Zentralbanken I

Andere Lernfähigkeiten

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"Wellenbrecher" hat 2021 also die begehrte Wahl zum Wort des Jahres gewonnen, wie die Gesellschaft für deutsche Sprache Anfang Dezember bekannt gab. Gäbe es eine solche Wahl mit Zuschnitt auf die Geldpolitik, dann wäre der Sieger mit Sicherheit "vorübergehend" geworden. Wohl kein Wort kam Zentralbankvertretern im vergangenen Jahr öfter über die Lippen als dieses unscheinbare Adjektiv. Das naheliegende psychologische Kalkül der Notenbankchefs: Wenn man es nur oft genug wiederholt, wird es sich schon irgendwann als wahr erweisen. Das Problem daran: Mit jeder weiteren Hiobsbotschaft von der Inflationsfront wird es ein wenig unglaubwürdiger. Der November war erneut ein Paradebeispiel dafür: Sowohl in der Eurozone (plus 4,9 Prozent gegenüber Vorjahresmonat) als auch in den USA (plus 6,8 Prozent) überraschten die Preisdaten einmal mehr deutlich auf der oberen Seite.

Man mag zu John Maynard Keynes stehen, wie man will - vor allem seine nachfragestimulierenden Rezepte sind im aktuellen Umfeld sicher mit größter Vorsicht zu genießen. Eine seiner ideologiefrei gehaltenen Ansichten sollten sich Geldpolitiker aller Couleur so langsam aber vielleicht dann doch zu Herzen nehmen: "Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung!" Die beiden ersten Institutionen, die eine entsprechende Lernfähigkeit erkennen lassen, sind die Bank of England (BoE) und die US-amerikanische Fed. So reagierte die BoE auf das Zehnjahreshoch bei der UK-Inflation im November (5,1 Prozent) als erste der größten Notenbanken mutig mit einer Erhöhung des Leitzinses von 0,10 auf 0,25 Prozent.

Noch nicht ganz so weit ist die Fed, dennoch legten die US-Währungshüter auf ihrer finalen Ratssitzung des Jahres 2021 zumindest einen ziemlich detaillierten Fahrplan für einen beschleunigten Ausstieg aus der Krisenpolitik vor. Insbesondere wird aufgrund der zu hohen Inflation die Drosselung der Anleihekäufe forciert: Anstatt um 15 werden diese ab Mitte Januar um 30 Milliarden US-Dollar pro Monat gesenkt. Sollte es bei dieser Geschwindigkeit bleiben, wäre das Tapering bereits im März abgeschlossen und somit der Boden für eine Leitzinserhöhung bereitet. Tatsächlich könnten es derer sogar drei werden, wie aus dem aktualisierten Ausblick der Fed hervorgeht. Demzufolge liegt das Zinsniveau Ende 2022 nämlich schon bei 0,9 Prozent.

Dass die nur einen Tag nach der Fed an die Öffentlichkeit herantretende EZB nicht mit ähnlichen Pfunden wuchern würde, war klar. Ein bisschen mehr, als das, was letztlich herauskam, hätte es aber getrost sein dürfen. Zwar wurde mit dem Beschluss, die Nettoanleihekäufe im Rahmen des Corona-Krisenprogramms PEPP Ende März 2022 zu beenden, ebenfalls ein erster Schritt aus dem Krisenmodus unternommen. Wie halbherzig dieser ist, wird bei genauerem Hinsehen aber schnell deutlich. Denn in bester Taschenspielertrick-Manier verdoppelt die EZB im direkten Gegenzug ihr konventionelles Wertpapierankaufprogramm (APP) von 20 auf 40 Milliarden Euro pro Monat. Bis zum vierten Quartal soll es dann wieder sukzessive auf seinen Ausgangswert (20 Milliarden Euro) reduziert werden. Zudem stellten die Notenbanker bei der Wiederanlage fällig werdender PEPP-Mittel eine große Flexibilität (Stichwort "gezielte Unterstützung einzelner Euroländer") in Aussicht, die im Übrigen nun mindestens bis Ende 2024 (anstatt 2023) erfolgen wird.

Der Fuß auf dem Gaspedal bleibt also durchgedrückt. Passend dazu wies Christine Lagarde im Anschluss an die Ratssitzung die mittlerweile ohnehin spärlich gewordenen Spekulationen über eine potenzielle Zinserhöhung im Jahr 2022 als sehr unwahrscheinlich zurück - dafür müssten zunächst die Anleihekäufe beendet werden. Ob die EZB mit diesem Sonderweg einer betont gelassenen Politik des "Weiter so" die offenkundigen Inflationsrisiken angemessen behandelt, muss mit einem dicken Fragezeichen versehen werden. ph

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