Versicherungen

Allianz: Unkonventionelle Bestandsaufnahme

Quelle: Allianz

Unabhängig davon, ob man die Bilanzsumme, den Umsatz oder den Börsenwert als Bemessungsgrundlage heranzieht stellt die hiesige Assekuranz anders als der Bankensektor mit der Allianz ein Unternehmen von Weltrang. Die Marktkapitalisierung des Münchener Versicherers liegt Anfang September 2019 bei fast 86 Milliarden Euro und damit um ein Vielfaches höher als die der beiden verbliebenen deutschen Großbanken (Deutsche Bank 13,7 Milliarden Euro, Commerzbank 6,4 Milliarden Euro). Dass zudem die Kursentwicklung der Allianz in den vergangenen Jahren deutlich besser als beim Dax ausfiel, spricht sicherlich nicht gegen die Arbeit des Vorstandsvorsitzenden, der dieses Amt seit Mai 2015 innehat. Insofern wäre es für Oliver Bäte ein leichtes gewesen, ganz abstrakt über aktuelle Herausforderungen seines Hauses zu reden oder seine Arbeit anhand von einigen Erfolgsmeldungen aus den vergangenen Jahren zu erläutern. Doch er entschied sich beim Internationalen Club Frankfurter Wirtschaftsjournalisten für eine Bestandsaufnahme seines Hauses anhand von eigenen Fehleinschätzungen. Charme dieser Art der Darstellung: Sie macht deutlich, wie sehr sich ein Unternehmen dieser Größenordnung in Zeiten der Digitalisierung immer aufs Neue auf die von politischen und aufsichtsrechtlichen Nebeneffekten beeinflussten Rahmenbedingungen einstellen muss. Und sie bietet reichlich Ansatzpunkte zur Erläuterung von Maßnahmen und Projekten, mit denen sich ein vermeintlich unbewegliches Großunternehmen diesen Herausforderungen stellen will.

Als wesentliches Versäumnis nennt der Allianzchef fehlenden Mut zu Veränderungen, in der Finanzbranche allgemein, aber auch im eigenen Haus. Bei der Neuausrichtung der Lebensversicherungsprodukte im Rückblick zu lange auf eine Normalisierung der Geldpolitik gewartet und an Zinsgarantien festgehalten zu haben, wertet er ebenso als unnötige Verlangsamung der Reaktionsgeschwindigkeit wie das Festhalten an alter IT-Technik. Eine ausufernde Komplexität an Produkten sowie die ständige Stabilisierung der technischen Infrastruktur verfestigt aus seiner Sicht nicht nur unnötige Kostenblöcke, sondern bremst auch spürbar die Motivation der Mitarbeiter.

Um nicht länger an der Komplexität der Produktvielfalt und Altsysteme zu ersticken, soll mit Blick auf die IT auf mittlere Sicht eine im eigenen Konzern, genauer in Österreich, entwickelte mehrspartenfähige Lösung Abhilfe schaffen. Bis zur Umsetzung dieser neuen Technik veranschlagt der Vorstandsvorsitzende noch mehrere Jahre, für die Abschaltung von bis zur Hälfte der Altsysteme sowie die Umstellung der alten Verträge bis 2023, für die Rundumerneuerung noch ein ganzes Jahrzehnt. Ob der Markt diese Zeit allerdings lässt? Bäte selbst hat da offenbar gewisse Zweifel.

Als gelungene Beispiele für den Mut zu Neuerungen im eigenen Haus nennt er die weltweite Projektentwicklung von Infrastruktureinrichtungen, die gerade in der Niedrigzinsphase vernünftige Renditen ohne Zwischenschaltung eines externen Anbieters ermöglicht. Und auch die Beteiligungseinheit Allianz X wird offensichtlich als Erfolgsprojekt eingestuft. Im Februar dieses Jahres wurde jedenfalls deren Fondsvolumen auf 1 Milliarde Euro aufgestockt. Dass der Münchener Versicherer nun über die Plattform Allianz direkt den Direktvertrieb wieder mit dem Namen der Mutter verbindet, erklärt Bäte nicht zuletzt mit Lerneffekten der Beratermannschaft angesichts des veränderten auf Interaktion ausgelegten Kundenverhaltens. Das Neugeschäft über das Netz ist inzwischen größer als die Kannibalisierungseffekte.

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