Impulse durch die Altersvorsorge

Dr. Berthold Morschhäuser, Chefredakteur
Foto: Fritz Knapp Verlag GmbH

Das Institutionelle Asset Management wird durch die expansive Geldpolitik fremdbegünstigt. Seit Jahren wirken die unkonventionellen Maßnahmen der Notenbanken wie ein Konjunkturprogramm für die Branche. Dieser Grundtenor des Leitartikels von vor vier Jahren gilt unverändert, die Rahmen- und Marktbedingungen haben sich sogar eher noch verschärft. Speziell die Altersvorsorge eröffnet vor diesem Hintergrund weiterhin gute Chancen für die hiesige Branche. Denn je länger sich die expansive Geldpolitik fortsetzt, umso größer werden hierzulande die Lücken in der privaten Altersvorsorge. Für Fachleute ist dieses Szenario nach den Marktentwicklungen der vergangenen Jahre und der ohnehin bekannten demografischen Ausgangslage keine Überraschung. Neu ist allerdings ein wachsendes Interesse oder eine zumindest unbehagliche Aufmerksamkeit für diese eher akademisch klingenden Zusammenhänge in der breiten Öffentlichkeit. Allem Eindruck nach spüren und registrieren immer mehr Menschen die Folgewirkungen der expansiven Geldpolitik und ihre besondere Relevanz für die Altersvorsorge in Deutschland.

Dass zumindest ihre Kundeneinlagen kaum noch nennenswerte Renditen abwerfen, haben die deutschen Sparer schon seit Jahren verinnerlicht. Trotz unbestritten niedriger Inflationsraten wissen die meisten Bürger sehr wohl um den ständigen Substanzverzehr. Als im Zuge des schlechten Anlagejahres 2018 auch die (Aktien-)Fonds und die reine Aktienanlage schwächelten, haben viele Anleger gleichwohl wieder die guten alten Spargelder entdeckt. Laut Bundesbankbericht vom Juli 2019 sind diese in den ersten fünf Monaten dieses Jahres nach jahrelangem Rückgang um vier Milliarden Euro gestiegen. Am Beginn einer Abschwungphase, deren Dauer sich nicht zuletzt der bekannten weltpolitischen Widrigkeiten wegen noch nicht so genau abschätzen lässt, setzten offenbar viele private Anleger ganz auf Sicherheit und nehmen Substanzverluste bewusst in Kauf.

Immerhin weist die BVI-Statistik für Aktienfonds im ersten Quartal 2019 noch ein Nettomittelaufkommen von gut 1,4 Milliarden Euro auf, aber das starke Minus bei Renten- und Geldmarktfonds (minus 3,3 beziehungsweise minus 1,8 Milliarden Euro) bescherte den offenen Publikumsfonds in Q1-2019 Mittelabflüsse von 2,19 Milliarden Euro. Kurzum, das freiwillige Sparen in allen Varianten zeigt die bekannten prozyklischen Verläufe.

Eine private Altersvorsorge in der notwendigen Breite auf freiwilliger Basis aufbauen zu wollen, funktioniert nur mäßig. Das gilt auch für die seit Anfang des Jahrtausends staatlich geförderten Riesterverträge in ihren verschiedenen Ausgestaltungen, die nach den aktuellen Zahlen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales weiter an Anziehungskraft verloren haben. Schon seit 2015 hat sich deren Zahl nicht mehr nennenswert erhöht. Zum Ende des 1. Quartals 2019 werden insgesamt 16,561 Millionen Verträge ausgewiesen.

Für die Kreditwirtschaft bedeuten all diese Entwicklungen gleich aus zweierlei Gründen ein Alarmzeichen. Denn zum einen drohen bei hohen Beständen an Kundeneinlagen weiterhin Negativzinsen für die Einlagefazilitäten bei der EZB. Und zum anderen - und viel wichtiger - könnten viele Banken schon in absehbarer Zeit gezwungen sein, aus betriebswirtschaftlichen Gründen, die Kundeneinlagen mit Negativzinsen zu belegen - mit allen schwer kalkulierbaren Gefahren für das eigene Image. Schrumpfende Sparvermögen breiter Bevölkerungsschichten und/oder gravierende Lücken in der künftigen Altersvorsorge, so eine ernstzunehmende Befürchtung, könnten in der öffentlichen Wahrnehmung weniger der Geldpolitik der Notenbanken und/oder der mangelnden Handlungsfähigkeit der Bundespolitik als vielmehr den Banken angelastet werden. Es gibt in der Kreditwirtschaft also ein gewaltiges Eigeninteresse, die Altersvorsorge breiter Bevölkerungsschichten auf eine neue Grundlage zu stellen.

Die Sorge um die künftige Altersvorsorge in einem umlagefinanzierten System mit gewaltigen demografischen Herausforderungen kommt auch in einer aktuellen Researchstudie der DZ Bank zum Ausdruck. Dort werden die absehbaren Lücken in der Altersvorsorge zu den größten Herausforderungen der Gesellschaft gezählt und eine tragfähige Finanzierung der Renten beziehungsweise der Aufbau einer kapitalgedeckten Altersvorsorge mit zu den wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben erklärt. Wie dringlich das Problem angegangen werden muss, zeigt die Entwicklung des sogenannten Altenquotienten. Kommen heute noch 31 Menschen im Rentenalter (67 Jahre und älter) auf 100 Erwerbstätige (im Alter von 20 bis 66 Jahren) erhöht sich dieser Quotient schon bis zum Jahre 2030 auf 39,2 Prozent und bis 2040 gar auf 46,7 Prozent.

Wie bei solcher Dynamik der absehbaren Entwicklung der Lebensstandard von Jung und Alt gesichert werden soll, treibt neben den Banken auch die Wissenschaft, die Wirtschaft und die hiesige Politik um. So soll einer vom Ifo-Institut zur Diskussion gestellten Idee nach die gute Bonität des Staates zum langfristigen Aufbau eines Deutschen Bürgerfonds genutzt werden. Ohne Einzahlungspflicht soll den Bürgern, also auch den Geringverdienern, bei Erreichen der Altersgrenze aus der Deutschen Bürgerversicherung ein Betrag zum Ausgleich der Versorgungslücke ausgezahlt werden. Ein Vorschlag des Handelsblatt Research Instituts tendiert zum Aufbau eines von einer Non-Profit-Organisation verwalteten Systems von individuellen Vermögenskonten. Der Branchenverband BVI macht sich mit konkreten Vorstellungen für ein vereinfachtes Standard-Riester-Produkt stark und will dafür unter anderem den Kreis der Förderberechtigten ausweiten, den Förderrahmen erhöhen, die Fördersystematik vereinfachen, auf den Zulagenantrag verzichten, die Zulagenverwaltung vereinfachen sowie eine Flexibilisierung der Beitragsgarantie anbieten. Das schon seit einigen Jahren von der hessischen Landesregierung angedachte Konzept der Deutschlandrente will mit einem staatlich organisierten Investmentfonds ein transparentes und kostengünstiges Angebot in den Wettbewerb zu bestehenden Anbietern schicken und dabei sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ein Widerspruchsrecht zubilligen. Und auch die kapitalmarktorientierten Modelle in Schweden, Kanada und Großbritannien werden immer wieder in die Diskussionen eingebracht.

Ob die deutsche Politik noch in der laufenden Legislaturperiode den Elan findet, das Thema Altersvorsorge ernsthaft aufzugreifen, dürfte stark davon abhängen, wie die parteiinterne Bestandsaufnahme der SPD zur Arbeit der Koalition ausfällt und welche Folgen das für die Fortführung der Regierungsarbeit hat. Mit dem Ziel einer zügigen Entwicklung eines attraktiven standardisierten Riester-Produkts und der Festlegung auf eine Einbeziehung von Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung mit Opt-out-Lösung und Altersvorsorgepflicht sind zwei Vorhaben ausdrücklich im Koalitionsvertrag erwähnt.

Die Asset-Management-Branche kann den kommenden Entwicklungen in der Altersvorsorge - seien es nun Einzelbausteine oder die erforderliche große Lösung - recht gelassen entgegensehen. Die Altersvorsorgeeinrichtungen dominieren seit drei Jahren ohnehin das Neugeschäft und sie werden ihm der Tendenz nach auch auf absehbare Zeit hinaus gute Zuwächse bescheren. Das gilt unabhängig davon, wie schnell die Geldpolitik wieder zu einer Art Normalität zurückfindet und unabhängig davon, wann und in welcher Form sich die deutsche Politik zu einer nachhaltigen Neuregelung der Altersvorsorge zusammenraufen kann.

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X