Strukturwandel bei Genossenschaftsbanken und Sparkassen - die soziale Bedeutung der Bankreserven

Professor Dr. Niklas Wagner, Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Finanzcontrolling, Dr. Harald Kinateder, Akademischer Rat, und Dr. Holger Blisse, Wien, lange Jahre Lehrbeauftragter, alle Universität Passau - Mit Blick auf die Strukturen der hiesigen und europäischen Bankenlandschaft registrieren die Autoren unter den heutigen regulatorischen Rahmenbedingungen wie auch der Zentralbankpolitik der Tendenz nach eine erwünschte gesellschaftliche Transformation in Richtung mehr Markt, Konkurrenz und Wettbewerb. Beide Formen der Verbundinstitute - also der privatrechtlich-genossenschaftlichen und der öffentlich-rechtlichen - stehen ihrer Einschätzung nach gegen eine stärker werdende Individualisierung, halten sie auf und bilden einen - über den Einzelnen und über eine einzelne Generation hinausreichenden - regionalen Kapitalstock. Dieser, so ihre Botschaft, sollte wie ein treuhänderisches Eigentum bei den Instituten verbleiben und die Eigentümer oder Träger keinesfalls motivieren, dieses Vermögen zu heben oder zu veräußern. (Red.)

Die Deregulierung in vielen Bereichen der Wirtschaft - beginnend in den 1980er Jahren - hat in der Kreditwirtschaft zu einer Hinwendung zum Markt, zu rascheren Veränderungen und neuen Finanzierungsformen geführt. Es setzte sich eine ertragsorientierte Sicht auf das Geschäft der Genossenschaftsbanken und Sparkassen durch. Bevor das Verständnis der Kreditinstitute als Institutionen des Vertrauens verblasst und durch neue vertragliche Arrangements ersetzt sein wird, erscheint es angebracht, eine rein erwerbswirtschaftliche Sicht zu relativieren.

Denn es ist "das Geld der anderen", also eine soziale Dimension, in der Kreditinstitute verantwortungsbewusst handeln, weil sie ihre Tätigkeit auf dem Geld ihrer Kunden und nicht nur ihrer Eigentümer gründen. Die Sparer dürfen darauf vertrauen, dass ihre Einlagen sicher sind und im Prinzip jederzeit zurückgezahlt werden können, was durch entsprechende Liquiditätsvorschriften der Aufsicht unterstützt wird.

In Richtung von kapitalbasierten Beteiligungsgesellschaften

In diesem Zusammenhang könnte die heutige Entwicklung am Ende, flankiert von zunehmenden Eigenkapitalanforderungen, in Richtung von kapitalbasierten Beteiligungsgesellschaften weisen. Ein solches Verständnis würde höhere Risiken rechtfertigen und die Möglichkeit eines Ausscheidens aus dem Markt durch Abwicklung fast selbstverständlich erscheinen lassen. Aus der Sicht der Einleger, die dann eher als Risikokapitalgeber und Kleininvestoren zu sehen wären, könnten damit sowohl das Verlustrisiko als auch die Ertragschancen zunehmen. Bislang konnten Einlagen - von staatlicher Seite garantiert, pro Institut und Einleger 100 000 Euro - als sicher gelten.

Ob dies auch in Zukunft so bleiben wird, ob eine Angleichung auf europäischer Ebene zu niedrigeren Standards führen wird oder ob Einlagen im Internetzeitalter datentechnisch sicher sind (oder aber im Gefolge eines Hacker-Angriffs "verschwinden"), das wird sich erst zeigen. Solange es Genossenschaftsbanken und Sparkassen gibt und diese ihre Transformationsfunktion erfüllen, erscheint es angebracht, eine Sicht auf diese Finanzintermediäre zu öffnen, welche die rein erwerbswirtschaftliche Funktion ergänzt.

Zwar gibt es große börsennotierte Kreditinstitute, die im wechselnden Eigentum von unterschiedlichen Investoren stehen - von Hedgefonds über Pensions- und Staatsfonds, Versicherungen bis hin zu privaten Anlegern und Kleinaktionären. Ein jeder verfolgt eigene Interessen, im häufigsten Fall ein Erfolgsziel: der Aktienkurs möge steigen, die Ausschüttung möge attraktiv sein. Dafür muss das Kreditinstitut erfolgreich wirtschaften. In der Niedrigzinsphase, in der Einleger kaum Zinsen bekommen und Kredite zu vergleichsweise niedrigen Sätzen vergeben werden, besteht die Gefahr, dass sich die Einleger verabschieden und alternative Anlageformen wählen, die ertragreicher, aber auch ris kanter sind. Der Sicherheitsaspekt tritt in den Hintergrund und der Bereitstellung von Krediten durch ein Kreditinstitut fehlt letztlich die Grundlage. Die Alternative besteht darin, dass die Kapitalsuchenden sich durch die Emission von eigenen Anleihen - vermittelt über Marktplätze (zum Beispiel Crowdfunding-Plattformen oder die Börse) - direkt an Investoren und Kleinanleger wenden.

Rahmenbedingungen durch die Zentralbankpolitik flankiert

Im Vorfeld einer erwünschten gesellschaftlichen Transformation in Richtung mehr Markt, Konkurrenz und Wettbewerb sind diese neuen Rahmenbedingungen durchaus passend gewählt und werden durch die Zentralbankpolitik flankiert. Vielleicht wird es weitere Institutionen geben, die Risiken und Chancen der Kredit suchenden Projekte feststellen und bewerten und den Zinssatz fundieren, wie es heute schon Ratingagenturen tun. Der tatsächlich realisierbare Zinssatz beziehungsweise das Entgelt für die Überlassung der Zahlungsmittel ergibt sich dann am Markt.

Es mag sogar ein Vorteil sein, zu bestimmen, welches Projekt gefördert wird. Ähnlich verhält es sich bereits beispielsweise bei ethisch- ökologisch-sozialen Kreditinstituten. Diese alternativen Kreditinstitute erlauben es ihren Einlegern, einen Verwendungszweck (zum Beispiel eine bestimmte Branche wie ökologische Landwirtschaft, Gesundheit und Soziales oder erneuerbare Energien) zu definieren, für den die Gelder als Kredite vergeben werden dürfen. Die Banken geben bekannt, wohin die Gelder tatsächlich geflossen sind und schaffen damit Transparenz über ihre Finanzierungsaktivitäten.

Ob die Bank dabei selbst als Marktplatz gesehen wird oder ob dafür ein eigener Markt geschaffen wird, das erscheint zweitrangig. Doch eine Perspektive geht verloren, wenn man der Marktlösung den Vorrang einräumt. Dann gibt es für das Finanzinstitut keinen Überschuss mehr aus der Intermediation - als Differenz zwischen Einlagen- und Kreditzins - sondern Überschüsse aus Provisionen für die Emission am Primärmarkt und die getätigten Finanztransaktionen am Sekundärmarkt, die Handels- und Marktanalyseaktivitäten abdecken. Aus Banking wird Investmentbanking. Die Zinsdifferenz des Finanzinstituts wird unter anderem einen Risikopuffer für mögliche künftige Kreditausfälle im Institut belassen. Bei der Marktlösung liegt dieser Puffer bei den Investoren, die ihre Kreditrisiken diversifizieren.

Lenkt man die Betrachtung auf die Perspektive eines Einzel- oder Familienunternehmens als Ausgangspunkt, so werden die Eigentümer darauf bedacht sein, um ihre Unabhängigkeit zu wahren, zunächst eigenes Geld im Unternehmen zu veranlagen. Eine Kreditaufnahme darüber hinaus bedeutet, dass ein Teil des unternehmerischen Erfolgs an das Kreditinstitut als Fremdkapitalgeber abfließt und dass zugleich die wirtschaftlichen Verhältnisse offengelegt werden müssen. Identifiziert man ein Kreditinstitut als den Ort, der dem Konsum entzogenes Kapital in Form von Einlagen geeigneten Investitionsmöglichkeiten zuführt, dann speist sich der Erfolg für das Kreditinstitut nicht nur aus der Analyse geeigneter Investitionsprojekte und des Risikomanagements, sondern auch aus der gesellschaftlichen Arbeitsteilung sowie der Bereitschaft zum Sparen und der Bereitschaft der unternehmerischen Kreditnachfrage, auf diese Kapitalbeiträge zurückzugreifen. Wenn man den in den Rücklagen enthaltenen Gewinn als einen erhalten gebliebenen Anteil am Erfolg der gesellschaftlichen Arbeitsteilung deutet, dann stellen die Reserven eines Kreditinstitutes etwas sehr Soziales dar: Sie sind eine Zusammenführung von vielen Einzelbeiträgen.

Besonders die genossenschaftlichen Institute sind hier zu betrachten. In diesen auf die Förderung ihrer Mitglieder, das heißt Eigentümer, gerichteten Instituten gilt der Grundsatz, dass die Reserven generationenübergreifend gedacht werden und beim Austritt eines Mitgliedes - anders als dessen Geschäftsguthaben - in der Genossenschaft verbleiben.1) In einem ähnlichen Verständnis sind die Reserven der Sparkassen angelegt, wenngleich diese Institute einen originär anderen Gründungszweck erfüllen.

Beide Formen - die privatrechtlich-genossenschaftliche und die öffentlich-rechtliche - stehen gegen eine stärker werdende Individualisierung, halten sie auf und bilden einen - über den Einzelnen und über eine einzelne Generation hinausreichenden - regionalen Kapitalstock. Dieser sollte wie ein treuhänderisches Eigentum bei den Instituten verbleiben und die Eigentümer oder Träger keinesfalls motivieren, dieses Vermögen zu heben oder zu veräußern.

Institutionen des gesellschaftlichen Zusammenhaltes

Der vom gegenseitigen Vertrauen und von sozialen Beziehungen abgeleitete Begriff des "Sozialkapitals" findet somit in den Reserven einer Genossenschaftsbank oder Sparkasse möglicherweise einen monetarisierten Ausdruck. Die Reduzierung der Bedeutung von Bankfunktionen durch die wachsende Bedeutung des Marktes und durch digitale Lösungen für Bankdienstleistungen schwächt insofern eine Institution des gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Dies könnte auch in der Richtung gelesen werden, dass sich innergesellschaftliche "Verteilungskämpfe" verstärken. Hier gilt es rechtzeitig ein Bewusstsein zu schaffen und gegenzusteuern solange noch genügend (H-)Orte dieses über die Zeit gewachsenen gesellschaftlichen Erbes existieren.

* Dieser Beitrag ist Frau Professor Dr. Margarete Wagner-Braun, Professur für Wirtschafts- und Innovationsgeschichte an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, zu ihrem besonderen Geburtstag in diesem Jahr gewidmet.

Fußnote

1) Es gibt nur einen kleinen gesetzlichen Gestaltungsspielraum, der die Ansprüche ausscheidender Mitglieder regelt. Er ist allerdings praktisch bedeutungslos geblieben (§73 Abs. 3 GenG).

Dr. Holger Blisse , Wirtschafts- und Sozialanalytiker, Wien
Noch keine Bewertungen vorhanden


X