Stand und Entwicklungstendenzen der europäischen Aufsicht und Regulierung

Jan Ceyssens, Foto: Europäische Kommission

Die Vollendung der Bankenunion und Schaffung einer Kapitalmarktunion skizziert der Autor in den vergangenen vier Jahren als die beiden wichtigsten Projekte der Europäischen Kommission. Und insbesondere mit Blick auf die Kapitalmarktunion ruft er im Vorfeld der anstehenden Europawahl eine ganze Reihe von erfolgreich auf den Weg gebrachten Projekten in Erinnerung, darunter die Förderung sicherer und transparenter Verbriefungen, Erleichterungen der Geldaufnahme für kleine und mittlere Unternehmen am Kapitalmarkt, erste Schritte zur Angleichung des Insolvenzrechtes und die Initiativen Europas bei nachhaltigen Finanzprodukten. Als Herausforderungen beziehungsweise ehrgeizige Projekte stuft er das neue Regime zur Vorsorge für notleidende Kredite und die Weiterentwicklung der gemeinsamen europäischen Einlagensicherung ein. Und als wichtige Zukunftsaufgaben nennt er die Integration der Bank- und Kapitalmärkte sowie eine Stärkung der Rolle des Euro auf den internationalen Finanzmärkten. (Red.)

Wenn ich mir heute das Programm dieses Bundesbank-Symposiums "Bankenaufsicht im Dialog" anschaue, dann sehe ich, dass zwei der drei Diskussionskomplexe sich mit europäischen Themenkreisen beschäftigen. Wir würden uns ja eigentlich alle freuen, wenn wir den Brexit eben nicht diskutieren müssten. Aber es zeigt doch, was für einen hohen Stellenwert europäische Fragen im Finanzmarkt und für die Bundesbank haben.

Große politische Herausforderungen

Dieses Jahr befindet sich Europa nicht nur vor großen politischen Herausforderungen. Auch die europäische Finanzmarktregulierung und Aufsicht ist in einer Übergangs- und Umbruchsphase - personell mit Andrea Enria als neuem SSM-Vorsitzenden und José Manuel Campa als neuem Chef der EBA und inhaltlich mit der Wahl eines neuen Europaparlaments und einer neuen Kommission, die sicherlich ihre eigenen Schwerpunkte setzen werden.

Heute will ich hier auf zwei Themen eingehen. Zum ersten möchte ich eine Übersicht über die Regulierungsprojekte geben, die wir in den letzten Wochen in Brüssel abgeschlossen haben. Zum zweiten möchte ich einige Thesen dazu geben, welche Themen in der europäischen Finanzmarktregulierung in den nächsten Jahren auf der Tagesordnung bleiben könnten.

Aber zunächst zum hier und jetzt: Die letzten vier Jahre unserer Arbeit standen unter zwei Leitmotiven - Vollendung der Bankenunion und Schaffung einer Kapitalmarktunion.

Risikoteilung und Risikoreduzierung Hand in Hand

Zur Vollendung der Bankenunion haben wir ja mit den Mitgliedsstaaten und dem Europaparlament daran gearbeitet, dass Risikoteilung und Risikoreduzierung Hand in Hand gehen. Bei der Risikoreduzierung haben wir mit dem Bankenpaket und dem Prudential Backstop für notleidende Kredite (NPLs) Kernelemente der Gesetzgebung umgesetzt. Das Bankenpaket ist auf dieser Veranstaltung schon hervorragend präsentiert worden.

Neben den von Erich Loeper erwähnten Bereichen haben wir jetzt klarer und ehrgeizigere Regeln zu den TLAC und MREL Verlustabsorptionspuffern, insbesondere zu den Minimalanforderungen für große Banken und zum Ermessen der Abwicklungsbehörden bei der Festsetzung bankspezifischer Puffer.

Und wir haben ein ehrgeiziges neues Regime zur Vorsorge für notleidende Kredite. Das NPL-Paket ergänzt die bankspezifische Arbeit der EZB, die die NPLs in etwa auf Vorkrisenniveau heruntergebracht hat und mit den Banken an einer weiteren Reduzierung der verbleibenden Bestände arbeitet. Die neue Gesetzgebung stärkt die Vorsorge für neue notleidende Kredite in allen Teilen des Bankensektors - und ist damit natürlich auch im deutschen Bankensektor sehr relevant. Wir haben dabei mit dem Gesetzgeber in der Kalibrierung ein gutes Gleichgewicht gefunden, das hinreichend konservativ ist ohne übermäßige Auswirkungen auf die Kreditvergabe.

Leider haben wir es noch nicht geschafft, uns auch auf Regeln für NPL-Sekundärmärkte und für die beschleunigte Sicherheitenverwertung zu einigen. Während man dem Bankensektor neue Anforderungen aufbürdet, fehlt die entsprechende Unterstützung durch einen Rechtsrahmen für die Sicherheitenverwertung noch. Wir hoffen aber, dass wir an dieser Stelle nach der Europawahl im Juni schnell vorankommen werden.

Einen wichtiger Schritt nach vorn bei der Risikoteilung

Auch bei der Risikoteilung gehen wir mit der Letztsicherung des EU-Abwicklungsfonds einen wichtigen Schritt nach vorn. Der sogenannte Backstop war ja bei Einführung des einheitlichen Abwicklungsmechanismus als zweiter Pfeiler der Bankenunion schon vereinbart. Die politischen Entscheidungen über die Eckpunkte sind getroffen, wir erwarten im Laufe des Jahres die Umsetzung im Rahmen einer ESM- Vertragsänderung und einer entsprechenden ESM-Leitlinie, mit nachfolgender Ratifzierung durch die nationalen Parlamente. Wenn es hinreichend Fortschritt bei der Reduzierung der NPLs und beim Aufbau der TLAC und MREL Buffer gibt, kann der Backstop ab 2020 aktiviert werden.

Seit dem Sommer gibt es zudem ein klares Bekenntnis der europäischen Staatsund Regierungschefs zu einer gemeinsamen Einlagensicherung als drittem Pfeiler der Bankenunion, die schrittweise eingeführt werden soll. Ein schrittweises Vorgehen hatten wir ja auch von der Kommission angeregt und dazu Vorschläge gemacht, wie das mit der Risikoreduzierung verzahnt werden kann. Allerdings haben wir bei der konkreten Umsetzung bisher keine großen Fortschritte gemacht. Eine hochrangige Arbeitsgruppe sucht dafür nach neuen Wegen.

Eher erfreuliche Entwicklungen gibt es demgegenüber bei der Umsetzung des Aktionsplans Kapitalmarktunion. In dem Bereich hat Europa ja gegenüber anderen Teilen der Welt Nachholbedarf.

Erfreuliche Entwicklungen bei der Kapitalmarktunion

Der Brexit macht die Sache nicht einfacher. Politisch, weil wir mit Großbritannien einen wichtiger Fürsprecher der Kapitalmärkte verlieren. Und wirtschaftlich weil der Brexit natürlich zunächst einmal zu einer weiteren Fragmentierung der Kapitalmärkte in Europa führt. Umso erfreulicher ist es, dass wir jetzt elf von dreizehn Initiativen in diesem Bereich zum Abschluss bringen konnten.

- Wir fördern sichere und transparente Verbriefungen und unterstützen gleichzeitig den Ausbau des Erfolgsmodells Pfandbrief durch gemeinsame Mindeststandards.

- Wir machen die Geldaufnahme am Kapitalmarkt für kleinere Unternehmen einfacher durch klarere Prospektpflichten und unseren SML Listings Act.

- Wir gehen einen ersten Schritt zur Angleichung des Insolvenzrechts, mit gemeinsamen Regeln zur präventiven Restrukturierung von Unternehmen, die auch für Investoren schnellere und verlässlichere Verfahren in ganz Europa schaffen.

- Wir schaffen neue, verhältnismäßige Kapitalanforderungen für kleinere Investmentfirmen als wichtiger Teil des Kapitalmarkts, während gleichzeitig große Investmentbanken den Banken voll gleichgestellt und unter die Aufsicht des SSM fallen.

- Auch bei der Kapitalmarktaufsicht haben wir Fortschritte erzielt. Wir sind dabei, die EMIR-Verordnung zu zentralen Gegenparteien den Veränderungen im Markt anzupassen, insbesondere der wachsenden Bedeutung von CCPs und dem ja nun leider sehr bald bevorstehenden Brexit. Gleichzeitig haben wir für kleine Gegenparteien und Unternehmen der Realwirtschaft die Regeln vereinfacht und entbürokratisiert.

- Letzteres ist übrigens genauso wie die Verhältnismäßigkeit im Bankenbereich ein Ergebnis unseres Call for Evidence, der umfassenden Überprüfung der nach der Krise eingeführten Finanzmarktregulierung, mit der Europa ja global eine Vorreiterrolle gespielt hat.

- Eine ähnliche Vorreiterrolle spielt Europa bei der nachhaltigen Finanzwirtschaft. Auch dazu konnten wir Einigung über zwei Kernpfeiler unserer Strategie erzielen, den Offenlegungspflichten und den Referenzwerten. Noch am Laufen sind die Arbeiten an einer umfassenden Taxonomie, die konkret durchdeklinieren wird, was unter den Begriff Sustainable Finance fallen kann. Das ist naturgemäß ein komplexes und auf einen längeren Zeitraum angelegtes Projekt.

- Noch am Laufen ist schließlich in Brüssel auch die Arbeit an der Weiterentwicklung der europäischen Aufsichtsbehörden [Anmerkung der Redaktion: In der Zwischenzeit gab es auch hier am 21. März eine politische Einigung im Trilog]. Mit etwas Flexibilität und politischer Unterstützung sollten wir es schaffen, die EBA mit einer deutlich stärkeren Koordinierungsrolle für die Geldwäschebekämpfung auszustatten und die Aufsichtskonvergenz in der Kapitalmarktunion jedenfalls ein Stück weit zu stärken.

Herausforderungen bei der anstehenden Umsetzung

Jetzt mag man vielleicht fragen, warum ich eine lange Liste abgeschlossener Projekte präsentiere. Gerade wenige Monate vor den Europawahlen ist es schon wichtig auch einmal zu betonen, was Europa in schwierigem Umfeld alles zustande bringt. Genauso wichtig ist aber, klarzumachen, dass uns die Umsetzung all dieser Gesetzgebungsakte in den nächsten Jahren beschäftigen wird. Obwohl die meisten CMU-Rechtsakte für den Finanzsektor eher gute Nachrichten sind, ist das natürlich auch eine Herausforderung. Und erst in der Umsetzung wird sich eben zeigen, wie weit es Europa wirklich schafft, seine Kapitalmärkte weiter zu entwickeln, wie wir uns das wünschen.

Das führt zum zweiten Teil, zum Ausblick. Was wird die europäische Regulierung und Aufsicht in den nächsten Jahren beschäftigen? Das wird in Brüssel vor allem von den Prioritäten des neuen Parlaments und der neuen Kommission abhängen. Ich will aber dennoch einige Herausforderungen schildern und bin dann gespannt auf die Perspektiven auf dem Panel.

Keine neue Kommission wird um die Umsetzung des letzten Basel-III-Pakets herumkommen, die sicherlich schon relativ zu Anfang des neuen Mandats auf der Tagesordnung stehen wird. Die Vorbereitungsarbeiten dazu laufen auf Hochtouren, Vizepräsident Dombrovskis hatte sich ja zu einer umfassenden Studie der Auswirkungen auf den europäischen Bankensektor und die Finanzierung der Realwirtschaft verpflichtet. Wenn die EBA dazu im Sommer einen Bericht vorlegt, wird es in einem zweiten Schritt eine detaillierte öffentliche Konsultation geben.

Frage der Integration der Bank- und Kapitalmärkte

Auf dieser Grundlage wird die neue Kommission dann Anfang 2020 über einen Umsetzungsvorschlag entscheiden. Und natürlich werden wir sehr genau beobachten, wie entschieden andere Jurisdiktionen die Umsetzung aller Elemente des Pakets, etwa des revidierten FRTB-Ansatzes, angehen. In dem Zusammenhang - aber auch darüber hinaus - bleibt die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit unserer Regeln sicherlich eine laufende Herausforderung.

Ein Punkt für weitere Reflektionen wird auch die Frage der Integration der Bank- und Kapitalmärkte sein. In einer Währungsunion - gerade wenn diese nicht von einer vollen Fiskalunion getragen wird - sind integrierte Finanzmärke im Fall eines wirtschaftlichen Schocks - einer Krise in einzelnen Mitgliedsstaaten - überlebenswichtig, um die Auswirkungen abzufedern. Und da haben wir eben nicht nur auf den Kapitalmärkten, sondern trotz der bisher erreichten Pfeiler der Bankenunion auch im Bankbereich noch keine ausreichenden Rahmenbedingungen geschaffen, um dem Finanzsektor eine stärkere grenzüberschreitende Integration zu ermöglichen.

Hier ist es natürlich relevant, dass man eben bisher keine konkrete Einigung über eine europäische Einlagensicherheit erreicht hat. Und es ist ebenso relevant, dass wir uns im Bankenpaket anders als von der Kommission vorgeschlagen nicht darauf einigen konnten, das Kapital- und Liquiditätspooling in grenzüberschreitenden Bankengruppen zu erleichtern. Um diese Fragen anzugehen, müssen wir das notwendige Vertrauen schaffen, dass die Besonderheiten etwa des deutschen Bankensystems bei EDIS berücksichtigt werden, dass Risiken nicht unkontrolliert vergemeinschaftet werden und dass die Finanzstabilität in jedem einzelnen Mitgliedsstaat nicht der Integration geopfert wird - keine einfache Aufgabe.

Bei der Integration der Kapitalmärkte ist es an der Zeit, ein Zwischenfazit zu ziehen. Einige unserer Vorschläge sind im Gesetzgebungsverfahren zu Recht gestutzt worden. Auch in diesem Bereich sollten wir aber in unserem Ehrgeiz nicht nachlassen und auch schwierige Bereiche wie Steuern, Insolvenzrecht oder Wertpapierrecht angehen.

Die internationale Rolle des Euro stärken

Für eine Stärkung der Kapitalmärkte spricht nicht zuletzt, dass es ja angesichts der geopolitischen Lage breite Unterstützung gibt, die internationale Rolle des Euro zu stärken. Und ohne liquide Finanzmärkte für in Euro gehandelte Wertpapiere wird das kaum gehen. In diesem Zusammenhang wird sich sicherlich die Frage noch einmal neu stellen, inwieweit Europa Safe Assets entwickeln sollte - Hand in Hand mit einer Revidierung der regulatorischen Behandlung von Staatsanleihen.

Ein Ziel einer stärkeren internationalen Rolle des Euro ist es ja, Europa und seine Wirtschaft weniger anfällig für externe politische Einflüsse zu machen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei in der Weiterentwicklung des Zahlungsverkehrs im Zeitalter von Fintechs und Bigtechs. Hier arbeiten wir an der Umsetzung der Zahlungsverkehrsrichtlinie PSD2 und beobachten die Entwicklung am Markt genau. Wir halten die zügige Entwicklung europaweiter leistungsfähiger Instant-Payment-Systeme für eine große Chance, sowohl den Wettbewerb als auch die Widerstandsfähigkeit des grenzüberschreitenden europäischen Zahlungsverkehrs zu stärken. Europa darf hier den Anschluss etwa an China nicht verlieren, wo Mobile Payments schon heute viel verbreiteter sind, und das schaffen wir letztlich nur gemeinsam. Die Arbeit in den verschiedenen Gremien ist dazu ja voll im Gange, nicht zuletzt unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesbank.

Schließlich und damit zum Schluss muss natürlich gerade die Finanzmarktregulierung und Aufsicht auf aktuelle Entwicklungen in den Finanzmärkten und in der europäischen und globalen Wirtschaft reagieren. Und Entscheidungen werden letztlich vom neuen Europaparlament und der neuen Kommission getroffen. Insofern blicken wir natürlich mit Spannung auf die Unsicherheit im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage und auf die Europawahlen im Mai.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich des Bundesbank-Symposiums Bankenaufsicht im Dialog am 19. März 2019 in Frankfurt am Main.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder und stellt keine Position der Europäischen Kommission dar.

Jan Ceyssens Mitglied im Kabinett von Vizepräsident Valdis Dombrovskis, Europäische Kommission, Brüssel
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