Marc Feiler

"Finanzmarktregulierung und Kapitalmarktunion müssen besser aufeinander abgestimmt werden"

Dr. Marc Feiler, Foto: BBAG/Freund

Die Kapitalmarktunion folgt der Finanzmarktregulierung. Der Autor sieht es als notwendig an, dass bei der Kapitalmarktunion erst einmal wieder die Hindernisse aus dem Weg geräumt werden müssen, die dem Mittelstand bei der Eigenmittelfinanzierung durch die Finanzmarktregulierung in den Weg gestellt wurden. Er erhofft sich eine bessere Koordinierung zwischen diesen beiden Spannungsfeldern. In den Fragen der Digitalisierung gibt sich Feiler zurückhaltend. Im Bereich Krypto-Assets und Blockchain beobachtet die Börse München zwar demnach das Geschehen, hat aber aktuell keine Projekte am Laufen. Die Tokenisierung sieht er, wenn überhaupt, dann nur in Teilen des Wertpapiergeschäfts als ein Thema an, da der Handel hervorragend funktioniere. Das noch recht junge Derivatesegment der Börse München sieht Feiler auf einem guten Weg, wenngleich es noch nicht da ist, wo es hin soll. (Red.)

Herr Dr. Feiler, Sie engagieren sich außerhalb der Börse München im Verband Kapitalmarkt KMU (kleine und mittlere Unternehmen). Auch die Börse München fokussiert sich auf die KMU. Genau dieser Mittelstand soll durch die Kapitalmarktunion besser mit Kapital vom Kapitalmarkt versorgt werden, um die traditionell hohe Abhängigkeit der europäischen Unternehmen von Bankkrediten zu reduzieren. Sehen Sie das als Chance für die Börse München?

Wir setzen uns schon seit geraumer Zeit für den Mittelstand ein. Wir sehen im Bereich "Kapitalmarktfinanzierung für den Mittelstand" selbstverständlich Chancen, da sich die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen aufgrund von Basel IV verändern werden und Eigenkapital weiter Trumpf ist. Das Eigenkapital erleichtert die Verhandlungen mit den Banken und ist generell die robustere Finanzierungform. Die Kapitalmarktunion folgt als europäisches Herzensprojekt der Regulierung des Finanzmarktes, der MiFID II/MiFIR 2018, und der Marktmissbrauchsverordnung MAR von Mitte 2016 nach. Diese Regelungen haben der KMU-Kapitalmarktfinanzierung Steine in den Weg gelegt, die erst einmal wieder weggeräumt gehören.

Können Sie die "Steine" ein wenig näher erläutern?

Durch die MiFID II/MiFIR wurde die Anlageberatung in Aktien erschwert, der Aktien-Research für KMU ist weggebrochen und die Tick Size für KMU hat sich deutlich verschlechtert. Die MAR hat unter anderem die volle Ad-hoc-Meldepflicht für MTF-(Multilateral Trading Facility)-Emittenten mit der Sanktionierung von Verstößen durch die BaFin eingeführt. Dies wird in der Summe von vielen KMU als überzogen empfunden. Wenn durch die Kapitalmarktunion wieder Rückenwind kommt oder beispielsweise im Zuge von Basel IV ein (modifizierter) KMU-Faktor beibehalten wird, freut uns das. Wir machen unser Engagement für die Belange des kapitalmarktorientierten Mittelstands von diesen Entwicklungen aber nicht abhängig.

Mit m:access hat die Börse München ja schon ein Segment, das dem Mittelstand den Weg zum Kapitalmarkt erleichtern soll. Sind die Pläne schon in der Schublade für eine europäische Expansion, wenn die Beschlüsse zur Kapitalmarktunion vorliegen?

m:access gibt es seit 2005; schon davor hat sich die Börse München für die Mittelstandsfinanzierung über den Kapitalmarkt eingesetzt. Auch ohne Unterstützung durch die EU haben wir Unternehmen aus den Niederlanden, Österreich und der Schweiz in m:access. Im allgemeinen Freiverkehr kommen MTF-Emittenten mit einem Primärlisting an der Börse München aus weiteren Mitgliedsstaaten der EU hinzu. Eine "Expansion" ist dafür nicht nötig. Wir können mit einer verlässlichen Listing-Plattform und einer qualitativen Preisfeststellung durch unsere Skontroführer im Sekundärmarkt überzeugen. Aktuell haben wir 64 Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von über 12 Milliarden Euro in m:access.

Können Sie genaue Zahlen nennen zum Anteil der ausländischen Unternehmen an dem Mittelstandssegment der Börse München?

Im m:access sind es um die zehn Prozent der gelisteten Unternehmen. Von den aktuell 64 Unternehmen sind zwei Österreicher, ein Schweizer und zwei Niederländer. Im allgemeinen Freiverkehr haben wir auch eine Reihe von außerdeutschen europäischen Emittenten. Eine Expansion, in dem Sinne, dass wir irgendwo im EU-Ausland eine Plattform eröffnen, ist nicht geplant. Wir setzen insbesondere auf die DACH-Region.

Erwarten Sie vonseiten der europäischen Unternehmen eine größere Nachfrage nach einem Listing in Deutschland, wenn die Kapitalmarktunion kommt?

Das ist jetzt schwer zu sagen, ob die Kapitalmarktunion dieses Interesse, das durchaus schon vorhanden ist, nochmal befördert. Unabhängig von der Kapitalmarktunion sind wir heute schon immer wieder in Gesprächen mit nichtdeutschen Unternehmen, überwiegend aus der DACH-Region. Aber ob das Interesse durch die Kapitalmarktunion nochmal zunehmen wird, das muss man abwarten.

Rechnen Sie mit baldigen Fortschritten bei der Kapitalmarktunion, wenn sich das neue Europaparlament sortiert hat?

Die Vollendung der Kapitalmarktunion wird natürlich weiter im Fokus der europäischen Institutionen stehen. Dabei hoffen wir auch auf die neue Kommission mit der ersten Frau an der Spitze und ebenso auf die deutsche Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020. Essenziell erscheint mir dabei, dass die beiden großen Themenblöcke Kapitalmarktunion und Finanzmarktregulierung besser aufeinander abgestimmt werden. Die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen können sich nicht elementar verbessern, wenn über MAR, MiFID II und MiFIR die Märkte an entscheidenden Stellen kaputt reguliert werden.

Welche Aufgaben hätten aus Ihrer Sicht Priorität auf dem Weg zu einer Kapitalmarktunion?

Investitionen in KMU müssen insgesamt attraktiver werden. Ein europaeinheitliches Insolvenzrecht wäre für Fremdkapitalgeber dringend erforderlich. Eine Finanztransaktionssteuer, gleich ob EU-weit oder als Aktiensteuer im Club der Willigen, bremst hingegen die Investitionsbereitschaft von Investoren. In Deutschland kommt noch die steuerliche Benachteiligung von Dividendenerträgen im Vergleich zu Fremdkapitalinvestitionen hinzu. Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen: Ohne Investoren wird die Kapitalmarktunion nicht funktionieren. Deshalb sollte im politischen Entscheidungsprozess auch deren Perspektive eingenommen werden. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund des Brexits und dem dann neuen Wettbewerb zwischen London und der EU. Einer der global wichtigsten Finanzplätze steht dann direkt vor den Toren der EU.

London ist ein gutes Stichwort. In diesem Jahr ist der M&A-Markt im Börsensegment recht aktiv. Die Euronext hat die Börse Oslo übernommen. Die deutsche Börse einige kleinere Dienstleister und nun der Big Bang: Die Londoner Stock Exchange Group (LSEG) will Refinitiv für 27 Milliarden US-Dollar übernehmen. Rechnen Sie mit weiteren Übernahmen in nächster Zeit?

Unter den global agierenden, selbst börsennotierten Börsenbetreibern und Produktanbietern gehören M&A-Aktivitäten zum Tagesgeschäft. Bei den kleineren national oder regional etablierten Börsen sehen wir dies im Moment eher nicht.

Neben der schieren Größe der geplanten Übernahme von Refinitiv sorgt vor allem auch für einen Aha-Effekt, dass ein Datenanbieter übernommen wurde. Plötzlich greifen Börsenbetreiber im großen Stil nach Datenanbietern. Auch die Euronext hat angedeutet, dass es in diesem Bereich sinnvoll sein könnte, hinzuzukaufen. Daten gelten als das neue Gold des Digitalzeitalters. Wird das der neue Weg?

Die Übernahme eines Datenanbieters durch einen Börsenbetreiber könnte als Verlängerung der Wertschöpfungskette durch Vermarktung der auf dem Handel beruhenden Pre- und Posttrade Daten gesehen werden. Außerdem dürften Kostensynergien eine Rolle spielen. Aufgrund der Bestrebungen der EU, ein Consolidated Tape mit allen relevanten Kursinformationen zu schaffen - und dies auch noch kostenfrei für die Nutzer - und den Diskussionen bei der ESMA (European Securities and Markets Authority) um die für Marktbetreiber zulässige Marge ("reasonable commercial basis") aus der Kursdatenvermarktung, könnte ein solches Investment auch ein gewisses Risiko darstellen. Das ist ein politisch brisantes Thema unter den großen Börsenbetreibern.

Die Börse Stuttgart hat sich 2018 international diversifiziert mit BX Swiss. Die Börse München hat seit dem Zusammenschluss mit der Börse Augsburg (1935) keine Fusion oder Übernahme mehr getätigt. Möchten Sie weiter rein organisch wachsen?

Die Zusammenlegung mit der Börse Augsburg war keine "Fusion", sondern ein hoheitlicher Zusammenschluss im Rahmen der Gleichschaltung des Dritten Reiches. Gleiches gilt im Übrigen für die damalige Zwangsfusion der Börse Mannheim mit der Börse Frankfurt. Die 1830 gegründete Börse München hat sich im Laufe ihrer Geschichte als Stakeholder-Organisation immer organisch entwickelt. Darauf setzen wir weiter.

Die Regionalbörsen in Deutschland haben zumeist ja eine Nische für sich eingerichtet. Reicht das zum Überleben oder brauchen diese Institutionen über kurz oder lang auch Skaleneffekte?

Natürlich sind Skaleneffekte wichtig. Im Bereich der IT haben wir durch die Umstrukturierungen der letzten Jahre erhebliche Kosteneinsparungen erzielt. Auch deshalb machen wir derivative Produkte auf unserer börslichen Handelsplattform gettex handelbar.

Ein Thema, das auch und gerade die Bankenwelt umtreibt, ist die Digitalisierung. Gibt es eine übergeordnete Digitalisierungsstrategie der Börse München?

Die Börsen sind schon heute digitale Institutionen mit höchster Prozesssicherheit. Zum Beispiel liegt unser Zeitstempel heute in der Mikrosekunde. Es dürfte kaum einen Wirtschaftsbereich geben, in dem die Digitalisierung weiter fortgeschritten ist als in der Börsenwelt. Wenn Sie mit Ihrer Frage auf die Blockchain-Technologie und Kryptoassets anspielen: Wir beobachten die Entwicklungen laufend und führen immer wieder Gespräche, haben aber aktuell kein entsprechendes Projekt.

Blockchain ist in der Tat ein gutes Stichwort. In der Börsenwelt dürfte bei all den Digitalisierungsthemen insbesondere die Tokenisierung von Wertpapieren eine Rolle spielen. Glauben Sie, dass in einigen Jahren der komplette Wertpapierhandel tokenisiert ablaufen wird?

Nein, nicht in diesem weitreichenden Umfang. Auch das Eckpunktepapier der Bundesregierung sieht in regulatorischer Hinsicht eine schrittweise Entwicklung vor. Im Bereich der Wertpapierverwahrung und der Abwicklung von abgeschlossenen Wertpapiergeschäften gibt es sicher Anwendungen, welche bestehende Strukturen herausfordern werden. Der Handel von Wertpapieren funktioniert im bestehenden Rahmen hervorragend. Qualität und Verlässlichkeit sind im Wertpapiergeschäft ein hohes Gut, das nur behutsam geändert werden sollte.

Ist es für die Börse München denkbar, irgendwann in den Handel von Kryptoassets einzusteigen, so wie es die Konkurrenz aus Stuttgart schon sehr erfolgreich gemacht hat?

Wie bereits gesagt: Wir beobachten die Entwicklung und prüfen darüber hinaus ganz grundsätzlich immer wieder, wie neue Produkte börsenfähig und handelbar gemacht werden können, aber aktuell gibt es kein Projekt.

Vor vier Jahren ging die Börse München auch in Konkurrenz zu Stuttgart mit der Einführung des von Ihnen bereits erwähnten Derivatesegments gettex. Wie haben sich die Marktanteile seitdem entwickelt?

Um ein verbreitetes Missverständnis auszuräumen: Wir sind nicht in Konkurrenz zu den Börsen Stuttgart oder Frankfurt in dieses Marktsegment eingestiegen, sondern wollen außerbörsliches Volumen an die Börse holen. Auf gettex erhalten Anleger eine börsliche Ausführung zu OTC-Konditionen. Das ist unser Ansatz, der immer mehr Anleger und Emittenten überzeugt. Wie sie richtig sagen, haben wir die börsliche Handelsplattform gettex vor vier Jahren für Aktien, Anleihen, Fonds und ETPs gestartet, 2016 folgte dann die Einführung von Zertifikaten. Wir sind aber noch nicht da, wo wir hinwollen. Aber wir sind guten Mutes und bekommen positives Feedback aus dem Markt.

Wenn die Kernidee der gettex-Plattform ja der schnelle und günstige Handel zu OTC-Konditionen ist, also ohne Börsengebühren: Verdient die Börse München dennoch genug mit gettex?

Gettex ist Teil unserer Gesamtstrategie, die darauf beruht, dass wir für alle betroffenen Stakeholdergruppen Emittenten, Orderflow-Provider und Endkunden Mehrwert schaffen wollen. Deswegen bieten wir echten Börsenhandel zu OTC-Konditionen an. Unsere Kundengruppen signalisieren uns eine hohe Zufriedenheit mit diesem Angebot. Der für uns relevante Gesamtmarkt ist für gettex groß genug, wenn es nachhaltig gelingt, weniger transparentes außerbörsliches Geschäft zurück an die Börse zu holen.

Wie viele Emittenten haben Sie bei gettex schon im Boot?

Derzeit sind das HSBC Trinkaus und die HypoVereinsbank. Weitere sind aktuell in der Anbindung.

Zum Schluss noch eine Off-topic- Frage: Zuletzt ging mit Unterhaching der zweite deutsche Fußballklub in München an die Börse. Der Start war sehr erfolgreich. Könnte das eine Sogwirkung auf andere Clubs entfalten?

Die Frage ist gar nicht so off-topic, sondern trifft das Thema haargenau. Wir brauchen im Hinblick auf die KMU-Kapitalmarktfinanzierung prominente Leuchtturm-Projekte, welche den Börsengang von kleineren und mittleren Unternehmen sympathisch und glaubhaft verkörpern. Das allgemeine Interesse am Börsengang hat durch die hohe Medienaufmerksamkeit des IPOs der Spielvereinigung Unterhaching nach unserer Beobachtung in verschiedenen Branchen zugenommen. Und ja, auch andere Fußballclubs klopfen im Moment bei uns an - und zwar europaweit.

Dr. Marc Feiler Geschäftsführer, Börse München, München
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