Regel- versus researchbasiertes Anlageverhalten im institutionellen Bereich

Armin Sabeur, Foto: Optinova

Sich bei Aktienengagements das Bauchgefühl oder auch auf die Prognosen zu verlassen, hält der Autor nicht für eine gute Idee. Allein für das laufende Jahr registriert er beispielsweise für den Dax ein Spektrum der Analysten-Erwartungen von 3 400 Punkten und auch im Rückblick auf viele Jahre stuft er die geballte Researchkompetenz nicht als guten Ratgeber für Aktienengagements ein. Um zudem den traditionellen Home Bias auszuschalten, baut er auf Kerninvestments rund um ETFs, etwa in den S&P 500, den Stoxx Europe 600 oder den MSCI World, sowie auf klare Investmentregeln. Letzteres umfasst bei Marktveränderungen Zukäufe zur Wiederherstellung einer ermittelten Aktienquote ebenso wie Verkäufe bei steigenden Kursen. Allein aus solche Core Investments verlassen will er sich freiwillig nicht, sondern plädiert für eine Ergänzung durch spezialisierte aktiv gemanagte Fonds, um geografische und branchenspezifische Klumpenrisiken zu reduzieren. (Red.)

Nach dem Abverkauf im vierten Quartal 2018 hat sich der Deutsche Aktienindex im laufenden Jahr bisher von seiner besten Seite gezeigt. Um über 17 Prozent auf zeitweise rund 12 400 Punkte ging es bereits nach oben, und es wird damit höchste Zeit, die Aktienquote massiv zu reduzieren oder sogar auf null herunterzufahren. Zu dieser Einschätzung muss zumindest kommen, wer sich die Dax-Prognosen vor Augen führt, die das Handelsblatt Ende 2018 bei 30 Analysten und Volkswirten erhoben hat. Demnach lagen die Erwartungen für das wichtigste deutsche Aktienmarktbarometer damals auf Sicht von zwölf Monaten (Ende 2019) im Durchschnitt bei 12.053 Punkten1) und damit deutlich unter dem aktuellen Niveau.

Dax-Schätzungen: kaum Treffer

Leichte Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Orientierungsgröße kommen allerdings schon bei einem Blick auf die Streuung der Schätzungen auf. So liegen zwischen den niedrigsten Erwartungen (10 000 Punkte) und dem optimistischsten Ausblick (13 400 Punkte) ganze 3 400 Zähler beziehungsweise eine Bandbreite von minus 20,5 Prozent bis zu plus 11,2 Prozent um den Durchschnittswert. Nun lässt sich natürlich argumentieren, dass Ausreißer unerheblich seien und das arithmetische Mittel die geballte Researchkompetenz der hiesigen Banken widerspiegeln würde, aber auch dann ist es um die Validität der Dax-Schätzungen nicht besser bestellt.

Vergleicht man nämlich die jeweils zum Jahreswechsel abgegebenen Analystenprognosen der zurückliegenden 20 Jahre mit den Indexständen zwölf Monate später, lassen sich zum Teil extreme Abweichungen feststellen. Beispielsweise lagen die Performanceerwartungen für 2001 im Mittel bei plus 21,8 Prozent, herausgekommen sind aber minus 19,8 Prozent. Noch schlechter das folgende Jahr, in dem die Differenz zwischen durchschnittlicher Schätzung (plus 10,9 Prozent) und tatsächlicher Performance (minus 43,9 Prozent) bei über 50 Prozentpunkten lag. Alles in allem wichen die beiden Renditewerte in 13 von 20 Jahren um mehr als zehn Prozentpunkte voneinander ab. In sechs Jahren waren es sogar über 25 Prozentpunkte.2) Über den gesamten Zeitraum von 20 Jahren betrachtet liegt der durchschnittliche Schätzwert (plus 9,1 Prozent) dagegen gar nicht mal so weit von der tatsächlichen Dax-Rendite entfernt. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass private sowie institutionelle Anleger, die sich im Gegensatz zu den befragten Experten nicht einen Großteil des Tages mit der Auswertung volks- und betriebswirtschaftlicher Daten beschäftigen, bei ihren Marktprognosen noch schlechter gelegen hätten (Abbildung 1).

Entsprechend geht es an dieser Stelle auch keineswegs um die Kritik an einer Berufsgruppe, vielmehr soll gezeigt werden, dass Entwicklungen an den Aktienmärkten auf kurze beziehungsweise mittlere Sicht nicht seriös zu prognostizieren sind. Ableitungen und Schlussfolgerungen lassen sich - und zwar auf Basis historischer Ergebnisse - immer nur langfristig ziehen. Und da liefert zumindest die Vergangenheit eindeutige Werte.

Timingversuche tunlichst unterlassen

So kann der Dax seit seiner Normierung auf 1 000 Punkte zum 31. Dezember 1987 mit Zugewinnen von 1 140 Prozent (Stand: 30. Juni 2019) glänzen. Das entspricht trotz diverser Krisen und Rückschläge einer jährlichen Performance von durchschnittlich 8,3 Prozent. Zwar war der Index von diversen Höhen und Tiefen geprägt, langfristig - und das ist das Entscheidende - hat sich das Marktbarometer von Rückschlägen aber immer wieder erholt. So gibt es in der Historie des Deutschen Aktienindex nur ganz wenige Fünfjahreszeiträume mit einer negativen Performance. Ein eindrucksvolles Bild liefert hier regelmäßig das Dax-Rendite-Dreieck des Deutschen Aktieninstituts.3)

Dabei ließ sich seit der Lancierung des bekannten Marktbarometers übrigens in praktisch jedem Jahr ein guter Grund finden, dem Aktienmarkt zunächst einmal grundsätzlich fernzubleiben oder sich frühzeitig zu verabschieden. Hohe ausgelassene Gewinne wären die Folge gewesen. Schon das Verpassen der besten 13 Börsentage zwischen Anfang 1988 und Ende 2018 hätte bei einem ansonsten durchgängigen Dax-Investment zur Halbierung der Rendite geführt. Beim Auslasen der besten 33 Tage wäre die Performance sogar in den negativen Bereich abgerutscht (Abbildung 2).4)

Um diese Gefahr zu umgehen, ist es unerlässlich, sich von der allgemeinen Börsenstimmung und dem persönlichen Bauchgefühl, welches zum Teil auch von den Markteinschätzungen der Banken - stärker allerdings von der Berichterstattung in den Medien und insbesondere der Entwicklung der Märkte - geprägt wird, zu lösen.

Regelmäßiges Rebalancing als A und O

Dazu muss zunächst die optimale Asset- Allokation festgelegt werden. Diese sollte sich im Wesentlichen an der persönlichen Risikoneigung und dem Anlagehorizont des Anlegers sowie den Renditeerwartungen für die verschiedenen Assetklassen und ihrer Korrelation untereinander orientieren.

Verschiebt sich nun die Depotgewichtung der einzelnen Anlageklassen zueinander, beispielsweise weil der Aktienmarkt deutlich nachgegeben hat, sollten die Rückgänge konsequent dazu genutzt werden, die ursprünglich als sinnvoll und angemessen ermittelte Aktienquote durch Zukäufe wiederherzustellen. Analog sind bei steigenden Kursen natürlich entsprechende Verkäufe vorzunehmen. Sinnvoll ist es in diesem Zusammenhang, bestimmte Prozentsätze zu definieren, die "automatisch" die jeweiligen Transaktionen auslösen. So könnte die Regel beispielsweise vorsehen, die Aktiengewichtung immer dann anzupassen, wenn der Istwert um fünf Prozentpunkte nach oben oder unten vom Sollwert abweicht.

Regelbasiert umgesetzt führt das konsequente Rebalancing zwangsläufig zu antizyklischem Verhalten an der Börse. Statt zu versuchen, mit oder gegen den Strom zu schwimmen, nehmen Anleger die am Aktienmarkt herrschenden Schwankungen dadurch nicht nur in Kauf, sie nutzen sie vielmehr aktiv zur regelmäßigen Optimierung der Portfoliostruktur und erzielen auf diese Weise langfristig deutlich höhere risikoadjustierte Rendite als bei klassischen Buyand-Hold-Strategien à la Kostolany.

Dabei haben die Verinnerlichung und konsequente Umsetzung dieser Vorgehensweise übrigens auch den Effekt, dass höhere Volatilitäten an den Aktienmärkten zunehmend nicht mehr als Bedrohung gesehen, sondern vielmehr als Investmentopportunitäten begriffen werden. Zudem wird die einvernehmliche Festlegung und anschließende Einhaltung entsprechender Werte für erhöhte Transparenz gegenüber dem Kunden sorgen und bei diesem in der Regel eine gesteigerte Toleranz hinsichtlich schwächerer Phasen bei der Depotentwicklung erzeugen.

ETFs als Core Investments einsetzen

Als Basisinvestments einer regelbasierten Anlagestrategie bieten sich unter anderem Exchange Traded Funds auf breit ausgerichtete Aktienmarktrepräsentanten, wie beispielsweis den S&P 500, den Stoxx Europe 600 oder den MSCI World an. Der Aufwand der Zusammenstellung eines ETF-Portfolios ist relativ gering und die anfallenden Kosten sind verhältnismäßig niedrig. Hinzu kommt ihr komparativer Performancevorteil gegenüber vielen aktiv gemanagten Fonds.

Gleichzeitig sorgt die streng regelbasierte Konstruktion der Produkte dafür, dass persönliche Einschätzungen und emotionale Aspekte bei der Branchengewichtung sowie der Selektion von Einzeltiteln ausgeschaltet werden. Investoren unterliegen damit nicht der Versuchung, bestimmte Modethemen, die gerade in aller Munde sind, oder persönliche Favoriten, mit denen in der Vergangenheit möglicherweise schon einmal hohe Gewinne erzielt wurden, im Portfolio überzugewichten.

Davon abgesehen wird die Abstellung auf europäisch oder besser noch weltweit ausgerichtete Indexfonds automatisch eine verstärkte Internationalisierung des Portfolios zur Folge haben. So liegt der Anteil deutscher Aktiengesellschaften an der weltweiten Marktkapitalisierung gerade einmal bei zirka 4 Prozent. Im MSCI World sind sie sogar nur mit 3 Prozent gewichtet.

Dennoch dürfte das Aktiendepot vieler privater und auch institutioneller Anleger mindestens zur Hälfte, wenn nicht sogar zu zwei Dritteln oder drei Vierteln aus heimischen Werten bestehen. Durch diesen Home Bias verschenken Investoren wichtige Diversifizierungspotenziale. Da die Entwicklungen an den internationalen Aktienmärkten stark miteinander korreliert sind, schützt eine länderübergreifende Ausrichtung zwar nicht vor Kursschwankungen, gegenüber geografisch begrenzten Portfolios wird sich die Volatilität aber deutlich verringern.

Dennoch sollten Wertpapierdepots nicht ausschließlich aus ETFs bestehen, da es sich - anders als bisweilen dargestellt - auch bei diesen Produkten nicht um die eierlegende Wollmichsau handelt. So hat die strenge Ausrichtung am Unternehmenswert zur Folge, dass Gesellschaften mit großer und weiter steigender Marktkapitalisierung im jeweiligen Index und demzufolge auch in den entsprechenden Exchange Traded Funds immer höher gewichtet werden.

Damit kann es bei stark steigenden Kursen bestimmter Titel zu prozyklischem Anlageverhalten kommen, was mit einer streng regelbasierten Anlagestrategie gerade vermieden werden soll. Beispielsweise enthält der MSCI World als wichtigster globaler Aktienindex zwar 1 655 verschiedene Unternehmen, allein Microsoft, Apple und Amazon machen aber 6,5 Prozent der Gewichtung aus. Werden Alphabet und Facebook noch hinzugenommen, sind es sogar 9,3 Prozent und damit über 80 Prozent der gesamten Gewichtung der Eurozone (11,1 Prozent).

Branchenspezifische Klumpenrisiken reduzieren

Es empfiehlt sich deshalb, kosteneffiziente und marktbreite Strategien (Core Investments) durch spezialisierte aktiv gemanagte Fonds (Satellite Investments) zu ergänzen und auf diese Weise geografische und branchenspezifische Klumpenrisiken zu reduzieren. So lässt sich die "Momentum-Wette" eines MSCI World auf die am höchsten kapitalisierten Unternehmen der Welt durch die Kombination mit einer aktiven Value-Strategie erheblich entschärfen, wodurch sich gleichzeitig die aktuellen Übertreibungen im Technologiesektor und die damit einhergehenden Gefahren eines starken Absturzes abfedern lassen.

Fußnoten

1) Landgraf R. (2018): Handelsblatt vom 27.12.2018, Dax-Prognose/Was Top-Banker vom Börsenjahr 2019 erwarten.

2) Prognose- und Performancewerte von 1999 bis 2016 wurden von der Hamburger Sutor Bank erhoben. Die Prognosen von 2017 bis 2019 beruhen auf Befragungen, die das Handelsblatt durchgeführt hat.

3) www.dai.de.

4) Sutor-Bank-Auswertung (2019): Pressemitteilung: Wer in 31 Jahren DAX die besten 13 Tage verpasst hat, verlor die Hälfte der Rendite (www.sutorbank.de).

Armin Sabeur CFA, Vorstand und Portfoliomanager, OPTINOVA, Königstein
Armin Sabeur , CFA, Vorstand und Portfoliomanager, OPTINOVA, Königstein

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X