Zehn Jahre Subprime-Krise: Rückblick und Ausblick aus der Sicht der Spieltheorie

Volker Bieta, Foto: V. Bieta

Mehr als zehn Jahre nach der Subprime-Krise betrachtet der Autor die Entwicklungen der Finanzwirtschaft im Lichte der (Finanz-)Mathematik. Stochastische Modelle sind die Arbeitspferde der Finanzindustrie. Mit diesem Befund skizziert er den Durchbruch zu einer immer stärkeren Mathematisierung der Ökonomie seit den fünfziger und insbesondere den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Durch optionspreistheoretische Überlegungen sieht er die Logik im Banking dahingehend verändert, dass Finanzmodelle in den Rang einer Naturwissenschaft erhoben wurden, die Banker die komplizierten Formeln aber oft nicht mehr in die Bankenwelt zurückübersetzen konnten und gerade durch das Mehr an vermeintlicher mathematischer Kontrolle mehr Risiko eingegangen wurde, als man es sonst gewagt hätte. Zur Auflösung der Widersprüche der Finanzmarkttheorie lenkt er den Blick auf die Spieltheorie. (Red.)

Zehn Jahre nach der Subprime-Krise liegt die Finanzmarktheorie weiter windschief zur Empirie. Die Kritik, durch den Homo oeconomicus als zentralem, mechanistischem Verhaltensmodell durch einen im Kern naturwissenschaftlichen Anspruch einem falschen Menschenbild verhaftet zu sein, bleibt nicht in den Grenzen des herrschenden stochastischen Paradigmas. Ist die Beziehung von Mathematik und Finance eine Liaison Dangereuse? Albert Einsteins Bonmot "Man kann ein Problem nicht mit der gleichen Denkweise lösen, mit der es erschaffen wurde" führt bei Problemlösungen auf das Feld der Spieltheorie.

Langfristige Gleichmäßigkeit als Basis für Prognosen

Random Walker: 1827 beschrieb der Botaniker Robert Brown unregelmäßige, ruckhafte Bewegungen mikroskopisch kleiner Teilchen im Wasser. Die Zickzack-Muster griff Louis Bachelier 1900 in der Dissertation Théorie de la Spéculation auf. Als er keine statistischen Regelmäßigkeiten fand, um eine Bewertungsformel für Rentes (eine Art Bundesanleihe) anzugeben, nahm er an, dass Kurse zufälliger Natur sind. Für das Schwanken setzte er eine Brownsche Bewegung an. In dieser Welt gibt es keine systematischen Gewinne für Spekulanten, wenn an der Börse laufend Kauf- oder Verkaufsorder eintreffen, die den Kursen (wie den Teilchen in Gasen) zufällig informative Stöße nach oben (up) oder unten (down) geben. Wie der Münzwurf ist das Geschehen ein faires Spiel. Dem Betrag nach ein Nullsummenspiel (einer kann nur gewinnen, was ein anderer verliert) sollen die Kurse ohne Gedächtnis (das heißt unabhängig von vorher realisierten Kursen) wegen der gleichverteilten Chancen ohne große Sprünge und hinreichend glatt zufällig schwanken (Random-Walk-Theorie) und einem Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage entsprechen. Dabei produziert der Zufall nach dem Gesetz der großen Zahlen langfristig eine Gleichmäßigkeit, auf der Prognosen aufsetzen können.

Durch das Heranziehen der Brownschen Bewegung und der Annahme, dass der Finanzmarkt den Gesetzen der Physik gehorcht, war Bachelier der Zeit weit voraus. Heute ist die Brownsche Bewegung in ihren inzwischen vielen Varianten in der Finanzmathematik allgegenwärtig. Dabei treibt die Finanzindustrie an, dass der zentrale Grenzwertsatz die probabilistische Entscheidungslogik für das Risiko von Entscheidungen liefert und mit hypothetischen Wahrscheinlichkeiten bequem gerechnet werden kann. Da alle Marktteilnehmer durch die Münzwurfanalogie geklonte Random Walker (Homines oeconomici) sind, die gleiche Gewinn- und Verlustchancen haben, kann vom Verhalten Einzelner auf das Verhalten des Systems geschlossen werden.

Ein Vorgriff auf die Problematik der modernen Finanzmarkttheorie

Der Zufallsspaziergang eines Finanzmarktteilnehmers gleicht dem Heimweg eines desorientierten Betrunkenen: Jeder seiner Schritte ist schwer vorhersagbar. Ungewiss ist, welchen Weg er, oft heftig schwankend, wählen wird, wenn das Gleichgewicht und die Orientierung verloren gehen. Gewiss ist nur, dass er ein Ziel hat. Bacheliers Idee, die Mikroebene der Akteure, die alles verändern kann, auszublenden, damit auf der Makroebene die Finanzmärkte durch den mathematischen Kern eines physikalischen Phänomens vorausbestimmte Systeme sind, wurde mit der Hypothese, dass die Märkte effizient und die Marktteilnehmer rational sind und die Märkte stets die öffentlich verfügbare Information korrekt zeigen (Efficient Market Hypothesis) zum Credo der Modern Portfolio Theory fortentwickelt. Ob dadurch die Realität angemessen beschreiben wird oder nicht spielt keine Rolle.

Endgültig etabliert wurde Bacheliers um 1900 sehr fortschrittliche Theorie 100 Jahre später durch das schlichte Muster von Ursache und Wirkung aber sehr grobe Näherung der Marktdynamik von Paul Samuelson in den 1960er Jahren. Sein Ansatz der geometrischen Brownschen Bewegung vermied negative Werte, die die Pfade Brownscher Bewegungen fast sicher annehmen müssen. Heute kann Quantitative Finance zum Beispiel durch die Lévy-Modelle auch das sprunghafte Verhalten der Aktienkurse beschreiben. Dass der Einsatz fortgeschrittener Stochastik die über 100 Jahre alte Einsicht sichert, dass Optionsgeschäfte korrekterweise (zwar nicht als faire Spiele betrachtet, aber) so analysiert werden können, als wären sie faire Spiele, wirft durch die Begrenztheit des Random-Walk-Modells an Erkenntnis und Erklärung die grundsätzlichen Fragen der Kritiker auf.

Ein frühes Zeugnis dafür, dass Finanzmathematik à la Bachelier zu stark idealisiert, legte Henri Poincaré ab. Die Jury um den berühmten Mathematiker war nur mäßig begeistert von der Dissertation. Poincaré reichte das Argument der Arbeit nicht weit genug. Er kritisierte, dass Bachelier übersehen habe, dass das Untersuchungsobjekt ein Mouton de Panurge (Herdentier) ist. Da mit Herdenverhalten stets gerechnet werden muss (mancher nutzt das Herdenverhalten anderer zum eigenen Vorteil, mancher wird auch selber Teil der Herde) hat man es mit einem systematischen Fehler zu tun. Es wird sich zeigen, dass Poincarés Kritik fast schon prophetisch der Problematik der modernen Finanzmarkttheorie vorgreift.

Dass Bachelier aus den Augen verloren hatte, dass am Finanzmarkt Menschen unterwegs sind, die, wie Immanuel Kant es formulierte, aus krummem Holz geschnitzt sind, ist ein grundsätzliches Problem. Heute zeigt es sich im als nicht befriedigend erachteten Erklärungs- und Prognosewert stochastischer Finanzmarktmodelle. Da seit Bacheliers Zeiten die induktive Methode (die Statistik nutzt Daten der Vergangenheit, um Aussagen über die Zukunft zu machen) dominiert und die Zulässigkeit der Methode im Sinn von Karl Popper nicht wirklich hinterfragt wird, erinnern die Irritationen heute an die Einschätzung von Lord Kelvin, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts am Himmel der allumfassenden klassischen Physik nur noch zwei Wolken sah, die bald beseitigt würden. Eine Wolke war die nicht befriedigend erklärbare Strahlungsverteilung eines schwarzen Körpers. Während Kelvin überzeugt war, dass nur noch kein ausreichend verfeinertes mechanisches Modell dafür erdacht worden sei, sollten in den folgenden Jahren die Experimente dazu zur Quantenmechanik und Relativitätstheorie führen.

Gefahr von Fehlanreizen

Am Himmel der Finanzmarkttheorie sind komplexe Phänomene die dunklen Wolken. Stets gefährdeten Fehlanreize, Moral Hazard und Gier das Geld am stärksten. Die an Bedeutung gewinnende verhaltenspsychologische Lehre der Behavioral Finance, die untersucht, wie Marktteilnehmer entscheiden, hakt am Problem ein, dass Bacheliers Erben durch die methodische Begrenztheit stets das gleiche Spiel spielen müssen und in diesem Spiel die Zukunft so bekannt ist wie die Gegenwart. Behavioral Finance lässt das Geschäftsmodell, dass Banker die in innovativen Produkten steckenden mathematischen Resultate nur noch zügig umsetzen müssen, als riskant erscheinen. Dass zur Anatomie der Subprime-Krise die Erkenntnis gehört, dass Risiken durch die Mathematik nicht nur minimiert, sondern in einer bisher unbekannten Größenordnung auch geschaffen werden können, erinnert an Albert Einsteins Aperçu "Nicht alles, was man zählen kann, zählt auch, und nicht alles, was zählt, kann man zählen".

Dem Zusammengehen von Physik und Ökonomie sind offensichtlich Grenzen gesetzt, die zu beachten sind. Wie kam es dazu, dass die Finanzindustrie nur deshalb ein kalkuliert großes Rad drehen kann, weil ausschließlich geklonte Random Walker unterwegs sein können, die dafür sorgen, dass Finanzmärkte durch den mathematischen Kern eines physikalischen Phänomens vorausbestimmte Systeme sind?

Durchbruch der Stochastik: In den 1950er Jahre begann mit Paul Samuelsons Modelling Revolution die rigorose Mathematisierung der Ökonomik. Ein Höhepunkt war das Jahr 1973, in dem Fischer Black und Myron Scholes (mit Robert Merton) ein Modell angaben, das zentrale Probleme beim Optionshandel löste. Das Modell ist eine allgemeine Methode zur präferenzfreien Bestimmung des theoretisch korrekten (fairen) Preises von Derivaten in stetiger Zeit. Black und Scholes hatten erkannt, dass das Bestimmen einer Risikoprämie (woran Samuelson scheiterte) überflüssig ist, da diese schon im Preis des Basisinstrumentes enthalten ist. Die Beziehung der Preise von Basisinstrument und Derivat folgt aus der Konstruktion eines risikolosen Portfolios (beim sogenannten Hedging sind Derivat und Aktie durch Umschichtungen so zu mischen, dass sich das Portfolio auch während der Laufzeit der Option risikolos halten lässt) und Arbitrage-Argumenten (bei fairen Preisen gibt es weder freie Mahlzeiten (Free Lunch) noch Goldesel (Money Pumps)). Dass sich Risiken nicht nur durch neue Instrumente, sondern auch durch Umschichtungen von Portfolios absichern lassen, war richtungsweisend.

Basis für eine veränderte Finanzwelt

Einzige Unsicherheitsquelle ist die geometrische Brownsche Bewegung. Die Risikoneigung der Marktakteure spielt keine Rolle. Mathematisch wird das Bewertungsproblem mit Itos Lemma auf eine partielle Differenzialgleichung zurückgeführt, die jedes nur vom Basistitel und der Zeit abhänge Finanzprodukt erfüllen muss. Die Rückführung auf die Wärmeleitungsgleichung liefert dann die Gleichung, durch die Optionen erstmals eindeutig bewertet werden konnten. Die Annahme einer risikoneutralen Welt (was mathematisch den Wechsel des Wahrscheinlichkeitsmaßes bedeutet) reduziert das Option Pricing auf das Bestimmen von Erwartungswerten. Ende der 1970er Jahre bahnte Eugene Famas Markteffizienzhypothese der Voll-Stochastisierung der Disziplin dann endgültig den Weg. Die These, dass Finanzmärkte neue Informationen sofort und richtig bei der Bildung fairer Preise berücksichtigen und Preisanpassungen die Kurse im Gleichgewicht halten, manifestiert sich in deren Random-Walk-Muster. Danach macht der Markt keine Fehler. Finanzkrisen müssen nicht vorhergesehen werden, da es sie nicht gibt.

Der Scientific American schreibt euphorisch "Die Black-Scholes-Gleichung war für die Finanzwirtschaft, was Newtons Mechanik für die Physik war. Black-Scholes ist die Art von Fundament, auf dem alles andere aufbaut.". Optionsgeschäfte galten seit der Eröffnung der Chicago Board Options Exchange (1972) nicht mehr als Glücksspiel und das Bedürfnis nach Spekulation und Absicherung bekam auch eine neue Qualität, weil der Zusammenbruch des Systems fixer Wechselkurse (1973) durch stärkere Kursschwankungen neue Risiken schuf, die abzusichern waren. Zugleich lieferten Mathematiker den Banken mit einer Formel das Werkzeug, um für das Wetten auf zukünftige Kursverläufe komplexe Finanzprodukte (Derivate) zu kreieren. All das veränderte die Finanzwelt.

Finanzmanufakturen mit naturwissenschaftlicher Expertise

Der Finanzsektor integrierte zügig die Idee der Optionalität in die Geschäftsmodelle. Banken begannen die neuen Finanzrisiken zu bewerten, zu kontrollieren und zu managen. Die innovativen Chancen, die das Quantitative Finance bei der Wertpapierfinanzierung (statt Kreditfinanzierung) bot, beschleunigte den Prozess der Strukturverschiebung im Bankensektor (Investment-Banken als Arrangeur von Kapitalmarkttransaktionen) und vergrößerte den Markt drastisch auch durch Produkte (Derivate), die oft nicht gut verstanden wurden und denen der Regulierungsrahmen nicht immer gewachsen war. Auch wenn der empirische Befund schon früh das Gegenteil zeigte: Das Risiko der Werteentwicklung von Derivaten galt ab Mitte der 1970er Jahre als mathematisch beherrschbar.

Durch das Einfließen optionspreistheoretischer Überlegungen in viele Bereiche und den Sog von "The Myth of Financial Innovation" (Economic Journal) wurden Banken zu Finanzmanufakturen, die sich vermehrt mit naturwissenschaftlicher Expertise ausstatteten. Dabei veränderte die apriorische Natur der Mathematik die Logik im Banking dahingehend, dass bei Entscheidungen über Investments in Derivate ökonomische Fragen nachrangig wurden. Für viele Ökonomen erhoben die immer neuen Stufen theoretischer Eleganz der Finanzmodelle das Fach in den Rang einer Naturwissenschaft. Es begann die Zeit, in der das Werkzeug bestimmt, welchen Fragen man sich zuwendet: Störungen gelten als Abweichungen von der Norm, zweitrangige Phänomene oder unwichtige Trivialitäten.

Keine Rolle spielt, dass sich Banken durch ein Universalmodell, das die Nullsummenlogik kopiert, oft unerwartet hohe Risiken in ihre Portfolios holen, weil im Markt im Regelfall keine Spiele gespielt werden, wo im selben Umfang verloren wie gewonnen wird, Banker komplizierte Formeln oft nicht mehr in die Bankenwelt zurückübersetzen können und durch die Normierungskraft baugleicher Modelle die Unfallgefahr im System umso größer (und nicht etwa geringer) wird, je mehr Banken durch den Zwang zum in der Masse gehen ihre Reaktionsfähigkeit verengen müssen.

Frei nach René Descartes Weisheit "Was man nicht gut beschreiben kann, kann man auch nicht messen" tut dem Eifer der Quants (Quantitative Analysts) die Prognosefähigkeit der Physik erreichen zu wollen, keinen Abbruch, dass im Vorfeld der Subprime-Krise gerade durch das Mehr an vermeintlicher mathematischer Kontrolle auch mehr Risiko eingegangen wurde, als man es möglicherweise wohl sonst gewagt hätte.

Spieler mit Handicap

Stochastische Modelle sind die Arbeitspferde der Finanzindustrie. In der Regelmäßigkeit der Brownschen Bewegung als alleinigem Treiber der Preisprozesse lauert aber die Regelwidrigkeit. Denn wären die wahren Unsicherheitsquellen Brownsche Bewegungen, sollten rationale Akteure diese Regelmäßigkeit ignorieren und das konforme Verhalten der anderen zum eigenen Vorteil nutzen. In Bacheliers streng durchkomponierten Zwei-Zustands- Welten ist nicht beschreibbar, dass Händler, die strategisch denken, nicht starr, sondern selbstreferenziell (ich weiß, dass er weiß, dass ich weiß) handeln. Angesichts der Subprime-Krise ist es eine gewisse Ironie, dass Fischer Black schon Ende der 1970er Jahre bezüglich der Empirie gesagt haben soll "Der Markt wusste etwas, was die Formel nicht wusste".

Dass Finanzmärkte sich regelmäßig oft auch weit über das Maß hinaus bewegen, was mit Preismodellen erklärt werden kann, zeigt 40 Jahre später die Folge kleinerer und größerer Krisen. Ist die Empirie tatsächlich die Messlatte, steht dem Credo der modernen Finanzmarkttheorie, komplexe Vorgänge auf einfache Kennzahlen zu reduzieren, die immer gleiche Zukunftsentwürfe produzieren, wenig überraschend, als Krux gegenüber, dass eine im Kern systembedingte Unsicherheit der Zukunft nur zum Preis einer oft fatalen Effizienz (Subprime-Krise) in eine risikobehaftete, wahrscheinlichkeitstheoretisch kalkulierbare Zukunft transformiert werden kann.

Dabei ist die Realität der Worst Case für Modellbauer, weil das Fundamental Theorem of Asset Pricing, um das die Modern Portfolio Theory kreist, die Theoretisierung des Preismechanismus von den Dispositionen der Marktteilnehmer abkoppelt.

Der Glaube, den Finanzmarkt durch Modelle einer bestimmten Bauart erfassen und entschlüsseln zu können und der dadurch gefestigte und beförderte Zwang, die Finanzwelt in eben diesen formalen Rahmen auch pressen zu müssen, ist als Kontrollillusion bekannt. Dass der Finanzmarkt nicht als ein großes, experimentelles System begriffen und analysiert werden kann, macht Financial Engineers zu Spielern mit einem methodischen Handicap.

Die Befürworter der Behavioral Finance kritisieren, dass durch die Brownsche Bewegung als notwendiger Vereinfachung zur Gewinnung finanzmathematischer Resultate durch das Ausklammern-Müssen der wahren Ursachen der Finanzmarktdynamik das Marktgeschehen als eine Blackbox anzunehmen ist. Es fehlt an Substanz, so die Kritiker, wenn im Inneren des Geschehens durch die Annahme der Effizienz eine Zufallsbewegung installiert ist, die per Münzwurf dafür sorgt, dass sich die Bewertungsprobleme durch die Manipulation von Wahrscheinlichkeiten stets zu dem System fügen, das notwendig ist, um Kurse durch stochastische Differenzialgleichungen zu beschreiben, deren Lösungen Martingale sind.

Hart urteilt Heinz Zimmermann: "Je mehr die Modelle verfeinert werden, umso absurder erscheinen sie, umso arbiträrer ihr Ergebnis." Wie kann durch mehr (und nicht etwa weniger) Mathematik die Blackbox aufgebohrt werden, indem auch berücksichtigt wird, dass die Zufallseigenschaft der Kurse nicht eine Voraussetzung für, sondern das Ergebnis von Handlungen der Marktakteure sind, die bei ihren Entscheidungen einfachen Regeln folgen, die den Zuständen angepasst werden? Hier kommt die Spieltheorie ins Spiel, weil die Finanzmarkttheorie den Widerspruch nicht auflösen kann, dass einerseits der Kalkül uniforme, interaktionsfreie Märkte erfordert, andererseits das Objekt aber ein hochkomplexes, interaktives System ist.

Mehr Sicherheit bei Unsicherheit

Um es mit Ken Binmore zu sagen: Die Spielmetapher ist ein universelles Erklärungsprinzip und Ordnungsschema, um Komplexität zu strukturieren, weil "A game is being played whenever people interact with each other". Die mathematische Spieltheorie modelliert durch Annahmen über das Verhalten der Spieler, Informationen und Rahmenbedingungen (die Spielregeln) einen Zustand als möglichst einfaches Spiel und gibt durch Nash-Gleichgewichte (sich nicht selbst zerstörende stabile Zustände) an, welche Ergebnisse zu erwarten sind, wenn rational entschieden wird. Es werden strategische Spiele (Market Games) gespielt, wenn Spieler miteinander interagieren; ist der Zufall der alleinige Macher der Welt, sind Spiele nicht strategisch (Casino Games). Der empirische Ast der Spieltheorie überprüft die Robustheit von Lösungen (das Modellrisiko) durch Laborexperimente.

Für Marktteilnehmer, die beim Handel mit Optionen die Black-Scholes-Formel wohl nicht mit einem guten Gewissen verwenden, wenn sie zuvor die Liste der Voraussetzungen durchgelesen haben, ist wesentlich, dass die Qualität von Spielanalysen davon abhängt, ob bei der Spielauswahl die relevanten Aspekte durch die als wesentlich erachteten Struktur- und Verhaltensmerkmale auch noch abgebildet werden. Da Kritiker die moderne Finanzmarkttheorie in einem Darstellungsmodus erstarrt sehen, der die Ursachen offen lassen muss, zeigt sich der praktische Nutzen der Spieltheorie schon dadurch, dass der Finanzmarkt in einem mathematischen Bezugsrahmen kein physikalisches Konstrukt mit einer vernünftigen Stochastik sein muss. Finanz(Spiel)modelle, die offen für Erweiterungen, Präzisierungen und Anpassungen sind, respektieren, dass Händler, die Erfolg haben, nicht wie Marionetten an den Fäden von Newtons Mechanik hängen, wenn sie Situationen richtig erfassen, verstehen und deuten, um Ergebnisse vorauszusehen.

Dafür ist wesentlich, dass Spielausgänge nicht aus postulierten Verteilungen folgen und Preise nicht aus reinen No-Arbitrage-Argumenten abgeleitet werden können, weil für Spieler, die nach Vorteilen suchen, Poker und nicht Roulette das Vorbild ist, wenn sie überlegen, welche Strategie in welcher Situation zu welchem Ergebnis führt. Dass beim Versuch, das Machbare auszureizen, nicht ausschließlich Risiko im Spiel ist, verkürzt die Kritik von Poincaré an Bacheliers sehr grober Verkürzung auf die Notwendigkeit, dass der Finanzmarkt als Field of Playing Games zu begreifen und zu modellieren ist.

Dass im Bezugsrahmen der Spieltheorie Casino Games (games against nature) statistisch messbares Risiko (womit der Markt umgehen kann) und Market Games statistisch nicht messbare Unsicherheit (womit der Markt nicht umgehen kann) erzeugen, erweitert den Modellrahmen, den Bachelier und in der Folge Black und Scholes vorgegeben haben. Damit ist es das Credo eines Finanz(Spiel)modells, dass Risiko und Unsicherheit (Poincarés Missing Link) nicht mehr gleich behandelt werden müssen. Konkret adressieren Spielmodelle Ungewissheit durch das Einfließen von Parametern, die den Eigenschaften des Marktes geschuldet sind.

Ungewissheit aus dem Spiel heraus

Auch quillt Ungewissheit, so wie es in der Realität der Fall ist, aus dem Spiel heraus auf. Dass bei der Wahl des richtigen Spielmodells neben der mathematischen Struktur von Spielen auch besser zu verstehen ist, wie der Markt Informationen mit Kursen, Ursachen und Wirkungen verknüpft, erweitert im Sinn von Poincarés Kritik das Argument entscheidend. Dass John M. Keynes, der schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Ökonomie die Tendenz erkannte, Mathematik und insbesondere Statistik in falscher Weise zu nutzen, formulierte "Wenn ein Modell ökonomischen Mehrwert generieren soll, muss es möglichst ereignisgenau sein", erklärt neben der Notwendigkeit auch die Zweckmäßigkeit der spieltheoretischen Ergänzung. Man bedenke dazu nur, dass am Finanzmarkt Casino Games die Ausnahme und Market Games die Regel sind und dass ein Finanz(Spiel)modell oft nur der Ausgangspunkt zum besseren Verstehen der Marktdynamik ist.

Notwendige Ergänzung: Anleihen in der Physik machen das Financial Economics zur bisher erfolgreichsten Theorie der Ökonomen. Bacheliers Erben plagt jedoch zunehmend die Vielschichtigkeit des Risikobegriffs. Frank Knight heißt der Plagegeist, der schon in den 1920er Jahren die streng probabilistische Struktur zukünftiger Ereignisse bezweifelte. Seine Trennung von Risiko (Known Unknowns: Erwartungswerte existieren) und Unsicherheit (Unknown Unknowns: Erwartungswerte existieren nicht) und seine Folgerung, dass die Welt unsicher (unberechenbar) und nicht riskant (berechenbar) ist, bedeutet, dass Bachelier-Modelle etwas bepreisen, was grundsätzlich nicht bepreisbar ist. Dass am Finanzmarkt regelmäßig durch Knightsche Unsicherheit das scheinbar Unwahrscheinliche geschieht, die Finanzmathematik trotz hoher Standards aber in einem Darstellungsmodus verharren muss, wo wenig anderes getan werden kann, als jede Art von Unsicherheit auf kalkulierbare Unsicherheit (Risiko) zu reduzieren, lässt erahnen, warum Knights Erkenntnisse mit der Behavioral Finance als neuer Stoßrichtung der Finanzmarkttheorie 70 Jahre später quasi wiederentdeckt wurden.

Dass sich Physik und Ökonomie nur bedingt ergänzen, hatte 200 Jahre vor Knight auch Isaac Newton erfahren. Der Schöpfer der physikalischen Weltmaschine war als Spekulant gescheitert. Nach dem Crash der South Sea Company stellt er resignierend fest: "Es ist schwieriger die Verrücktheiten der Menschen vorherzusagen als die Bewegung der Planeten." Das Subprime-Banker Risiko mit Unsicherheit verwechselten, als sie dachten, die US-Immobilienpreise würden auch zukünftig steigen, weil sie zuvor ständig gestiegen waren, zeigte desaströs, was passieren kann, wenn (wider Knights Einsichten) unberechenbare Unsicherheit wie berechenbares Risiko behandelt wird.

Paul Watzlawiks Metapher "Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel" bringt es auf den Punkt: Am Finanzmarkt ist mehr zu schrauben als zu hämmern. Rückt man näher an die Mathematik heran, zeigt sich frei nach Carl Friedrich Gauß Wort "Man darf nicht das, was uns unwahrscheinlich erscheint, mit dem verwechseln, was absolut unmöglich ist" das Finanz(Spiel)modelle, die die wahren Mechanismen, die den Markt in Bewegung halten, zumindest grob nachbilden, die ausgereifte, andere Mathematik sind, die den Werkzeugkasten der Theorie gerade um die Problemfelder erweitern, auf denen Finanzmodelle zukünftig ihre Geltung behaupten müssen.

Richtige Mathematik

Galileo Galilei soll zu seinen im geozentrischen Weltbild verharrenden Kollegen gesagt haben: "Ehe sie am Himmel des Aristoteles etwas ändern, leugnen sie lieber, was sie am Himmel der Realität sehen." Auch über 400 Jahre später werden Dogmen (Paradigmen) nicht leicht aufgegeben. Der Umgang mit dem Irrlicht Knightsche Unsicherheit, die das Gros der Finanzmarktrisiken adressiert, ist ein Beleg dafür. In der Finance hat das stochastische Paradigma, was die Krisen mit verursacht hat, diese im Kern nicht zuletzt auch deshalb fast unbeschadet überstanden, weil der Reproduktionsmechanismus des akademischen Systems als Trägheitsgesetz der Lehre die Reform der Inhalte verhindert. Die Modern Portfolio Theory wird als praxisrelevant gelehrt und umgesetzt. Krisen wurden ausgestanden und Dramatisches - so die Hoffnung - werde nicht so schnell wieder eintreten. Dass der Blick von Professoren, Regulatoren und Bankern, die seit den 1970er Jahren am Leitbild effizienter Märkte ausgebildet werden, auf systemische Mängel systematisch getrübt sein muss, ist ein "galileischer" Grund für "The Trouble with Economics" (Paul Romer).

Auch wenn das Gebäude der Finanzmarkttheorie auf einem eher schwachen empirischen Fundament steht und die Unmenge undurchschaubarer Finanzprodukte (Mischformen aus Kreditvertrag, Kreditausfallversicherung und reinen Wetten) das System wackelig machen können, ist festzuhalten: Es ist nicht die Mathematik, die die Erbauer im Stich lässt. Es ist die Art und Weise, wie Mathematik eingesetzt (und oft nicht richtig verstanden) wird. Börsianer sind keine Planeten oder Atome und die Beschränkung auf Random Walks als notwendigem Rahmen, um Resultate zu generieren, hat wenig mit der Findung, Analyse und Lösung der wahren Probleme zu tun.

Die Frage, wie viel Verkürzung noch zulässig ist, bevor wesentliche Zusammenhänge verfälscht werden, haben nicht Mathematiker zu beantworten. Da das Rad nicht zurückgedreht werden kann und es keine Alternative zur Mathematik gibt, müssen Methoden zum Zuge kommen, die die Vorteile der Stochastik behalten, ohne dabei die Nachteile der Sterilität bei der Preisfindung zu haben. Finanz(Spiel)modelle sind zustandsabhängige Szenarien, die mit Sicherheitsmargen arbeiten, da beim Aufsetzen der Modelle auch zu entscheiden ist, ob eine noch berechenbare Risiko- oder schon eine unberechenbare Unsicherheitssituation vorliegt. Dadurch können Randbedingungen immer wieder andere sein. Dass es für Spieltheoretiker nicht das Problem ist, dass es Casino Games gibt, sondern nur an sie zu glauben und nicht mehr jedes Spiel ein Casino Games sein muss, ist der Unterschied zum Status quo.

Verfeinern unzureichend

Als Meisterwerk eröffnet, zeigte sich die Morandi-Brücke in Genua bald schon reparaturbedürftig. Nach der Katastrophe vom August 2018 fordert aber niemand die Abschaffung des Brückenbaus und den Ersatz der eingestürzten Brücke durch langsame Fähren. Es ist zu klären, ob eine fehlerhafte Konstruktion den Einsturz verursacht hat. Ist Engineering schuld, ist die Lösung nicht weniger, sondern ein besseres Engineering. Im Herbst 2007 traf eine Fehlkonstruktion auf ein komplexes Ursachenbündel aus Fehlanreizen, falsch bepreisten Risiken, Regulierungslücken, Fahrlässigkeit und Fehlwirkungen der asymmetrischen Geldpolitik, die wie eine Versicherung wirkte. Zehn Jahre nach der Subprime-Krise ist die "alte" mathematische Brücke noch immer weit auskragend: Viel Marktgeschehen ist Ruled out by Assumption. Naturwissenschaftlich gehärtete Finanzmarktmodelle müssen weiter an der Härte der Finanzmarktrealität zerbrechen, weil die Fähigkeit, Unsicherheit mit Preisen zu belegen, nicht wesentlich verbessert wird.

Auch wenn Doris Day grundsätzlich recht hatte, als sie in den 1960er Jahren in "Que sera, sera" sang "the future's not ours to see" und Norbert Wiener ob der Tatsache, dass es das beste Modell nicht gibt, spitz formuliert hat: "Das theoretisch beste Modell einer Katze ist eine Katze, vorzugsweise die gleiche!" Nach Louis Pasteurs Wort "Der Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geist" ist ein formal weit fassbarer Spielbegriff alternativlos. Erst Antworten auf die Frage: "Wer macht was in welchem Spiel?" bringt die durch eine behavioristische Systemdynamik erzeugte Bewegung des Marktes mit dem ursächlichen Impuls (Information) in Verbindung. Dies erhöht die Sicherheit, mit richtigen Lösungen auch die richtigen Spiele zu spielen. Durch ein besseres (Financial)Engineering wird das System robuster und die nächste Krise wird weniger wahrscheinlich.

Literaturverzeichnis

Admati, A; Hellwig, M: The Bankers' New Clothes: What's Wrong with Banking and What to Do about It, Princeton 2013

Bieta, V; Milde, H: Das naive Weltbild der Modell-Affen, in: NZZ vom 28. Oktober 2014, Seite 26, (eine Replik von Professoren der ETH Zürich und die Duplik NZZ vom 15. November 2014, Seite 31)

Bookstaber, R: The End of Theory: Financial Crises, the Failure of Economics, and the Sweep of Human Interaction, Princeton 2019

Taschner, R: Mathematik des Daseins - Eine kurze Geschichte der Spieltheorie, München 2015

Dr. Volker Bieta Berlin, Lehrbeauftragter für Finanzmathematik und Spieltheorie, Technische Universität Dresden, Dresden
Dr. Volker Bieta , Lehrbeauftragter für Finanzmathematik und Spieltheorie, Technische Universität Dresden
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