Zukunftsfähige Bankstrukturen für Wachstum und Beschäftigung in Europa

Dr. Michael Meister, Parlamentarischer Staatssekretär, Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Dr. Michael Meister, Parlamentarischer Staatssekretär, Bundesministerium der Finanzen, Berlin - Die expansive Geldpolitik und die regulatorischen Reformen haben in Deutschland und Europa die Märkte stabilisiert, bedürfen in der Abwägung ihrer Wirkungen auf Wachstum, Beschäftigung und Wirtschaftsstrukturen aus Sicht des Autors aber einer Überprüfung. Mit Blick auf die Kreditwirtschaft plädiert er für eine anpassungsfähige und diversifizierte Landschaft aus unterschiedlichen Geschäftsmodellen. Soweit Wettbewerbsverzerrungen zulasten kleinerer Institute hohen Fixkosten der Regulierung zuzuschreiben sind, will er diese möglichst vermieden wissen. Auch die Prüfung eines alternativen Aufsichtsregimes zieht er ins Kalkül. Gleichwohl will er die Möglichkeit eines geordneten Marktaustritts beziehungsweise einer Abwicklung im Zuge der Marktmechanismen erhalten. Als wichtige Aufgabe für den Bankensektor nennt er den Abbau ausfallgefährdeter Kredite in den Bilanzen - vorzugsweise durch nationale Lösungen, gegebenenfalls ergänzt um europäische Initiativen. (Red.)

Die Nachwirkungen der globalen Finanzkrise sind noch heute zu spüren und belasten die wirtschaftliche Erholung in der Europäischen Union. Die Suche nach einem nachhaltigen Pfad zu mehr Stabilität und Wirtschaftswachstum ist insbesondere angesichts wachsender Europaskepsis und des Brexit-Votums eine der zentralen europäischen Herausforderungen.

Die Fragestellung ist im europäischen Binnenmarkt eng mit Stabilitäts- und Zukunftsfragen des gemeinsamen Bankensektors verbunden: Banken sind und bleiben in Europa der wichtigste privatwirtschaftliche Akteur zur Allokation und Intermediation von Kapital. Daher liegen die Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit des Bankensystems im gesamtwirtschaftlichen Interesse Europas.

Makroökonomisches und regulatorisches Umfeld

Die Europäische Zentralbank hat auf die geringe Inflation mit einer Reihe konventioneller und außergewöhnlicher Instrumente expansiver Geldpolitik reagiert. Die geringe Preissteigerung ist ein Symptom verschiedener struktureller Faktoren wie eines verhaltenen Wirtschaftswachstums, eines geringen Kreditangebots sowie hoher privater und staatlicher Schuldenstände. Die Geldpolitik hat die kurzfristigen Auswirkungen dieser Symptome bekämpft, gleichzeitig sind durch anhaltend niedrige Zinsen und ein verändertes Umfeld an den Kapitalmärkten auch neue Risiken entstanden.

Die notwendigen regulatorischen Reformen als Reaktion auf die Finanzkrise haben den Finanzsektor sicherer und stabiler gemacht. Die mittlere Kernkapitalquote europäischer Banken ist seit 2008 von unter 9 Prozent auf heute knapp 16 Prozent gestiegen. Komplexität und Risiken wurden abgebaut, Verschuldung gesenkt und Refinanzierung stabilisiert.

Zugleich stellen die neuen ökonomischen und regulatorischen Rahmenbedingungen aber auch Herausforderungen für die Ertrags- beziehungsweise Kostenseite und für die Fortentwicklung der Geschäftsmodelle europäischer Banken dar, die durch den raschen technologischen Wandel noch verstärkt werden.

Der Weg zu mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa benötigt solide und profitable Banken, die ausreichend Kapital für die Realwirtschaft bereitstellen. Im Folgenden werden wichtige Elemente für die Zukunftsfähigkeit europäischer Banken skizziert.

Diversifikation und Anpassungsfähigkeit bestehender Geschäftsmodelle

Unterschiedliche Sektoren der Realwirtschaft erfordern unterschiedliche Geschäftsmodelle. Regionale Institute können aufgrund von Informationsvorteilen kleinen und mittleren Unternehmen vor Ort effizient Kapital und Beratung zur Verfügung stellen. Doch bereits der exportorientierte Mittelständler ist zur Absicherung von Währungsrisiken und für Geschäfte im Ausland auf Institute angewiesen, die ein überregionales Geschäftsmodell und eine diversifizierte Produktpalette abbilden. Je größer und komplexer das Unternehmen und sein Geschäft, desto wichtiger sind - neben kleinen, regionalen - auch überregionale Geschäftsbanken für die Binnenfinanzierung der europäischen Wirtschaft.

Die starke Abhängigkeit von den Zinserträgen und die Umsetzung notwendiger regulatorischer Reformen hat die Profitabilität einiger Banken im Verhältnis zu den Eigenkapitalkosten spürbar unter Druck gesetzt. Als Reaktion überprüfen Banken zu Recht ihre Geschäftsmodelle und versuchen Erträge zu diversifizieren. Eine Verschiebung hin zu alternativen Ertragsquellen (zum Beispiel aus dem Provisionsgeschäft) ist im Niedrigzinsumfeld eine notwendige, wenngleich nicht hinreichende Bedingung auf dem Weg zu soliden und starken Banken in Europa.

Das Geschäftsmodell regionaler und überregionaler Universalbanken ist geeignet, um Variationen und zyklische Entwicklungen verschiedener Einkommensarten zu kompensieren. Dies erklärt, dass in Europa das Modell der Universalbanken gemessen am Gesamtbestand von Forderungen des Bankensystems weiterhin eine hohe Bedeutung besitzt. Gleichzeitig scheint aber auch die Diversifizierung der Geschäftstätigkeit lediglich bis zu einer kritischen Größe hin die Stabilität zu fördern.

Im Hinblick auf die Stabilität des Finanzsystems leistet das Privatkundengeschäft einen wichtigen Beitrag, da es grundsätzlich mit einem geringeren Ausfallrisiko assoziiert wird.

Gewährleistung marktwirtschaftlicher Prinzipien

Das veränderte makroökonomische Umfeld und die vor allem zunehmende Digitalisierung von Finanzdienstleistungen verlangen ein konstantes und kritisches Hinterfragen bestehender Strukturen: Kann das gegenwärtige Geschäftsmodell einen positiven Beitrag für den Kunden und gleichzeitig ein positives betriebswirtschaftliches Ergebnis gewährleisten? Es bedarf deutlich mehr Offenheit für digitale Innovationen in Europa, auch im Bankensektor.

In der Debatte um die geringe Profitabilität europäischer Banken und der teilweise verhaltenen Kreditvergabe an die Realwirtschaft wird immer wieder vorgetragen, in Europa gebe es zu viele Banken und ein zu großes Angebot. In dieser Logik setzt ein (zu) starker Wettbewerb die Institute zusätzlich unter Druck. Tatsächlich ist die Anzahl der Banken in Europa seit der Finanzkrise rückläufig. Anderseits bewegen sich Zusammenschlüsse und Übernahmen im Bankensektor auf einem historisch niedrigen Niveau. Dies legt nahe, dass in Teilen des Marktes Überkapazitäten herrschen könnten.

Der Abbau von Überkapazitäten ist eine zentrale Aufgabe marktwirtschaftlicher Prozesse. Funktionierende Marktstrukturen führen zur produktivsten Verwendung des eingesetzten Kapitals und sichern ein effizientes Finanzsystem und zukunftsfähige Geschäftsmodelle. Politik und Regulierung haben die Funktionsfähigkeit dieser Prozesse zu gewährleisten.

Insoweit kommt nationaler und europäischer Gesetzgebung und den zuständigen Institutionen die Rolle zu, die Restrukturierung, aber auch die Möglichkeit eines geordneten Marktaustritts beziehungsweise zur Abwicklung systemrelevanter Banken in Schieflage vorzusehen. Die Umsetzung der entsprechenden Regulierungen im europäischen Bankrecht (BRRD/ SRM) spiegelt diese Notwendigkeit wider. Gemeinsam mit dem europäischen Beihilferecht trägt dies dazu bei, die wechselseitige Abhängigkeit von Banksystem und Staaten zu reduzieren und durch die Kostenbeteiligung der Investoren funktionierende Marktprozesse sicherzustellen. Da im Krisenfall Eigentümer und Gläubiger der Banken zu beteiligen sind, wird zudem eine Belastung der Steuerzahler vermieden beziehungsweise auf eng definierte Ausnahmetatbestände begrenzt. Es ist wichtig, diese Regeln konsequent anzuwenden. Nur so können Marktmechanismen eine effiziente und wachstumsorientierte Bankenstruktur in Europa unterstützen.

Europa braucht eine anpassungsfähige und diversifizierte Bankenlandschaft. Um die Rahmenbedingungen für diesen Anspruch zu schaffen, muss die Wahl des Geschäftsmodells den privatwirtschaftlichen Akteuren überlassen bleiben; etwaige Verzerrungen des Wettbewerbs zulasten kleinerer Institute aufgrund hoher Fixkosten der Bankenregulierung sind zu vermeiden. Dieser Anspruch ist sehr ernst zu nehmen, um eine effiziente und verhältnismäßige Begrenzung von Risiken ohne unnötige betriebswirtschaftliche Belastungen zu erreichen.

Proportionalität in der Regulierung

Im Rahmen der aktuellen Überarbeitung der bestehenden europäischen Regelwerke sind Erleichterungen für kleinere, solide und weniger komplexe Banken ein zentrales Anliegen. Parallel ist zu prüfen, ob ein alternatives Regime zur Regulierung kleiner und wenig riskanter Geschäftsmodelle Vorteile im Hinblick auf Komplexität, Transparenz und Risikoadäquanz bietet. Bei der Umsetzung von mehr Proportionalität in der Regulierung sollte es nicht zu einer Absenkung der Standards für Solvenz und Liquidität kommen.

Eine wichtige Voraussetzung für Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit sind Banken, die das Potenzial ihrer Bankbilanzen zur Bereitstellung von Kapital voll ausschöpfen können. Derzeit ist das Eigenkapital von Banken in einzelnen Mitgliedsstaaten durch hohe Bestände von ausfallgefährdeten Krediten gebunden. Diese Bestände sollten in den betroffenen Ländern und im Einklang mit dem europäischen Regelwerk möglichst rasch abgebaut werden, um das volle Potenzial der Banken zur Finanzierung der Realwirtschaft auszuschöpfen. Aufgrund der Heterogenität von Größe und Struktur der betroffenen Portfolios in Europa sollten nationale Lösungen entwickelt werden, gegebenenfalls ergänzt um europäische Initiativen zur Förderung der Sekundärmärkte und Stärkung der Insolvenzverfahren.

Die europäische Kapitalmarktunion als Chance

Das europäische Finanzsystem ist trotz nationaler Unterschiede bankbasiert und wird dies auch in Zukunft überwiegend bleiben. Das ist ein wichtiges Merkmal in Europa, da bankbasierte Finanzmärkte gewöhnliche Schwankungen des Wirtschaftszyklus gut absorbieren können und Banken verlässliche Finanzierungspartner für Unternehmen sind. Gleichzeitig hat die globale Finanzkrise verdeutlicht, dass die Bereinigung der Bankbilanzen nach systemweiten Schocks ein mühsamer Prozess ist.

Eine Ergänzung des bankbasierten Systems durch einen europäischen Kapitalmarkt kann Wachstum und Beschäftigung aufgrund von Vorteilen im Hinblick auf Transparenz, Effizienz und Bereitstellung von Risikokapital beschleunigen und widerstandsfähiger gestalten. Die Umsetzung des Aktionsplans "Kapitalmarktunion" der Europäischen Kommission soll eine solche Ergänzung stärken, ohne die Finanzierung durch Banken zu schwächen oder regulatorische Anforderungen aufzuweichen.

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