Redaktionsgespräch mit Felix Hufeld

"Es ist ein Märchen, dass die Unterschiede zu den USA aus einer laxeren Aufsicht dort resultieren"

Felix Hufeld, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht

Die Anforderungen eines zusammenwachsenden Europas stellen alle Beteiligten vor Herausforderungen und führen bei den Menschen mehr und mehr zu einem gewissen Unwohlsein. Denn die Komplexität nimmt immer nur zu. Da ist es eine der großen Aufgaben, diesen Menschen wieder Vertrauen zu vermitteln. Der BaFin-Präsident plädiert auch daher für einfachere und klare Regeln und würde noch bestehende Wahlrechte wo es möglich und sinnvoll ist gerne abschaffen. Auch eine Überprüfung der regulatorischen Vorschriften hält er für sinnvoll und notwendig. Darüber herrsche im Übrigen großer Konsens unter den europäischen Aufsehern, auch wenn natürlich jedes Land seine eigenen Sensitivitäten habe. Diese Einigkeit zeigt sich Hufeld zufolge nicht zuletzt beim SSM, mit dem erstmals die Rechtsanwendung originär auf europäischer Ebene angesiedelt wurde und der erstaunlich gut funktioniere. Nun gelte es aber mit Blick auf die kommenden Herausforderungen, dieses Konstrukt weiter zu stärken und durch weitere Instrumente, insbesondere die Bankenabwicklung, zu ergänzen. (Red.)

Herr Hufeld, vor 20 Jahren startete die Europäische Währungsunion, seit 20 Jahren wächst Europa mehr und mehr zusammen. Wie fällt eine Bewertung aus Sicht des BaFin-Präsidenten aus?

Dass sich eine Region wie Europa, die den größten Wirtschaftsraum der Welt darstellt und mehr als eine halbe Milliarde Menschen repräsentiert, auf eine auf Konvergenz angelegte Reise begibt, ist ohne Frage eines der großen politischen Vorhaben von wirklich historischem Ausmaß. Ich bin der festen Meinung, dass sich Europa in einem weltweiten Konzert der Stimmen nur durch eine starke Gemeinsamkeit behaupten kann. Immer dann, wenn Europa überzeugt und überzeugend mit einer gemeinsamen Stimme spricht, sind die Chancen, unsere europäischen Interessen zu wahren, deutlich größer. Das bestätigen mir all meine Erfahrungen aus den Gesprächen, Treffen und Gremiensitzungen, an denen ich bislang teilnehmen durfte.

Bleibt das so oder stehen dem aktuelle politische Entwicklungen entgegen?

Diese Bedeutung der Gemeinsamkeit wird in den kommenden zwanzig Jahren angesichts der aktuellen Entwicklungen nicht geringer, sondern größer werden. China war vor zwanzig Jahren eine andere Größe im Weltgeschehen als heute und wird dies in zwanzig Jahren erst recht sein. Die USA werden weiterhin ein führender Wirtschaftsstandort sein und mit dem Dollar wahrscheinlich nach wie vor die Welt-Leitwährung stellen. Europa muss als Dritter in diesem Bunde agieren - und zwar zum Wohle der Menschen, die hier leben. Das ist ein Grundbekenntnis, dass ich aus tiefster Überzeugung ausspreche. Dennoch, oder gerade deswegen müssen wir in Europa immer wieder über den richtigen Kurs und viele einzelne Fragen streiten können. Das ist richtig, und das ist legitim.

Es geht dabei nicht darum, ob man für oder gegen Europa ist, sondern allein um die Frage der richtigen europäischen Politik. Diese Frage muss auch in einem weiter zusammenwachsenden Europa erlaubt bleiben. Denn nur durch einen lebendigen demokratischen Diskurs lassen sich belastbare politische Lösungen erzielen.

Werden die daraus resultierenden Rechte und Pflichten gleichermaßen ernsthaft wahrgenommen und auch gelebt?

Die wirtschaftliche Ausgangslage der einzelnen Länder der europäischen Union ist sehr unterschiedlich. Solche Unterschiede sind aber kein rein europäisches Phänomen. In Deutschland zum Beispiel gibt es ebenfalls ein Gefälle zwischen den verschiedenen Bundesländern. Das zeigt, wie wichtig es ist, in Europa die richtige Mischung aus Eigenverantwortung einerseits und Solidarität andererseits zu finden.

2009 befand sich Europa mitten in einer tiefen Finanzkrise, aus der sogar eine Staatsschuldenkrise resultierte. Ist das Konstrukt heute stabiler?

Wenn ich auf die Banken schaue, die vor zehn Jahren maßgeblich für die Krise verantwortlich waren, ist die Antwort eindeutig Ja. Finanzinstitute sind heute definitiv robuster aufgestellt, als dies vor zehn Jahren der Fall war. Damit sind aber die Gefahren von möglichen Verwerfungen an den Finanzmärkten keineswegs vollständig beseitigt. Das wird auch nicht möglich sein. Es ändert aber nichts daran, dass wir dank der angepassten Regulierung über ein eindeutig stabileres Gesamtsystem sprechen.

Aber hat gerade dadurch nicht die Komplexität noch einmal zugenommen?

Wir befinden uns in einer komplexeren und stärker zusammenwachsenden Welt, in der wir mit alten und mit neuen Bedrohungsszenarien konfrontiert werden. Zum Beispiel ist das Problem der Verschuldung in all den Jahren keineswegs kleiner, sondern sogar noch größer geworden. Hinzu kommen Spillover-Risiken aufgrund der Verbundenheit der entwickelten Volkswirtschaften mit Schwellenländern oder auch die politischen Entwicklungen hin zu mehr Protektionismus und Nationalismus. All dies gibt Anlass zur Sorge, ist aber nicht primär regulatorisch bedingt.

Weil Sie die politischen Tendenzen ansprechen: Sind die Menschen von Europa überfordert, oder gar Europa überdrüssig?

Ich weiß nicht, ob man da von Überforderung reden kann. Man muss jedenfalls auf die Menschen zugehen, damit sie nicht denjenigen anheimfallen, die ihnen vermeintlich einfache Lösungen versprechen. Das ist sowohl eine nationale als auch eine europäische Herausforderung.

Ich kann nicht erkennen, dass es sich dabei um ein spezifisch europäisch beziehungsweise europapolitisch verursachtes Problem handelt. Aber es kann als Reflex auf ein Unwohlsein über Europa interpretiert werden. Dem gilt es entschlossen entgegenzutreten, indem man gute Politik macht und den Menschen wieder Vertrauen vermittelt und auch Lösungen anbietet.

Zusammenwachsen bedeutet auch Harmonisierung: Sind Sie eher ein Freund möglichst vieler nationaler Wahlrechte oder plädieren Sie für möglichst einheitliche Standards?

Perspektivisch bin ich ganz klar Verfechter möglichst einheitlicher Standards. Allerdings gibt es auch nationale Besonderheiten, die berücksichtigt werden müssen. Ein Beispiel dafür sind die nationalen Buchhaltungsstandards, also HGB versus IFRS. Es ist eine vollkommen legitime politische Entscheidung, wenn ein Land sich dafür ausspricht, möglichst große Teile seiner Wirtschaft noch nach nationalen Regeln bilanzieren zu lassen. Mit Blick auf die nächsten Jahre geht es aber aus Gründen des Wettbewerbs und des noch stärkeren Zusammenwachsens des europäischen Binnenmarkts darum, nicht allzu viele nationale Besonderheiten mehr zuzulassen. Das muss jedoch zwingend mit Augenmaß und mit Respekt vor teilweise jahrhundertealten Gepflogenheiten in den einzelnen Ländern geschehen. Weder dürfen wir brutal alles plattwalzen und vereinheitlichen, noch darf jede nationale Sonderlocke heiliggesprochen werden. Nur was tatsächlich gleich ist, darf gleich reguliert werden.

Gibt es eigentlich Möglichkeiten, Länder, die Wahlrechte bei der nationalen Umsetzung etwas zu kreativ auslegen, zu sanktionieren?

Wenn sich die Abweichungen innerhalb bestehender Wahlrechte abspielen, ist das legal und legitim und kann auch keine Sanktionen nach sich ziehen. Wir müssen aber dafür Sorge tragen, dass es nicht zu viele Wahlrechte gibt. Wahlrechte müssen immer wieder überprüft werden, und gegebenenfalls müssen auch mal Wahlrechte abgeschafft werden, soweit das rechtlich möglich ist. Im Rahmen der gemeinsamen Bankenaufsicht bei der EZB sind wir hier auf einem guten Weg.

Ähnlich ist dies, wenn wir es mit nichtharmonisiertem Recht zu tun haben. Ein Beispiel dafür sind die rechtlichen Voraussetzungen für die Sachkunde und Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern und bestimmte Insolvenzrechte. Da kann es ebenfalls keine Sanktionen geben. Diese bestehenden nationalen Rechte sind politische Verhandlungsmasse in weiteren Gesprächen innerhalb der EU. Das ist der evolutionäre Prozess, dem sich Europa stellen muss.

Eine Abweichung von geltendem europäischem Recht ist dagegen nicht vorstellbar. Das hätte automatisch entsprechende Sanktionsmaßnahmen zur Folge.

Spüren Sie in Gesprächen mit Aufsichtskollegen eine große Übereinstimmung, was die künftige Regulierung beziehungsweise Harmonisierung angeht, oder gibt es hier noch unterschiedliche Vorstellungen?

Im Grundsatz herrscht große Einigkeit. Natürlich hat jedes Land und damit jeder Aufseher seine eigenen Sensitivitäten. Aber gerade auch auf mittlere bis längere Sicht ist die Akzeptanz für einen weiter integrierten europäischen Markt sehr hoch.

Man sollte dabei auch nicht vergessen, dass die Finanzregulierung nach dem Kartell- und Wettbewerbsrecht eine der am meisten europäisierten Rechtsmaterien ist. Der SSM unter dem Dach der EZB ist hierfür ein perfektes Beispiel. Wir operieren alle mit einem Bein in einem europäischen Umfeld und mit dem anderen im nationalen Rechtsrahmen. Diesen Spagat muss man auch im täglichen Verwaltungshandeln hinbekommen. Aber Finanzregulierer sind gut trainiert, mit dieser Situation umzugehen und trotzdem zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen.

Steigt der politische Einfluss auf Aufsichtsbehörden?

Die entscheidende Frage ist doch, wer Einfluss zu nehmen versucht. Denn es wäre vermessen zu glauben, dass es früher keine Versuche gegeben hätte, nationale Aufsichtsbehörden im eigenen Sinne zu beeinflussen. Das hat es immer schon gegeben und ist immer dann verstärkt zu beobachten, wenn besonders prekäre Herausforderungen oder krisenhafte Zuspitzungen in einem Land zu bewältigen sind. Dann interessieren sich politische Instanzen immer besonders stark für die Wirkungsweise der Finanzaufsicht. Das kann nicht überraschen.

Nun gibt es aber mit dem SSM erstmals eine Institution, bei der die Rechtsanwendung, sprich die der täglichen Aufsicht, originär auf die europäische Ebene angehoben wurde. Hätten Sie mich vor fünf Jahren gefragt, ob das funktionieren kann, wäre ich skeptisch gewesen. Mit den gemachten Erfahrungen und dem Wissen von heute sehe ich das anders. Ich kann mit großem Respekt zur Kenntnis nehmen, dass sich hier tatsächlich so etwas wie eine europäische Sichtweise herauskristallisiert. Der SSM ist ein außergewöhnlich gut funktionierendes Konstrukt. Dies zeigt aber auch, dass wir alle miteinander dazu neigen, Chancen, die mit einer Europäisierung erzeugt werden könnten, zu unterschätzen und Probleme zu überschätzen.

Welche Schritte müssen für den Weg hin zu weiteren europäischen Lösungen nun angegangen werden?

Erstens: Die eben angesprochene bereits etablierte erste Säule der Europäischen Bankenunion, der SSM, muss weiter entwickelt und weiter gestärkt werden, damit sie zu einem noch effizienteren Werkzeug werden kann. Zweitens muss auch die Bankenabwicklung in Europa, der Single Resolution Mechanism, weitere Fortschritte machen. Auch er wurde quasi aus dem Nichts entwickelt und hat sich bislang sehr gut geschlagen. Hier muss regulatorisch noch nachgesteuert werden. Beispiele sind die jüngsten Fortschritte bei MREL. Drittens: In ganz Europa müssen an den großen regulatorischen Werken regelmäßig Überprüfungen und gegebenenfalls Verfeinerungen vorgenommen werden, ganz gleich ob sie globalen Ursprung haben, wie Basel III, oder europäischen, wie MiFID II oder Solvency II. An der sauberen Umsetzung zu arbeiten, ist und bleibt eine enorme Herausforderung. Viertens wird uns das Thema Brexit die kommenden Jahre begleiten.

Neben diesen konkreten Projekten gibt es einige wesentliche Grundtrends an den Finanzmärkten, die die Bankenaufsicht ebenfalls sehr beschäftigen werden. Das ist zum einen die Frage, aus welchen Ursachen heraus sich erneute Finanzkrisen ergeben könnten. Krisen haben nämlich etwas Divenhaftes. Sie tun uns nicht den Gefallen, an den Stellen aufzutreten, an denen sie beim letzten Mal aufgetreten sind. Entscheidend ist daher, die Resilienz von Finanzsystemen zu erhöhen, ohne sie dadurch zu ersticken. Das ist und bleibt ein Balanceakt.

Was kann im Zusammenspiel der europäischen Bankenaufsicht noch verbessert werden?

Dieses Zusammenspiel läuft schon ziemlich gut, was angesichts der vielen Beteiligten beachtlich ist. Aber natürlich kann man an der einen oder anderen Stelle noch etwas verbessern. Beispielsweise können manche Entscheidungsprozesse weiter verschlankt werden. Nicht jede Entscheidung muss im Supervisory Board getroffen werden. Aber darüber diskutieren wir sehr offen, und ich bin optimistisch, dass wir auch da gute Lösungen finden werden.

Haben Kritiker Recht, die mehr Freiheiten für die Kreditinstitute fordern? Denn die amerikanischen Banken stehen sehr viel besser da als die europäischen und deutschen Häuser.

Der Versuchung einer erneuten Deregulierungswelle sollten wir widerstehen. Es gibt auch keine direkte Korrelation zwischen Bankenregulierung beziehungsweise -aufsicht und der Profitabilität eines Bankensystems. Davon abgesehen haben wir das Tool "Rauf mit der Marge" nicht - leider.

In den USA sind es die Marktstrukturen, die wesentlichen Einfluss auf die Fähigkeit der US-Institute haben, schneller zu gesunden. Es ist richtig, dass in den USA mit staatlichem Zwang sehr viel härter und schneller restrukturiert wurde als hier in Europa. Das hat den Instituten am Anfang geholfen. Inzwischen sind es aber das höhere Zinsniveau in den USA und das sehr viel ausgewogenere Verhältnis von Provisionserträgen zu zinstragenden Erträgen, die die amerikanischen Banken deutlich bessere Gewinne machen lassen. Die Wirtschaft in Amerika boomt seit geraumer Zeit. Davon profitiert die Finanzindustrie in den USA dank der hohen Provisionseinnahmen sehr viel stärker als in Europa und vor allem in Deutschland mit seiner Zinslastigkeit.

Das zeigt die Herausforderungen insbesondere für die deutschen Institute, Veränderungen herbeizuführen. Denn es hilft nichts, einen problematischen Zustand nur zu beschwören. Man muss daraus auch Konsequenzen ziehen. Aufsicht spielt in diesem Kontext nur eine nachgeordnete Rolle. Es ist ein Märchen, dass die Unterschiede zu den USA aus einer laxeren Aufsicht dort resultieren.

Viele Institute gerade im Süden Europas haben das billige Geld genutzt, um heimische Staatsanleihen zu kaufen und wenigstens ein bisschen Rendite zu erwirtschaften, und wären von Zinserhöhungen massiv betroffen: Wie geht man als Aufseher mit einem solchen Spannungsfeld um?

Indem man beharrlich dafür wirbt, dass Staatsanleihen nicht als risikofreie Vermögenswerte behandelt werden.

Mit wie viel Sorge erfüllen Sie die hohen Bestände an notleidenden Krediten bei Instituten außerhalb Deutschlands mit Blick auf die Finanzstabilität in Europa?

Die Behandlung notleidender Kredite steht im Rahmen der europäischen Bankenaufsicht ganz weit oben auf der Agenda und wird dort, davon bin ich fest überzeugt, noch eine Weile bleiben.

Sie haben künftige Bedrohungslagen bereits angesprochen, wo könnten diese herkommen. Eher aus Altgeschäften oder eher aus Trends wie der Digitalisierung und dem Cybercrime?

Aus beiden. Es wäre fahrlässig anzunehmen, dass klassische Risikoursachen wie etwa Kreditausfall- oder Zinsänderungsrisiken keine Bedeutung mehr hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Und daneben treten in der Tat neue Risiken, allen voran Störungen im Bereich der IT-Sicherheit, die zumindest potenziell sehr weitreichende Konsequenzen haben können.

Wie begegnet die deutsche Finanzaufsicht dem Megatrend Digitalisierung?

Wir beschäftigen uns intensiv damit. Jahrzehntelang etablierte Strukturen werden plötzlich aufgebrochen, indem sich neue Strukturen und Wertschöpfungsketten herausbilden. Dadurch ergeben sich fundamental neue Chancen auf den Finanzmärkten, und es treten neue Spieler auf den Markt. Die gilt es kennenzulernen und einzuschätzen. Aber es ergeben sich auch völlig neue Gefährdungspotenziale. Cyberrisiken, wie oben bereits erwähnt, beschäftigen Aufseher heute schon im klassischen Aufsichtshandeln und werden das in Zukunft mit Sicherheit noch sehr viel stärker tun. Die große Herausforderung bei all dem ist, dass es kaum Erfahrungswerte gibt, auf die man aufbauen kann.

Das gilt doch auch für die Europäische Bankenabwicklung. Hat die ihre Tauglichkeit schon ausreichend unter Beweis gestellt, einen richtigen Ernstfall gab es doch noch nicht?

Nicht in Deutschland. Aber darüber hinaus hat der SRM schon gezeigt, wie einsatzfähig und wichtig er für die europäische Finanzstabilität ist. Die spanische Banco Populare etwa wurde über Nacht an einen glücklicherweise vorhandenen Käufer veräußert, an die Banco Santander. Hierbei kam das Sale-of-Business-Tool zur Anwendung. Es gab keinerlei Schwankungen an den Finanzmärkten, und das Zusammenspiel von Aufsicht und Abwicklung hat hervorragend funktioniert.

Weitere Beispiele sind italienische Banken. Die EZB hat damals die beiden venezianischen Banken Banca Popolare di Vicenza und Veneto Banca als wahrscheinlich nicht überlebensfähig eingestuft, und der SRM hat sie daraufhin intensiv geprüft. Dabei kam er zu dem Schluss, dass es sich nicht um systemrelevante Banken handelt. In solchen Fällen liegt das weitere Vorgehen im Rahmen des nationalen Insolvenzrechtes. Die beiden Institute wurden mit Unterstützung des italienischen Staates schließlich von der Großbank Intesa Sanpaolo übernommen. Bei der Banca Monte dei Paschi di Siena hat man dagegen ein vorsorgliches Rekapitalisierungsinstrument genutzt.

Beide Varianten sind keine Ausnahmen von der europäischen Bankenabwicklung, wie es immer wieder gern behauptet wird, sondern explizit im Regelwerk BRRD vorgesehen. Das zeigt, das Zusammenspiel zwischen Aufsicht und Abwicklung funktioniert.

Lassen die jeweiligen Insolvenzrechte noch zu viele unterschiedliche nationale Spielräume zu?

Absolut. Das Insolvenzrecht hätte ich sehr gerne noch sehr viel stärker harmonisiert. Aber bis dahin ist es sicherlich noch ein weiter Weg.

Welchen Sinn machen Stresstests, wenn Banken kurz nach Bestehen in ernsthafte Schwierigkeiten geraten? Muss hier am Aufbau der Tests etwas verändert werden?

Ein Stresstest findet nur alle zwei Jahre statt. Durch die modellhafte und komplexe Struktur eines Krisenszenarios ist ein solcher Test nicht geeignet, aktuelle Entwicklungen angemessen abzubilden. Die Veröffentlichung der Ergebnisse hat einen Vorlauf von etwa einem Jahr, in dem alle Beteiligten intensiv an der Erfüllung der Vorgaben arbeiten. Problemlagen, die sich innerhalb weniger Wochen entwickeln, lassen sich mit solchen Tests nicht erfassen. Aktuelle Gefahrenlagen muss und kann nur die laufende Aufsicht erkennen. Zweck von Stresstests ist dagegen, die grundsätzliche Widerstandsfähigkeit der betroffenen Banken abzuklopfen. Und das leistet dieser Stresstest.

Man wird immer leichtes Spiel haben, methodische Schwächen modellbasierter Szenarien auszumachen, gleich, ob es sich um das amerikanische Vorgehen bei Stresstests, das europäische oder irgendwelche Mischformen handelt. Aber das Austesten von Belastungsgrenzen ist nach wie vor extrem nützlich und hilfreich, wenn es darum geht, die Widerstandsfähigkeit von Banken und Sparkassen zu erhöhen.

Ist Deutschland overbanked, wie es immer so schön heißt? Was würden weniger und größere Einheiten mit Blick auf die Finanzstabilität besser machen?

Deutschland ist zweifellos der mit Abstand fragmentierteste Bankenmarkt in Europa. Es verwundert daher nicht, dass Konsolidierung in Deutschland als säkularer Trend seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle spielt. Die Ursachen dafür sind vielfältig, Regulierung ist zweifellos eine davon, aber nicht die Einzige. Um stabil Bankgeschäfte betreiben zu können, ist eine bestimmte kritische Masse zweifellos erforderlich. Wo dieser Schwellenwert genau liegt, kann nicht die Aufsicht beantworten, sondern muss der Markt entscheiden.

Führen aktuelle Entwicklungen wie die Rahmenbedingungen mit sinkenden Erträgen und hohen administrativen Kosten wie für die Regulatorik nicht gerade zum Entstehen größerer Einheiten. Konterkariert das nicht den ursprünglichen Ansatz, "too big to fail" zu verhindern und die Gefahr aus zu großen Banken zu verringern?

Zwischen dem eben beschriebenen Konsolidierungstrend im Bankenmarkt und der Entstehung größter Banken, die dem "too big to fail"-Verdikt unterfallen können, besteht noch eine Menge ungenutzter Spielraum.

Ist es realistisch, dass wir demnächst eine grenzüberschreitende Fusion in Europa sehen oder bleibt Konsolidierung national?

Ich bin mir sicher, beides wird passieren, fragt sich nur, in welcher Reihenfolge.

Felix Hufeld Präsident, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Bonn
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