Mittelstand

Das Glas ist halb ...

Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW, wollte ein wenig positiv stimmen und erzählte bei der Vorstellung des aktuellen Mittelstandspanels zunächst einmal, wie gut das Geschäft für einen befreundeten Architekten laufe. Sicherlich gibt es Wirtschaftszweige, die sich auch in diesem so außergewöhnlichen Jahr nicht beschweren können. Bei vielen Mittelständlern überwiegt dagegen die Sorge und Unsicherheit. Laut der KfW-Umfrage rechnen 55 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) 2020 mit sinkenden Umsätzen. Insgesamt ist ein Umsatzrückgang gegenüber 2019 von 12 Prozent um rund 545 Milliarden Euro zu erwarten. Am stärksten hiervon betroffen ist die "normale" Dienstleistungsbranche mit Einbußen von 14 Prozent. Den gleichen Rückgang erwartet der Handel, wissensintensive Dienstleistungen rechnen mit minus 13 Prozent, das verarbeitende Gewerbe mit minus 11 Prozent und das Baugewerbe mit minus 4 Prozent. Besserung ist auch bei sich abzeichnender wirtschaftlicher Erholung nur langsam in Sicht. 26 Prozent der KMU glauben, dass der Umsatz bis 2022 unter dem Niveau von 2019 liegen werde.

Durch den Umsatzrückgang und den damit höheren Kostendruck rechnet die KfW mit negativen Effekten auf die Beschäftigung. So könnte trotz Liquiditätshilfen und Kurzarbeitergeld die Zahl der Beschäftigten im Mittelstand im laufenden Jahr von 32,3 Millionen auf 31,2 Millionen sinken. Köhler-Geib hofft, dass die Beschäftigten die durch Kurzarbeit oder Freistellung gewonnene Zeit in Fortbildung und/oder Neuorientierung gesteckt haben, um im nächsten Jahr, für das die KfW bei Eindämmung der Pandemie einen weitaus positiveren Ausblick gibt, die veränderten Anforderungen am Arbeitsmarkt bedienen zu können.

Immerhin hat sich die Liquiditätslage wieder entspannt. Während im April gerade einmal 19 Prozent der Unternehmen angaben, ausreichend Liquidität zu haben, stieg der Anteil bis September auf 31 Prozent. In diesen schwierigen Zeiten hilft auch der hohe Bestand an Eigenkapital, den die Unternehmen in den vergangenen Jahren aufgebaut haben. So ist die Eigenkapitalquote seit 2002 kontinuierlich angestiegen auf zuletzt 31,8 Prozent im Schnitt. Allerdings geht ein Drittel der Befragten davon aus, dass die Eigenkapitalquote im laufenden Jahr sinken wird.

Ein wenig mit Sorge muss einen die nachlassende Investitionstätigkeit erfüllen. Viele Unternehmen legen angesichts der aktuellen Herausforderungen derartige Projekte auf Eis. Insgesamt muss im laufenden Jahr mit einem spürbaren Rückgang des Investitionsvolumens gerechnet werden, das 2019 einen neuen Rekord von 187 Milliarden Euro erreichte. "Trotz der komfortablen Ausgangslage der meisten mittelständischen Unternehmen in Deutschland wird die Corona-Krise Spuren hinterlassen. Nicht nur in den Bilanzen der KMU, sondern auch in den Köpfen der Unternehmerinnen und Unternehmer. Vorsicht und Zurückhaltung könnten das Handeln vieler in der kommenden Zeit bestimmen", warnte Köhler-Geib. Dem müsse durch gezielte wirtschaftspolitische Maßnahmen entgegengewirkt werden, die zum einen Unsicherheit reduzieren und zum anderen Impulse setzen, die in der Krise liegenden Chancen zu nutzen.

Volkswirtschaftlich und in langfristiger Betrachtung geht es den Unternehmen als Masse also noch ganz gut. Einzeln betrachtet stehen viele Unternehmen aber vor schwierigen Zeiten und Entscheidungen, die von Sparmaßnahmen, Vorsicht und Zurückhaltung geprägt sein werden. Die Bewertung der Zahlen hängt stark von der Perspektive ab - Glas halb voll oder Glas halb leer?

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