Regulatorische Herausforderungen für das Wertpapiergeschäft

Dr. Henning Bergmann, Foto: Michael Fahrig

Wenn immer mehr regulatorische Entscheidungen nach Europa verlagert werden und bei der nationalen Umsetzung immer weniger Spielraum für Anpassungen besteht, will der Autor die europäische Regulierung in Zukunft so gestaltet und angepasst wissen, dass sie mit vertretbarem Aufwand in allen Ländern fristgerecht umgesetzt werden kann. Bei der Finanzmarktrichtlinie MiFID II und der PRIIPs-Verordnung sieht er diese Anforderungen nur unzureichend gewährleistet. Um zukünftige europäische Regulierungsvorhaben von vornherein praxisgerechter zu gestalten, setzt er auf frühzeitige Konsultation, und zwar nicht zuletzt auch bei den von den Europäischen Aufsichtsbehörden (ESAs) verstärkt eingesetzten Fragen-und-Antworten-Katalogen (Q & As). Als aktuelles Feld für eine bessere Verfahrensweise nennt er das Stichwort Sustainable Finance (Red.)

Die Europäische Union spielt bei der Regulierung der Finanzmärkte eine immer wichtigere Rolle. Während vor einigen Jahren viele regulatorische Entscheidungen im Finanzbereich noch auf nationaler Ebene getroffen wurden - als Beispiel sei hier das Kleinanlegerschutzgesetz genannt - verlagert sich dieser Prozess in immer größerem Maße auf die EU. Dabei weisen nicht nur die regulatorischen Vorgaben eine höhere Dichte auf. Auch die darauf aufsetzenden Verlautbarungen der europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA überraschen heute mit einer beispiellosen Detailtiefe und weisen ein höheres Maß an Verbindlichkeit vor, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

Weniger Spielraum für Anpassungen und die nationale Umsetzung

Diese Entwicklung lässt immer weniger Spielraum für Anpassungen und ist für die nationale Umsetzung eine große Herausforderung. Vor diesem Hintergrund sollte europäische Regulierung in Zukunft so gestaltet und angepasst werden, dass sie mit vertretbarem Aufwand in allen Ländern fristgerecht umgesetzt werden kann. Bei der europäischen Finanzmarktrichtlinie MiFID II war diese Voraussetzung leider nicht gegeben.

Die zwei großen Regelwerke für das Wertpapiergeschäft, die zu Beginn des Jahres 2018 in der EU in Kraft getreten sind, verdeutlichen den Wandel, der im Bereich der Regulierung stattgefunden hat. Allein die Anwendung der überarbeiten europäischen Finanzmarktrichtlinie MiFID II bedeutet für Kreditinstitute die Bewältigung von über 20 000 Seiten Text. Die Vorgaben der PRIIPs-Verordnung für Basisinformationsblätter haben zwar nur einen Umfang von 164 Seiten, jedoch umfassten die deutschen Regelungen für die durch die Basisinformationsblätter abgelösten Produktinformationsblätter gerade einmal 15 Seiten - die Auslegungshinweise der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bereits eingeschlossen.

Erhebliche Probleme in der Praxis

Nach über einem Jahr Praxiserfahrung mit den zwei neuen Regelwerken lassen sich erste Schlüsse für die zukünftige Ausgestaltung europäischer Gesetzgebung ziehen. Wiederholt hat sich gezeigt, dass viele regulatorische Unklarheiten und "Kollateralschäden" hätten vermieden werden können, wenn man die möglichen beabsichtigten und unbeabsichtigten Effekte der Regulierung vorab intensiver geprüft hätte. Insbesondere bei der Anlageberatung ist der Gesetzgeber weit über das Ziel hinausgeschossen. Die Abläufe beim Wertpapierkauf sind umständlicher und zeitraubender geworden. Der bürokratische Aufwand ist mittlerweile so hoch, dass Kunden verärgert sind und vor einer Anlage in Wertpapiere zurückschrecken. Diese negativen Auswirkungen auf die Wertpapierkultur lagen sicherlich nicht in der Absicht des Gesetzgebers und sind in Zeiten einer lang anhaltenden Niedrigzinsphase ein fatales Signal.

Die Probleme werden unter anderem bei den telefonischen Aufträgen von Kunden deutlich. Die Aufzeichnung von Telefongesprächen führt nicht nur zu einer enormen Kostensteigerung bei den Instituten, auch die Kunden sorgen sich um den Datenschutz und ihre Privatsphäre. Ebenso die Informationspflichten zu den anfallenden Kosten, die dem Kunden vor Orderausführung übermittelt werden müssen, führen sowohl auf Instituts- als auch auf Kundenseite zu Unmut. In Deutschland hat man sich für eine durchaus strenge Umsetzung der europäischen Vorgaben entschieden, was ein nicht sachgerechtes "Gold Plating" im Vergleich zu anderen EU-Ländern darstellt.

Ein weiteres Beispiel für die fehlende vorherige Prüfung möglicher Folgen technischer Detailregulierung sind die regulatorisch starren Vorgaben im Rahmen des PRIIPs-Regelwerks, die zu nicht nachvollziehbaren Darstellungen von Performance-Szenarien und Kosten in den Basisinformationsblättern (KIDs) führen. Diese teils verwirrenden Darstellungen lösen bei den Anlegern große Verunsicherung aus. Dies führt dazu, dass Anleger die KIDs kaum oder gar nicht nutzen und die Institute in der Anlageberatung oftmals ergänzende Informationsmaterialien einsetzen. Die PRIIPs-Vorgaben müssen im Detail im Nachhinein aufwendig überprüft und angepasst werden.

EU-weite Umsetzbarkeit sicherstellen

Grundsätzlich sollten zeitnah auch andere bereits bestehende Wertpapierregulierungen auf den Prüfstand gestellt und auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden: Führt der Aufwand der Kreditinstitute zu einem entsprechenden Nutzen des Anlegers? In vielen Fällen ist dies derzeit mit einem klaren "Nein" zu beantworten.

Die immer höhere Dichte und Detailtiefe der regulatorischen Vorgaben führen aber noch zu weiteren und ganz elementaren Problemen. Nicht alle EU-Mitgliedsstaaten verfügen über die erforderlichen administrativen, organisatorischen und monetären Kapazitäten, große und komplexe Regelwerke fristgerecht und ordnungsgemäß umzusetzen. Während in Deutschland die Vorgaben der MiFID II und MiFIR mit einem immensen Aufwand zum Januar 2018 pünktlich umgesetzt wurden, war dies EU-weit leider nicht der Fall. Eine verspätete Umsetzung in anderen Ländern hatte bislang keine signifikanten Konsequenzen zur Folge.

Hier müssen die EU-Behörden in Zukunft verstärkt darauf achten, dass die Umsetzung in allen Mitgliedsstaaten einheitlich geschieht. Denn die Einführung europaweit vergleichbarer Standards und die Harmonisierung des nationalen Rechts ist richtig, da dies gerade mit Blick auf die Vollendung der Kapitalmarktunion für Anleger und Unternehmen unerlässlich ist. Deshalb muss nicht nur darauf geachtet werden, dass bereits bestehende Regulierung frist- und ordnungsgemäß umgesetzt wird, sondern europäische Regulierung in Zukunft so gestaltet wird, dass eine pünktliche und einheitliche Umsetzung in allen EU-Mitgliedsstaaten mit vertretbarem Aufwand überhaupt möglich ist.

Frühzeitige intensive Konsultation

Um zukünftige europäische Regulierung von vornherein praxisgerechter zu gestalten, sollte bei regulatorischen Maßnahmen - insbesondere dann, wenn sie besonders detailliert ausfallen und auf eine weitreichende Harmonisierung des Marktes abzielen - grundsätzlich konkret benannt werden, welches (Detail-)Problem eigentlich gelöst werden soll.

Zusätzlich sollte vorab geklärt werden, ob das Problem in allen Mitgliedsstaaten in gleichem Maße auftritt. Für eine praxistaugliche und effektive Regulierung sollten daher im Vorfeld eingehende Markt- und Wirkungsstudien durchgeführt werden. Zusätzlich ist es dringend geboten, frühzeitig Branchenexperten und Praktiker bei der Rechtsetzung auf EU-Ebene mit einzubeziehen, um Reibungsverluste bei der Umsetzung in den verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten zu minimieren oder gar zu vermeiden. Ein regelmäßiger Austausch von Daten, Fakten und Argumenten macht Regulierung nachvollziehbarer, praxistauglicher und damit besser. Er gibt den Instituten außerdem die Chance, sich auf die Anforderungen der Aufsichtsbehörden besser einzustellen.

Die frühzeitige Konsultation von Branchenexperten und Praktikern sollte auch bei den von den Europäischen Aufsichtsbehörden (ESAs) in den letzten Jahren verstärkt nachgesetzlich verfassten Fragen-und-Antworten-Kataloge (Q & As) eine größere Rolle spielen. Die Q & As, die neben Leitlinien und Empfehlungen veröffentlicht werden, sollen bestimmte Detail-Aspekte für die Marktteilnehmer klären. Diese ungeregelte Form der "Schattengesetzgebung" muss überprüft und in klare Bahnen gelenkt werden. Die rechtliche Verbindlichkeit dieser Maßnahmen ist unklar, auch wenn ihnen eine faktische Bindungswirkung zukommt. Somit bieten sie den betroffenen Kreditinstituten in der Regel keinen bestandssicheren und gerichtsfesten Umsetzungsrahmen.

Augenmaß bei der Kompetenzverschiebung

In jedem Fall muss klargestellt werden, dass Antworten - ungeachtet ihrer Rechtsqualität - vor Erlass konsultiert werden müssen. Denn oftmals werden in Q & As wichtige Auslegungsentscheidungen mit großen Auswirkungen getroffen, ohne den Betroffenen vorab rechtliches Gehör gegeben zu haben. Es ist insofern unerlässlich, dass die Marktteilnehmer endlich die Gelegenheit bekommen, im Vorhinein Stellung zu nehmen. Auch mit einer vorgelagerten Konsultation bleiben die Q & As weiterhin ein flexibles Instrument.

Auf EU-Ebene werden ungeachtet aller bestehenden Problemfelder bereits neue Pläne zur weiteren regulatorischen Verschiebung Richtung Europa geschmiedet.

Die EU-Kommission hat im September 2017 einen Vorschlag zur Reform der Europäischen Aufsichtsbehörden veröffentlicht, der eine weitreichende Kompetenzverlagerung hin zu den ESAs vorsieht. Es gibt einerseits Märkte und Themen, die europäisch geprägt sind oder sich neu entwickeln. Hier ist es grundsätzlich sinnvoll, eine europäische Aufsicht vorzusehen. Dies gilt zum Beispiel für Datenprovider, die mit der MiFID II einem neuen Aufsichtsregime unterworfen wurden. Andererseits müssen aber die weitgehend gut funktionierenden Märkte und unterschiedlichen Strukturen der einzelnen Mitgliedsländer ausreichend berücksichtigt werden. Sie haben sich aus den länderspezifischen Anforderungen heraus entwickelt. So bestehen beispielsweise immense Unterschiede im Retailgeschäft mit Wertpapieren in den einzelnen EU-Ländern. In Zukunft sollte noch sorgfältiger abgewogen werden, in welchen Bereichen Bedarf für eine europäische Vereinheitlichung besteht und welche Strukturen sich bewährt haben.

Die BaFin - aber natürlich auch andere nationale Aufsichtsbehörden - verfügen über länderspezifisches Wissen und Kompetenz. Diese sollte nicht leichtsinnig für theoretische Verbesserungen der europäischen Aufsichtsarchitektur aufgegeben werden. Dies gilt umso mehr, wenn auf nationaler Ebene die Aufsichtsprozesse zur Zufriedenheit der Marktteilnehmer geregelt sind und es für eine Verlagerung auf die europäische Ebene keine Veranlassung gibt.

Neue Herausforderung Nachhaltigkeit

So kommt der Kompetenzvorsprung nationaler Strukturen bei der Prüfung und Billigung von Wertpapierprospekten zum Tragen. Hier zeichnet sich ein Konflikt ab, da die ESMA die Genehmigung eines Teils der Wertpapierprospekte übernehmen möchte, obwohl sich das Passporting-Prinzip - also die Geltung der Prospektgenehmigung einzelner EU-Staaten für den gesamten Binnenmarkt - bislang bewährt hat. Kompetenzen sollten nur verlagert und bestehende Strukturen verändert werden, wenn dies zu einer Qualitätsverbesserung führt. Es ist keine Lösung, etwaige Aufsichtsdefizite in anderen Ländern durch eine Verlagerung auf die EU-Ebene zu beheben.

Das Prinzip der Subsidiarität und der Proportionalität sollte bei der Finanzmarktregulierung insgesamt wieder eine größere Rolle spielen. Das gilt besonders für die Bewältigung zukünftiger Herausforderungen unter Mitwirkung des im Mai 2019 neu gewählten EU-Parlaments. Unter dem Stichwort "Sustainable Finance" haben bereits umfangreiche und voraussichtlich langwierige Debatten begonnen. Doch trotz aller Erfahrungen - auch aus dem MiFID-II- und PRIIPs-Prozess - wirken die Anfänge der politischen und fachlichen Diskussionen rund um das Thema nachhaltige Geldanlagen erneut überhastet und wenig sinnvoll strukturiert. Hier sollte nicht in politischen Aktionismus verfallen werden, sondern ein systematischer Prozess aufgesetzt werden, der allen betroffenen Akteuren ausreichend Rechnung trägt. Nur so kann schließlich eine breite Akzeptanz dieser wichtigen Agenda herbeigeführt werden.

Dr. Henning Bergmann Geschäftsführender Vorstand, Deutscher Derivate Verband (DDV), Berlin
 
Noch keine Bewertungen vorhanden


X