Trotz Risiken mit "Mindfulness" effizient - was Banken heute von Kernkraftbetreibern lernen können

Dr. Friedhelm Boschert, Strategieberater, Executive Coach und Achtsamkeits-Trainer, Wien, und Christopher Tamdjidi, Geschäftsführer, Kalapa Leadership Academy, Bergisch Gladbach - Achtsamkeit ist eine Führungskompetenz. Anhand dieser Botschaft ziehen die Autoren Parallelen zwischen sogenannten Hochrisiko-Organisationen (HRO) und Banken. Wie bei HRO lässt sich mit einer entsprechenden Organisationskultur auch in Banken der Druck aus Risikovermeidung, Ertragszwängen und Kostendruck nur durch eine gelebte "Kultur der Achtsamkeit" effizient bewältigen. Ihr Motto: Weg von der lähmenden "Angst- und Kontroll-Kultur" hin zu einer neuen lebendigen "Achtsamkeits-Vertrauens-Kultur", in der Dynamik und Risikobewusstsein, Innovation und Motivation wieder den Alltag der Banker bestimmen. (Red.)

Der aufsichtsrechtllche Druck zur Begrenzung der Risiken im Bankgeschäft führt in den Banken zu einem extrem hohen Kontroll- und Verwaltungsaufwand. Gleichzeitig brechen im Niedrigzinsumfeld die Erträge weg, erweisen sich die Geschäftsmodelle als nicht nachhaltig. Der Versuch der "Quadratur des Kreises" aus Ertragssteigerung, Risikovermeidung und regulatorischen Zwängen lähmt. Sergio Ermotti, CEO der UBS, sprach von einer "Angstkultur in Banken", die es zu überwinden gelte.

Blick auf High Reliability Organisations

Auf dem Weg der Banken zu neuen Geschäftsmodellen und Unternehmenskulturen mag ein Blick auf "High Reliability Organisations (HRO)" hilfreich sein. Diese müssen - ähnlich den Banken - ihren Betrieb mit einem extrem hohen Grad an Zuverlässigkeit und Sicherheit führen. Luftfahrtgesellschaften oder Kernkraftwerkbetreiber sind typische HROs. Fehlversagen in Betrieb oder bei der Technologie kann zu einem extremen Gefahrenpotenzial führen.

Diese HRO zeichnen sich durch eine spezielle "Organisationskultur der Achtsamkeit" aus, fand schon vor Jahren der renommierte amerikanische Organisationsforscher Prof. Karl Weick heraus. Kurz gesagt: Man bekommt die hohen Risiken nicht durch ein Übermaß an Regeln in den Griff - sondern nur dadurch, dass Mitarbeiter Risikobewusstsein "als Kultur" leben. Dazu braucht es ein spezielles Prozessdesign. Neben redundanten Kontrollsystemen und permanenten Verbesserungen gehören dazu: die proaktive und positive Beschäftigung mit Ausfällen und Fehlfunktionen, eine organisationsweite Sensibilität für die Verletzlichkeit des Betriebes und ein offener Umgang mit Fehlern. Wie Forschung und Praxis zeigen, ist ein effizientes und risikominimierendes Arbeiten in einer solchen Organisation möglich, wenn eine durchgängig starke "Unternehmenskultur der Achtsamkeit" gepflegt wird. Und das kann auch in der derzeitigen Situation für Banken und Finanzdienstleister ein Weg aus der Lähmung sein.

Noch vor Jahren schauten deutsche Manager bei diesem Wort bestenfalls ratlos in die Runde. Mittlerweile hat sich das deutlich geändert, in vielen Firmen gehört das Training in Achtsamkeit bereits zum festen Punkt im Führungstraining. Um was geht es dabei? Achtsamkeit ist eine mentale Fähigkeit, die hilft, die eigenen Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensautomatismen besser zu erkennen und zielgerichtet zu lenken. Dazu lernt man "mentale Präsenz", also sich uneingeschränkt und vollständig auf den gegenwärtigen Moment zu fokussieren. Nicht länger der Getriebene seiner eigenen Gedanken, seiner Unruhe und Ängste zu sein, sondern wieder im Driver-Seat zu sitzen und sich selbst zu steuern.

Beispiel Entscheidungsverhalten: Die Qualität von Entscheidungen hängt maßgeblich von der richtigen Problemerkennung, der Bewertung von Alternativen und der richtigen Abschätzung der Konsequenzen ab. Achtsamkeit kann die Entscheidungsgüte deutlich verbessern: durch das Erkennen der eigenen blinden Flecken und urteilsverzerrenden Fehlmeinungen, durch eine richtig eingesetzte reflektierte Intuition, durch eine breite Wahrnehmung aller Einflussfaktoren. Was gerade für Kreditentscheidungen von zentraler Bedeutung ist. Achtsamkeit hat also nichts mit Entspannungstechnik zu tun, sondern ist eine zentrale Führungskompetenz. Und: Achtsamkeit kann auch Organisationsprinzip und Pfeiler einer neuen Unternehmenskultur in Banken sein. Was können Banken von High Reliability Organisations (HROs) und deren Umgang mit Achtsamkeit lernen? Dazu werden einige der Grundprinzipien von HRO (Weick, 1999) betrachtet und geprüft, wie das im Bankenalltag Anwendung finden könnte.

Der Umgang mit Fehlern

HROs haben eine hohe Sensibilität im Umgang mit Fehlern - kein Vertuschen, direkte Ansprache, unmissverständliche Konsequenzen. Im Banking wurden Fehlentwicklungen durch Erfolge oftmals zugedeckt und schnell vergessen. Aus Fehlern wird oft nicht gelernt. Wie kann das Konzept der Achtsamkeit zu einem klaren Umgang mit dieser allzu menschlichen Unzulänglichkeit beitragen? Man trainiert dabei, Dinge so zu sehen, wie sie sind, nüchtern, ohne vorschnell zu urteilen. Und ohne sich in der Fehleranalyse von alten Denkschablonen erneut fehlleiten zu lassen. Eine "Kultur der Achtsamkeit" ist die eines vorurteilslosen, offenen Umgangs mit Fehlern. HROs sind wie Banken hochkomplex. Daher sind vereinfachende Verfahren und Darstellungen notwendig - für Mitarbeiter wie für Kunden. Banken handeln mit komplexen, stark erklärungsbedürftigen Produkten, die Mitarbeiter und Kunden vereinfacht verstehen müssen. Das gilt auch für die bankinternen Risikoprozesse: keine Risikobeurteilung ohne eine reflektierte Vereinfachung. Kein Verkauf komplexer Produkte ohne ein tiefes Verständnis von dessen Struktur und Wirkungen - aber vereinfacht dargestellt. In einer "Kultur der Achtsamkeit" wird sensibel und präzise vereinfacht, ohne dabei zu vertuschen. Die Beschäftigten trainieren dazu das "fokussierte Denken".

Respekt vor der Expertise der "unteren Hierarchie"

HROs arbeiten mit komplexen und nichtlinear dynamischen Abläufen. Läuft die Zusammenarbeit nicht, steigt das Risiko. Bei Banken vergleichbar ist es das Zusammenspiel von Risikoabteilung, Marktbereichen und Kunden. Falsch verstandene Interessenlagen verhindern gemeinsam getragene Geschäfte oder schätzen Risikolagen falsch ein. Achtsamkeit trainiert nicht nur empathisches Wahrnehmen ("mit den Augen der anderen sehen") und das Zuhören ("erfahren, was der andere auch noch nicht weiß"), sondern fördert über den Helikopterblick auch eine ganzheitliche Betrachtungsweise. Eine Kultur der Achtsamkeit verändert die Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen einer Bank und trägt damit sowohl zur Produktivität als auch zur Risikominimierung bei.

HROs wissen, dass sie ihre Funktionen auch in kritischen Zeiten mit hohem Druck reibungslos erfüllen müssen. Die Belastbarkeit in solchen Zeiten hängt stark von der positiven Motivation der Mitarbeiter und Führungskräfte ab. Auch von deren Bereitschaft, ehrlich aus der Vergangenheit zu lernen und klare Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Für Bankmanager ist es angesichts von Krise und Paradigmenwechsel nicht einfach, sich den vergangenen Erfahrungen und alten Entscheidungen offen und ehrlich zu stellen. Achtsamkeit hilft dabei, die blinden Flecken zu entdecken und alte Denkmuster loszulassen. Dann erst ist der Weg frei für konstruktive und zukunftsorientierte Denkansätze und Problemlösungen.

HROs fordern, das Knowhow und die Risikoeinschätzungen der "unteren" Hierarchieebenen im Unternehmen sehr stark zu gewichten. Dort findet oftmals eine Früherkennung von negativen Entwicklungen und Fehlern statt. Nicht selten nur intuitiv greifbar, schwer beschreibbar - aber schon im Entstehen begriffen. In Banken findet man dagegen häufig eine stark ausgeprägte topdown Hierarchie. Diese steht dem Lernen aus der Alltagsarbeit der "unteren Ränge", beispielsweise aus den Erfahrungen der Schaltermitarbeiter, völlig entgegen. Achtsamkeitspraxis verhilft nicht nur zu einem reflektierten Umgang mit intuitiven Wahrnehmungen, sondern fördert über eine Kultur des Zuhörens auch die Qualität der Kommunikation zwischen den Hierarchieebenen in einer Bank.

Achtsamkeit leistet auch gewichtige Voraussetzungen für die Innovationsfähigkeit. Neurowissenschaftliche Forschungen zeigen, dass kreative Problemlösung meist durch "spontane Einsicht" stattfindet, und auch, das solche Einsichten oft durch zu viel "Lärm" im Kopf verloren gehen. Man muss in der Lage sein, den Geist in gewissem Maß zur Ruhe zu bringen, um zu neuen Ideen und Sichtweisen - nämlich neuen Verknüpfungen im neuronalen Netzwerk - zu gelangen.

In vielen Banken herrscht heute ein lähmendes Klima aus Überregulierung und Angst, das jegliche innovativen Ansätze im Keim erstickt. Neue Ideen für die Funktion der Banken in der Zukunft? Neue Geschäftsmodelle? Neue Ansätze für die Kunden- und Stakeholder-Beziehungen? Fehlanzeige. Ängste machen das Denken eng! Achtsamkeitsmethoden helfen hier, die Denkbarrieren zu erkennen, die Wahrnehmung zu weiten. Und vor allem, alte Denkmuster zu erkennen und loszulassen. Gerade letzterer Punkt ist in Prozessen der Strategiefindung das zentrale Problem. Mit einer "Kultur der Achtsamkeit" werden Räume für neues Denken geschaffen, wird Kreativität gefördert. Gerade das brauchen Banken heute dringender den je, um ihre Innovationskraft wieder zu gewinnen.

Und last but not least. Kein Kulturwandel ohne Achtsamkeit. Im Sommer vergangenen Jahres erinnerten die G30, eine internationale Gruppe renommierter Banker und Bankenexperten, an den überfälligen Wandel der Unternehmenskultur der Banken. Sie sehen darin den entscheidenden Schritt, das Vertrauen zu Öffentlichkeit und Kunden wiederherzustellen. Obwohl vielerorts schon Fortschritte zu sehen seien, hakt es noch an einem gewichtigen Punkt: "Banks are still failing in implementation ... there appear to be systemic weaknesses in embedding these values and codes of conduct in employees' lives and the way of doing business within firms" (G30, Seite 12).

Zu den hinderlichen "systemimmanenten Schwächen" zählen vor allem die schon erwähnte Überbürokratisierung, gerade auch der Verkaufsprozesse, und die angstgetriebene "Fehlervermeidung um jeden Preis". Sie vor allem sind es, die den Aufbau eines neuen Selbstverständnisses der Banken verhindern. Die große Herausforderung ist, das neue Selbstverständnis, neue Verhaltensregeln und Werte-Kanone zu einem integralen Bestandteil des Führungsund Arbeitsalltags der Bankbeschäftigten zu machen. Achtsamkeitsmethoden können hierbei nicht nur die gesamte Kommunikation in der Bank verändern, sie schaffen auch die Grundlage für eine offene, innovative Unternehmenskultur.

Forschungsergebnisse eindeutig positiv

Achtsamkeit fällt nicht vom Himmel, sie kann und muss trainiert werden. In Deutschland wurden gemeinsam mit der Universität München/Hochschule Coburg in den Jahren 2013 bis 2015 in einer Reihe von Unternehmen Forschungsprojekte durchgeführt (unter anderem Bosch, Beiersdorf, ZF Lenksysteme, TDS/Fujitsu, dm Drogeriemärkte), um die Wirkung von Achtsamkeitstraining am Arbeitsplatz und in der Führung zu untersuchen. Über 700 Teilnehmer haben bisher an den Projekten teilgenommen. Und die Ergebnisse zeigen einen durchschlagenden Erfolg: Nicht nur die Konzentrationsfähigkeit der Mitarbeiter und Führungskräfte hat sich bereits nach kurzer Zeit sichtbar verbessert. Auch das Stressverhalten, die Zufriedenheit am Arbeitsplatz, die Zusammenarbeit im Team und die innerbetriebliche Kommunikation weisen ebenfalls deutliche Verbesserungen auf. Die Trainings- und Forschungsprogramme werden nun - gemeinsam mit Bankern, Finanzexperten und der University of Oxford - auf die spezifische Situation und die Führungsanforderungen der Banken und Finanzdienstleister angepasst. Erste Programme in Banken laufen bereits.

Dr. Friedhelm Boschert , Geschäftsführer , Mindful Finance Institute MIFI GmbH, Wien
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