Weiterentwicklung des Euro - Fokus auf den europäischen Mehrwert setzen

Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken

Quelle: BVR

Die Einstellung der Bürger zum Projekt Europa ist besonders in Deutschland, aber auch in den anderen Ländern der Währungsunion überwiegend positiv. Aber ein Versagen in der Organisation und Steuerung der grundlegenden wirtschaftlichen und finanziellen Strukturen droht seine Fundamente zu erschüttern. Mit Blick auf die Weiterentwicklung der Idee Europa und seiner einheitlichen Währung plädiert die Autorin auf eine stärkere Orientierung auf das Subsidiaritätsprinzip und eine gewisse Anpassung der Umsetzungsgeschwindigkeit an das Machbare. Zu den Problemfeldern rechnet sie den immer noch zu hohen Bestand an leistungsgestörten Krediten, die hohe Verflechtung von Banken und Staaten und einen Abbau der Staatsschulden unter glaubwürdiger Einhaltung der Regeln. (Red.)

Vor 20 Jahren stellte die Europäische Währungsunion eine "historische Dimension der europäischen Einigung" dar, wie es der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher schon ein Jahr zuvor bei der Bundestagsabstimmung zur Euro-Einführung formulierte. Wie bei jeder Innovation gab es seinerzeit aber auch Befürchtungen, die die öffentliche Diskussion mitprägten: Wird der Euro so stabil sein wie die D-Mark? Und werden die Mitgliedsstaaten eine solide Finanzpolitik betreiben? Inzwischen ist längst klar: Der Euro ist eine stabile Währung. Und: In den Augen der meisten europäischen Bürger ist er heute ein voller Erfolg.

Hohe Zustimmung in Deutschland und Europa

Fast zwei Drittel beurteilen nach den Angaben des Eurobarometers vom Oktober 2018 die Gemeinschaftswährung als eine "gute Sache" für ihr Land und sogar knapp drei Viertel schätzen sie als gut für die Europäische Union (EU) ein. Wer die in jüngster Zeit nicht immer unaufgeregte Debatte über die europäische Politik in Deutschland verfolgt, mag überrascht sein. Die Zustimmung ist jedoch in Deutschland sogar noch etwas höher als im europäischen Durchschnitt.

Die positive Einschätzung des Euro ist wichtig und erfreulich. Man sollte sich insgesamt noch einmal vor Augen halten: Europa einschließlich der gemeinsamen Währung erbringt eine immense Leistung für Wohlstand, Demokratie und Frieden. Die hohe Zustimmung zum Euro darf aber nicht Anlass sein, sich entspannt zurückzulehnen. Stattdessen sollte sie ein Ansporn sein, die bestehenden Herausforderungen bei der Weiterentwicklung des Euro umso entschlossener anzugehen, damit sein Erfolg dauerhaft gesichert werden kann. Die immer wieder aufflackernden zentrifugalen Tendenzen in Europa und der im März 2019 stattfindende Brexit machen dies noch dringlicher; ebenso protektionistische Tendenzen wie aus den USA. Aber welche Richtung sollte der Euro in seiner Weiterentwicklung einschlagen?

Subsidiarität als Leitprinzip

Für die Weiterentwicklung des Euroraums und der EU insgesamt ist ein realistisches Zielbild für die kommenden Jahre notwendig. Klar ist, dass es für eine immer weiterreichende Zentralisierung kein Mandat der Bürgerinnen und Bürger in Europa gibt. Dies gilt insbesondere für eine tiefere fiskalische Integration wie etwa in Form eines umfassenden Budgets für den Euroraum zur Stabilisierung bei konjunkturellen Schwankungen in den Mitgliedsstaaten. Die meisten Bürgerinnen und Bürger empfinden sich zwar auch als Europäer, sind aber vor allem ihrem Heimatstaat und der Region, in der sie leben, verbunden. Insofern überrascht es nicht, dass die Bereitschaft der nationalen Parlamente, Souveränitätsrechte an die EU abzutreten, gering ist.

Aus diesen Gründen sollte die weitere europäische Integration nur dort angegangen werden, wo sie einen hohen Mehrwert für die Gesellschaft und Wirtschaft hat. Dies entspricht auch dem in den europäischen Verträgen verankerten Subsidiaritätsprinzip. Demnach sollte die europäische Ebene nur dann tätig sein, wenn die entsprechenden Maßnahmen auf regionaler oder nationaler Ebene nicht ausreichend verwirklicht werden können.

In zahlreichen Politikbereichen ist mehr Europa eine sinnvolle Perspektive. Dies gilt vor allem für typische öffentliche Güter, bei denen die Gemeinschaftsebene eine wichtige Rolle spielen kann. Dies gilt unter anderem bei der Sicherung der Grenzen, der Verteidigungspolitik, der Terrorismusbekämpfung und der Klimapolitik. Hier könnte die europäische Politik dazu beitragen, Probleme besser zu lösen, die die Bürgerinnen und Bürger in Europa aktuell am meisten bewegen. Einwanderung und Terrorismus wurden in den Bevölkerungsumfragen in den vergangenen Jahren stets als die wichtigsten beiden Probleme der EU identifiziert, die wirtschaftliche Lage und die öffentlichen Finanzen der Mitgliedsstaaten folgen erst auf den Plätzen drei und vier.

Im Bereich der Wirtschaftspolitik ist der Nutzen einer immer weiter fortschreitenden Vertiefung der Integration hingegen an vielen Stellen zu hinterfragen. Eine Verlagerung von Aufgaben auf die europäische Ebene sollte nur in dem Maß vollzogen werden, in dem das Subsidiaritätsprinzip dies zulässt. Haftung und Kontrolle müssen dabei stets aneinandergekoppelt sein, um das Entstehen schädlicher Anreizstrukturen zu verhindern.

Euro-Reformen - Qualität wichtiger als Geschwindigkeit

Von vielen Seiten wird kritisiert, dass das Reformtempo der Eurogruppe aktuell geringer ist als während der Staatsschuldenkrise. Doch muss dies kein Nachteil sein. Zum einen geht Qualität vor Geschwindigkeit. Zum anderen sind wesentliche Arbeiten an der Euro-Architektur bereits vollzogen und es geht jetzt vor allem darum, die bestehenden Lücken zu schließen. Die weitere Arbeit an den institutionellen Grundlagen des Euro sollte sich darauf konzentrieren, die verbleibenden Schwachstellen zu beseitigen sowie die Hausaufgaben von Maastricht nachhaltig zu erfüllen.

Eine wesentliche Ergänzung des Euro-Regelwerks war die Einrichtung des Rettungsschirms ESM im Jahr 2012, um Mitgliedsstaaten in finanzieller Schieflage zurück auf einen tragfähigen finanzpolitischen Kurs zu leiten. Das Prinzip der strikten Konditionalität, wonach Hilfsprogramme auch in Zukunft streng an wirtschaftspolitische Reformen geknüpft bleiben, hat sich als Kernelement der finanziellen Hilfe bewährt. Zu begrüßen ist, dass sich die Eurogruppe bei den jüngsten Beschlüssen zur Reform des ESM Anfang Dezember 2018 klar zur Beibehaltung dieses Prinzips bekannt hat.

Auch ist es richtig, dass die Eurogruppe klären will, unter welchen Bedingungen vorsorgliche Liquiditätshilfe an Mitgliedsstaaten mit gesunden Fundamentaldaten vergeben werden kann. Die Eurogruppe hat hierzu auch quantitative Kriterien als Orientierungsgrößen für die Entwicklung der öffentlichen Defizite und der Verschuldung festgelegt. Dabei besteht aber die Gefahr, dass bei der vorgesehenen Prüfung des haushaltspolitischen Kurses - ähnlich wie bei der Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspakts - die Auslegungsspielräume überdehnt werden. Würden die genannten Kriterien richtigerweise eng ausgelegt, wäre der Zugang zur Liquiditätshilfe zumindest für Italien aktuell nicht gegeben, während Spanien und Portugal aufgrund der Rückführung der Staatsdefizite und ihrer Staatsschuldenquoten in den vergangenen Jahren Liquiditätshilfe erhalten könnten.

Bestand an leistungsgestörten Krediten immer noch zu hoch

Nachvollziehbar ist auch die von der Eurogruppe beschlossene Weiterentwicklung der Bankenunion durch die Einrichtung eines Backstops, also einer Kreditlinie für den europäischen Bankenrettungsfonds SRF beim Europäischen Stabilitätsmechanismus. Es ist aber weiterhin eine Fehlkonstruktion, dass auch kleine und mittelgroße Banken zur Finanzierung des Abwicklungsfonds herangezogen werden, obwohl dessen Mittel nur bei größeren systemischen Instituten zum Einsatz kommen. Nun kommt es darauf an, dass die geplante frühzeitige Einführung vor dem Jahr 2024 tatsächlich an eine deutliche Verringerung der Risiken in den Bankbilanzen geknüpft wird.

Aktuell sind die Bestände leistungsgestörter Kredite in den Bankbilanzen noch viel zu hoch. Die bisherigen Fortschritte sollte man nicht kleinreden. Die Europäische Zentralbank meldet für die von ihr beaufsichtigten Banken eine Verringerung des betroffenen Kreditvolumens von Mitte 2016 bis Mitte 2018 um immerhin 30 Prozent auf 657 Milliarden Euro beziehungsweise 4,4 Prozent der ausstehenden Forderungen. Doch sind die leistungsgestörten Kredite zwischen den Mitgliedsstaaten sehr ungleich verteilt. Beispielsweise sind in Griechenland, Zypern, Portugal und Italien noch 45 Prozent, 29 Prozent, 15 Prozent beziehungsweise 9 Prozent der Forderungen leistungsgestört, während der Anteil etwa in Deutschland nur bei 2 Prozent liegt.

Die Fortschritte beim Abbau der bestehenden Risiken sollten bei der Einführung des Backstops für den europäischen Bankenrettungsfonds SRF oder auch mit Blick auf weitere Maßnahmen daher nicht an der Entwicklung der notleidenden Kredite im Durchschnitt des Euroraums, sondern an dem Abstand der Mitgliedsstaaten zu den Benchmarkländern mit den niedrigsten Quoten gemessen werden.

Die enge Verflechtung zwischen Banken und Staaten war einer der Gründe für die Tiefe und Dauer der Euroschuldenkrise. Im Rahmen der Bankenunion sind Maßnahmen getroffen worden, die Staaten vor den Folgen von Bankenschieflagen zu schützen. Doch muss auch gewährleistet werden, dass Schieflagen der Staatsfinanzen nicht das Finanzsystem des betreffenden Landes gefährden. Dies ist auch wichtig, um eine Restrukturierung von Staatsschulden glaubwürdig zu machen.

Staaten und Banken noch zu eng verflochten

Um die Risiken von staatlichen Schieflagen auf Banken zu vermindern, ist es entscheidend, dass die Risiken der Banken aus der Kreditvergabe an Staaten angemessen berücksichtigt werden. Hierzu sollte die Behandlung der Staatskredite in der europäischen Bankenregulierung verändert werden. Bislang gibt es keine quantitative Begrenzung für Forderungen gegenüber Staaten und keine Eigenkapitalunterlegung solcher Forderungen, sofern diese in Euro vergeben wurden. Auch gelten marktfähige Forderungen gegenüber Staaten in der Liquiditätsregulierung als in voller Höhe sicher.

Die Berücksichtigung des Risikos aus Staatsanleihen in den Bankbilanzen könnte aus zwei Komponenten bestehen, einer quantitativen Obergrenze und einer Eigenkapitalunterlegung, die greift, wenn Schwellenwerte überschritten werden. Beide Komponenten sollten so angepasst werden, dass für Forderungen gegenüber Staaten mit einwandfreier Bonität möglichst geringe quantitative Begrenzungen und zusätzliche Eigenkapitalbelastungen entstehen. Ansonsten entstünden große Nachteile für europäische Banken im globalen Wettbewerb.

Schuldenabbau muss zügig vorangetrieben werden

Eine der zentralen Schwachstellen des Euroraums bleibt nach wie vor die viel zu hohe Staatsverschuldung. Die Staatsschuldenquote des Euroraums ist mit 87 Prozent der Wirtschaftsleistung zwar etwas zurückgegangen, zum Höhepunkt der Staatsschuldenkrise hatte sie 2014 noch bei 94 Prozent gelegen, bleibt aber weit oberhalb des Maastrichter Grenzwerts von 60 Prozent. Der Rückgang ist zudem zu großen Teilen auf den deutlichen Schuldenabbau der Niederlande und Deutschlands zurückzuführen, während die Fortschritte gerade bei den Hochschuldenländern Italien, Frankreich und Spanien gering waren. Deutschland ist es vor dem Hintergrund des langen konjunkturellen Aufschwungs gelungen, die Schuldenquote um 20 Prozentpunkte auf rund 60 Prozent im Jahr 2018 zu verringern.

Die Bedeutung einer stabilitätsgerechten Finanzpolitik kann in einer Währungsunion nicht hoch genug eingeschätzt werden. In wirtschaftlich schwierigem Fahrwasser haben hoch verschuldete Staaten einen geringen Spielraum, fiskalisch gegenzusteuern. Auch besteht die Gefahr eines Vertrauensverlustes an den Finanzmärkten. Die von Investoren geforderten höheren Renditen sind dann umso schwerer zu stemmen. Und schließlich kann auch das Vertrauen in die Gemeinschaftswährung geschwächt werden, wenn die Schuldenquote nicht nur in einzelnen Mitgliedsstaaten, sondern auch im Währungsraum als Ganzem übermäßig ist.

Vollkommen unakzeptabel ist es daher, wenn das Einhalten der gemeinsamen Haushaltsregeln generell infrage gestellt wird, wie durch die aktuelle italienische Regierung. Es ist nur folgerichtig, dass Italien mit seiner Position unter den Euro-Mitgliedsstaaten aktuell isoliert ist. Die Einleitung der ersten Schritte auf dem Weg eines Defizitverfahrens durch die europäische Kommission war eine notwendige Konsequenz. Zu hoffen bleibt, dass Italien in den kommenden Monaten eine Kehrtwende vollzieht und auf einen tragfähigeren finanzpolitischen Kurs einschwenkt, sodass auf finanzielle Sanktionen doch noch verzichtet werden kann.

Der mangelnde Respekt der italienischen Politik vor dem europäischen Regelwerk ist zum Teil aber auch hausgemacht. Immer wieder wurde in der Vergangenheit der Stabilitäts- und Wachstumspakt inkonsequent angewendet. Beginnend mit dem überhöhten Defizit Deutschlands im Jahr 2003, bei dem mit politischem Druck das Defizitverfahren gestoppt wurde, bis hin zu den Sanktionen über null Euro gegen Spanien und Portugal im Jahr 2016 wurde immer wieder eine "Hintertür" gefunden, um Staaten mit überhöhten Defiziten am Ende doch noch vor Sanktionen zu bewahren.

Glaubhafte Anwendung von Regeln

In Zukunft müssen die Regeln glaubwürdig angewendet werden, damit die Haushaltsregeln auch zu einer nachhaltigeren Politik beitragen. Hierzu sollte der Stabilitätspakt deutlich vereinfacht und geschärft werden. Dies sollte ein wichtiges Vorhaben der neuen Europäischen Kommission nach der Europawahl sein. Sie sollte sich künftig weniger als "politische" Kommission, sondern vor allem wieder als "Hüterin der Verträge" verstehen. Die Akteure in der Finanzindustrie genauso wie die politisch Handelnden, sind in der Verantwortung, durch solides und vorausschauendes Agieren dafür zu sorgen, dass die eingangs erwähnte positive Einstellung zum Projekt Europa nicht durch ein Versagen in der Organisation und Steuerung der grundlegenden wirtschaftlichen und finanziellen Strukturen erschüttert wird. Ein nachhaltig stabiler Euro gehört gewiss dazu.

Marija Kolak Präsidentin, Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Berlin
Marija Kolak , Präsidentin , Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e. V. (BVR)
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