Großfusionen künstlich zu erschweren, noch sie herbeizureden.

Grüne Anlagen sind nicht risikofrei

Beinahe so intensiv wie über Geldwäscheprävention und die niedrigen Zinsen wird mittlerweile auch in der Finanzaufsicht über Nachhaltigkeitsfragen gesprochen. Und das vor allem, weil auch Banken und Versicherungen in vielerlei Hinsicht von klimabezogenen Risiken betroffen sein können. Um den von uns beaufsichtigten Unternehmen eine Orientierungshilfe im Umgang mit diesem immer wichtiger werdenden Thema zu geben, haben wir Ende Dezember ein Merkblatt dazu veröffentlicht. Wichtig ist, dass sowohl die Finanzindustrie als auch wir Aufseher in der Lage sind, Nachhaltigkeitsrisiken zu durchdringen und zu quantifizieren. Da wir auch hier nicht auf einer einsamen Insel leben, gilt es, eine europaweit akzeptierte Taxonomie zu entwickeln. Was ist nachhaltig und was nicht?

Die Europäische Union treibt deshalb ihre Arbeiten an einer Taxonomie mit Hochdruck voran. Und dennoch werden wir auch auf dieser Basis einige Jahre benötigen, um ein sicheres Fahrgefühl für das, was als nachhaltig zu qualifizieren ist, zu entwickeln. Die Gefahr von Fehletikettierungen wie auch von Fehlanreizen ist mit Händen zu greifen.

Wir müssen darauf achten, keine Investitionseuphorie zu fördern, die blind für Risiken macht. Und ich bin auch strikt dagegen, grüne Investitionen oder Kreditvergaben ohne sachgerechten Risikobezug zu privilegieren, etwa mit einem Bonus bei der Kapitalunterlegung. Ob und wie viel Eigenkapital Banken und Versicherer für Kredite oder Investitionen hinterlegen müssen, darf nur von den Risiken in Bilanzen der Unternehmen abhängen und nicht davon, ob Aufseher die Mittelverwendung ökologisch gut oder schlecht finden. Ansonsten droht nicht nur eine erhebliche Fehlallokation von Kapital, sondern auch die versteckte Vorprogrammierung der nächsten Finanzkrise. Und das wäre das Gegenteil von nachhaltigem Handeln.

Kapitalmarktunion als große Chance

Ein europäisches Projekt, das nun in eine neue Phase eintritt, ist die Kapitalmarktunion, in die ich große Hoffnungen setze. Unter anderem könnten liquide und integrierte europäische Kapitalmärkte den Unternehmen helfen, ihre Risiken zu diversifizieren und über die Ausgabe von Aktien oder Anleihen Zugang zu neuer, günstiger Finanzierung zu erhalten. Außerdem sehe ich die Chance, dass die Kapitalmarktunion der Altersvorsorge in Deutschland neuen Schub geben könnte. Wenn die europäischen Kapitalmärkte eine eklatante Schwäche gegenüber den angloamerikanischen haben, dann ist es eine zu schwach ausgeprägte Buy-side, das heißt originär europäische Investorenstruktur. Das gilt insbesondere für die größten EU-Länder Deutschland und Frankreich.

Dringender Handlungsbedarf beim Thema Altersvorsorge

Offensichtlich gibt es unterschiedliche Wege, diesen Missstand politisch zu adressieren. Für einen viel diskutierten Vorschlag tragen Sie, Herr Minister Schäfer, ja die Co-Autorschaft.5)

Ich will an dieser Stelle gar keinen unüberwindbaren Gegensatz zwischen der Kapitalmarktseite und Konzepten wie der Deutschland-Rente aufbauen, die auf ein staatlich organisiertes Standardprodukt setzen. Man kann ja das eine tun, ohne das andere zu lassen. Angesichts der bevorstehenden demografischen Verwerfungen täten wir gut daran, alle sich bietenden Chancen zu nutzen, um jede einzelne der drei Säulen bestmöglich zu stärken. Die manchmal vielleicht etwas langsamer mahlenden Mühlen der privaten Industrie könnten dazu ebenso einen Beitrag leisten wie ein Big Bang, den nur die Politik auslösen kann.

Welche Bedeutung Fragen der Altersvorsorge für den Zusammenhalt einer Gesellschaft haben, lässt sich momentan auch in Chile beobachten. Die Reform eines stark privatwirtschaftlich dominierten Systems, kurz AFP (Administradoras de Fondos de Pensiones), bleibt eine der Hauptforderungen von zum Teil gewaltsamen Protesten, die den einstigen Vorzeigestaat bereits seit Oktober massiv erschüttern.

Ein Grund ist die Sorge des Mittelstandes, mit Eintritt ins Rentenalter aufgrund zu geringer Leistungen aus den Fonds der AFP sowie kaum beziehungsweise gar keiner Leistungen aus dem staatlichen System6) sozial deklassiert zu werden. Nun haben wir Deutsche ein anderes Temperament als Südamerikaner - und kaufen uns - laut Lenin - angeblich selbst dann eine Bahnsteigkarte, wenn wir einen Bahnhof stürmen wollen.7)

Unzureichende Altersvorsorge ist sozialer Sprengstoff

Aber wie wichtig eine langfristig tragfähige Altersvorsorge für den sozialen Frieden ist, verdeutlicht das Beispiel Chile doch. Deshalb sollten wir in Europa frühzeitig die Weichen für die Jahre stellen, in denen der demografische Wandel seine volle Kraft entfalten wird. Die Lohndeckungsquote der staatlichen Rentenversicherung wird in den nächsten Jahren auf deutlich unter 50 Prozent absinken. Es besteht also dringender Handlungsbedarf.

Und da die meisten Länder Europas vor vergleichbaren Problemen stehen, täten wir gut daran, uns auch bei diesem Thema sehr intensiv über Grenzen hinweg auszutauschen - und das fundamental wichtige Projekt einer Kapitalmarktunion voranzutreiben. Wenn man zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen kann - die Adressierung des sozialpolitischen Handlungsbedarfs bei Sicherstellung einer hinreichenden individuellen Altersvorsorge einerseits und die dringend notwendige Stärkung der europäischen Kapitalmärkte andererseits -, dann werden Sie verstehen, warum ich die Europäische Kapitalmarktunion für eines der wichtigsten Vorhaben überhaupt halte.

Soweit meine Tour d'Horizon zu den Perspektiven des Finanzstandortes Deutschland, die ich aus guten Gründen von einer europäischen Warte aus vorgenommen habe. Angelehnt an einen Slogan, den Sie sicher von einem in meiner Heimatstadt Mainz ansässigen Fernsehsender kennen, könnte man sagen: Mit einem europäischen Auge sieht man auch als Finanzaufseher besser.

Fußnoten

1) Mit der ersten Novelle der EU-Rating-Verordnung (Credit Rating Agency Regulation II - CRA II) konzentrierte der europäische Gesetzgeber die europaweite Aufsichtszuständigkeit bei der ESMA und verlieh dieser entsprechend umfassende Exekutivkompetenzen. In der Praxis bedeutete dies, dass mit Abschluss der letzten Registrierungsverfahren im Oktober 2011, die noch Aufseher-Kollegien begonnen hatten, sämtliche Aufsichtsbefugnisse über Ratingagenturen auf die ESMA übergegangen sind und diese seitdem allein für die Anwendung der EU-Rating-Verordnung verantwortlich ist.

2) Mit der Verordnung (EU) Nr. 2019/834 zur Überarbeitung der europäischen Marktinfrastrukturverordnung (EMIR-Refit), die am 17. Juni 2019 in Kraft trat, wurde ESMA die Aufsicht über die Transaktionsregister übertragen.

3) Der ESA-Review ist die seit Frühjahr 2017 durch die EU-Kommission initiierte Überprüfung der Funktionsweise der Europäischen Aufsichtsbehörden. Der auf europäischer Ebene heiß diskutierte ESA-Review konnte im letzten Jahr mit einem Kompromiss abgeschlossen werden, der deutlich hinter den weitgehenden Forderungen der EU-Kommission zurückblieb. Die Änderungen der ESA-Gründungsverordnungen und anderer Rechtstexte, wie der MiFIR und der Benchmark-VO, wurden Ende 2019 im Amtsblatt der EU veröffentlicht.

4) Konkret durch Änderungen der Novellierungen der Finanzmarktverordnung MiFIR und durch die Verordnung über Referenzwerte (Benchmark-VO).

5) Altersvorsorge: Staatsminister Al-Wazir, Grüttner und Dr. Schäfer stellen Deutschland-Rente vor, Pressemitteilung der Hessischen Landesregierung vom 28. April 2017, heruntergeladen am 4. Dezember 2019.

6) Es bestehen im chilenischen Rentensystem Staatsgarantien für folgende Fälle. Allen Bürgern, die mindestens 20 Jahre lang in einen Fonds eingezahlt haben, garantiert der Staat die Mindestrente. Wenn ein Rentenfonds den staatlich festgesetzten Mindestertrag nicht (mehr) leisten kann, wird er liquidiert und das Fondsvermögen auf andere Fonds übertragen. In diesem Fall muss der Staat die Kapitaldifferenz zum Mindestertrag auffüllen. Im Falle des Bankrotts eines Rentenfonds übernimmt der Staat die weiteren Rentenzahlungen. Weiterhin zahlt der Staat eine Sozialhilfe, die Pensiones Asistenciales (PASIS), für solche Bürger, die keinen Anspruch auf Mindestrente haben.

7) Das Zitat "Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!" wird dem russischen Revolutionär Lenin, eigentlich Wladimir Iljitsch Uljanow zugeschrieben, aus "Am Bahnsteig", erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15. Mai 2014, heruntergeladen am 29. November 2019.

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Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich der 64. Kreditpolitischen Tagung "Perspektiven für den (Finanz)Standort Deutschland" am 24. Januar 2020 in Frankfurt am Main.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Felix Hufeld

Präsident, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Bonn

Felix Hufeld , Aufsichtsratsmitglied , d.i.i. Deutsche Invest Immobilien AG
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