Redaktionsgespräch mit Marija Kolak

"Unsere Innovationszentren sind die 915 Volksbanken und Raiffeisenbanken."

Marija Kolak Foto: BVR

Zehn Monate ist Marija Kolak nun Präsidentin des BVR. Überrascht und auch wiederum nicht überrascht hat die frühere Primärbank-Vorständin der große Zusammenhalt in der Gruppe trotz deren Heterogenität. Diesen sieht sie aber auch als unbedingt notwendig an, um das Geschäftsmodell in die nächste Generation zu überführen. Regulatorischer Wahnsinn, technischer Fortschritt, demografischer-Wandel –all das biete Herausforderungen und Chancen gleichermaßen. Die Digitalisierungsoffensive soll neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Kundenansprache schaffen. Großes Potenzial stecke auch noch in den Themenkomplexen Vorsorge und Wohnen. Bei all dem versteht die Präsidentin sich als Antreiberin und Moderatorin. Denn sie will auch 2030 noch lesen, dass die Kreditgenossenschaftsbanken die profitabelste Bankengruppe sind. (Red.)

Frau Kolak, sie kennen den genossenschaftlichen Verbund seit vielen Jahren aus verschiedenen Perspektiven. Wie fällt ein erstes Fazit nach einem dreiviertel Jahr aus, in dem Sie nun Präsidentin sind?

Ich sehe eine ausgesprochen erfolgreiche und wache Genossenschaftliche Finanzgruppe Volksbanken Raiffeisenbanken und nehme eine große Lebendigkeit war, mit der sich die Organisation den zweifelsohne vorhandenen und auch größer werdenden Herausforderungen stellt. Es gilt, das über viele, viele Jahrzehnte erfolgreiche Modell Genossenschaftsbanken in die nächste Generation zu überführen. Ich bin zutiefst überzeugt, dass nur nachhaltiges Wirtschaften mit einer besonderen Werteorientierung auch nachhaltig erfolgreich sein kann. Die Leistungsbereitschaft bei allen Verantwortlichen und Mitarbeitern, egal ob in den Genossenschaftsbanken, den Verbänden oder in den Unternehmen der Genossenschaftlichen Finanzgruppe ist sehr hoch. Und der Zusammenhalt in der Gruppe ist stark. Von daher bin ich sehr zuversichtlich, dass wir gemeinsam die Herausforderungen meistern werden, vor die uns unter anderem die Regulierung, die Geldpolitik und die technischen Entwicklungen stellen.

Gibt es etwas, was Sie noch überraschen konnte?

Es ist sehr schön zu sehen, wie gut die Genossenschaftliche Finanzgruppe trotz - und sicherlich auch wegen - ihrer Vielfalt funktioniert. Das Zusammenspiel zwischen Volksbanken und Raiffeisenbanken, Unternehmen der Gruppe, Verbänden, aber auch Spardabanken, Kirchenbanken oder PSD-Banken ist von einer großen Professionalität und auch einer großen Verbundenheit geprägt. Allerdings ist das auch wiederum nicht überraschend.

Was macht die Kreditgenossenschaften derzeit erfolgreicher als andere Bankengruppen?

Genossenschaftsbanken stehen für Kontinuität, für Orientierung, für Nähe und für Regionalität - das ist unsere DNA. Sie sind Stabilitätsanker für Kundinnen und Kunden, für ihre Mitglieder und Mitarbeiter. Tradition und Innovation gehen bei uns immer Hand in Hand. Wenn wir weit zurückschauen - und wir haben dieser Tage das 175-jährige Jubiläum der ältesten noch am Ort aktiven Genossenschaftsbank gefeiert - haben die Kreditgenossenschaften Weltkriege und Währungen kommen und gehen sehen, Finanzkrisen durchgestanden. Das schafft ein großes Selbstbewusstsein, aber keineswegs eine Selbstzufriedenheit. Diese Organisation ist sich der gegenwärtigen Herausforderungen sehr bewusst. Sie hat bewiesen, dass sie mit der Zeit gehen kann und wird das auch weiterhin unter Beweis stellen.

Wir müssen dabei achtsam sein, Veränderungen beobachten und annehmen. Dafür bräuchte die Genossenschaftliche Finanzgruppe übrigens keine Hubs oder Innovationlabs - auch wenn wir uns dieser Arbeitsweise nicht verschließen. Unsere Innovationszentren sind die 915 Volksbanken und Raiffeisenbanken, die genau wissen, was ihre Kunden wollen. Bei aller IT-Freudigkeit und Schnelligkeit dürfen wir eins nicht vergessen: Unternehmen sind nur dann nachhaltig erfolgreich, wenn sie für die Gesellschaft einen Mehrwert darstellen. Das tun wir. Hinzu kommt eine Rechtsform, in der das Wohl des Mitglieds und die Förderung der Region ganz vorn stehen. Die Kreditgenossenschaften sind nicht wie andere auf Gewinnmaximierung fokussiert. Natürlich wollen und müssen wir gute Geschäfte machen, wir sind Unternehmer und müssen erfolgreich wirtschaften, um Erträge und Eigenkapital zu generieren. Aber der Aspekt der Maximierung setzt Management und Mitarbeiter unter Druck und lässt die Mitarbeiteridentifikation sinken. Denn die fragen sich doch: Wofür arbeite ich hier? Nur für den Aktienkurs?

Wie interpretieren Sie die Rolle der Präsidentin?

Beim BVR findet koordiniert die politische Willensbildung unserer Gruppe - ausgehend von den Genossenschaftsbanken - statt. Er ist zuständig für die Interessenvertretung. Er ist verantwortlich für die Sicherungseinrichtung, deren jahrzehntelange erfolgreiche Arbeit in der Zukunft fortgeschrieben werden muss. Und er ist das strategische Kompetenzzentrum der Gruppe. Daraus ergeben sich die Aufgabenstellungen nicht nur für mich als Präsidentin, sondern für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BVR.

Wie muss ich mir die Rolle des strategischen Kompetenzzentrums vorstellen?

Es ist eine moderierende und eine vorausschauende Rolle. Wir sind Impulsgeber und müssen im Blick haben, wie sich die Gesellschaft wandelt, wie sich die Technologien verändern und welche Folgen das für das Bankgeschäft hat.

Unser Geschäftsmodell ist dezentral, wir sind kein Konzern. Die Willensbildung findet Bottom-up statt. Von daher tragen wir das gesamte in der Gruppe vorhandene Know-how zusammen, strukturieren es und bieten daraus Inhalte sowie die Sicht des BVR für eine Diskussion an, die wiederum von uns moderiert wird. Die Diskussionen um diese Ideen müssen ausgewogen und kollegial geführt werden, denn nur dann gelingt es, die Mitgliedsinstitute und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von den Konzepten für die Zukunft zu überzeugen. Letztendlich entscheidet jeder Vorstand vor Ort, welche Konzeption er übernimmt.

Ein gutes Beispiel für die Rolle des Kompetenzzentrums ist die Digitalisierungsoffensive. Es wurden von uns zentrale Themen identifiziert und adressiert. Derzeit spreche ich mit vielen Vorstandskollegen in den Regionen, um zu hören, was diese von den Inhalten halten. Ich möchte herausfinden, ob wir die richtigen Themen adressiert haben. Wir wollen bei diesen zentralen und für die Zukunft wichtigen Themen nicht einfach "Copy and Paste" machen und in einem digitalen Einheitsbrei mitschwimmen, sondern einen differenzierten Weg einschlagen. Denn nur dann ist unsere Arbeit nachhaltig.

Was genau verbirgt sich hinter der Digitalisierungsoffensive?

Wir wollen das genossenschaftliche Geschäftsmodell zukunftsfest machen und die selbstständige Genossenschaftsbank vor Ort als wichtige Finanzplattform für Mitglieder und Kunden fest verankern. Die Strategieentwicklung zum Thema Digitalisierung und den damit verbundenen Investitionen in die IT treiben wir in der Genossenschaftlichen Finanzgruppe gemeinsam, also mit den Kreditgenossenschaften, der DZ Bank, den Unternehmen der Finanzgruppe, den Regionalverbänden und natürlich mit der Fiducia & GAD IT AG weiter voran. Auf unserer Mitgliederversammlung im Juni gab es dazu bereits ein starkes Bekenntnis. Es geht um zusätzliche Investitionen bei der Fiducia & GAD in Höhe von 500 Millionen Euro in die Informationstechnologie. Begleitet werden diese von entsprechenden Investitionen der DZ-Bank-Gruppe.

Geplant ist der Ausbau der digitalen Zugangswege im Privat- und Firmenkundengeschäft. Dabei arbeiten interdisziplinär besetzte Teams mit allen Vertretern der Genossenschaftlichen Finanzgruppe derzeit daran, das Herzstück unseres Omnikanalmodells - die neue Vertriebsplattform - zu realisieren. Konkret sollen alle Kundenkontaktpunkte wie Filialen, Servicecenter, Onlinebanking und Banking- App technisch integriert und stärker miteinander verzahnt werden. Services, genossenschaftliche Beratung und Produktabschluss sollen auf allen Kanälen medienbruchfrei angeboten werden. Die neue Vertriebsplattform wird vom Kernbankverfahren entkoppelt und über Schnittstellen angebunden, sodass laufend und unabhängig von Releasezyklen neue Services bereitgestellt werden können. Durch die Nutzung von API-Schnitt stellen können so auch neue Lösungen Dritter künftig einfacher angebunden und das Innovationstempo im digitalen Banking deutlich erhöht werden. Eines ist mir aber wichtig zu betonen: Unserem dezentralen Geschäftsmodell, in dem die Autonomie der Genossenschaftsbank über allem steht, bleiben wir selbstverständlich treu.

Wann werden wir erste Ergebnisse sehen?

Die ersten Ergebnisse sehen wir intern jetzt schon. Die Organisation richtet sich mit großem Engagement auf die neuen technischen Möglichkeiten ein. Das umfasst die strategische und operative Ausrichtung auf das vernetzte Angebot in allen Zugangswegen für unsere Kunden und Mitglieder, die Schulung der Mitarbeiter, neue Anforderungsprofile in den Banken und eine stärkere Priorisierung bei der Budgetallokation auf den digitalen Vertrieb. Bis auch für die Privat- und Firmenkunden neue Angebote bereitstehen, liegen aber noch Monate harter Arbeit vor uns.

In den vergangenen Jahren wurden die Kräfte immer stärker gebündelt, für vieles haben sich Kompetenzzentren entwickelt. Das macht manches sicherlich einfacher, aber birgt es nicht auch die Gefahr einer zu großen Abhängigkeit?

Erst einmal ist es ja sehr gut, dass wir hier nun effizienter aufgestellt sind. Darum beneiden uns viele Wettbewerber. Eine einzige Zentralbank und Rechenzentrale sind das Ergebnis eines langen Konsolidierungsprozesses, der auch Kraft gekostet hat. Der BVR hat hier die Aufgabe, die Interessen der Ortsbanken in allen Entscheidungsprozessen zu vertreten. Auch als ehemaliges Vorstandsmitglied einer Primärbank ist mir das ein Anliegen. Insgesamt ist die Genossenschaftliche Finanzgruppe eine arbeitsteilig aufgebaute Gemeinschaft mit vielen Spezialisten. Natürlich bedeutet das auch Verantwortung dieser spezialisierten Dienstleister und Produktlieferanten für die Finanzgruppe als Ganzes.

Sehen Sie die Fintechs eher als Bedrohung oder eher als Chance für etablierte Banken?

Eine Bedrohung sind diese Unternehmen für uns nicht, viele Banken arbeiten mit ihnen zusammen. Wir wollen aber gleiche Wettbewerbsbedingungen, zum Beispiel in der Eigenkapital- und Liquiditätsausstattung und weiteren Regulierungsansätzen. Natürlich beobachten wir die Angebote der neuen Wettbewerber und leiten Handlungsnotwendigkeiten daraus ab. Als eine traditionsreiche Bankengruppe mit einer bekannten Marke, rund 30 Millionen Kunden und 18,5 Millionen Mitgliedern können wir dieser Konkurrenz aber selbstbewusst entgegentreten.

Noch einmal zurück zur Rolle des BVR als Strategiezentrum: Wie erfolgt hier die Abgrenzung zu einer DZ-Bank-Gruppe, in der viele Verbundunternehmen organisiert sind, und der Fiducia. Beide könnten sich doch ebenfalls als Strategieführer sehen.

Es besteht zwischen dem BVR, der DZ Bank, den Verbundunternehmen und der Rechenzentrale ein klares und abgegrenztes Rollenverständnis: Der BVR ist das strategische Kompetenzzentrum und damit für die Strategie der Genossenschaftlichen Finanzgruppe zuständig. Die DZ-Bank-Gruppe und die Rechenzentrale sind Produktlieferanten und Dienstleister für die Genossenschaftsbanken. Jeder kennt seine Aufgabe. Die strategische Abstimmung und die geschäftspolitische Ausrichtung der Finanzgruppe findet in den BVR-Gremien statt.

Wie sieht die moderne Genossenschaftsbank in Zukunft aus?

Die zeitgemäße Kreditgenossenschaft, dieser Begriff ist treffender als modern, muss in eine Tasche passen, muss an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr ihren Kunden zur Verfügung stehen, muss bei aller Technologisierung des Bankgeschäfts aber auch den persönlichen Kontakt bieten. Das kann über Social-Media-Netzwerke erfolgen, das kann aber auch nach wie vor von Mensch zu Mensch sein, in der Filiale, oder zu Hause beim Kunden. Die persönliche Beratung bleibt auch in Zukunft ein Anker und ein wertvolles Gut für die Genossenschaftsbanken.

Welche Rolle spielt die Primärstufe in Zukunft, Sie sprechen gerne von 2030?

Regionale Kenntnis und Verwurzelung ist die Grundlage des Erfolgs unseres Geschäftsmodells. Die Vorstände unserer Banken verantworten dort das Geschäft, wo sie zu Hause sind und wo sie ihren Lebensmittelpunkt haben. Natürlich ändern sich Strukturen im Land und in der Gesellschaft. Davon bleibt der Bankbereich genauso wenig verschont wie andere Bereiche, etwa die ärztliche Versorgung auf dem Land. Dennoch: Wir sind die profitabelste Bankengruppe Deutschlands. Das geht nur, weil wir vor Ort unterwegs sind.

Wie zufrieden sind Sie Stand heute mit den Marktanteilen und der Marktdurchdringung der Volksbanken und Raiffeisenbanken?

Ich bin stolz auf die Leistungen. Die Gruppe wächst seit zehn Jahren im Einlagen- und Kreditgeschäft stärker als der Markt. Das ist ein ganz klares Vertrauenssignal unserer Kunden. Dieses Wachstum wollen wir in den kommenden Jahren fortsetzen und weiter Marktanteile gewinnen. Und wir wollen auch 2030 in der Presse lesen: Die Genossenschaftliche Finanzgruppe ist die profitabelste Bankengruppe.

Wo sehen Sie noch Wachstumspotenziale?

Das Thema Vorsorge bietet noch sehr viele Möglichkeiten. Die Aufgabe der Genossenschaftsbanken als langjähriger Finanzbegleiter ihrer Kunden ist es, diese für Themen wie Rente und Pflege in Zukunft zu sensibilisieren.

Ein zweites großes Thema, vor allem für junge Familien, ist das Thema Wohnen. Mieten und Immobilienpreise steigen seit vielen Jahren. Hier gilt es, gemeinsam mit den Kunden in den Beratungsgesprächen Lösungen für den Immobilienerwerb zu erarbeiten und immer wieder innovative Produkte zum Thema Wohnen, egal ob im Eigentum oder zur Miete, anzubieten.

Ein drittes Stichwort ist die Aktienkultur, die in Deutschland weit unterdurchschnittlich ausgeprägt ist. Das ist sehr schade, denn dadurch partizipieren viele Menschen nicht an den Erfolgen der Unternehmen. Hier haben die Volksbanken und Raiffeisenbanken einen Beratungsauftrag, viel Know-how und nicht zuletzt durch ihre Produktspezialisten passgenaue Lösungen. Ich sehe hier noch großes Potenzial.

Reicht das aus, um die Erträge zu steigern?

Erfolg verspricht ein Zusammenspiel aus einer Volumensausweitung auf der Aktivseite, einer Intensivierung der Provisionsergebnisse und einer konsequenten Kostendisziplin. Die Institute müssen immer wieder ihr Handeln auf den Prüfstand stellen und analysieren, ob es dies oder das in dieser Größenordnung noch braucht oder wie man es effizienter oder besser machen könnte. Daneben gilt es auch, die Risiken im Blick zu behalten. Eine große Rolle spielt daneben die unternehmerische Verantwortung unserer Eigentümer. Denn ein umsichtiger Umgang bei der Gewinnverwendung schafft für die Institute erst die Möglichkeiten, zu wachsen, ihre Substanz zu stärken und Investitionen in die Zukunft tätigen zu können.

Ist das Thema Kosten eine Gemeinschaftsaufgabe des Verbundes oder primär Verantwortung der einzelnen Bankvorstände?

Beides. Die Genossenschaftliche Finanzgruppe ist geprägt von ihrer Dezentralität und dem selbstständigen Unternehmertum der Genossenschaftsbanken. Dazu kommen zentrale Dienstleister für Produkte, IT und ähnliches. Diese beiden Facetten gilt es, im Sinne einer effizienten Arbeitsteilung immer wieder klug zu kombinieren. Das macht den Erfolg dieser Bankengruppe aus.

Muss über die Erlösverteilung im Verbund neu verhandelt werden? Die DZ Bank macht Rekordgewinne und die Primärstufe kämpft teils um das Überleben.

Alle Beteiligten in den Genossenschaftsbanken und den Verbundinstituten arbeiten hart für den Erfolg der Genossenschaftlichen Finanzgruppe. Da fällt es dem einen nicht leichter als dem anderen. Preise und Konditionen sind zudem immer Teil der unternehmerischen Verantwortung und kein Thema für den BVR.

Steht die Neukundengewinnung im Vordergrund oder die Ausschöpfung der Bestandskunden?

Sowohl als auch. Man muss das eine tun und das andere nicht lassen. Die Begleitung unserer mehr als 30 Millionen Kunden durch verschiedene Lebensphasen hinweg, schafft viele Ansatzpunkte für eine Vertiefung der Kundenbeziehung. Daneben gilt es, weiter zu wachsen und mehr Menschen von den Vorteilen und Mehrwerten einer Genossenschaftsbank zu überzeugen. Wir haben Ambitionen und wollen sportlich unterwegs sein.

Welche Rolle spielt dabei noch die Filiale, rückt sie gegenüber technischen Vertriebswegen nicht immer stärker in den Hintergrund?

Die Geschäftsstelle ist nach wie vor bedeutend für die Region: Es geht um die Förderung der Wirtschaft vor Ort, wie es in unseren Satzungen geschrieben steht und wie es von uns auch gelebt wird. Deswegen halten wir trotz Digitalisierung an der persönlichen Beratung und Präsenz vor Ort fest, sei es mit der Filiale oder dem Bankbus. Die Formate der Filiale mögen sich in Zukunft verändern, aber wir möchten weiterhin in der Region präsent sein. Wir leben Dezentralität. Unsere Banken agieren als eigenständige Unternehmen vor Ort. Sie kennen am besten ihren Markt und wissen, welche Formate vor Ort benötigt werden.

Gleichzeitig werden immer mehr Produkte über Plattformen vertrieben. Hier laufen in der Genossenschaftlichen Finanzgruppe derzeit einige Pilotprojekte. Wie gelingt dabei eine ordentliche Provisionsverteilung?

Wir erleben derzeit ein Wachstum des Plattformgeschäfts in vielen Bereichen. Die Genossenschaftliche Finanzgruppe setzt sich intensiv mit den verschiedenen Möglichkeiten auseinander und muss für sich die Entscheidung treffen, ob und wie man sich auf bestehenden Plattformen beteiligt oder selbst Plattformanbieter sein möchte. Natürlich möchten wir auch künftig der erste Ansprechpartner für unsere Kunden bei Finanzdienstleistungen sein und die Kundenschnittstelle auch in Zukunft besetzen.

Was sind derzeit die größten Herausforderungen für die Volksbanken und Raiffeisenbanken?

Es ist ein Mix aus externen Rahmenbedingungen und internen Herausforderungen. Der Dreiklang aus Regulierung, Niedrigzins und Digitalisierung und die Umsetzung in ein tragfähiges Geschäftsmodell ist sehr anspruchsvoll.

Eine große Herausforderung ist auch die Qualifikation und Gewinnung künftiger Mitarbeiter. Den Beruf des klassischen Bankkaufmanns gibt es zwar immer noch und wird es auch noch lange geben, aber es etablieren sich neue Facetten. Vor zehn Jahren hat keiner daran gedacht, einen Social-Media-Manager zu beschäftigen. Heute wird es für Banken immer wichtiger zu wissen, wie sie über verschiedene digitale Medien den Kontakt mit den Kunden ausbauen können. Das ist für die genossenschaftliche Bankengruppe auch deshalb bedeutend, weil sie über alle Kanäle an die Kunden herantritt. Dialogmarketing gibt es schon seit 2006 als Ausbildungsberuf, der ursprünglich aus dem Telefonmarketing stammt und inzwischen auch die Kundenansprache über diverse technische Kanäle wie Videochat beinhaltet. Neu ist zum Beispiel der Kaufmann für E-Commerce. Er ist für den Aufbau digitaler Vertriebsaktivitäten zuständig, etwa über Onlineshops oder soziale Medien wie Facebook, Twitter und Instagram.

Daneben gewinnt das Thema Datenanalyse enorm an Bedeutung. Das heißt, das Berufsbild Banker wandelt sich, wird vielschichtiger. Für die Institute heißt das, neue Wege in der Personalführung und Personalentwicklung zu gehen, um auch weiterhin als Arbeitgeber interessant genug zu sein. Das ist sehr anspruchsvoll. Denn gleichzeitig müssen Volksbanken und Raiffeisenbanken ihre Mitarbeiter auch durch den tiefgreifenden Strukturwandel begleiten, neue Aufgaben im Haus für Beschäftigte finden, wenn andere durch den Fortschritt wegfallen.

Gerade beim Data Mining unterliegen Banken aber strengeren Vorschriften als andere Unternehmen. Würden Sie sich hier etwas größere Freiheiten wünschen?

Ich glaube, das Wissen um die Bedürfnisse des Kunden ist in den Banken ausreichend vorhanden. Man darf das Thema Data Mining auch nicht überreizen. Denn ein wesentlicher Teil des Bankgeschäfts und des Kundenvertrauens ist die Diskretion und der Datenschutz. Banken müssen sehr sensibel mit den persönlichen Informationen ihrer Kunden umgehen und das ist auch unsere Kompetenz.

Ganz besonders wichtig ist, dass der Wettbewerb fair bleibt. Von daher wäre eine Überprüfung der zahlreichen Regulierungsvorhaben, die verständlicher- und richtigerweise als Folge der Finanzkrise auf den Weg gebracht wurde, möglichst zeitnah wünschenswert. Denn es gibt viele Wechsel- und Nebenwirkungen.

Was genau meinen Sie damit?

Kunden und Banken werden heute mit immer mehr Aufklärungs- und Meldepflichten überzogen. Es gibt berechtigte Zweifel, ob dies zu einer höheren Transparenz und Übersichtlichkeit führt. Es bedarf meiner Ansicht nach dringend einer nüchternen Bewertung, was davon sinnvoll ist und was nicht.

Nichtsdestotrotz werden immer mehr kleine, im Grunde erfolgreiche Banken ihr Heil in Fusionen suchen. Ärgert Sie das?

Wir gehen 2018 von einer ähnlichen Entwicklung wie im Jahr 2017 aus - da gab es zwischen 50 und 60 Fusionen. Die Entscheidung dazu kann immer nur vor Ort gefällt werden. Den Fusionen liegt ja eine wohlüberlegte unternehmerische Entscheidung der Banken vor Ort zugrunde. Die Banken reagieren auf extern vorgegebenen Strukturveränderungen in der Branche unternehmerisch. Daher wenden wir uns ja intensiv gegen eine Regulierung, die kleine und mittlere Banken mit jenen über einen Kamm schert, die in der Finanzkrise die Unterstützung der Steuerzahler benötigten.

Es sollte nicht vergessen werden, welchen Beitrag wir für die öffentliche Infrastruktur und für die mittelständische Wirtschaft leisten. Wir brauchen einen angemessenen regulatorischen Rahmen, in dem wir uns unternehmerisch verantwortungsvoll bewegen können.

Daher ärgere ich mich auch über wieder aktuelle Rufe nach einer europäischen Bankenunion, weil man - so hört man dieser Tage aus Frankfurt - nur so "europäische Champions" bilden könne. Dabei haben wir doch in der Finanzkrise gelernt, dass too-big-to-fail ein Problem ist und dass die größten Banken nicht notwendigerweise die Stärksten waren. Diejenigen, die die Menschen in den Regionen mit Bargeld und Finanzprodukten versorgen und zum Beispiel das Handwerk mit Krediten, sind eben nicht die Großbanken sondern Sparkassen und Genossenschaftsbanken.

Marija Kolak Präsidentin, Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Berlin
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