Der Spielführer geht vom Platz

Foto: DZ Bank

Bodenständig, ehrlich, fair, zielstrebig, kommunikativ, pflichtbewusst, entscheidungsstark, Teamplayer, respektiert, anständig. (Diese Aufzählung ist unvollständig!)

Wenn Wolfgang Kirsch Anfang des neuen Jahres morgens aufwacht und nicht mehr in die DZ Bank, in seine DZ Bank, gehen muss, sondern nur noch darf, wird er sich vielleicht ein wenig die Augen reiben, sich erst daran gewöhnen müssen, ein klein wenig überlegen müssen, was er mit der neu gewonnenen Zeit plötzlich so alles anfängt, aber er kann all das sehr zufrieden tun. Es heißt zwar immer, man soll gehen, wenn es am schönsten ist. Aber nur die wenigsten haben die Größe, den Mut und auch die Selbstdisziplin, dies dann auch tatsächlich zu tun. Wolfgang Kirsch, der "joode Jung", wie es einer der Weggefährten anlässlich der Verabschiedung am Nikolaustag 2018 trefflich auf den Punkt brachte, hat das alles. Er hat seinen Abschied selbst gewählt, Ende 2018, ein wenig vor Ablauf seines Vertrages und im Alter von gerade einmal 64 Jahren. Die DZ Bank steht blendend dar. Der Verbund ist geeint und bestens sortiert. Für die Kreditwirtschaft insgesamt scheint das Schlimmste überstanden. Trotzdem geht der Spielführer jetzt vom Spielfeld.

Das passt zu einem Vorstandsvorsitzenden, der im besten Sinne des ehrbaren Kaufmanns das große Ganze immer über den persönlichen Nutzen gestellt hat, dem man glaubt, wenn er davon spricht, dass die Finanzindustrie eine dienende Funktion innehaben muss. Das passt zu einem Vorstandsvorsitzenden der das genossenschaftliche Spitzeninstitut zwölf Jahre lang geführt hat, eine lange, aber keine unendlich lange Zeit, und bei dem man trotzdem von einer "Ära" spricht, die er geprägt hat. Das passt zu einem Vorstandsvorsitzenden, der sich zu seinem Abschied eine Laudatio des früheren Finanzministers Wolfgang Schäuble zum Thema "Ethik und Moral" gewünscht und diese auch bekommen hat, wohl wissend, dass nicht alles, was Schäuble sagen wird auch bequem sein wird. Aber Bequemlichkeit ist Kirschs Sache sicher nicht. Er will die Probleme anpacken, Lösungen finden und alles zum Besseren hin entwickeln.

Das ist ihm bei der DZ Bank zweifelsfrei gelungen, obwohl es ihm nicht leicht gemacht worden ist. Gleich an seinem ersten Tag als Finanzvorstand, 2002, als der gebürtige Rheinländer gerade von der Deutschen Bank in das genossenschaftliche Lager hinübergewechselt war, erschütterte die Pleite des Medienimperiums von Leo Kirch die deutsche Kreditwirtschaft. Auch die DZ Bank war ordentlich investiert. Kirsch regelte das auf die für ihn so typische Art: ruhig, sauber und klar. Als Aufsichtsratschef Christopher Pleister einen Nachfolger für den scheidenden Vorstandschef Ulrich Brixner suchen musste, hatte er die Wahl zwischen Heinz Hilgert, Alexander Erdland und eben Wolfgang Kirsch. Durchgesetzt hat sich der ehemalige Finanzvorstand, auch weil Kirsch, wie er heute sagt, "vielleicht weniger ambitioniert gewirkt habe" als die Kollegen.

Das war im September 2006. Kurz darauf brach die Finanzkrise aus. Die DZ Bank bewältigte sie ohne Staatshilfe, auch wenn er kurz darüber nachgedacht habe, so Kirsch. Ein Gespräch mit Aufsichtsratschef Rolf Hildner hat ihn dann aber davon abgebracht. Nicht, dass dieser dagegen gewesen wäre, aber er wies auf den Vertrauensverlust in der gesamten Gruppe hin. Eben dieses von Kirsch immer wieder gepflegte und gelebte Vertrauen schaffte die Wende zum Besseren. Hilfe brachte der Verbund: Kapitalerhöhungen wurden plötzlich von den Genossenschaftsbankern unterstützt. Die größte mit 1,5 Milliarden Euro war sogar überzeichnet, undenkbar noch einige Jahre zuvor. Kirsch gelang etwas Weiteres, eigentlich "Undenkbares" - die Fusion mit der WGZ Bank zum nunmehr einzigen Spitzeninstitut im gefühlt zehnten Anlauf. Vielleicht war die Zeit einfach reif, aber vor allem waren die Menschen ausschlaggebend, neben Kirsch die amtierenden und früheren WGZ-Chefs Hans-Bernd Wolberg und Werner Böhnke. Attribute eines guten Bankers sind für Wolberg Ehrlichkeit, Offenheit, Zuverlässigkeit. Diese müssten in der Lage sein, Vertrauen zu schenken, müssen über einen sicheren Blick für Chancen und Risiken des Geschäfts verfügen und sollten ihren Kunden nichts zumuten, was sie sich selbst nicht zumuten würden. Klingt ein wenig, als hätte er es über Kirsch gesagt. Wobei dieser es kaum anders formulieren würde.

Das Thema Holding, einer der zentralen Punkte der Fusionsvereinbarung, haben sich alle drei Beteiligten "erspart". Aber es muss für die Nachfolger ja auch noch was zu tun geben. Auch hier zeigt sich heute schon das neue Miteinander, die gestiegene Kohäsion innerhalb der Gruppe Volksbanken Raiffeisenbanken. Denn man nimmt sich Zeit, sammelt Daten und Fakten, diktiert nicht von oben herab, sondern will den Verbund am Ende des Tages, vermutlich 2021, entscheiden lassen, ob ein solcher organisatorischer Umbau sinnvoll oder unnötig ist.

Auch das ist ein Markenzeichen der Ära Kirsch. Der Verbund steht an erster Stelle, das eigene Haus hat subsidiäre Aufgaben wahrzunehmen. "Verbund First" heißt entsprechend die neue Grundstrategie der Gruppe Volksbanken Raiffeisenbanken, die Kirsch vor allem mit seinem Nachfolger an der DZ-Bank-Spitze, dem früheren BVR-Präsidenten Uwe Fröhlich, entwickelt hat. Es wird inzwischen mehr miteinander als übereinander geredet. Das war auch schon mal anders, ganz anders.

Das alles geht nicht ohne und führt zu noch mehr wirtschaftlichem Erfolg. Ein paar Zahlen: Das bilanzielle Eigenkapital der DZ-Bank-Gruppe betrug zu Kirschs Amtsantritt 2006 rund 10,8 Milliarden Euro. Ende 2017 liegt dieses bei 23,5 Milliarden Euro. Das Verbundkapital, also die Eigenkapitalausstattung der genossenschaftlichen Säule insgesamt, hat sich von 54,4 Milliarden Euro 2007 auf 104,4 Milliarden Euro Ende 2017 nahezu verdoppelt. Und das konsolidierte Jahresergebnis der Genossenschaftlichen Finanzgruppe hat sich im gleichen Zeitraum von 4,3 Milliarden Euro auf nun 8,9 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Die DZ Bank liefert seit Jahren Ergebnisse im Milliardenbereich, erfreut die Aktionäre mit Ausschüttungen und kann dabei selbst Querschläger, wie durch die VR Leasing oder die DVB, mühelos verdauen.

Es ehrt Wolfgang Kirsch, wenn er all diese Erfolge der vergangenen Jahre nicht für sich alleine reklamiert. "Ich hatte immer gute Leute", sagt er bescheiden. In der Bank wie zu Hause. Gute Laute hat aber immer nur auch ein guter Spielführer!

In einer Rede sagte der scheidende DZ-Bank-Chef kürzlich: "Survival of the Fittest - Im Bankgewerbe kann nur der überleben, der ein schlüssiges Geschäftsmodell hat, der seine Kostenstrukturen im Griff hat und der eine Produktwelt vorantreibt, die die Erwartungen seiner Kundschaft trifft. Er hat alles dafür getan, dass die DZ Bank weiterhin so erfolgreich bleibt, wie sie es heute ist. Operativ müssen das nun Uwe Fröhlich und Cornelius Riese fortführen und sie wollen darüber hinaus beweisen, dass "Doppelspitze auch bei großen deutschen Banken erfolgreich funktionieren kann".

Ob er heute noch einmal Banker werden würde, wurde Kirsch vor Kurzem gefragt. Vielleicht, hat er geantwortet. Unternehmerisch würde er auf jeden Fall tätig sein, das liege ihm einfach (da hat er wohl recht). Aber in einer Bank? Die Belastungen seien schon groß geworden für die Verantwortlichen in dieser Branche. "Fit and propper" wäre der scheidende DZ-Bank-Chef allemal. Die Redaktion der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, deren Herausgeber Wolfgang Kirsch seit vielen Jahren ist, sagt Danke für viele gute Gespräche und wertvolle Ratschläge und wünscht nur das Beste auf dem weiteren Weg, hoffend, dass sich dieser mit dem unseren immer mal wieder kreuzen wird.

Philipp Otto

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