Redaktionsgespräch mit Hermann Otto Solms

"Too big to fail ist keine Staatsräson."

Dr. Hermann Otto Solms Foto: H. O. Solms, MdB

Einen ausgeglichenen Bundeshaushalt beziehungsweise die viel zitierte "Schwarze Null" hält Hermann Otto Solms im Redaktionsgespräch nicht für ausreichend und fordert eine Entlastung der Bürger ein, einschließlich der ersatzlosen Streichung des Solidaritätszuschlags. In der Steuerpolitik vermisst der Ehrenvorsitzende der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag zudem spürbare Anreize für Investitionen und eine drastische Vereinfachung des Systems. Mit Blick auf Europa und die aktuellen Reformdiskussionen will er die Haushaltspolitik eindeutig in nationaler Verantwortung belassen und will Spielraum für Steuerwettbewerb erhalten wissen. Mit den Ergebnissen der Arbeitsteilung in der europäischen Bankenaufsicht zeigt er sich bislang zufrieden, würde die Aufsicht zur Vermeidung von Zielkonflikten aber lieber in einer unabhängigen Einrichtung angesiedelt sehen. Für die Bankenregulierung wünscht er sich eine Gesamtüberprüfung. Als derzeit noch nicht zukunftsfähig stuft er die deutsche Bankenstruktur ein. (Red.)

Herr Dr. Solms, Sie sind seit Jahrzehnten der Finanzpolitiker der Liberalen. Wären Sie heute - bitte abgesehen vom Koalitionskrach ohne Ende - auch gerne Bundesfinanzminister?

Neben dem Kanzleramt ist das Finanzministerium das einflussreichste Amt der Bundesregierung. Allerdings kann der Finanzminister seine Aufgaben nur so weit erfüllen, als die Parlamentsmehrheit und die Kanzlerin das zulassen. Anders wird es außerordentlich schwierig.

Erscheint Ihnen eine so deklarierte Mehrheit derzeit für Olaf Scholz gegeben?

Da er voll auf die Linie der Koalition eingeschwenkt ist, scheint er keine Probleme damit zu haben. Aus meiner Sicht verfehlt er aber die Aufgabe, die konsumtiven Staatsausgaben einzuschränken und auf der anderen Seite für die dringend notwendigen Entlastungen der Steuerbürger zu sorgen.

Welche Aufgaben des Bundesfinanzministers finden Sie besonders interessant?

Zentrale Aufgabe ist, für ein vernünftiges Verhältnis zwischen Staatseinnahmen und -ausgaben zu sorgen. Die von Schäuble propagierte "Schwarze Null", die sich auch Scholz zum Ziel gesetzt hat, ist nicht ausreichend. Statt die Ausgaben mit aller Kraft auf das Notwendige zu beschränken, ist Finanzpolitik derzeit vor allem Beschaffungspolitik für ausufernde Wünsche. Das ist eine Politik der ständig währenden Belastungen statt der dringend gebotenen Entlastung.

Die zweite zentrale Aufgabe des Finanzministers liegt in einer stabilitätsorientierten Europolitik. Es geht nicht nur um die Einhaltung der Stabilitätskriterien von Maastricht, sondern auch um die Vermeidung einer Transferunion und einer Vergemeinschaftung von Schulden.

Ist der Eindruck richtig, dass Fiscal Policy im klassischen Sinn nicht mehr stattfindet, weil Konjunkturpolitik nach herrschender Meinung zur Sache der Europäischen Zentralbank, also der Geldpolitik geworden ist?

Es ist ja gerade nicht Aufgabe der EZB, Konjunkturpolitik zu betreiben. Sie ist vertraglich auf die Stabilisierung des Geldwertes verpflichtet. Die Fiskalpolitik muss weiterhin Aufgabe der Nationalstaaten bleiben.

EZB-Politik als Konjunkturpolitik - hat die Europäische Zentralbank dafür nicht längst ein überragendes Mandat?

Durch ihre langanhaltende Niedrigzinspolitik hat die EZB die Grenzen ihrer Zuständigkeit überschritten und betreibt eine Konjunkturpolitik durch die Hintertür. Hier ist eine Korrektur dringend überfällig.

Ist nationale Finanzpolitik, wie sie jetzt von vielen rechtspopulistischen Euroregierungen eingefordert wird, im Euroraum nicht längst Illusion?

Nein, grundsätzlich keineswegs. Denn die europäischen Verträge stellen die Haushaltspolitik eindeutig in die nationale Verantwortung. Darauf zu bestehen, auch gegenüber der EZB, ist durchaus wichtig.

Also kein "Eurofinanzminister" nach sanfter französischer Vorstellung?

Es gibt keine Zuständigkeiten für einen europäischen Finanzminister. Macron hat diese Forderung aber auch schon lange nicht mehr erhoben. Offenkundig hält er an dieser Forderung nicht fest. Einen Kommissar für Finanzen in Brüssel, der die Einhaltung der Stabilitätskriterien überwacht und gegebenfalls Sanktionen durchsetzt, könnte ich mir durchaus vorstellen.

Wie beurteilen Sie aus langer Erfahrung heraus das Verhältnis zwischen Finanzminister und Wirtschaftsminister? Halten die Euronationen so erbittert an ihrer Haushaltssouveränität fest, weil sie ihnen als Instrument der nationalen Subventionierung unverzichtbar ist?

Die Haushaltssouveränität ist in unserer Verfassung verankert. Die nationalen Haushalte unterliegen völlig zu Recht der nationalen parlamentarischen Kontrolle.

Was das Verhältnis zwischen Finanzminister und Wirtschaftsminister angeht: Nur, wenn sich beide einig sind, können sie eine Politik durchsetzen, die marktwirtschaftlich und sozial zugleich ist.

Welcher Bundeswirtschaftsminister im Rückblick die größte Wertschätzung erfährt, ist eindeutig - Ludwig Erhard. Wer war für Sie der wichtigste Finanzminister?

Die erfolgreichste Finanzpolitik in Deutschland wurde von Fritz Schäffer (1949 bis 1957) gemacht. Er hat gezeigt, dass man eine investitionsfördernde Finanzpolitik machen kann, ohne sich zu verschulden. Er hat damit einen wesentlichen Beitrag zum deutschen Wirtschaftswunder geleistet.

Wäre Ludwig Erhard heute noch "denkbar"?

Gewiss nicht mit seiner damaligen Durchsetzungskraft. Sie war historisch bedingt - und nur in dieser speziellen historischen Phase durchsetzbar. Übrigens maßgeblich unterstützt von der FDP, etwa in der Frage der Geldwertfreigabe oder bei der Durchsetzung des Kartellgesetzes.

Welchen Sinn machen die Maastrichter Schuldenkriterien noch? Kümmert sich Ihrer Meinung nach überhaupt noch jemand um sie?

Ja, denn sie stellen trotz allem ein Regelwerk dar, das den Staaten Orientierung bei ihrer eigenen Finanzpolitik gibt. Das ist wenig, aber besser als nichts. Und Deutschland ist auf gutem Weg, die absolute Verschuldungsgrenze von 60 Prozent zu unterschreiten.

Die Liberalen hatten Vorschläge in den Jamaika-Verhandlungen dazu gemacht. Hat die Koalition sie aufgegriffen?

Nein. Unsere Vorschläge im Hinblick auf Entlastung der Steuerbürger einerseits und Verschiebung der Schwerpunkte in der Ausgabenpolitik in Richtung Bildung und Digitalisierung wurden abgelehnt. Das war einer der wesentlichen Gründe, warum wir die Sondierungsgespräche verlassen haben.

Was würden Sie bei den Steuern am dringlichsten ändern?

Ab 2020 muss der Soli ersatzlos entfallen. Alles andere wäre verfassungswidrig. Darüber hinaus muss die Steuerpolitik deutliche Anreize für Investitionen beispielsweise durch die Verbesserung von Abschreibungsbedingungen auslösen, damit die deutschen Unternehmen wieder mehr in Deutschland investieren. Nur so lässt sich der durch die Digitalisierung notwendige Strukturwandel bewältigen. Außerdem ist eine drastische Vereinfachung des Steuersystems überfällig. Das hatten wir schon 2009 gefordert. Und das haben Merkel und Schäuble gemeinsam verhindert. In Europa brauchen wir einerseits eine Vereinheitlichung der steuerlichen Bemessungsgrundlage, andererseits aber Spielraum für Steuerwettbewerb.

Ist dies nicht genau das Gegenteil einer fortgesetzten Steuerharmonisierung durch Brüssel?

Die Harmonisierung darf nicht zu einer Vereinheitlichung des Steuersystems führen. Auch hier ist Wettbewerb ein Antrieb für bessere Leistung.

Zurück zum Finanzministerium bitte: War es richtig, ihm die berühmte Abteilung "Geld und Kredit" aus dem Wirtschaftsministerium einzuverleiben?

Diese Entscheidung geht noch zurück auf den damaligen "Superminister" Helmut Schmidt. Sie war nur politisch, nicht ökonomisch begründet und hat das Wirtschaftsministerium in seiner Aufgabe der Konjunktursteuerung geschwächt. Das könnte nur in Koalitionsverhandlungen revidiert werden. Die SPD hat das damals durchgesetzt und die Union ist dabei geblieben.

Falsch?

Ja.

Ist die Bankenaufsicht in Deutschland und Europa hinreichend organisiert - und wirksam?

Die Aufsicht für große Banken durch die EZB und für kleinere Banken durch BaFin und Bundesbank scheint zu funktionieren. Ich halte es aber für einen Fehler, dass diese Aufgabe durch die EZB wegen entstehender Zielkonflikte durchgeführt wird. Man sollte sie aus der EZB herauslösen und eine unabhängige Einrichtung schaffen.

Die deutsche Kreditwirtschaft hat sehr viel an Freiheiten eingebüßt, sie wird in einem Maße reguliert, das man durchaus als Strangulierung bezeichnen kann. Sehen Sie das auch?

Die Regulierung der Kreditwirtschaft sollte einmal einer Gesamtüberprüfung unterzogen werden. Es ist zu klären, wo sie zu weit geht und die vorgegebenen Zwecke eher behindert und wo noch Regulierungslücken bestehen. Die Kreditwirtschaft hat sich das aber durch unverantwortliches Verhalten, welches ja auch zur Finanzkrise 2008/2009 geführt hat, selbst eingebrockt. Die Folge ist, dass sich zahlreiche Banken in Europa in einer existenziellen Krise befinden.

Ist "too big to fail" richtig?

Nein, schon gar nicht aus "Staatsräson". Jedes Wirtschaftssubjekt muss auch im Wettbewerb ausscheiden können.

Würden Sie, rhetorische Frage, die Deutsche Bank retten?

Jede Institution, jedes Unternehmen kann untergehen. Jeder muss scheitern können.

Ist die deutsche Bankenstruktur heute schon zukunftsfähig?

Nein, gewiss nicht!

Dr. Hermann Otto Solms MdB, Ehrenvorsitzender der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag, Bundesschatzmeister der FDP, Berlin
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