Redaktionsgespräch mit Claudia Conen

"Die Grundidee 'Nutzen statt Eigentum' wird neu aufgeladen"

Dr. Claudia Conen, Foto: BDL

Die Autorin sieht einen Wandel in der Definition des Wohlstands. Für die junge Generation spielen weniger materielle Aspekte mit hinein, sondern vielmehr der Bedarf nach einer sauberen Umwelt, einem nachhaltigen Wirtschaften sowie soziale Gerechtigkeit. Daher befinde sich auch die Wirtschaft in einem Wandel. Auf diesen reagiere der Staat jedoch mit stärkerer Regulierung und übertriebener Bürokratie. Darin sieht sie einen Hemmschuh für die Wirtschaft, die jedoch Teil der Lösung sei. Eine wichtige Rolle spiele dabei auch die Leasing-Branche, da sie Zukunftsinvestitionen ermögliche und die Sharing Economy befördere. Allerdings habe die Pandemie in diesem Bereich teilweise das Rad zurückgedreht, da eine steigende Zahl der jungen Menschen wieder ein eigenes Auto wünsche. Doch bei allem zu beobachtenden Wertewandel sieht sie das Modell der sozialen Marktwirtschaft so wichtig wie eh und je. Sie fordert die Politik auf, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Innovationen und Investitionen fördern und Technologieoffenheit zulassen. (Red.)

Frau Dr. Conen, über 60 Jahre nach Erscheinen von Ludwig Erhards Buch, was bedeutet "Wohlstand für alle" heute?

Den Begriff "Wohlstand" definieren die jüngeren Generationen heute anders als zur Zeit der Veröffentlichung von Erhards Klassiker "Wohlstand für alle". Während früher Statussymbole - wie der Sportwagen, der italienische Markenanzug, die teure Uhr oder mehrere Fernreisen im Jahr - mit Wohlstand assoziiert wurden, liegt der Fokus der Jüngeren heute immer weniger auf materiellem Reichtum. Sie sehen es am deutlichsten bei der Generation Friday for Future, die für eine gesunde, saubere Umwelt, ein maßvolles, nachhaltiges Wirtschaften, Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit auf die Straße geht. Inzwischen fragen bei Bewerbungsgesprächen Nachwuchskräfte nicht mehr vorrangig nach dem Jahresgehalt oder einem Dienstwagen, sondern nach Work-Life-Balance, der Unternehmenskultur und nach dem Purpose des Unternehmens.

Entsprechend befindet sich die Wirtschaft im Wandel. Immer mehr Unternehmen verschreiben sich dem klimaneutralen Wirtschaften, Geschäftsmodelle und Produkte werden auf ihre Nachhaltigkeit hin überprüft. Der Dachverband führender US-Unternehmen hat beispielsweise in einem "Statement of Corporate Purpose" mit dem Shareholder-Value-Prinzip gebrochen und seinen Fokus auf Investitionen in Mitarbeiter, in Umweltschutz und einen fairen Umgang mit Zulieferern erweitert. Die Politik reagiert auf den Wandel mit verschärfter Regulatorik und mit überbordender Bürokratie. Doch diese lähmen die Wirtschaft. Die Wirtschaft ist aber Teil der Lösung. Denn wir brauchen gerade jetzt Erfinder- und Unternehmergeist, vielleicht sogar Visionen von Weltverbesserern. Alle zusammen können die Herausforderungen lösen, wenn man sie lässt - und nicht behindert. Und bei aller Bescheidenheit: Hier kann auch die Leasing-Wirtschaft eine wichtige Rolle spielen.

Welche Rolle kann die Leasing-Wirtschaft dabei übernehmen?

Der Leasing-Branche kommen dabei zwei wichtige Aufgaben zu: Zum einen sind wir die Enabler für Zukunftsinvestitionen. Der Klimaschutz bedarf enormer Investitionen in grüne - emissionsärmere, energieeffizientere, ressourcensparende - Technologien. Die Leasing-Gesellschaften realisieren diese Investitionen für ihre Kunden. Marktbefragungen bestätigen, dass Unternehmen verstärkt Leasing für die Finanzierung solch grüner Technologien nutzen. Innovative Technologien sind schon immer mittels Leasing in die Märkte eingeführt und verbreitet worden. Die Digitalisierung ermöglicht dabei neue attraktive nutzungsabhängige Finanzierungsmodelle wie Pay-per-Use. Nicht zuletzt in unserem Kernsektor, dem Fahrzeugleasing, begleiten Leasing-Gesellschaften den Wandel und den Wunsch der Kunden nach ganzheitlichen Mobilitätslösungen.

Zum zweiten kann das Geschäftsmodell Leasing einen wertvollen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft und damit zur Nachhaltigkeit leisten. Die Grundidee des Leasing "Nutzen statt Eigentum" wird durch die Sharing Economy neu aufgeladen. Kollaborativer Konsum kann sich positiv auf den Ressourcenverbrauch auswirken und damit zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Ein Leasing-Objekt wird im Laufe seines Lebenszyklus von mehreren Nutzern verwendet. Nehmen Sie zum Beispiel IT-Equipment: Der Technologiezyklus wird hier immer kürzer. Nicht selten landen gekaufte Computer und Laptops nach relativ kurzer Nutzung auf dem Schrottplatz, obwohl sie nach entsprechender Aufbereitung noch mehrere Jahre hätten verwendet werden können. Leasing-Gesellschaften dagegen arbeiten die nach der Leasing-Zeit zurückgegebene gebrauchte Hardware wieder auf, bekannt als das sogenannte Refurbishment. Zertifizierte Löschverfahren schaffen dabei die Voraussetzung, gebrauchte IT-Geräte auf dem Zweitmarkt verkaufen zu können.

Die Sharing Economy hat durch die Corona-Pandemie aktuell an Attraktivität eingebüßt. Wie nachhaltig verändert das Corona-Jahr die Geschäftsprozesse der Leasing-Branche?

In der Tat wurden Trends wie die All-inclusive-Mobilität oder die Sharing Economy von den Auswirkungen der Corona-Krise beeinflusst. Das eigene Auto ist aktuell wieder gefragter denn je, um die individuellen Mobilitätsbedürfnisse in Pandemiezeiten zu erfüllen. Eine Studie des Zukunftsinstituts zeigt, dass 45 Prozent der unter 35-Jährigen, die bislang kein eigenes Auto zur Verfügung hatten, nun über eine Anschaffung nachdenken. Die verschiedenen Antriebsformen beeinflussen diese Entscheidung. Es geht darum, Mobilität und Umweltschutz zu vereinbaren. Leasing bietet hier die passende Flexibilität und ist eindeutig Treiber der Elektromobilität, ergänzt mit Mobilität "as an individual service", also mit weiteren Dienstleistungen.

Andere Megatrends hat Corona beschleunigt, darunter die Digitalisierung. Meetings, Seminare oder Veranstaltungen werden auch künftig digital angeboten oder als Hybrid-Format stattfinden. Dies schließt die Kundenkommunikation ein. Das "new normal" eröffnet die Akzeptanz für digitale Vertriebskanäle, auch wenn wir uns alle wieder auf den persönlichen Austausch freuen. Schließlich ist und bleibt Leasing People's Business.

Zurück zur Ausgangsfrage: Werden Unternehmen auch zukünftig den Wohlstand der Gesellschaft sichern oder wird das Modell der sozialen Marktwirtschaft abgelöst?

Erhards Programm einer sozialen Marktwirtschaft, die freien Wettbewerb und soziale Absicherung für alle Gesellschaftsschichten ermöglichen soll, ist heute so aktuell wie damals - auch bei sich änderndem Wertewandel. Es ist und war immer ein Ziel der sozialen Marktwirtschaft, unternehmerische und soziale Verantwortung miteinander zu verknüpfen. Der Verursacher gesellschaftlicher Kosten hat für diese aufzukommen. Man könnte nun darüber diskutieren, ob bestimmte Umweltauflagen und Steuern ausreichen beziehungsweise wie zielgerichtet sie sind, aber dies stellt nicht das System als solches infrage. Die Herausforderung wird sein, die umfangreichen Transformationsprozesse mit sozialen, ökologischen und ökonomischen Prinzipien zum Wohle der Gesellschaft zu verbinden. Ohne diesen Dreiklang geht es nicht. Für mich gehören soziale Marktwirtschaft und der "German Mittelstand" eng zusammen, ja bedingen einander. Daher bin ich optimistisch, dass die mittelständischen Unternehmen mit ihrer Innovationskraft den Dreiklang erfolgreich bewältigen werden.

Unternehmen werden mit Blick auf ökologische Rahmenbedingungen und die Auswirkungen auf weltweit funktionierende Lieferketten künftig den Fokus noch stärker auf den Purpose und nachhaltiges Wirtschaften richten.

Wie können sich Unternehmen in Ihrer Branche dazu aufstellen?

Die Leasing-Branche ist mittelständisch geprägt und spiegelt damit die Unternehmenslandschaft in Deutschland wider. Wir sprechen die Sprache unserer mehrheitlich mittelständischen Kunden, verstehen ihre Anliegen und wissen um ihre besonderen Bedürfnisse. Daher sind wir an der Seite des Mittelstandes kompetenter Partner für Innovation, Investitionen und Transformation auf Augenhöhe. Ein auch auf globaler Ebene wettbewerbsfähiger Mittelstand braucht passende Finanzierungsinstrumente. Ich behaupte, der deutsche Mittelstand wäre nicht so erfolgreich ohne das Äquivalent einer mittelständischen Finanzierungswirtschaft, in der die Leasing-Wirtschaft eine feste Säule ist. Wobei die Leasing-Gesellschaften längst der Rolle des reinen Finanzierers entwachsen sind. Leasing-Unternehmen sind Experten für Investitionsgüter, Märkte und Branchen, sie beraten ihre Kunden und begleiten zum Beispiel digitale Prozesse. Mit neuen nutzungsbasierten Abrechnungsmodellen tragen sie dem geänderten Nutzerbedürfnis Rechnung.

Und welche Rahmenbedingungen braucht es dafür in Zukunft?

Um die eigenen Herausforderungen bewältigen und die unserer Kunden mitgestalten zu können, benötigen wir von der Politik Rahmenbedingungen, die Innovationen und Investitionen fördern und Technologieoffenheit zulassen. Erfolgreiche Technologien lassen sich nicht durch Subventionen erzwingen, sondern werden von kreativen Ingenieuren entwickelt. Das leistet nur der Markt im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft. Dazu brauchen wir Planungssicherheit und Verlässlichkeit, den Abbau von Bürokratie und den Rückbau regulatorischer Belastungen, wo sie keinen Mehrwert liefern oder unternehmerisches Handeln unwirtschaftlich machen. Die Politik sollte sich grundlegend überlegen, was regulierungsbedürftig ist und welche Sachverhalte nicht. Selbst gegenüber kleinen mittelständischen Unternehmen scheint es aufseiten des Gesetzgebers manchmal am Vertrauen in vernünftiges, unternehmerisches verantwortungsvolles Handeln zu fehlen. Und dies selbst dann, wenn sich die mittelständischen Unternehmen seit vielen Jahrzehnten in Familienhand befinden.

Und last but not least: Als Leasing-Branche benötigen wir für unsere neuen Finanzierungsmodelle auch die richtigen Refinanzierungspartner. Denn damit das Angebot von Pay-per-Use-Modellen sich am Markt durchsetzen kann, bedarf es auf der Refinanzierungsseite Partner, die offen sind für innovative Modelle und neue Konstellationen.

Dr. Claudia Conen Hauptgeschäftsführerin, Bundesverband Deutscher Leasing-Unternehmen, Berlin
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