Wirtschaftspolitik

Gefährliches Spiel mit den Insolvenzen

Alles neu macht der Mai. Nicht alles. Zumindest bei den Insolvenzen zeigt sich auch im fünften Monat des Jahres 2020 in Deutschland das altbekannte Bild: Laut Statistischem Bundesamt gingen die vorläufigen Zahlen zu den eröffneten Regelinsolvenzen binnen Jahresfrist um 14,9 Prozent zurück. Damit spiegelt sich die durch die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu deren Eindämmung verursachte wirtschaftliche Krise auch im Mai überhaupt nicht in der Anzahl der eröffneten Regelinsolvenzverfahren wider. Im Gegenteil: Der Rückgang hat sich in den vergangenen beiden Monaten sogar noch beschleunigt. Denn für das erste Quartal des laufenden Jahres meldeten die deutschen Amtsgerichte 4 683 Unternehmensinsolvenzen, eine Rückgang gegenüber dem Vorjahresquartal von gerade einmal 3,7 Prozent. Hinzu kommen 20 672 Insolvenzen sonstiger Schuldner im ersten Quartal 2020, ein Rückgang von 6,5 Prozent. Davon entfielen 15 095 Insolvenzanträge auf Verbraucher und 4 659 Anträge auf ehemals selbstständig Tätige.

Allerdings sind diese Zahlen äußerst trügerisch. Denn aufgrund der seit 1. März geltenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kommt es zu gewaltigen Verzerrungen und Verschiebungen in der Statistik. Im Normalfall muss ein Unternehmen bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung binnen drei Monaten einen Insolvenzantrag stellen, ansonsten drohen der Geschäftsführung zivil- und strafrechtliche Konsequenzen. Bis September 2020 ist diese Pflicht nun ausgesetzt. Von daher lassen sich die aktuellen Insolvenzdaten kaum als Zeichen wirtschaftlicher Stärke interpretieren.

Vielmehr drohen nach Ablauf der Aussetzungsfrist eine Insolvenzwelle und gefährliche Multiplikatoreffekte. Denn wenn nun die sogenannten Zombieunternehmen weitere vier Monate am Markt bleiben dürfen, hat das auch Konsequenzen für Lieferanten und Geschäftspartner, die nichts von der Insolvenz wissen können und im guten Glauben ihren Verpflichtungen nachkommen. Die aktuelle Krise trifft die deutsche Wirtschaft ohnehin nicht in bester Verfassung. Bereits 2019 zeigten die wesentlichen Daten nach unten, für 2020 wurde allgemein ein spürbar geringeres Wirtschaftswachstum prognostiziert. Die Corona-Pandemie und der Shutdown machen all das nur noch schlimmer. Die Kanzlerin, nicht gerade für drastische Worte bekannt, spricht nicht ohne Grund von der tiefsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg.

Das dicke Ende kommt also noch. Die verschiedenen Experten gehen von einem spürbaren Anstieg der Unternehmensinsolvenzen ab September nach Auslaufen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht aus. Der Verband Insolvenzverwalter Deutschlands VID beispielsweise rechnet mit einem Zuwachs bei den Unternehmensinsolvenzen im zweistelligen Prozentbereich und hält selbst ein Plus von 20 Prozent für nicht unwahrscheinlich. Der Informationsdienstleister Crifbürgel rechnet sogar mit einem Anstieg von rund 10 000 Firmeninsolvenzen, was einem Plus von mehr als 50 Prozent entsprechen würde. Der Kreditversicherer Euler Hermes geht dagegen nur von einem Anstieg von gut zehn Prozent aus. Und diese Entwicklung wird sich auch noch weit in das Jahr 2021 hineinziehen. Den letzten Anstieg bei Unternehmensinsolvenzen verzeichnet die Statistik übrigens für die Jahre 2009 (11,6 Prozent) und 2008 (0,4 Prozent). Die Bundesregierung betreibt wahrlich ein gefährliches Spiel.

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