Redaktionsgespräch mit Raimund Röseler

"Die Widerstandsfähigkeit ist grundsätzlich gegeben"

Raimund Röseler, Foto: Bernd Roselieb / BaFin

Nicht alle Institute werden die aktuellen Herausforderungen nach Meinung von Raimund Röseler bewältigen können, auch wenn eine hohe Widerstandsfähigkeit durchaus gegeben ist. Aber weder höhere Gebühreneinnahmen durch eine Abkehr von der Gratiskultur noch steigende Provisionseinnahmen durch Fortschritte bei der Kapitalmarktunion werden seiner Meinung nach ausreichen, um den Rückgang bei den Zinserträgen zu kompensieren. Mit Blick auf das weite Thema Nachhaltigkeit könne bei vielem auf die bestehende Regulatorik und den Grundsatz, dass Banken ihre Risiken, egal ob grün oder braun, einschätzen und steuern müssen, verwiesen werden. Allerdings werde auch das wieder zu einem erhöhten Meldeaufwand führen. Aus diesem Grund hat die BaFin ein Pilotprojekt mit fünf Instituten gestartet, um zu überprüfen, ob und wie durch eine deutlich erweiterte Kooperation der Aufsichtsbehörde mit den Banken die Belastungen aus dem Meldewesen reduziert werden können. (Red.)

Herr Röseler, wie würden Sie die Widerstandsfähigkeit des deutschen Bankensystems im Frühjahr 2020 beurteilen?

Diese Einschätzung ist gar nicht so leicht. Die Zinsen sind immer noch sehr niedrig. Das ist eine große Herausforderung für die meisten deutschen Banken, die stark vom Zinsertrag abhängig sind. Darüber hinaus schwächelt die Konjunktur. Und es gibt neue, globale Bedrohungen wie den Corona-Virus, die sich negativ auf das weltweite Wirtschaftswachstum auswirken werden. Das alles zusammengenommen ist für deutsche Banken schon eine Herausforderung. Ganz grundsätzlich ist die Widerstandsfähigkeit durch die ordentliche Eigenkapitalausstattung aber gegeben.

Was würden Sie als größtes Problem sehen? Die niedrigen Zinsen, die sich von Jahr zu Jahr immer tiefer in die Ertragsrechnungen fressen?

Das ist sicherlich eine der großen Herausforderungen, die sich zudem nicht schnell lösen lässt. Die Aufsicht muss die Auswirkungen der niedrigen Zinsen auf die etablierten Geschäftsmodelle bei ihrer Risikobewertung berücksichtigen. In Zukunft werden wir daher mehr Zeit für die Analyse von Geschäftsmodellen aufwenden. Und wir wollen wissen, wie die Banken die Herausforderungen der Zukunft lösen möchten. Dabei dürfen wir aber eines nicht aus den Augen verlieren: Das klassische Bankgeschäft hat sich zwar verändert, ist im Kern aber gleich geblieben. Alle Player auf dem Markt müssen, bei allem Sinn für Technik und Innovation, das Bankgeschäft beherrschen.

Wenn wir bei den Risiken sind: Wie geht die deutsche Bankenaufsicht mit den wachsenden Risiken aus der Corona-Panik um? Ist das ein Thema?

Die BaFin monitort und analysiert die möglichen Risiken für die Institute durch den Corona-Virus. Mit den Instituten stehen wir im engen Austausch über Auswirkungen und Notfallplanungen.

Wie werten Sie die Maßnahmen, die Banken jetzt ergreifen, unter anderem sehen wir in großen Teilen der Kreditwirtschaft einen Abschied von der Gratiskultur? Kann das helfen, für mehr Stabilität bei den Erträgen zu sorgen?

Die Preise für einzelne Bankdienstleistungen in Deutschland sind weder risikogerecht noch kostengerecht. Von daher habe ich Verständnis dafür, wenn Banken nun an der Preis- und Gebührenschraube drehen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass auf dem Bankenmarkt in der Bundesrepublik ein besonders harter Wettbewerb herrscht. Von daher glaube ich nicht, dass Preiserhöhungen beliebig durchsetzbar sein werden. Risiko- und kostenadäquate Preise helfen sicherlich ein wenig, den Ertragsdruck zu mildern, werden aber auch nicht ausreichen, das rückläufige Zinsergebnis vollständig zu kompensieren.

In der Tat sind noch keine spürbaren Erfolge auf der Provisionsseite in der Breite zu sehen, wenn man sich die bislang vorgelegten Ergebnisse für das Geschäftsjahr 2019 anschaut. Es fehlt noch der große Swing.

Es gibt Verbesserungen, aber wie gesagt noch keine Kompensation. Von daher bleibt den Instituten kaum etwas anderes übrig, als weiter an der Kostenschraube zu drehen.

Man kann sich aber doch auch totsparen, oder?

Vielleicht müssen manche Banken schlicht und einfach schrumpfen.

Stichwort Bankenunion: Wie ist der aktuelle Stand?

In Sachen Bankenunion sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Es gibt mittlerweile den einheitlichen Aufsichtsmechanismus SSM, den einheitlichen Abwicklungsmechanismus SRM und den einheitlichen Abwicklungsfonds SRF. Wir haben also ein klares und einheitliches Regelwerk für ganz Europa. Was noch fehlt, ist die letzte Säule, die gemeinsame Einlagensicherung. Das ist aber ein sehr sensibles Thema. Aus deutscher Sicht muss alles vermieden werden, was das Vertrauen deutscher Einleger in ihre jeweilige Einlagensicherung erschüttern könnte. Von daher finde ich es richtig, zuerst auf den Abbau von Risiken zu drängen und sich erst danach Gedanken zu machen, wie eine Europäische Einlagensicherung ausgestaltet werden kann. Doch auch vorbehaltlich der noch nicht gelösten Fragen dieser dritten Säule kann schon jetzt gesagt werden, dass die Bankenunion signifikant zur Stabilität der Finanzmärkte in Europa beiträgt.

Wie bewerten Sie den Vorstoß von Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der verschiedene Diskussionspunkte miteinander kombiniert hat, um Bewegung in die Diskussion um EDIS zu bringen?

Durch den Vorschlag wird nochmals betont, dass wir auf der einen Seite über das Thema Einlagensicherung sprechen, auf der anderen über das Thema Risiken, und dass beide Themen nur gemeinsam gelöst werden können. Wenn man eine gemeinsame Einlagensicherung haben will, muss man parallel die Risiken reduzieren.

Beobachten Sie hier irgendwelche Fortschritte in den anderen Ländern Europas?

Beim Thema NPL gibt es sicherlich Fortschritte. Bei Staatsanleihen dagegen überhaupt keine, im Gegenteil. Wir sehen, dass das Exposure von vielen Banken gegenüber ihrem Heimatstaat immer größer wird.

Bringt das neue Bewegung in die Diskussion um eine Unterlegung von Staatsanleihen in den Bankbilanzen mit Eigenkapital?

Nein, diese Verhandlungen in Basel sind festgefahren. Da bewegt sich derzeit nichts. Ich befürchte sogar, dass sie für mehrere Jahre auf Eis liegen.

Inwieweit würde die Kapitalmarktunion helfen, den Standort Europa und damit auch den Standort Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen?

Die Kapitalmarktunion mit einem stärkeren Anteil des kapitalmarktgetriebenen Geschäfts könnte dafür sorgen, dass die Provisionserträge steigen und somit die Abhängigkeit der Banken von den Zinsen verringert wird. Das wäre ein Vorteil. Ich finde andererseits aber auch, dass unserer Bankensystem in Deutschland sehr gut zu unserer Wirtschaftsstruktur passt. Deutschland zeichnet seit Jahren eine dezentral geprägte, mittelständische Wirtschaft und ein dezentral geprägtes, mittelständisches Bankensystem aus. Zu dieser Struktur passt die Dominanz der Kreditfinanzierung. Mittelständische Unternehmen werden diese Bankenfinanzierung künftig sicher nicht komplett auf den Kapitalmarkt umstellen. Und die deutschen Banken sind Dienstleister für die Realwirtschaft. Das funktioniert. Deswegen sehe ich keine Notwendigkeit, mit Gewalt etwas an dem System zu ändern.

Bleiben wir bei der Wettbewerbsfähigkeit: Besonders eine Bankengruppe klagt über stark steigende Eigenkapitalbelastungen im Zuge der Umsetzung von Basel III. Zu Recht?

Wir alle kennen die Auswirkungsstudie der EBA. Laut dieser führen die erhöhten Risikoaktiva aggregiert zu einem Anstieg von 24,4 Prozent und einer Kapitallücke von rund 135 Milliarden Euro. Die Studie basiert allerdings auf sehr konservativen Annahmen und ist eine reine Zeitpunktbetrachtung der Zahlenwerke der Institute im Juni 2018. Auch sind eventuelle Gegenmaßnahmen der Banken nicht berücksichtigt. Für die an der Studie enthaltenen deutschen Banken sieht sie allerdings einen Anstieg der Kapitalanforderungen von circa 38 Prozent vor.

Die Zahlen beunruhigen die Industrie in Deutschland verständlicherweise, wir sehen sie uns sorgfältig an. Ansonsten sind mit Schweden und Dänemark vor allem Länder mit relativen stabilen Banken- und Unternehmenssektoren ähnlich betroffen. Die ECOFIN wie auch die Zentralbankgouverneure und Finanzminister der G20 haben 2016 beziehungsweise 2017 die Erwartung ausgedrückt, dass Kapitalanforderungen für Institute insgesamt sich nicht signifikant durch Basel III erhöhen werden. Ein Anstieg von circa 38 Prozent ist sicherlich nicht insignifikant.

Auch fallen die Belastungen für die verschiedenen Institutsgruppen sehr unterschiedlich aus. Besonders betroffen sind vor allem große Institute, die in der Vergangenheit sehr stark auf interne Modelle gesetzt haben. Es war erklärtes Ziel von Basel III, die übermäßige RWA-Variabilität bei diesen Banken zu vermindern. Bei kleinen und mittleren Banken, die bislang schon vor allem auf den Standardansatz zurückgegriffen haben, fallen die zusätzlichen Belastungen deutlich geringer aus.

In Basel haben wir seinerzeit vereinbart, dass der Kompromiss überall auf der Erde umgesetzt werden sollte - und zwar vollständig und bis 2022, wobei die jeweiligen regionalen und damit auch europäischen Besonderheiten und ein Level Playing Field gewahrt bleiben sollen. Klar ist auch, dass negative Auswirkungen auf die Finanzierung der Realwirtschaft vermieden werden sollen. Für Deutschland ist zudem die Berücksichtigung des Proportionalitätsgrundsatzes, das heißt die Berücksichtigung der Geschäftsmodelle und Situation kleiner, nicht international tätiger Banken, wichtig

Im vergangenen Jahr wurden verschiedene aufsichtliche Erleichterungen eingeführt, beispielsweise der vereinfachte Wechsel zwischen Standardansatz und internen Modellen und die Möglichkeit, über Ergänzungskapital die Kapitalbasis zu stärken. Ist das als Kompensation für die verschärften Anforderungen nach Basel III erfolgt, weil man die hohen Belastungen erkannt hat?

Nein, das hat nichts miteinander zu tun. Aber wenn Basel zu Recht die Bedeutung interner Modelle einschränkt, dann darf man nicht 92 Prozent Abdeckung von Modellen verlangen. Vielmehr muss man den Banken auch die Möglichkeit geben, da wo es sinnvoll ist, den Standardansatz zu nutzen. Das ist nur folgerichtig. Entsprechend wird dieser Wechsel nun etwas großzügiger erlaubt als früher.

Und das Ergänzungskapital hilft zwar, bestimmte Vorgaben zu erfüllen. Aber echtes hartes Kernkapital ist uns Aufsehern natürlich lieber. Denn wie der Name Ergänzungskapital schon sagt, haftet es nicht gleichermaßen.

Neben den niedrigen Zinsen, der Digitalisierung und den aufsichtlichen Anforderungen ist es derzeit vor allem das Thema Nachhaltigkeit, das die Kreditwirtschaft fordert. Diese wird von der Politik als Finanzierer und Anleger gerne als Hebel genutzt, um eine größere Wirkung bei nachhaltigen Fragestellungen zu erzielen. Überfordert das die Branche nicht ein wenig?

Eine Überforderung kann ich nicht feststellen, zumindest nicht aus Sicht der Aufsicht. Denn die Anforderungen, die wir stellen, sind eigentlich nichts Neues. Wir verlangen, dass Banken all ihre Risiken bewerten und managen.

Aber es sind doch einige neue Risikogruppen dazugekommen. Das kurz vor Weihnachten von der BaFin veröffentlichte Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken spricht von physischen und transitorischen Risiken, die als Faktoren der bestehenden Risikoarten zunehmende Wirkung entfalten können. Ist das nicht doch etwas Neues?

Zunächst einmal bestimmt das Merkblatt den Begriff Nachhaltigkeit etwas breiter, nämlich im Sinne von ESG, das heißt, es umfasst Umwelt, Soziales und die Unternehmensführung. Dann möchte ich betonen, dass die im Merkblatt aufgezeigten Grundsätze und Prozesse als Good-Practice-Ansätze zu verstehen sind, an denen sich die Unternehmen orientieren sollen.

Nun aber zu Ihrer Frage nach den Risiken: Das Merkblatt beschreibt ausführlich mögliche Risikoidentifikations-, -steuerungs- und -controllingprozesse sowie klassische Methoden und Verfahren in Bezug auf Nachhaltigkeitsrisiken. Es orientiert sich dabei aber an der Struktur der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk), sodass ich nicht erkennen kann, dass es etwas Neues für die Banken ist.

Aber muss man nicht auch leicht hellseherische Fähigkeiten haben, um heute zu wissen, auch Sie als Aufseher, was morgen eventuell unter Sustainable-Finance-Gesichtspunkten kritisch werden könnte an Ausleihungen?

Wir verlangen lediglich, dass Banken sich ein Bild davon machen, welchen Risiken sie ausgesetzt sind, egal ob es dabei um eine Hausfinanzierung oder einen Firmenkredit geht. Dafür muss man nicht hellsehen können. Risiken sind dann zu berücksichtigen, wenn sie schlagend werden können, also wenn es neue Erkenntnisse gibt. Dass es dabei auch einmal Fehleinschätzungen geben kann, ist legitim.

Aber diese neuen Erkenntnisse wirken sich dann doch auf die Altbestände aus und müssen sozusagen rückwirkend berücksichtigt werden, oder?

Natürlich. Aber das ist kein neues Phänomen, das mit ESG zu tun hat, sondern ganz normales Risikomanagement der Institute.

Wie beurteilen Sie die im vergangenen Jahr verabschiedete Taxonomie? Sprechen wir jetzt endlich alle vom Gleichen?

Das muss die Zukunft zeigen. Die Taxonomie ist letztlich auch nur ein Hilfsinstrument. Denn natürlich können Banken im Rahmen ihres Risikomanagements zu der Erkenntnis gelangen, dass das, was laut Taxonomie eigentlich "grün" ist, in Wirklichkeit gar nicht so grün ist und andersherum. Aber ich finde, die Taxonomie ist ein guter Ausgangspunkt.

Gibt es denn unter Aufsehern nun auch das gleiche Verständnis über "grün"?

Es gibt nach wie vor ein unterschiedliches Verständnis - nicht nur international mit Amerika oder China, sondern auch innerhalb Europas. Das zeigen die Gespräche im Baseler Ausschuss. Die Taxonomie kann dazu dienen, dass wir eine gemeinsame Gesprächsbasis finden. Ein Beispiel: Es gibt Länder, die auf Basis dieser Taxonomie das Exposure von Banken definieren, gegenüber nicht nachhaltigen Investments und dann sogar darüber nachdenken, ob es dafür eine Zielquote geben soll. Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt.

Deutschland hat sich dem Thema aufsichtlich etwas später geöffnet als beispielsweise die Briten oder Holländer. Gibt es Nachholbedarf?

Ja, es gibt andere Länder, die etwas früher den Fokus auf diese Themen gelegt haben. Aber einen Nachholbedarf sehe ich nicht. Deutschland gehört beispielsweise zu den Gründungsmitgliedern des Gremiums "Central Banks and Supervisors Network for Greening the Financial System".

Wie wichtig ist bei einem globalen Thema wie Nachhaltigkeit oder Klimawandel ein abgestimmtes und einheitliches Vorgehen aller Aufseher? Gibt es noch große Unterschiede mit Blick auf die Dringlichkeit der Themen?

Ein abgestimmtes Verhalten ist extrem wichtig, denn sonst kommen wir sehr schnell in die Gefahren des klassischen Trittbrettfahrerverhaltens. Man lässt erstmal andere machen, profitiert aber von den Vorzügen. Das senkt dann relativ schnell die Motivation bei denen, die etwas bewegen wollen.

Das Thema Nachhaltigkeit in der Finanzwelt ist daher auch ein Thema für globale Standardsetzer. So wurde im Baseler Ausschuss nach einigem Hin und Her zwar eine sehr hochrangige Arbeitsgruppe etabliert. Diese ist im Januar gegründet worden und hat jetzt ihre Arbeit aufgenommen. Das ist grundsätzlich sehr zu begrüßen, weil wir dieses wichtige Thema nun endlich auch im Baseler Ausschuss, der der weltweite Standardsetzer für Banken und Regierungen ist, verankert haben. Allerdings ist jetzt schon zu erkennen, dass manche Länder weniger motiviert sind als andere.

Spüren Sie, dass das Thema auch in den Banken und Sparkassen angekommen ist. Machen sich die Institute heute mehr Gedanken über Klimawandel als noch vor zwei oder drei Jahren?

Da habe ich jetzt nur anekdotische Evidenz, aber meine Wahrnehmung ist, dass sich die Institute nicht häufiger Gedanken machen. Auf die Frage "Berücksichtigen Sie Klimarisiken?" im LSI-Stresstest haben 44 Prozent der Banken mit Nein geantwortet. Ich glaube, dass mehr als jede zweite Bank von diesem Thema betroffen ist. Da gibt es auf jeden Fall noch Bedarf für Sensibilisierung. Das war auch ein Motiv für unser Merkblatt.

Hat die BaFin denn besondere Sanktionsmöglichkeiten, wenn sie das Gefühl bekommt, die Banken und Sparkassen nehmen das Thema nicht ernst genug?

Das Merkblatt ist erst mal rechtlich unverbindlich. Es drückt lediglich unsere Erwartungen aus. Aber wir als Aufseher setzen auch voraus, dass unsere Erwartungen ernst genommen werden. Das ist der Sinn, wenn wir so etwas veröffentlichen.

Aber noch einmal: Das Thema Nachhaltigkeit samt den Anforderungen ist nicht mehr und nicht weniger als eine Konkretisierung der MaRisk. Wir verlangen, dass Banken alle ihre Risiken managen und steuern. Wenn eine Bank das nicht tut, sei es im Bereich Nachhaltigkeit oder irgendeinem anderen Bereich, dann haben wir natürlich Sanktionsmöglichkeiten im Rahmen des klassischen Instrumentariums.

Wie kann man Banken zu mehr nachhaltigem Verhalten bewegen, wenn nicht über Eigenkapitalerleichterungen? Der Präsident Felix Hufeld ist da bekanntermaßen etwas skeptisch, da er sagt, grün ist nicht gleichzusetzen mit ohne Risiko.

Ich würde differenzieren: Wir sind nicht grundsätzlich gegen geringere Eigenkapitalanforderungen für grüne Investments. Allerdings nicht pauschalisiert, sondern immer gemessen am Risikogehalt. Bei pauschalen Erleichterungen droht schnell eine Fehlallokation oder gar eine Blasenbildung. Aber wenn das Risiko nachweislich geringer ist, sollten auch die Eigenkapitalanforderungen geringer sein - dieses Prinzip gilt ganz unabhängig von grün oder nicht grün.

Das heißt keine grundsätzliche Förderung von nachhaltigen Finanzierungen über Eigenkapitalerleichterungen?

Es ist nicht die Aufgabe der Aufsicht, nachhaltige Finanzierung zu fördern. Das ist Aufgabe der Politik. Es ist ebenfalls Aufgabe der Politik, mögliche Preisverzerrungen, die dadurch entstehen, zu bereinigen. Wir beaufsichtigen die Risiken in den Banken, aber wir steuern nicht.

Was würden Sie sich im Bereich Nachhaltigkeit an neuen Gesetzen oder stärkeren Durchgriffsmöglichkeiten wünschen?

Nichts, da das normale Instrumentarium der Aufsicht ausreicht.

Was könnte der Gesetzgeber denn tun, um wie von Ihnen angesprochen nachhaltiges Verhalten mehr zu fördern und für ein stärkeres Bewusstsein zu sorgen?

Die Taxonomie ist sicherlich wertvoll. Daneben finde ich die unterschiedlichen europäischen Initiativen vernünftig. Beispielsweise muss Vergütungspolitik im Einklang mit Nachhaltigkeitsaspekten stehen. Aber wir brauchen dafür keine neuen Gesetze. All das lässt sich mit dem bisherigen Instrumentarium der Bankenaufsicht im Rahmen der bestehenden Regelwerke abdecken.

Befürchten Sie eine Blase durch den grünen Hype?

Nein, im Moment sehe ich noch keine Blase. Alle sind sehr vorsichtig, sehr abwartend. Es gibt einen Mangel an grünen Investitionsmöglichkeiten, das sicherlich. Aber ich sehe noch keine massiven Preisverzerrungen.

Können die Institute mit der Emission grüner Bonds neue Investorengruppen ansprechen oder erfolgt eher eine Kannibalisierung der klassischen Refinanzierungspartner?

Ich glaube, dass es die große Chance gibt, neue Investoren zu generieren. Einerseits verschärfen immer mehr Investoren ihre Standards mit Blick auf Nachhaltigkeit, andererseits ist das Angebot an Investitionsmöglichkeiten, wie gesagt, immer noch gering.

Bankenaufsicht greift in der Regel auf Erfahrungswerte und vergangenheitsbezogene Daten zurück. Das ist beim Thema Nachhaltigkeit nur schwer möglich. Stellt das ein Problem dar? Wie nähert man sich diesem Thema von der Aufsichtsseite?

Man hilft sich, indem man mit Prognosen arbeitet. Wir messen ja nicht das Exposure nachhaltiger Finanzierungen gegenüber nicht nachhaltigen Finanzierungen. Wir verlangen nur, dass Banken sich selbst Gedanken über den Risikogehalt machen. Für die Verbesserung der Datenlage haben wir hier im Haus eine Einheit gegründet, die sich speziell um die Themen Sustainable Finance kümmert. So wollen wir auch auf der Grundlagenseite vorankommen.

Heißt das, es kommen verstärkt neue Meldepflichten auf die Banken zu?

Es gibt heute schon Meldepflichten zum Thema Sustainable Finance. Die treffen aber weniger die Banken als vielmehr die Asset Manager und Fondsgesellschaften. Aber es wird durch dieses Thema sicherlich zu einem weiter erhöhten administrativen Aufwand kommen.

Auch deswegen hat die BaFin eine Machbarkeitsstudie gestartet, um den Meldewesen-Aufwand generell zu reduzieren. Ziel ist, nicht nur den Aufwand zu reduzieren, sondern auch die Effektivität zu erhöhen.

Wie viele Banken sind an diesem Piloten beteiligt?

Wir arbeiten bei diesem Projekt mit fünf Banken aus den verschiedenen Bankengruppen zusammen. Es hätten aber auch viel mehr Pilotbanken sein können. Das Interesse an dem Vorhaben ist riesengroß.

Wird das Thema Nachhaltigkeit künftig noch stärker ein echter Wettbewerbsfaktor bei der Entscheidung pro oder kontra für eine Bank?

Ganz sicher. Das Bewusstsein auf der Kundenseite steigt stetig an, sowohl bei der Nachfrage nach Finanzierungen als auch bei Investitionen. Denjenigen Instituten, die diesem Trend nicht folgen, werden schlicht die Kunden abhandenkommen.

Wird das den Konsolidierungstrend noch weiter verstärken?

Ich denke, dass manche Banken die aktuellen Herausforderungen nicht überleben werden. Neben dem Thema Nachhaltigkeit gibt es ja noch die Niedrigzinsphase und die Digitalisierung, die Druck auf die Geschäftsmodelle entwickeln.

Auf was muss man sich als beaufsichtigtes Institut in naher Zukunft einstellen?

Die Erwartungen der Bankenaufsicht sind in dem Merkblatt ziemlich deutlich formuliert. Wir erwarten, dass diese Erwartungen ernst genommen werden. Davon werden wir uns in den kommenden Monaten überzeugen. Derzeit erarbeiten wir eine Handreichung für unsere Mitarbeiter, damit diese sich in den Aufsichtsgesprächen systematisch ein Bild machen können.

Werden Nachhaltigkeitsaspekte künftig Teil des Stresstests sein?

Ja. Die EBA arbeitet aktuell daran, dies in den 2022 stattfindenden nächsten Stresstest einzuarbeiten. Und wir werden das Thema dann auch im LSI-Stresstest berücksichtigen.

Raimund Röseler Exekutivdirektor Bankenaufsicht, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Bonn
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