Früher war mehr Lametta!

Philipp Otto Chefredakteur, Foto: Fritz Knapp Verlag

"Früher war mehr Lametta!" So grantelt Opa Hoppenstedt 1976 in Loriots "Weihnachten bei den Hoppenstedts" über den Christbaum, das Weihnachtsfest mit der Familie und das ganze Drumherum an sich. Früher, ja früher sei alles viel besinnlicher und schöner gewesen, nicht so hektisch und unpersönlich.

"Früher war mehr Lametta" wurde zum geflügelten Wort für all diejenigen, die meinen, dass früher alles besser war. Früher war mehr Lametta. Gilt das auch für den Euro? Zunächst einmal: Herzlichen Glückwusch. Die Einheitswährung ist zu Beginn dieses Jahres 20 Jahre alt geworden. Erwachsen also, gereift, bewährt. Aber eben auch umstritten. Das ist übrigens nichts Neues, sondern war schon bei den Anfängen so. Die Feierlichkeiten zum zwanzigjährigen Bestehen der Europäischen Währungsunion fielen bescheiden aus. Dabei fielen sie doch auf den ersten Blick in eine bessere Zeit als der zehnjährige Geburtstag: Ende 2008/Anfang 2009 war die Finanzkrise in vollem Gang und weitete sich zur Eurokrise aus. Es zeigte sich mehr und mehr, dass viele Länder mit der Gemeinschaftswährung und den damit verbundenen Freiheiten nicht ganz so pflichtbewusst umgegangen sind. Statt zu dauerhafter Konvergenz führte der Euro zu mehr wirtschaftlicher Divergenz.

Die Folgen beschäftigen Europas Politiker und Notenbanker, aber vor allem die Menschen heute immer noch. Gerade erst hat die Europäische Zentralbank das viel kritisierte Anleihekaufprogramm beendet, welches 2015 als eines der unkonventionellen geldpolitischen Rettungsinstrumente ins Leben gerufen wurde. Klammer auf: Die Ankäufe von Staats- und Unternehmensanleihen, Pfandbriefen und Covered Bonds werden noch viele Jahre weitergehen, da lediglich beschlossen wurde, den Bestand durch neue Käufe nicht weiter zu erhöhen. Er soll aber gehalten werden, was nichts anderes heißt, dass Fälligkeiten durch neue Papiere ersetzt werden. Dafür werden die Notenbanker in den kommenden gut zehn Jahren weiterhin Anleihen im Volumen mehrerer Milliarden Euro, allein 2022 sind es über 30 Milliarden Euro, die ersetzt werden müssen, kaufen. Klammer zu.

Aber ist die Situation heute wirklich so viel besser? Die EZB befindet sich geldpolitisch immer noch im Krisenmodus. Nationalistische und protektionistische Tendenzen nehmen immer stärker zu. Politische Unsicherheiten sind vermutlich derzeit so groß, wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Europa als Ganzes muss aufpassen, zwischen einem immer schon starken Amerika und einem immer stärker werden China nicht zerrieben zu werden. Handelskonflikte müssen gelöst werden, bevor sie wirklich eskalieren und zu dauerhaftem wirtschaftlichem Schaden führen. Der Brexit, ob und wie er nun kommt oder nicht, ist Beleg für eine Unsicherheit und eine Unzufriedenheit der Menschen mit Europa, das immer mehr eingreifen, immer mehr harmonisieren muss, dies aber nicht gut genug macht. Die Hochkonjunktur kühlt langsam ab. Und die Flüchtlingsthematik ist eine echte Bewährungsprobe für den Zusammenhalt der europäischen Staaten. Früher war mehr Lametta?

Altbundeskanzler Helmut Kohl, der die Europäische Währungsunion mit aller Macht wollte und vorantrieb, wusste, dass eine enge fiskalische Union damals für viele unvorstellbar war. Er ging daher den gangbaren Weg, erst die Währungsunion, dann eine Fiskalunion und dann eine politische Union - mit allen guten wie schlechten Konsequenzen. Man mag das heute im Blick zurück als falsch bezeichnen. Die entscheidenden Fehler aber wurden von anderen gemacht. Von zu optimistischen Politikern, die die günstigeren Möglichkeiten der neuen Währung nutzten, sich mit Geld vollzusaugen und maßlos zu verschulden. Von Kohls Nachfolgern, die die Europäische Währungsunion viel zu schnell auf immer mehr Staaten anwachsen ließen, die die strengen Kriterien des Maastricht-Vertrages noch nicht einmal im Ansatz erfüllten. Von Deutschland und Frankreich, die als erste bereits 2003 auf eine Aufweichung des Stabilitätspaktes, des zarten finanzpolitischen Rückgrates der Währungsunion, drängten und diese auch erreichten. Von der Bundesrepublik, die als eines der ersten Länder die Schuldengrenzen des gemeinsam festgelegten Maastricht-Vertrags gerissen hat. 2010 lag die Schuldenstandsquote, die den Schuldenberg in Relation zum BIP setzt, bei 83 statt bei den erforderlichen 60 Prozent.

Und natürlich auch von der EZB, die im Zuge des Krisenmanagements zwar vieles richtig gemacht hat, aber eben mit dem Ankauf griechischer Staatsanleihen im Jahr 2010 die unsichtbare Grenze zur monetären Staatsfinanzierung überschritten hatte - auch wenn der EuGH gerade anders geurteilt hat. Und die mit ihrer Nullzinspolitik für viel Frust bei den Bürgern sorgt, die für ihr mühsam Erspartes nun nichts mehr bekommen, und die europäischen Banken, die es aufgrund der hier herrschenden Wirtschaftsstrukturen ohnehin schwerer haben als kapitalmarktgetriebene und provisionsabhängige Wettbewerber, in echte Nöte bringt. Gezwungenermaßen wohlgemerkt, denn höhere Zinsen wären für manche Länder der Todesstoß.

Gleichwohl sind Euro und europäische Währungsunion gut für Europa. "Nur der Euro ist in der Lage, mit den großen Währungen der Welt mitzuhalten", sagt beispielsweise Commerzbank-Chef Martin Zielke im Interview in dieser Ausgabe. Für ihn zeigen gerade die jüngsten Auseinandersetzungen in der Handelspolitik, wie wichtig eine international akzeptierte Währung für Europa ist. Ähnlich argumentiert BaFin-Präsident Felix Hufeld, der feststellen konnte, "dass sich Europa in einem weltweiten Konzert der Stimmen nur durch eine starke Gemeinsamkeit behaupten kann. Immer dann, wenn Europa überzeugt und überzeugend mit einer gemeinsamen Stimme spricht, sind die Chancen, unsere europäischen Interessen zu wahren, deutlich größer." Und der sich sicher ist, dass "diese Bedeutung der Gemeinsamkeit in den kommenden zwanzig Jahren angesichts der aktuellen Entwicklungen nicht geringer, sondern größer werden wird". Auch der wirtschaftliche Aufschwung hat einige Gründe in der einheitlichen Währung. Aber es besteht natürlich auch die Gefahr einer Übertreibung der Solidarität, der Gefahren einer Transferunion ohne entsprechend klare und auch angewandte Regeln. Die italienische Regierung hat den ersten Test gerade gestartet. Und hat eingelenkt. Doch wie wär das wohl ausgegangen, wenn es sich nicht um Italien, sondern um Frankreich oder gar Deutschland gehandelt hätte?

Das zeigt, wie wichtig es ist, die Europäische Währungsunion weiterzuentwickeln. Vieles wur de schon auf den Weg gebracht, die Bankenunion beispielsweise ebenso wie die Kapitalmarktunion oder die vielen Maßnahmen zur Stabilisierung des Bankensektors. Auf dem jüngsten Gipfel wurden nun die nächsten Schritte beschlossen. Wesentliche Entscheidungen wie vor allem eine Vereinheitlichung der Insolvenzrechte fehlen. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben auch gezeigt, dass allein die Einführung von stabilitätspolitischen Regeln nicht reicht, sondern es weitergehender Eingriffe in die nationalen Zuständigkeiten bedarf. Es gilt in letzter Konsequenz, die bestehende Asymmetrie der Wirtschaftsund Währungsunion - einer dezentral in den einzelnen Ländern stattfindenden Wirtschaftsund Haushaltspolitik und einer zentralen Geldpolitik durch die EZB - zu beseitigen. Dabei geht es aber nicht um Gleichmacherei. Denn die große Stärke Europas ist doch seine kulturelle Vielfältigkeit. Das muss sich die EU stärker bewusst machen. Dann wird es auch wieder mehr überzeugte Europäer geben.

Bleibt mit einem Vorurteil aufzuräumen. Ist der Euro ein Teuro, wie es die meisten Menschen meinen, zu fühlen? Nein, ist er nicht. Zwar ist heute fast alles teurer als vor zwanzig Jahren. Aber wenn Inflation und Kaufkraftsteigerung in die Berechnung miteinbezogen werden, sind hauptsächlich Strom, Krankenversicherung und Benzin wirklich teurer geworden. Wie viel davon ist Schuld des Euro? Die meisten anderen Produkte kosten dann in etwa so viel wie zu DM-Zeiten, und Milchprodukte - die Bauern klagen zu Recht - sind sogar spürbar billiger geworden. Früher war mehr Lametta, aber nicht wirklich alles besser.

Ich wünsche Ihnen allen einen guten Start in ein gesundes, erfolgreiches und glückliches Jahr 2019! Bleiben Sie uns gewogen.

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